4.

JASPER

Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann Unpünktlichkeit. Es demonstriert Belanglosigkeit. Als wäre das, was zum Zeitpunkt X auf dich wartet, unwichtig. Natürlich mag es Umstände geben, die eine Verzögerung unumgänglich machen, aber es nervt mich trotzdem. Ich persönlich nehme Verabredungen ernst genug, um mögliche Zwischenfälle einzuplanen. Was häufig zur Folge hat, dass ich viel zu früh dran bin. Und genau deswegen sitze ich seit geschlagenen zwei Stunden in dem uns zugewiesenen Bungalow Nr. 86 des Waterbury College und warte auf Cameron.

Um meine Ungeduld zu stillen, nehme ich den Laptop vom Couchtisch und klappe ihn auf. »Na, wo steckst du, Freund?«

Gerade als ich ihn tracken will, höre ich, wie sich die Eingangstür öffnet und wenige Augenblicke danach wieder ins Schloss fällt. Ich sehe auf die Uhr. Er ist zweiundzwanzig Minuten zu spät.

Mit einem leisen Seufzen stelle ich den Laptop zurück und stehe vom Sofa auf.

»Muss ich dir die Definition von Pünktlichkeit erörtern?«

»Hey, ich freu mich auch, dich zu sehen.« Cam grinst und ich habe wirklich Mühe, es nicht zu erwidern, sondern ihn stattdessen mit starrer Miene anzusehen. Wann immer ich Cameron ins Gesicht blicke, ist es, als stünde ich der freundlichen Seite meiner Persönlichkeit gegenüber, die mir in den vergangenen Jahren abhandengekommen ist. An seinen neuen Look muss ich mich allerdings erst noch gewöhnen.

Vor zwei Tagen hat er mir ein Foto mit folgenden Worten geschickt: Ich denke, das sollte reichen, damit dir deine hässliche Visage wieder allein gehört . Er hat ernsthaft seine Haare auf wenige Millimeter gekürzt und seine untere Gesichtshälfte ziert nun ein Bartschatten, der eindeutig älter als drei Tage ist, aber nicht den Eindruck erweckt, als wäre Cameron Monate verschollen gewesen. Das Einzige, was nicht fremd an ihm wirkt, sind die Brille und die blauen Augen. Aber es stimmt, er hat sich viel Mühe gegeben, die Ähnlichkeit zu mir auf ein Minimum zu reduzieren.

»Lässt du mich rein?«

Statt zu antworten, trete ich einen Schritt zur Seite, um nicht länger den Garderobenbereich zu blockieren. »Ist das alles, was du dabeihast?« Ein einziger Koffer. Als würde er in Waterbury zwei Wochen Urlaub machen.

»Mehr brauche ich nicht.« Nachdem er die Schuhe ausgezogen und seine Jacke aufgehängt hat, wendet er sich mir zu. »Du guckst, als hätte ich das Ende der Welt prophezeit.«

»Ja, fühlt sich auch so an. Brauchst du Geld?«, frage ich und mustere erneut sein abgetragenes Schuhwerk.

»Hä? Wie kommst du darauf?«

»Deine Schuhe.« Mit einer Kopfbewegung deute ich auf die Stelle, wo er sie ausgezogen hat.

»Das sind Chucks, die müssen so aussehen.«

»Ist das so?«, hake ich nach und hebe dabei misstrauisch eine Augenbraue.

»Ja, so sehen Schuhe aus, die Geschichten zu erzählen haben. Deine auf Hochglanz polierten Treter haben keinen Charakter.«

»Du bist zu faul, sie zu putzen«, schlussfolgere ich.

»Ja, das auch. Hast du Kaffee gekocht?«

»Nein, ich wusste nicht, wie sehr du dich verspätest«, teile ich einen Seitenhieb aus.

»Wir standen im Stau«, rechtfertigt er sich knapp und geht durch den schmalen Flur direkt in die Küche.

»Wo hast du Aspen gelassen?«, frage ich ihn, weil ich angenommen habe, sie würden gemeinsam hier auftauchen.

