9.

ABBIE

»Könntest du dich etwas beeilen?«, drängelt Dion.

»Pass lieber auf, dass niemand kommt«, weise ich sie an.

»Hier ist weit und breit keine Menschenseele.«

Die erste Woche am College ist wie im Flug vergangen. Ich hatte das Gefühl, von einer Vorlesung zur nächsten zu jagen. Dion und Aspen habe ich eher sporadisch als regelmäßig gesehen, aber ich erinnere mich, dass es im letzten Semester ganz ähnlich war. Es dauert seine Zeit, bis man eine Routine entwickelt und nicht mehr glaubt, ziellos durch die Gegend zu rennen, nicht wissend, wo einem der Kopf steht.

Das Wochenende habe ich in Manhattan verbracht. Samstagabend fand ich meine Mom weinend auf dem Sofa vor. Ich würde ihr gerne helfen, aber ich habe keine Ahnung, wie. Meinen Vorschlag, vorerst in Manhattan zu bleiben, hat sie abgelehnt und gesagt, ich solle mich auf das College konzentrieren. Also bin ich am Sonntag mit Dion zurück nach Waterbury gefahren. Einfach weiterzumachen, fühlt sich an, als würde ich vor der Realität fliehen.

Nachdem wir wieder in Waterbury waren, hat Dion Punkt Mitternacht an meine Zimmertür geklopft und wir haben gemeinsam nachgesehen, welche Aufgabe uns diesmal erwartet. In der App ist eine kleine Taube über das Display geflattert und hat lediglich verkündet, dass wir in der nächsten Runde die Top fünfzig erreichen müssen, um im Spiel zu bleiben. Also nicht sonderlich spektakulär. Ich hatte irgendwie mit etwas mehr Tamtam gerechnet.

Einen Moment habe ich sogar darüber nachgedacht, Jasper zu schreiben, ob unsere Abmachung, Secret Enemy gemeinsam durchzuziehen, noch Bestand hat, habe am Ende aber gekniffen. So richtig weiß ich nicht, was ich von ihm halten soll. Ich glaube, Jasper ist jemand, an den man sich vorsichtig herantasten muss, weil man sonst Gefahr läuft, dass das Gehirn einen Kurzschluss erleidet. Weil man permanent damit beschäftigt ist, ihn verstehen zu wollen. Vermutlich hat Cameron recht und es ist unmöglich, aus ihm schlau zu werden, weil er nie so handelt, wie man es von ihm erwartet. Das Letzte, was ich erwartet habe, war nämlich, dass er sich meine Telefonnummer besorgt und sich für seinen Auftritt letzten Sonntag entschuldigt.

Da der Montag bei uns tagsüber komplett mit Kursen verplant war, haben wir das Erfüllen meiner Aufgabe auf den späten Abend verschoben. Den ganzen Tag über war ich hibbelig und wäre beinahe vor Aufregung geplatzt.

Dion sollte spontan eine zweiminütige Lobeshymne auf sich selbst halten. Möglichst vor Publikum. Was Dion nicht besonders schwergefallen ist, weil sie ein Selbstbewusstsein besitzt, das weit über die Vorstellungskraft normal Sterblicher hinausgeht. Um ihre Showeinlage richtig in Szene zu setzen, hat sie sich einen hautengen burgunderroten Jumpsuit angezogen und das Ganze mit einem mit Strasssteinen besetzten Blazer gekrönt. Sie hätte genauso gut zu der Premiere eines Films gehen können, in dem sie die Hauptrolle spielt.

Professor Henson fielen fast die Augen heraus, als Dion sich während der Vorlesung erhoben und kurz um die Aufmerksamkeit der Anwesenden gebeten hat. Mich hatte sie dazu auserkoren, das Spektakel auf Video festzuhalten. Ich hatte meine Skepsis bezüglich der Hausordnung geäußert, aber Dion war überzeugt, dass die beim Erfüllen der Aufgaben getrost ignoriert werden kann. Und möglicherweise hat sie recht. Die Aufgaben wären sicher andere, müsste man befürchten, vom College ausgeschlossen zu werden. Immerhin ist das Spiel so was wie eine Tradition unter den Studierenden.

