3.
ABBIE
Ende Januar in Waterbury, Connecticut
»Was ziehst du denn für ein Gesicht?«
Kurz sehe ich zu Dion, die neben mir auf der Rückbank sitzt, dann blicke ich wieder aus dem Fenster.
»Ich ziehe kein Gesicht, ich denke nach.« Im Grunde mache ich seit Tagen nichts anderes.
»Und worüber?«, hakt sie nach.
»Keine Ahnung«, lüge ich, denn ich weiß es sehr wohl. Es gibt genau zwei Dinge, die abwechselnd meine Gedanken beherrschen.
Die Tatsache, dass letzte Wochen Ermittlungsbeamte vor unserer Tür standen, um die Verstrickungen im Fall Anderson Real Estate zu überprüfen. Sie nannten es eine Routineuntersuchung, weil die Andersons in den vergangenen Jahren viel Geld in die Stiftung meiner Mom haben fließen lassen. Während unser Haus auf den Kopf gestellt wurde, hat ein anderer Trupp die Räumlichkeiten der Stiftung umgekrempelt. Meine Mom rief mich aus dem Büro an und sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. Die Beamten machen nur ihren Job. Hilflos sah ich dabei zu, wie sie sich durch unsere privaten Sachen gewühlt haben. Auf der Suche nach was? Meine Mom ist nicht mal dazu in der Lage, im Halteverbot zu parken, und dann soll sie an Geldwäsche in Millionenhöhe beteiligt sein? Das ist absurd. Gleichzeitig fühlt es sich wie ein Albtraum an, weil unser Schicksal in den Händen anderer liegt. Menschen, denen ich zuvor noch nie begegnet bin.
Bisher sind die Anschuldigungen nicht an die Öffentlichkeit durchgesickert, aber wir leben in Manhattan. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Presse daran aufhängt und Gönner ihre Zahlungen einstellen. Um die Sache aus den Medien herauszuhalten, genießen die Andersons zu viel Aufmerksamkeit. Und dann wird es richtig übel.
Man könnte also sagen, Jasper und ich sitzen plötzlich im selben Boot und müssen hoffen, dass es nicht sinkt. Ich kann mir vorstellen, wie er sich fühlt. Seit dem Ausflug in die Hamptons denke ich immer wieder über Jasper nach. Er ist vorzeitig abgereist und ich frage mich, ob unsere nächtliche Begegnung in der Küche der Auslöser dafür war, dass er bereits vor dem Frühstück verschwunden war. Oder ob es etwas mit seiner Familie zu tun hatte? Er hat vermutlich noch viel größere Sorgen als ich. Das Gesicht seines Dads ziert seit Wochen die Titelseiten.
»Okay, das check ich nicht. Du zerbrichst dir über etwas den Kopf und weißt nicht, wo deine Gedanken ständig sind?«
»Ja, genau so ist es«, erhalte ich meine Lüge aufrecht. Dion ist die falsche Person für eine Unterhaltung über Jasper. Sie kann ihn nicht ausstehen und würde mir sagen, dass er keinen einzigen meiner Gedanken wert ist. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, hat sie nach seiner Abreise gesagt, und wir können froh sein, dass er sich aus dem Staub gemacht hat. Mit so jemandem wollen wir nichts zu tun haben.
Wir. Nicht sie. In dem Punkt kann sie unmöglich für uns beide sprechen, denn ich teile ihre Meinung nicht. Ich würde gerne mit jemandem reden, der meine Angst versteht und sie möglicherweise nachempfinden kann, weil er in derselben Situation steckt. Vielleicht hat Dion recht, vielleicht auch nicht. Aber es beschäftigt mich, ob ich ihn vergrault habe, weil ich ihn einfach habe stehen lassen. Hätte ich geahnt, dass nur wenig später ein Klingeln an der Tür mein Leben völlig auf den Kopf stellen würde, hätte ich Jasper festgehalten, um Antworten auf all meine Fragen zu bekommen. Cameron meinte zwar, es habe nichts mit uns zu tun gehabt. Jasper habe die Angewohnheit, zu verschwinden und aufzutauchen, wie es ihm beliebt. Aber was, wenn das nicht stimmt?