»Überbringt ihren Freundinnen die Neuigkeiten meiner Anwesenheit am College.«

»Hoffen wir, dass die beiden so loyal sind, wie Aspen behauptet.«

»Hältst du das Ganze hier wirklich für eine gute Idee?«

»Willst du hier sein?«

»Ja, aber vielleicht sollten wir die Wahrheit sagen, bevor es jemand herausfindet und wir beide vom College fliegen.«

»Gnade vor Recht. Interessanter Ansatz. Nur dass mein Hobby nicht Briefmarkensammeln ist.«

»Und das, obwohl du wie ein leidenschaftlicher Briefmarkensammler aussiehst«, erwidert er amüsiert.

»Was glaubst du, wie viele Jahre fährt man für die Wahrheit ein?«, antworte ich scherzhaft.

»Okay, du hast recht, sorgen wir einfach dafür, dass niemand in den Knast befördert wird.«

»Danke.«

Cam zieht sein Handy aus der Hosentasche, nachdem es in einem nervigen Ton piept, und verzieht das Gesicht.

»Probleme?«

»Bock auf eine Party?«

»Nicht unbedingt.«

»Aspen hat gerade geschrieben, ihre Freundinnen wollen später zu Henry Walls’ Party gehen und sie möchte wissen, ob wir mitkommen.«

»Ah, die Einführung unter die Rich Kids, wie reizend. Muss ich gratulieren?«

»Hör auf so spöttisch zu sein, du gehörst selbst zu den Rich Kids«, ermahnt er mich und entlockt mir damit wenigstens ein schiefes Grinsen.

»Falls du es noch nicht bemerkt hast, hat meine Familie gerade einen riesigen Skandal am Hals und eingefrorene Konten«, antworte ich bemüht ernst.

»Einen Skandal, den du ausgelöst hast.« Cam füllt Kaffeebohnen in den Vollautomaten. Um ihm behilflich zu sein, hole ich eine Tasse aus dem Schrank und reiche sie ihm.

»Wer will sich schon in Details verlieren?«

»Du nicht, die behältst du grundsätzlich für dich.«

»Wissen kann gefährlich sein.«

»Du traust mir immer noch nicht?«

»Es ist irrelevant, ob ich dir vertraue oder nicht. Man macht sich für Menschen angreifbar, wenn sie Dinge über einen wissen. Das ist alles.«

»Ist das dein Ernst? Ich weiß, dass du dich ins College gehackt und Daten gestohlen hast.«

»Wirklich?! Kannst du das beweisen?«

»Was?«

In aller Seelenruhe setze ich Teewasser auf und nehme eine weitere Tasse aus dem Hängeschrank. »Im Augenblick sieht es nämlich folgendermaßen aus: Du hast dich unter meinem Namen ins College geschlichen. Die IP -Adresse, mit der in Be My Date eingegriffen wurde, lässt sich zu dem netten Städtchen Bellbrook zurückverfolgen. Du wurdest am Tag, als die Daten verschwunden sind, von unzähligen Leuten im selben Gebäude gesehen. Und auf wundersame Weise hast du kurz danach eine Zulassung für Waterbury bekommen. So wie ich das sehe, deutet alles auf dich hin.«

Cam hat bei meinen Worten eindeutig an Farbe in seinem Gesicht verloren. »Du hast mich bezahlt!«, antwortet er angefressen.

»Auch das kannst du nicht beweisen. Die Einzahlung auf deinem Konto lässt sich mit wenigen Klicks Anderson Real Estate zuordnen. Man könnte also annehmen, du hast den alten Herrn erpresst. Immerhin steckte deine Familie in einer finanziellen Krise. Und da Anderson Real Estate mein Erbe ist … Ich hätte also nichts davon.«

»Du hast gesagt, es sei deine Kohle.« Jetzt klingt er tatsächlich ein bisschen panisch.