»Gib mir mal die Federboa«, sage ich und beuge mich zu ihr hinunter. Diesmal habe ich eine Quest erwischt, die ich, ohne zu zögern, erfülle. Eine der Statuen im Park in ein buntes Kunstwerk zu verwandeln, ist eine witzige Angelegenheit. Ich habe mir die Adam-und-Eva-Skulptur ausgesucht und beschlossen, sie einzukleiden.

»Wickel sie um Adams Prachtstück«, schlägt Dion vor, als ich sie gerade um seinen Hals hängen will.

»Dafür ist es zu kurz«, erwidere ich sachlich, was Dion zum Lachen bringt.

»Da wir gerade irgendwie beim Thema sind – küsst der florale Hemdträger so schlecht, wie er sich benimmt?«

Ihre Frage kommt so unerwartet, dass ich mit dem Fuß vom Sockel der Statue abrutsche und im nächsten Augenblick Halt suchend die Arme um Adams Taille schlinge.

»Du weißt hoffentlich, wie das jetzt aus meiner Perspektive aussieht. Noch etwas tiefer und Adam grinst selig.« Sie ist wirklich unmöglich.

»Haha, sehr witzig«, maule ich und richte mich wieder auf. Dann wickle ich die pinke Federboa um den Hals meiner neuen Bekanntschaft.

»Beantwortest du jetzt meine Frage?«

»Nein.« Das werde ich ganz sicher nicht. »Wenn du es unbedingt wissen willst, musst du es wohl selbst herausfinden.«

Ein würgendes Geräusch ertönt hinter mir. »Danke, ich verzichte. Er gehört ganz dir.«

»Wie selbstlos von dir, mir Jasper zu überlassen«, spotte ich. Es war so klar, dass sie mich mit dem Kuss aufziehen wird. Dabei weiß sie genau, wie er zustande gekommen ist und dass er rein gar nichts zu bedeuten hat.

Ist das wirklich so? , fragt die zweifelnde Stimme in meinem Kopf. Für bedeutungslos sind wir uns möglicherweise doch etwas zu nahe gekommen.

»Ha, ich wusste es!«

Was auch immer sie glaubt zu wissen, sie irrt sich. Ich weiß es ja nicht einmal selbst.

»Du wusstest was?«, frage ich und sehe erneut über meine Schulter zu ihr.

»Du bist an ihm interessiert.«

»Nein, bin ich nicht«, widerspreche ich. Jasper ist attraktiv, aber das wars auch schon. Okay, vielleicht küsst er ganz passabel und macht mich nervös, sobald er mich ansieht. Letzteres würde ich darauf schieben, dass ich ihn schlichtweg nicht einschätzen kann, und nicht darauf, dass er mein Herz höherschlagen lässt. Aber die Art, wie er mich ansieht … Okay, Schluss damit!

»Doch!«

»Er ist nicht mein Typ. Denn laut deiner Aussage steh ich auf nerdig, humorvoll, loyal und irgendwie unscheinbar.«

»Dann würdest du auf Cameron abfahren.«

»Cameron ist Aspens Freund.«

»Sag bloß, er gefällt dir?«

»Himmel, nein! Ich habe weder Interesse an dem einen noch an dem anderen.« Wenn ich eins mit Sicherheit sagen kann, dann dass Cameron meinen Puls nicht zum Rasen bringt. Jasper hingegen … Argh, es ist zum Verrücktwerden.

Erneut strecke ich ihr die Hand entgegen. »Gib mir den Sonnenhut.«

»Vielleicht habe ich mich geirrt«, sagt sie nachdenklich, während ich nach dem Accessoire für Evas Kopf greife.

»Womit?«

»Möglicherweise stehst du auf Bad Boys.« Sie provoziert mich absichtlich, allerdings weiß ich nicht, worauf sie eigentlich hinauswill. Sie kann Jasper nicht ausstehen, also wird sie mich sicher nicht mit ihm verkuppeln wollen.

»Ja, du hast mich erwischt. Mein Traummann trägt ausschließlich Schwarz, ist mit Tattoos übersät, raucht, trinkt und leidet an einer selbstzerstörerischen Persönlichkeit. Ach ja – und fährt einen schwarzen Mustang mit getönten Scheiben«, erwidere ich trocken und gebe damit die Klischeekiste der Roman-Bad-Boys zum Besten.