»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du seltsam bist?«
Meint sie das ernst?
»Ja, du. Seit dem Kindergarten höre ich von dir nichts anderes«, blaffe ich sie an und fühle mich sofort mies. »Sorry, ich wollte dich nicht anmotzen«, rudere ich zurück. Ich kann Dions skeptischen Blick auf mir spüren, aber sie würde nicht verstehen, was mir durch den Kopf geht.
»Du weißt, wenn ich ›seltsam‹ sage, ist es lieb gemeint.«
Ist das so? Es fühlt sich selten nach einem Kompliment an. Aber so ist Dion einfach. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, trifft oft den falschen Ton und kommt stets damit durch. Manchmal frage ich mich, warum ausgerechnet wir beide befreundet sind. Wir haben absolut nichts gemeinsam. Das Einzige, was uns verbindet, ist die Freundschaft zu Aspen.
Okay, das stimmt nicht, ich liebe Dion. Gerade bin ich gefrustet, weil sich meine Gedanken nicht einfach in Luft auflösen, und lasse es an ihr aus. Aber es gibt durchaus Momente, in denen ich meine Freundin gerne auf den Mond schießen würde. Das sind jene, in denen sie mir mitteilt, dass ich langweilig, zu introvertiert und – nicht zu vergessen – seltsam bin. Das Tragische daran ist, sie hat recht. Ich bin Mae Whitman in ihrer Filmrolle als Designated Ugly Fat Friend . Kurz: DUFF . Wobei ich eher die DUTF bin. Designated Ugly Tiny Friend. Ja, das passt.
Seufzend reiße ich mich von der vorbeiziehenden Landschaft los und sehe nach vorn. Liams Blick trifft auf meinen, als er in den Rückspiegel sieht. Ein zaghaftes Lächeln erscheint auf den Lippen des Chauffeurs der Carmichaels.
»Was, glaubst du, steckt hinter Aspens kryptischer Äußerung, sie habe ›eine Überraschung für uns‹?«, fragt Dion und sieht von ihrem Handy auf.
»Woher soll ich das wissen?« Aspen hat heute Morgen eine Nachricht in den Gruppenchat geschrieben und uns dann damit vertröstet, dass wir uns im Bungalow treffen.
»Du bist doch sonst immer so kreativ im Aufstellen von wilden Theorien.«
»Ja, und jedes Mal hältst du mich für übergeschnappt, also kann ich sie auch für mich behalten.«
»Herrje, du hast ja eine Laune«, antwortet sie genervt und widmet sich wieder dem Smartphone in ihrer Hand.
»Sorry, ich habe es nicht so gemeint«, glätte ich die Wogen, weil meine Freundin nicht schuld an dem Chaos ist, in das ich hineingeraten bin. In einem Anflug von Panik habe ich mich letzte Woche um einen Studienplatz an der NYU beworben. Eine Vorsichtsmaßnahme, sollte der Ernstfall eintreten und wir in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die Kosten für die NYU liegen im Vergleich zu denen für Waterbury bei einem Drittel.
Ich habe auch über einen Nebenjob nachgedacht, aber in Waterbury werden keine Aushilfsjobs an Studierende vergeben. In der Regel haben die es auch nicht nötig, sich etwas dazuzuverdienen. Jedenfalls war das bei einem Telefonat die Aussage einer Cafébesitzerin im Stadtzentrum, das sich ein paar Meilen vom Campus entfernt befindet. Man vergebe offene Stellen lieber an Einheimische, die das Geld tatsächlich brauchen. Dann habe ich es in Betracht gezogen, mir innerhalb des Colleges einen Job zu suchen. Aber ich habe im internen Portal nichts gefunden, das darauf hinweist, dass es so etwas wie eine Jobbörse für Studierende gibt. Lerngruppen und Hobbygemeinschaften hingegen finden sich im Überfluss. Es gibt eine Gruppe für ehrenamtliche Tätigkeiten. Keine Ahnung, was im Detail sie tun, aber ehrenamtlich heißt unbezahlt.