»Ist es auch, aber ich war so frei, dafür zu sorgen, dass es sich nicht zu mir zurückverfolgen lässt. Das Geld stammt aus einem Treuhandfonds, den der Anwalt meines verstorbenen Großvaters verwaltet. Über die Jahre habe ich für Notfälle einiges auf die Seite gepackt. Offiziell darf ich über eine derart hohe Summe nicht frei verfügen. Zu meinem Leidwesen kann ich erst mit einundzwanzig allein entscheiden, wofür ich es ausgebe.«

»Wow, du hast echt an alles gedacht und den perfekten Sündenbock geschaffen.«

»Nein, ich demonstriere dir gerade, wie gefährlich Wissen in den falschen Händen sein kann.«

»Ich habe es kapiert, du hast mich in der Hand. Wenn ich nicht nach deiner Pfeife tanze, bin ich am Arsch.«

Der Teekessel gibt ein pfeifendes Geräusch von sich. Ich nehme ihn vom Herd und gieße etwas heißes Wasser in die Tasse. »Ich verstehe nicht, warum du so aufgebracht bist.«

»Vielleicht, weil ich angenommen habe, wir wären Freunde. Also, warum bin ich wirklich hier?«

»Du bist hier, weil du es willst«, stelle ich klar.

»Oder ich bin hier, weil du mich für etwas brauchst!«

»Du wirst ungerecht.«

»Natürlich, weil ich mich von dir benutzt fühle«, motzt er mich an. Ich nehme es ihm nicht übel. Treibt man Menschen in die Enge, reagieren sie viel zu emotional. Sie verlieren die Kontrolle und begehen Fehler.

»Entspann dich, Cam. Du bist nicht Teil eines Plans oder ein Sündenbock. Genieß deine Zeit hier.«

»Aber du verfolgst einen Plan. Deswegen bist du hier, habe ich recht?«

In erster Linie bin ich hier, um ein Auge auf ihn zu haben. Es gibt Fehler, die macht man kein zweites Mal. Sobald ich mir sicher bin, dass er ohne mich klarkommt, bin ich weg. Aber davon hat er keine Ahnung, weil ich ihn diesbezüglich nicht eingeweiht habe.

Statt zu antworten, führe ich die Tasse Tee an meine Lippen. »Ich denke, ich werde doch auf die Party gehen.«

»Was?«

»Die Party, von der du eben gesprochen hast.«

»Du wechselst einfach so das Thema?«

»Nein, ich beende dieses Thema, bevor du dich in Theorien verrennst, die nicht stimmen.«

Cameron mustert mich misstrauisch.

»Ich habe noch was zu erledigen, aber solltest du mich begleiten wollen, in einer Stunde breche ich auf.«

»Ich werde darüber nachdenken.«

***

Am Ende gehe ich allein auf die Party. Aber ich habe auch nichts anderes erwartet und es ist mir sogar ganz recht.

Das Haus von Walls befindet sich auf einem abgelegenen Teil des Campus, der nur fußläufig zu erreichen ist. Als ich an dem alten Herrenhaus ankomme, ist die Party bereits in vollem Gange. Ich stecke das Handy weg und schiebe die Hände in die Hosentaschen, als ich auf den Eingang zugehe. Die Tür steht offen und von drinnen dröhnt Musik hinaus ins Freie.

In dem Moment, als ich den Flur betrete, bin ich von Menschen umgeben, die sich an mir vorbeidrängen. Eins haben Cam und ich gemeinsam: Wir können Partys nicht ausstehen. Diese Art von Unterhaltung ist nicht mein Fall. Ich mag es nicht, wenn Leute sich zusammenpferchen, als hätte man sie in einen Käfig gesteckt. Es ist nahezu unmöglich, ungewollten Körperkontakt zu verhindern. Je später der Abend und je höher der Alkoholkonsum, umso primitiver und plumper werden die Verhaltensweisen und Annäherungsversuche.

Zielsicher kämpfe ich mich zur Küche durch. Woher ich weiß, wo sie sich befindet? Ich war schon einmal hier.

»Hey, Jasper, was willst du trinken?«, brüllt ein Typ über die Menge hinweg.

Es dauert einen Augenblick, bis ich begreife, dass er mich meint, und ich ihn zuordnen kann. William Sullivan. Großartig. Das Schwierigste in den vergangenen Wochen war, mir selbst den britischen Akzent abzutrainieren. Besser gesagt, ihn wenigstens auf ein Minimum zu reduzieren, weil Cameron munter Freundschaften geknüpft hat, als er sich für mich ausgegeben hat. Glücklicherweise ist die Musik laut genug, um Worte zu verschlucken. Also tue ich so, als hätte ich William nicht gehört, und wende mich ab. Allerdings komme ich nicht sehr weit, denn in dem Moment, als ich aus dem Raum trete, spüre ich, wie sich eine Hand auf meine Schulter legt. Sie fühlt sich bleischwer an.

