Auf den meisten englischsprachigen Tastaturen sind die drei Buchstabenreihen nicht alphabetisch oder nach Häufigkeit der Verwendung geordnet. Die beiden häufigsten Buchstaben im Englischen — e und t — gehören nicht mal zu den zentralen Tasten, auf denen die Finger beim Tippen ruhen. Für sie muss man die Finger nach der oberen Reihe strecken. Dort beginnen die Buchstaben von links nach rechts mit Q W E R T Y. Warum das so ist, hat mit der Mechanik einer Schreibmaschine, einem militanten Vegetarier und einem Politiker aus Wisconsin zu tun, der innerhalb von acht Jahren drei verschiedenen politischen Parteien angehörte.
Ich liebe geradlinige Geschichten von Erfindern und ihren Erfindungen. In der fünften Klasse habe ich meinen allerersten Sachtext über das Leben von Thomas Edison geschrieben. Er fängt so an: »Thomas Alva Edison war eine sehr interessante Person, die viele interessante Erfindungen gemacht hat wie die Glühbirne und die sehr interessante Filmkamera.« Das Wort interessant gefiel mir, weil der Text von Hand in Schreibschrift abgefasst werden und fünf Seiten lang sein musste, und dank meiner unsicheren kalligrafischen Bemühungen nahm interessant eine ganze Zeile ein.
Das eigentlich Interessante an Thomas Edison war natürlich, dass er genau genommmen weder die Glühbirne noch die Filmkamera erfunden hat. In beiden Fällen arbeitete er zusammen mit anderen an der Weiterentwicklung bereits bestehender Erfindungen, was eine der überragenden Fähigkeiten des Menschen ist. Was mich an der Menschheit am meisten interessiert, ist nicht, was Einzelne tun, sondern was für Systeme wir gemeinsam schaffen und erhalten. Die Glühbirne ist cool und alles, aber was wirklich cool ist, ist das Stromnetz, mit dem sie betrieben wird.
Aber wer will schon hören, wie etwas über viele Jahrzehnte durch immer neue Veränderungen langsam entwickelt wird? Ich hoffe mal, Sie.
Die ersten Schreibmaschinen wurden im 18. Jahrhundert gebaut, sie waren allerdings zu langsam und zu teuer, um in großen Mengen hergestellt zu werden. Mit der Ausbreitung der Industriellen Revolution konnte man dann Präzisionsteile aus Metall kostengünstiger herstellen und in den 1860er-Jahren versuchte ein Zeitungsverleger und Politiker in Wisconsin, Christopher Latham Sholes, eine Maschine zu bauen, die Seitenzahlen auf Buchseiten drucken konnte. Dabei kam ihm die Idee, dass eine ähnliche Maschine auch Buchstaben drucken könnte.
Sholes kannte sich in der Politik von Wisconsin aus — er hatte als Demokrat im Senat des Bundesstaates gedient und trat dann in die Free Soil Party ein, die die rechtliche Diskriminierung der Afroamerikaner beenden und die Ausweitung der Sklaverei in den USA verhindern wollte. Später wurde er Republikaner. Heute ist er vor allem als stimmgewaltiger Gegner der Todesstrafe in Erinnerung. Er trug entscheidend dazu bei, dass die Todesstrafe in Wisconsin 1853 abgeschafft wurde.
Zusammen mit seinen Freunden Samuel Soule und Carlos Glidden machte er sich an den Bau einer Schreibmaschine ähnlich der, über die er in der Zeitschrift Scientific American gelesen hatte und die dort »Schreibklavier« genannt wurde. Die erste Schreibmaschine der Freunde hatte zwei Tastenreihen — aus Ebenholz und Elfenbein, genau wie beim Klavier —, die im Wesentlichen alphabetisch angeordnet waren.
Es gab damals viele ganz verschieden konstruierte Schreibmaschinen mit ganz verschiedenen Tastenanordnungen, was auf eine der großen Herausforderungen unserer ausufernden, die ganze Menschheit erfassenden Gemeinschaftsproduktionen verweist: die Standardisierung. Wenn man bei jedem Kauf einer neuen Schreibmaschine eine neue Tastenbelegung lernen muss, ist das extrem ineffizient.*41
Mit der Sholes-Schreibmaschine musste man »blind« schreiben, das heißt, man konnte beim Eintippen nicht sehen, was man eintippte. Man merkte also auch nicht, ob die Schreibmaschine geklemmt hatte, was bei der alphabetischen Anordnung der Tasten oft der Fall war. Aber nicht diese Blockaden scheinen die treibende Kraft hinter der Veränderung der Tastenbelegung gewesen zu sein. Wie Koichi und Motoko Yasuoka in ihrer Abhandlung »Zur Vorgeschichte von QWERTY« darlegen, wurde die Anordnung entscheidend von den Bedürfnissen der Telegrafisten beim Übersetzen des Morsealphabets geprägt.
Jedenfalls trugen sowohl Telegrafisten wie Stenografen zum letztendlichen Layout der Tastatur bei, und neben ihnen noch eine Vielzahl weiterer Tüftler, darunter Thomas Edison, der ebenfalls seinen Rat in Sachen Schreibmaschine beisteuerte. Sholes, Soule und Glidden zogen auch Investoren von außen hinzu, insbesondere Sholes’ alten Freund James Densmore. Densmore war leidenschaftlicher Vegetarier, der vor allem von rohen Äpfeln lebte und bekannt dafür war, dass er sich in Restaurants mit anderen Gästen anlegte, wenn er mitbekam, dass sie ein Fleischgericht bestellten. Außerdem schnitt er seine Hosen aus Bequemlichkeit einige Zentimeter über den Knöcheln ab. Zufällig hatte er auch einen Bruder, Amos, der sich mit der Häufigkeit von Buchstaben und ihren Kombinationen im Englischen beschäftigte. Einigen Quellen zufolge beriet Amos die Schreibmaschinenkonstrukteure beim Layout der Tastatur.