Bei meiner Recherche habe ich mich zum ersten Mal gefragt, wer die Menschen sind, die hier arbeiten. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Stellen öffentlich ausgeschrieben werden. Jedenfalls habe ich dazu ebenfalls nichts gefunden. Erstaunlich, dass ich mir darüber vorher noch nie Gedanken gemacht habe. Woher kommt das Personal in der Mensa, im Supermarkt, im Café oder im Luxus-Beauty-Fitness-Tempel? Gibt es dafür so eine Art Rekruten-Programm, das man vorher durchlaufen muss? Oder gibt es ein Codewort, das man bei der Jobvermittlung sagen muss, damit man eine Liste mit offenen Stellen auf dem Campus bekommt?
Darüber zerbreche ich mir seit Tagen den Kopf. Egal wie ich es drehe, am Ende lande ich bei der These, dass ich innerhalb von Waterbury keinen Cent verdiene. Ich könnte maximal an den Wochenenden oder während der Ferien in Manhattan arbeiten. Es ist wirklich kompliziert, an Geld zu kommen. So gerne ich meine Mom entlasten möchte, ich habe keine Ahnung, wie ich es anstellen soll.
Außer ich verlasse Waterbury. New York bietet eindeutig die bessere Ausgangslage fürs Geldsparen und -verdienen.
Dion und Aspen habe ich nichts von meinem Plan und meinen Sorgen erzählt. Dion würde sagen, wenn ich den Teufel an die Wand male, soll ich mich anschließend nicht wundern, wenn er höchstpersönlich vor der Tür steht. Aspen würde ihren Sparstrumpf opfern, um mir und meiner Mom zu helfen. Und dann wäre da noch der klitzekleine Umstand, dass die beiden nur meinetwegen hier sind, damit wir nicht voneinander getrennt studieren. Weil wir schon immer ein Dreiergespann sind. Aspens erste Wahl wäre die NYU gewesen. Dion war es im Grunde egal, Hauptsache, es verschafft ihr noch etwas unbeschwerte Zeit, bevor uns der Ernst des Lebens einholt. Ich habe das Gefühl, ich stecke bereits mittendrin.
Dion schnipst mit den Fingern vor meinem Gesicht herum, weil ich ihr nicht zugehört habe.
Fragend sehe ich sie an. »Entschuldige, was hast du gesagt?«
»Deine Aufmerksamkeitsspanne ist in letzter Zeit auf weniger als das absolute Minimum gesunken, oder? Henry schmeißt heute Abend eine verspätete Happy-New-Year-Party.«
»Hmm«, erwidere ich demotiviert, weil ich ahne, nicht drum herumzukommen.
»Henry schwört, es ist die Party des Jahres und sie könnte unser Leben verändern. Ich möchte keine Ausreden hören, du kommst mit.«
Volltreffer, ich habe es gewusst.
»Warum? Du haust doch ohnehin nach zehn Minuten mit Henry ab und ich stehe alleine in der Ecke herum.« Die Party des Jahres? Sind das nicht angeblich all seine illegalen Partys, die er auf dem Campus veranstaltet? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dies ein Abend wird, der in die Geschichte eingeht.
»Du könntest dich zur Abwechslung unter die Leute mischen. Wer weiß, vielleicht ist der Richtige ja heute Abend dabei.«
»Weil ich auch so gut darin bin, wildfremde Menschen anzusprechen«, antworte ich sarkastisch. Small Talk ist keine meiner Stärken. Wenn ich nervös bin, rede ich zusammenhangloses Zeug und häufig ergreift mein Gegenüber mit einer lausigen Entschuldigung die Flucht.
»Ernsthaft, Abbs, wenn du dich verkriechst, lernst du nie jemanden kennen und verliebst dich«, sagt Dion, ohne von ihrem Handy aufzusehen, weil sie damit beschäftigt ist, sich durch Instagram-Storys zu klicken. Das macht sie so schnell, dass ich mich frage, ob sie sich auch nur eine einzige genau ansieht oder das Ganze sie im Grunde langweilt und es pure Gewohnheit ist. Und ich hasse diesen Spitznamen, weil sie ihn immer dann einsetzt, wenn sie mich weichklopfen will.