Ich drehe mich zu ihm um und bringe den nötigen Abstand zwischen uns.

»Jasper, haust du etwa vor mir ab?«

»War zu voll«, weiche ich seiner Frage aus. Ich würde ihm ungern sagen, dass genau das meine Absicht war. Jemanden anzulügen, ist der letzte Ausweg. Es gibt genügend Methoden, um es zu vermeiden und dennoch die Wahrheit für sich zu behalten.

»Ja, Henry hat echt jeden eingeladen, den er auftreiben konnte. So voll war es noch nie. Hier, ich habe dir ein Bier mitgebracht.« William hält mir einen Becher entgegen.

»Danke.« Noch etwas, das Cam und ich gemeinsam haben. Wir trinken beide keinen Alkohol. Dennoch nehme ich William den Becher ab und stoße pseudomäßig mit ihm an. Einfach, weil Cameron es aus Höflichkeit tun würde. Wer hätte gedacht, dass ich sein Verhalten adaptieren muss, um als ich selbst durchzugehen?

»Wie waren deine Ferien?« Will scheint keinen Verdacht zu schöpfen. An einer Unterhaltung mit ihm bin ich dennoch nicht interessiert.

»Entschuldige, ich muss pinkeln«, sage ich, lasse ihn stehen und steuere auf die Terrassentür zu, um aus dem stickigen Dunst herauszukommen. Den Becher stelle ich unangetastet im Vorbeigehen auf einer Kommode ab. Zu meiner Überraschung ist es auf der Terrasse leer. Vermutlich, weil drinnen gerade der Bär steppt, wie man so schön sagt, und es hier draußen arschkalt ist. Ich atme die saubere Nachtluft ein und blende die Geräuschkulisse für einen Moment lang aus, als ich mein Handy aus der Tasche ziehe, um nachzusehen, wie weit das Programm ist. Ein ungesichertes WLAN -Netzwerk ist das reinste Schlaraffenland.

»Bin gleich zurück. Ich brauche frische Luft.«

Ich reiße meinen Blick vom Display los. Eine Brünette stolpert auf mich zu. Rasch verstaue ich das Handy in der Hosentasche, nur um sie im nächsten Augenblick aufzufangen.

»Hoppla«, entfährt es mir, was sie zum Kichern bringt. »Kannst du allein stehen?«, frage ich genervt, weil ich vermute, dass sie betrunken ist. Hoffentlich kotzt sie mir nicht auf die Schuhe.

»Ich kann es nicht garantieren, schließlich bin ich gerade über meine eigenen Füße gestolpert und dir in die Arme gefallen«, erklärt sie erstaunlich klar, aber vergnügt. Vage kommt mir ihr Tonfall bekannt vor. Glücklicherweise ist sie nicht betrunken, sondern einfach nur tollpatschig.

»Okay, dann befördern wir dich mal wieder in die Senkrechte«, sage ich amüsiert. Sobald sie steht, lasse ich sie los und trete einen Schritt zurück, um sie anzusehen. Einen winzigen Moment bringt es mich aus dem Konzept, als ich sie erkenne. Mein Verstand hat mir beim Klang ihrer Stimme also doch keinen Streich gespielt.

»Danke«, sagt sie und hebt langsam den Blick.

Drei … zwei … eins …

»Oh, hey!«, entfährt es ihr, als sie realisiert, wer vor ihr steht.

»Hallo, Abbie.«

»Wie gehts?«, fragt sie und wirkt nun deutlich angespannter als vor wenigen Augenblicken.

»Gut und selbst?« Unsere Begegnung in den Hamptons ist jetzt drei Wochen her, aber gerade fühlt es sich an, als würden wir genau dort ansetzen.

Ein Schmunzeln erscheint auf meinen Lippen, als ihr ein Seufzen entfährt.

»Die Schuhe bringen mich um«, gesteht sie.

»Warum trägst du sie dann?«

»Weil Dion sagt, das erhöht meine Chancen.«

»Chancen worauf, dir den Hals zu brechen?« Genau wie sie werfe ich einen Blick auf ihre High Heels.

»Die Wahrscheinlichkeit ist auf jeden Fall höher als –« Mittendrin bricht sie ab, als wäre das, was sie gerade im Begriff war zu sagen, nicht für meine Ohren bestimmt. Schade, der Rest des Satzes hätte mich durchaus interessiert.