»Weißt du, wer einen schwarzen Mustang fährt?«

»Nein, aber du wirst es mir sicher gleich verraten.« Ich habe so eine Ahnung. Warum habe ich nicht gesagt, dass er eine Harley besitzt?

»Der florale Hemdträger. Soll ich die anderen Kriterien für dich überprüfen?«

In diesem Moment würde ich sie gerne mit der Federboa erdrosseln.

»Nein.« Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie steht selbst auf ihn und checkt gerade den Freundinnen-Kodex ab. Denn der besagt, wenn sich zwei für denselben Kerl interessieren, bekommt ihn keine. Nicht, dass das je vorgekommen wäre, aber sollte es eintreten, sind wir vorbereitet. Aber bevor Dion sich auf Jasper einlässt, friert die Hölle zu.

Mit einem Satz hüpfe ich von dem Sockel und betrachte mein Werk. Eva trägt nun eins von Dions ausgemusterten Shirts, auf das ich vorhin mit Filzstiften einen Regenbogen gemalt habe, und einen hellblauen Wickelrock. Adam hingegen trägt nicht mehr als die pinke Federboa.

Ich bücke mich und hole die zweite Taschenlampe aus dem Rucksack. Die andere nehme ich Dion aus der Hand. Beide platziere ich so, dass sie die Statue von unten anstrahlen.

»Bist du dann bald fertig? Es wird allmählich kalt.«

»Ich habe dir doch gesagt, du sollst warme Kleidung anziehen.«

»Ja, Mom.«

Auf einmal dringt ein Geräusch an meine Ohren.

»Hast du das auch gehört?« Panisch sehe ich mich um.

»Nee, was denn?« Dion blickt sich ebenfalls um.

»Ich glaube, da kommt jemand.«

»Bist du sicher?«

Mein Puls schießt in die Höhe, als ich entfernt Stimmen wahrnehme, die sich uns nähern. Die Campuspolizei? Keine Ahnung, aber ich bin auch nicht scharf darauf, es herauszufinden.

»Scheiße, du hast recht, da kommt jemand.« Dion schnappt sich den Rucksack.

»Warte, ich brauche noch ein Foto.« Mein Herz pocht so heftig in meiner Brust, dass es wehtut. Ich versuche das Handy so ruhig wie möglich zu halten, als ich die Statue fotografiere. Aber meine Finger zittern zu sehr und das Bild ist verschwommen.

»Jetzt mach schon!« Dion klingt tatsächlich nervös. Dabei ist sie doch diejenige, die gerne Grenzen austestet.

Du schaffst das. Konzentrier dich und knips ein brauchbares Foto.

Der zweite Versuch ist zwar nicht perfekt, aber man erkennt immerhin Adam und Eva in ihrem neuen Gewand.

»Okay, ich habs. Lass uns abhauen.« Ich hole schnell noch die Taschenlampen und drücke eine davon Dion in die Hand. Dann eilen wir davon.

Als der Supermarkt in Sichtweite kommt, bleibe ich abrupt stehen, weil mir in diesem Augenblick einfällt, was ich vergessen habe.

»Was ist los?«, will Dion wissen.

»Ich muss das Foto noch in der App hochladen«, sage ich und krame das Handy aus der Jackentasche. Ich öffne Secret Enemy , lade das Bild in die Galerie und markiere die Aufgabe als abgeschlossen. »Geschafft!«

Wir setzen unseren Heimweg fort.

Dass ich es tatsächlich geschafft habe, fühlt sich an wie ein Endorphinrausch. Als wäre ich beflügelt und würde den Weg zurück zum Bungalow auf Wolken schweben. Ich bin viel zu aufgekratzt, um jetzt einfach ins Bett zu gehen. Allerdings hat Dion wenig Interesse, meinen Erfolg mit mir zu feiern, denn sie gähnt, kaum dass wir zur Tür herein sind.

»Die Queen braucht ihren Schönheitsschlaf.«

»Gute Nacht. Und danke für deine Hilfe.«

Dion nimmt mich in den Arm und küsst mich auf die Wange. »Eine für alle, alle für eine. So war es immer und so wird es immer sein. Gute Nacht, Abbs.« Für einen Augenblick lächeln wir einander an, bevor sie den Flur entlang zu ihrem Zimmer geht.