»Dazu müsste ich erst einmal wissen, was mein Typ ist, damit ich keine großflächige Feldstudie betreiben muss. Oder die Nadel im Heuhaufen suche.« Denn ich weiß es wirklich nicht.
»Ich sag dir, was dein Typ ist.«
»Ach ja? Jetzt bin ich aber gespannt«, erwidere ich sarkastisch. Bisher hatte ich weniger Glück in Sachen Liebe. Und ich befürchte, das lag eher an mir und weniger an den Jungs, die ich gedatet habe. Die waren nett, aber das wars auch schon. Der Funke wollte einfach nicht überspringen.
»Seth aus O. C., California . Leicht nerdig, humorvoll, loyal und irgendwie unscheinbar.«
»Wow, ich sollte mich selbst daten, denn deine Beschreibung passt perfekt auf mich«, spotte ich, weil ich nun so richtig frustriert bin.
»Jetzt, da du es sagst«, stimmt Dion lachend zu. »Mal im Ernst, da draußen gibt es eine Menge hübsche Jungs.«
»Nur scheinen die sich nie dort zu befinden, wo ich mich aufhalte.«
»Du hast selbst gesagt, dass du auf dem College Er-«
»Ich weiß, was ich gesagt habe, du musst es nicht wiederholen«, platzt es aus mir heraus. Mein Ausbruch sorgt dafür, dass Dion ihr Handy in den Schoß fallen lässt und mich entgeistert ansieht. Was erwartet sie für eine Reaktion, wenn sie mir ständig unter die Nase reibt, ich müsste meine Komfortzone verlassen, um jemanden kennenzulernen? Vielleicht muss sich auch einfach nur jemand zu mir gesellen und wir machen es uns gemeinsam in der Wir-sind-langweilig-Blase gemütlich. Es gibt kein Gesetz, das besagt, dass man seine Persönlichkeit anpassen muss, um die Liebe zu finden.
»Sorry, es tut mir leid, ich wollte dich nicht anmotzen. Wann steigt die Party?«, lenke ich ein. Mal wieder. Dion kann furchtbar nachtragend sein. Der Weg des geringsten Widerstandes sorgt für die nötige Harmonie innerhalb der Gruppe. Etwas, das Aspen und ich sehr früh erkannt haben. Was nicht bedeutet, dass wir Dion grundsätzlich recht geben oder wie ein rohes Ei behandeln. Es bedeutet nur, dass wir es uns gut überlegen, bevor wir uns in eine Diskussion mit ihr begeben.
»Um acht.«
Ich sehe auf die Uhr.
Wie schnell kann man sich eine Magenverstimmung einfangen? Reichen vier Stunden?
Mein Blick huscht zu Liam, der erneut in den Rückspiegel sieht und die Stirn nachdenklich in Falten gelegt hat.
Die nächste halbe Stunde verbringe ich damit, gedankenverloren aus dem Fenster zu starren, während Dion mit Henry telefoniert. Sie legt erst auf, als wir vor dem Bungalow auf dem Gelände des Waterbury College zum Stehen kommen. Aspens gelber Porsche parkt in der Einfahrt.
»Dann auf in ein neues Semester«, sagt Dion, als Liam ihr die Tür öffnet.
Ich atme einmal tief durch, bevor ich aussteige. Leider kann ich nicht behaupten, mich über meine Rückkehr zu freuen. Und das liegt nicht an der Sache, die gerade in New York passiert, sondern daran, dass ich mir das College anders vorgestellt habe. Der Effekt, den ich mir erhofft hatte, ist bisher ausgeblieben. Dabei weiß ich nicht einmal genau, woran es liegt. Aber es fühlt sich nicht nach der Freiheit an, die ich erwartet habe. Vielleicht ist es mir deswegen so leichtgefallen, die Bewerbung für die NYU abzuschicken.
Liam ist bereits dabei, unser Gepäck aus dem Kofferraum zu holen, als ich um den Wagen herumgehe, um es selbst zu übernehmen. Ich mag es nicht, dass er mich behandelt, als wäre er für mich ebenso zuständig wie für Dion.
»Danke.«
»Abbie, wo bleibst du denn?«, ruft Dion, die ihren Koffer bereits die letzten Meter bis zur Tür hinter sich herzieht.