Ich sehe ihr wieder ins Gesicht.

»Weil ich die DUFF bin, nur mit TF statt Doppel-F«, plappert sie, um von dem abzulenken, was sie eigentlich sagen wollte.

»Die was?«, frage ich verwundert. Jetzt hat sie mich. Meine Aufmerksamkeit gehört ganz ihr.

»Sag bloß, du kennst den Film nicht?« Ihre Gesichtszüge entspannen sich etwas.

»Ich schaue eher selten Filme«, antworte ich ehrlich.

»Was guckst du dir denn dann an?« Sie sieht mich mit so offenem Blick an, dass ich für einen winzigen Moment befürchte, mich darin zu verlieren. Verdammt!

»Reportagen.« Ich fixiere einen willkürlichen Punkt an der Hauswand hinter ihr, um unseren Augenkontakt für eine Weile zu unterbrechen. Weil mir die Richtung, die mein Gemütszustand gerade einschlägt, widerstrebt.

»Über was?«, hakt sie nach.

»Du bist ziemlich neugierig.«

»Eigentlich versuche ich nur mich vor der Party zu drücken und warte darauf, dass ich nach Hause gehen kann.«

»Warum gehst du nicht einfach jetzt, wenn es dir hier nicht gefällt?« Ich sehe ihr wieder ins Gesicht.

»Weil es statistisch gesehen unvernünftig ist, im Dunkeln allein in einem waldähnlichen Gebiet unterwegs zu sein. Also gedulde ich mich, bis Dion genug hat. Unser Freundinnen-Kodex besagt, wir kommen zusammen und wir gehen zusammen.«

»Klingt vernünftig«, merke ich an und kann mir ein weiteres Schmunzeln nicht verkneifen, als Abbie erneut leise seufzt. Sie will wirklich nicht hier sein. Keine Ahnung, worauf diese Unterhaltung hinausläuft, aber ich bin neugierig und muss ebenfalls warten, bis ich von hier verschwinden kann.

Das Programm hat erst dreißig Prozent erreicht. Eine nervige Verzögerung, wenn sich zu viele im selben Netzwerk herumtreiben. Aber die Daten der Gäste, die gerade via Pipeline in meine Richtung fließen, sind eine nette Entschädigung dafür, dass ich meine Zeit auf der Party verschwende. Wobei ich mir gerade nicht ganz sicher bin, ob das wirklich der Fall ist. Denn je genauer ich die Frau vor mir anblicke, desto mehr gefällt mir, was ich sehe. Was nicht unbedingt zu meinem Vorteil ist. Weil Abbie Westing Komplikationen bedeuten könnte, die ich gerade nicht gebrauchen kann.

»Was hältst du davon, ich leiste dir Gesellschaft, bis du deine Zeit abgesessen hast?« Man fällt weniger auf, wenn man sich nicht allein auf einer solchen Veranstaltung herumtreibt.

Mein Verstand lacht gerade über die Rechtfertigung, die ich ihm aufzutischen versuche. Und er hat recht. Ich bin ein Meister darin, unsichtbar zu sein, wenn ich es darauf anlege. Dafür brauche ich keine Begleitung, die als Ablenkungsmanöver dient.

Verwundert sieht sie mich an. »Wenn du den langweiligsten Abend aller Zeiten verbringen willst, dann bin ich das perfekte Date«, sagt sie. »Also, nicht Date, sondern … du weißt, was ich meine, oder?«

»Nein, eigentlich nicht«, widerspreche ich. Um zu verstehen, worauf sie hinauswill, müsste ich wissen, wie Abbie Westing tickt. Und das weiß ich beim besten Willen nicht. Aber ich ziehe gerade ernsthaft in Betracht, es herauszufinden.

»Vielleicht gehe ich doch einfach nach Hause und fordere mein Schicksal heraus, bevor ich mich endgültig vor dir blamiere.« Ein unsicheres Lächeln erscheint auf ihren Lippen, das ich unbeabsichtigt erwidere.

»Bisher fühle ich mich sehr gut unterhalten«, gebe ich zu. Denn ich langweile mich ganz und gar nicht in ihrer Gesellschaft.