»Übrigens bin ich stolz auf dich, dass du die Sache durchziehst und endlich deine Komfortzone verlässt«, sagt sie und verschwindet durch die Tür.

Ja, da hat sie nicht ganz unrecht. Im Traum hätte ich nicht damit gerechnet, einmal solche Dinge zu tun. Jemanden zu küssen, den ich kaum kenne, oder eine Statue zu verschandeln. Wenn meine Mom das wüsste, sie würde Schnappatmung bekommen.

Mit einem breiten Grinsen gehe ich ins Bad, um noch schnell zu duschen und mir die Zähne zu putzen. Zwanzig Minuten später liege ich hellwach im Bett und starre die Decke an. Ich verspüre das Bedürfnis, jemandem von meinem Abenteuer zu erzählen. Aspen ist bei Cameron und vermutlich anderweitig beschäftigt. Dion war live dabei.

Ich rolle mich auf die Seite und krame mein Handy aus dem Rucksack, den ich neben dem Bett abgestellt habe. Dann öffne ich Jaspers Kontakt, schließe ihn wieder, öffne ihn erneut. Mir ist bewusst, dass ich es lassen sollte, dennoch schicke ich ihm eine Nachricht. Irgendwie stecken wir ja gemeinsam in der Sache drin. Jedenfalls ist das meine Ausrede, als mein Verstand fragt, was ich hier gerade tue.

Ich: Aufgabe 2 habe ich so was von gerockt.

Ungeduldig warte ich. Vermutlich ist er längst im Land der Träume. Ich sehe auf die Uhr. Es ist kurz nach Mitternacht.

Fünf Minuten später hat er immer noch nicht geantwortet. Da ich unmöglich schlafen kann, hole ich die Kopfhörer aus dem Schubfach des Nachtschrankes, um mein Hörbuch weiterzuhören. Normalerweise bin ich kein großer Fan von Liebesromanen, aber das Buch wurde auf TikTok gehypt und hat meine Neugier geweckt. Und es fing direkt spannend an. Jonah rettet Enya vor dem Ertrinken. Sofort haben die beiden eine Verbindung zueinander. Die Geschichte von Enya und Jonah ist wie eine salzige Meeresbrise, die dich mit seinen Wellen an die Küste Kaliforniens trägt – und dir auf dem Weg nach Hause die Sterne zeigt. So steht es jedenfalls in der Beschreibung.

Bisher kann ich da nur zustimmen. Es ist wie ein Sog, der mich mitzieht. Weil ich unbedingt wissen will, wie es weitergeht und ob die beiden endlich zueinanderfinden oder ob alles in einem großen Desaster mit Herzschmerz endet. Im Augenblick würde ich sagen, die Chancen auf ein Happy End liegen bei sechzig Prozent. Also bin ich guter Hoffnung, dass die beiden es hinbekommen.

Ich öffne Secret Enemy und scrolle durch die Fotogalerie, bis ich das Bild von mir und Jasper finde, auf dem wir uns küssen. Ich starre es an, während Jonah gerade mit Enya auf Tuchfühlung geht. Ohne es zu wollen, wechseln die Hauptcharaktere in meiner Vorstellung die Optik. Abbie und Jasper. Es ist nicht mehr die Stimme der Sprecherin, es ist meine, die ihre Sehnsüchte äußert und sich nach Jasper verzehrt. Das Bild zeigt ihn und mich, wie wir am Strand unter dem Sternenhimmel tanzen. Wie er seine Arme von hinten um mich schlingt und uns beide im Takt der Wellen wiegt. Küsse auf meiner salzigen Haut. Mein Körper, der sich gegen seinen drängt, um mehr von ihm zu fühlen. Es sind Jaspers Hände, die nach dem Saum meines Kleides tasten und es nach oben ziehen.

Okay, was passiert hier gerade? Warum beginnt mein Herz zu rasen und es pocht zwischen meinen Beinen? Es fühlt sich unanständig an, mich einer Fantasie mit Jasper hinzugeben, aber genau das ist es, was in den nächsten Minuten passiert, während mein Körper auf das reagiert, was in dem Hörbuch gerade geschieht.