»Ich komm ja schon«, erwidere ich und verabschiede mich von Liam. Etwas, das sie nicht für nötig hält.
Als ich den Bungalow betrete, stolpere ich beinahe über ein Paar Schuhe und Dions Koffer.
»Aspen?«, höre ich Dion rufen.
»In der Küche«, antwortet sie.
»Abbie, warum trödelst du heute denn ständig herum?«, nörgelt Dion, weil ich nicht schnell genug bin.
»Vielleicht hast du es heute verdammt eilig«, erwidere ich laut, bringe mein Gepäck in mein Zimmer und folge ihr anschließend in die Küche.
»Hey, da seid ihr ja endlich.« Aspen kommt mit schnellen Schritten auf uns zu und schließt uns fest in die Arme.
»Dion hat eine halbe Stunde nach ihrer neuen Tasche von Dior gesucht, nur um dann festzustellen, dass sie sie bereits in ihren Koffer gepackt hatte«, erkläre ich unsere Verspätung.
»Versace«, korrigiert sie mich.
»Es ist so schön, euch zu sehen«, sagt Aspen.
»Also, worüber willst du so dringend mit uns reden?«, fragt Dion ungeduldig.
»Vielleicht setzen wir uns erst mal hin.«
»Du bist schwanger. Ich habe es geahnt«, platzt Dion heraus.
»Nein. Herrje, wie kommst du denn auf so was?«
»Weil du ein riesiges Geheimnis daraus machst und die Neuigkeiten als Überraschung tarnst«, erklärt Dion.
»Ich schwöre, ich bin nicht schwanger, aber ich habe tatsächlich ein paar Neuigkeiten.« Sie macht eine kurze Pause. Dion und ich tauschen fragende Blicke aus. »Können wir diese Unterhaltung bitte nicht im Stehen führen?«, fragt Aspen und drängt uns zum Sofa.
»Du machst mir ein wenig Angst«, sage ich.
»Also dann, raus mit der Sprache«, motiviert Dion sie zum Reden, sobald wir sitzen.
Aspen holt einmal tief Luft. Ganz automatisch tue ich es ihr gleich. »Cameron hat einen Studienplatz am Waterbury College bekommen.«
»Was?«, entfährt es Dion und mir wie aus einem Mund.
»Er hat vor zwei Wochen spontan eine Zusage erhalten.«
»Warte, du hast ihn mit nach Waterbury gebracht? Das ist ein Scherz, oder?«, fragt Dion entsetzt.
»Warum, weil Cameron nicht über den richtigen Stammbaum oder die finanziellen Mittel verfügt?«, verteidigt Aspen ihren Freund.
»Nein, weil er nicht plötzlich vorgeben kann, Cameron zu sein, wenn er letztes Semester den floralen Hemdträger verkörpert hat«, erklärt Dion nun deutlich ruhiger.
»Er hatte kaum Kontakt zu anderen.«
»Er hat Kurse besucht.«
»Abbie?« Aspen sieht mich Hilfe suchend an.
»Was will er hier?«, frage ich im selben Atemzug, obwohl es überflüssig ist.
»Architektur studieren. Er nimmt an dem Förderprogramm teil, das das College gestartet hat, um sein Image zu retten.«
»Das Programm gibt es wirklich? Ich habe es für ein Gerücht gehalten.« Da Walls wegen seiner Beteiligung an der Geldwäsche beurlaubt wurde, hat Professorin Simmons die kommissarische Leitung übernommen. Und anscheinend nutzt sie die Gelegenheit, um frischen Wind ans College zu bringen.
»Ab sofort wird hier also Champagner mit Prosecco gemischt und gehofft, dass niemand davon Kopfschmerzen bekommt? Großartig«, seufzt Dion.
»Dion hat recht, wie habt ihr euch das vorgestellt? Ihr werdet das irgendwie erklären müssen. Auch wenn das College gerade andere Sorgen hat, wird die Ähnlichkeit zu Jasper nicht unentdeckt bleiben.« Was die beiden vorhaben, ist verrückt. Auch wenn ich verstehe, dass Aspen Cameron in ihrer Nähe haben will, ist es riskant. Und noch eine Frage drängt sich mir auf, die ich allerdings für mich behalte: Wenn Cameron hier ist, ist es Jasper dann auch?