Stenografen und Telegrafisten, die die Schreibmaschine testen sollten, bekamen von Densmore die Anweisung, die Maschinen »nicht zu schonen« und »ihre Schwachstellen zu finden«. Während die Beta-Tester sich an die Arbeit machten, verbesserten Sholes und seine Mitstreiter die Maschinen weiter. Im November 1868 kreierten sie eine vierreihige Tastatur, deren oberste Reihe mit A E I . ? begann. 1873 begann die vierreihige Belegung mit Q W E . T Y. In diesem Jahr kaufte der Waffenhersteller Remington und Söhne die Rechte an der Sholes-Glidden-Schreibmaschine. Die Firma wollte nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs in Geschäftsbereiche außerhalb der Feuerwaffen expandieren. Die Ingenieure von Remington verlegten das R in die oberste Reihe, was mehr oder weniger die gleiche Tastenanordnung ergab wie heute.
Die QWERTY-Tastatur wurde nicht von einer einzelnen Person erfunden, sondern von vielen zusammen. Sholes selbst war mit der Anordnung übrigens nicht zufrieden und arbeitete den Rest seines Lebens an weiteren Verbesserungen. Wenige Monate vor seinem Tod beantragte er ein Patent für eine neue Tastatur, in der die obere Reihe mit den Buchstaben X P M C H beginnt.
Durchgesetzt hat sich allerdings QWERTY, teils weil die »Remington 2« genannte Schreibmaschine sehr beliebt war, teils weil es eine gute Anordnung ist. Es hat seitdem viele Versuche gegeben, QWERTY zu verbessern, aber keiner war so überzeugend, dass er den Standard verändert hätte. Die bekannteste angeblich leichtere Anordnung ist die Dvorak-Tastaturbelegung, entworfen 1932 von August Dvorak, mit den Buchstaben A O E U in der mittleren Buchstabenreihe links. Einigen Untersuchungen zufolge erhöhte die Dvorak-Tastaturbelegung die Tippgeschwindigkeit und verringerte die Fehlerquote, aber viele dieser Untersuchungen wurden von Dvorak bezahlt und neuere Studien konnten wenig bis gar keinen Nutzen seiner oder irgendeiner anderen angeblich optimierten Anordnung zeigen.
Bei der QWERTY-Tastatur wechseln sich die Hände — zum Teil durch Zufall — innerhalb eines Worts ziemlich gut ab, was bedeutet, dass die eine Hand sich schon nach der nächsten Taste strecken kann, während die andere noch tippt. Sie ist nicht optimal — die meisten häufigen Buchstaben werden mit der linken Hand getippt, obwohl die meisten Menschen rechts etwas schneller und genauer sind —, aber für die meisten von uns erfüllt QWERTY in der Regel seinen Zweck.
Für mich auf jeden Fall. In der Grundschule hatte ich eine furchtbare Handschrift (weshalb das Wort »interessant« in Schreibschrift bei mir eine ganze Zeile Schreibpapier belegte). Egal wie sehr ich mich bemühte, den Stift gleichmäßig zu führen, ich konnte einfach nicht schön schreiben. Aber schon als Kind war ich auf der Schreibmaschine ein Ass. Maschineschreiben war etwas vom Ersten, das ich wirklich gut konnte, anfangs weil ich unbedingt die textbasierten Videospiele der 1980er-Jahre spielen wollte, dann aber auch, weil es ein gutes Gefühl war, etwas richtig gut zu können. In der sechsten Klasse konnte ich achtzig Wörter pro Minute tippen. Heute tippe ich so schnell, wie ich denke. Oder aber, weil ich schon so lange durch Tippen denke, mein Gehirn hat gelernt, so schnell zu denken, wie ich tippe, genauso wie es gelernt hat, zu glauben, das Alphabet fange mit den Buchstaben Q-W-E-R-T-Y an.
Die Tastatur ist mein Weg zum Denken und auch mein Weg, meine Gedanken mitzuteilen. Ich spiele kein Instrument, aber ich klimpere auf diesem Schreibklavier und wenn es gut läuft, entwickelt sich ein bestimmter Schlagrhythmus. Manchmal — natürlich nicht jeden Tag, aber manchmal — kommt es mir so vor, als könnte ich, weil ich weiß, wo die Buchstaben sind, auch sagen, wo die Wörter sind. Ich liebe das Geräusch, wenn ich die Tasten einer guten Tastatur drücke — der Fachbegriff lautet Tastaturanschlag. Was ich am Tippen aber am meisten liebe, ist, dass meine Schrift auf dem Bildschirm oder der Seite optisch nicht von der irgendeines anderen Menschen zu unterscheiden ist.
Als Kind des frühen Internet habe ich das Maschineschreiben geliebt, weil niemand daraus ablesen konnte, wie klein und schmal meine Hände waren, was für eine Angst ich die ganze Zeit hatte und wie viel Kraft mich das laute Sprechen kostete. Online bestand ich damals, 1991, nicht aus Herzklopfen und weichen Knien, sondern aus Tastenanschlägen. Wenn ich es nicht mehr ertrug, ich zu sein, konnte ich für eine Weile zu einer Folge rasch hintereinander angeschlagener Tasten werden. Und in gewisser Weise ist das der Grund, warum ich so viele Jahre später immer noch tippe.
Ich gebe der QWERTY-Tastatur deshalb, auch wenn die Belegung nicht perfekt ist, vier Sterne.