»Wir haben sicherheitshalber an Cams Optik geschraubt, damit man ihn nicht mehr für Jasper hält.«
»Habt ihr ihm die Haare blau gefärbt, einen Nasenring verpasst und ihn in Punk-Klamotten gesteckt?«, spottet Dion.
»So ähnlich.« Aspen lacht leise.
»Das wird niemals funktionieren«, merkt Dion an.
»Doch, das wird es«, erwidert Aspen überzeugt.
Für einen Moment herrscht Stille im Wohnzimmer, bis Dion das Wort ergreift. »Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich könnte auf die Neuigkeiten ein Gläschen zur Nervenberuhigung vertragen. Das Alkoholverbot ist ein Witz, wenn man bedenkt, dass der Sohn der Collegeleitung das Zeug in seinem Keller bunkert.«
»Ich habe mir den Trick von Abbies Grandma abgeschaut und den Alkohol in Apfelsaftflaschen getarnt. Ich dachte, nach der Offenbarung werdet ihr was brauchen.«
»Warum stehst du hier noch rum, hol das Zeug.«
Sobald Aspen außer Hörweite ist, wendet sich Dion mir zu. »Miss Ich-habe-immer-eine-Theorie, hast du was geahnt?«
Ich schüttle den Kopf, weil ich nicht den Hauch einer Ahnung hatte. Und ich bete, dass es nicht schiefgehen wird.
Kurz darauf taucht Aspen mit zwei Flaschen auf und stellt eine davon auf dem Couchtisch ab. Die andere schraubt sie auf, nimmt einen Schluck daraus und reicht sie Dion, die angewidert das Gesicht verzieht.
»Ich hole Gläser«, sage ich und springe vom Sofa auf.
»Manche Dinge ändern sich also nie«, stöhnt Dion.
Wenn man gemeinsam unter einem Dach lebt, entdeckt man ganz andere Seiten an den Menschen, die man liebt. Dion ist eine schreckliche Diva, die regelmäßig für Drama sorgt und das College nicht ernst nimmt. Und Aspen hat ein paar Angewohnheiten, die mich in den Wahnsinn treiben. Sie benutzt praktisch nie Gläser, ihre Schuhe stehen immer mitten im Flur und überhaupt ist sie total chaotisch.
»Sorry. Cam stört es nicht, wenn ich aus der Flasche trinke.«
»Natürlich stört ihn das nicht, weil ihr ohnehin Körperflüssigkeiten miteinander austauscht. Wenn sich unsere jetzt vermischen, nachdem ihr vorhin rumgemacht habt, wäre das, als hätte ich ihn geküsst.« Dion macht ein würgendes Geräusch, während ich über ihre Aussage nachdenke.
»Wow, was für eine Herleitung.« Aspen lacht erneut.
»Wisst ihr, was das Tragische an dieser ganzen Doppelgänger-Story ist?« Ich reiche Dion ein Glas. »Es ist Gossip de luxe. Damit würde ich auf den Olymp des Klatsches klettern und Grant Taylor verdrängen.«
»Dion!«, sagen Aspen und ich synchron.
»Keine Angst, ich halte die Klappe. Aber es wäre so gut.« Kopfschüttelnd nimmt Dion mir eins der Gläser ab, füllt es und trinkt es in einem Zug aus. »Das Zeug ist das perfekte Warm-up für die Party.« Mit einem zufriedenen Lächeln schenkt sie sich nach.
»Party?«
»Henry schmeißt eine Happy-New-Year-Party. Angeblich ist sie etwas Besonderes«, kläre ich Aspen auf.
»Ich werde Cam fragen, ob er Lust hat.«
»Genau deswegen habe ich keinen Freund.«
»Du bist mit Henry zusammen«, erinnert Aspen Dion, dass sie nicht so ungebunden ist, wie sie vorgibt zu sein. Die Einzige, die frei wie der Wind ist, bin ich.
Wie schnell werde ich wohl das fünfte Rad am Wagen sein?