Meine Hand wandert unter den Bund der Pyjamahose. Tiefer. Berührt die Stelle, die immer heftiger pulsiert. Ich lasse die Finger kreisen, übe mehr Druck aus. Ein Stöhnen verlässt meine Kehle, als sich der Orgasmus ankündigt. Um ihn hinauszuzögern, halte ich einen winzigen Augenblick inne. Lausche den Worten. Streichle mich selbst, bis mein Körper sich nach Erlösung sehnt. Mein Atem kommt stoßweise. Ich drücke den Rücken durch. Dränge meine Mitte gegen meine Finger. Stelle mir vor, dass es Jaspers sind. Mein Körper bebt, zittert, verkrampft und entspannt sich, als er von den Wellen der Lust davongetragen und schließlich zurückgespült wird, bis ich wieder im Hier und Jetzt ankomme.

Das Handy in meiner Hand vibriert. Erschrocken zucke ich zusammen, nur um im nächsten Moment zu erstarren, als ich eine Nachricht von Jasper entdecke. Hastig nehme ich die Kopfhörer ab und lege sie auf den Nachtschrank.

Das Handy gleitet mir aus den Fingern und fällt auf die Matratze, als ich mich panisch im Raum umsehe. Wohl wissend, dass ich alleine im Zimmer bin und Jasper nicht jeden Augenblick aus dem Kleiderschrank springt, um mir zu der kleinen Showeinlage zu gratulieren.

Und wenn doch?

Ich schiebe es auf das Erlebnis, das ich gerade hatte, dass mein Verstand irrationale Szenarien fabriziert. Denn ich klettere tatsächlich aus dem Bett und tapse auf etwas wackeligen Beinen zum Schrank, um nachzusehen. Nachdem ich mich versichert habe, dass ich mutterseelenallein bin, atme ich erleichtert auf.

Aus mir unerklärlichen Gründen beginne ich zu lachen. Es ist nicht so, als hätte ich mich in der Vergangenheit nicht der ein oder anderen Fantasie hingegeben, nur hatte die bisher nie das Gesicht einer Person, die ich kenne. Daran ist nur Dion schuld, die mir den Floh ins Ohr gesetzt hat, ich könnte auf Jasper stehen. Vermutlich werde ich ihn nie wieder ansehen können, ohne dabei tiefrot anzulaufen.

Ich krieche zurück ins Bett, nehme das Handy zur Hand und lese seine Nachricht erneut. Jetzt, wo sich mein Verstand nicht mehr wie Wackelpudding anfühlt, weiß ich, dass sich seine Antwort auf meinen Text zuvor bezieht. Völlig harmlos. Dennoch spüre ich, wie meine Wangen glühen, als ich zu tippen beginne.

Ich: Ich hatte sehr viel Spaß dabei.
Ich: Was ist mit dir?

Es dauert nur wenige Sekunden, bis sein Name auf dem Display erscheint.

Ich: Auf deine Aufgabe.

Ich: Warum nicht?

Ich: Womit?

Ich: Haha, sehr lustig.

Ja, das wundert mich nicht. Alles an ihm wirkt überheblich. Seine nicht vorhandene Mimik hat etwas Beängstigendes. Aber irgendwie nehme ich ihm die Show nicht ab. Und genau das ist es, was mich neugierig macht. Was die Frage formt: Wer bist du wirklich?

Ich: Du könntest die Aufgabe jetzt abrufen.

Ich: Bist du überhaupt nicht neugierig?

Ich: Das kann ich von mir nicht behaupten.

Diesmal dauert es ein paar Minuten, bis er antwortet und geschickt die Richtung ändert.

Als Antwort schicke ich ihm das Foto, das ich vorhin gemacht habe.

Ich: 😁

Ich: Seine Größe war leider aus.

Bei der Nachricht taucht ganz automatisch das Bild von ihm und mir auf der Party vor meinem inneren Auge auf. Seine Lippen auf meinen. Der Geschmack von Earl Grey. Und wie er ohne ein Wort verschwand. Aber auch unsere Vereinbarung kommt mir in den Sinn.

Ich: Wir wollten nie wieder darüber reden. Schon vergessen?

Ich: Du weißt genau, was ich meine!

Ich: Natürlich 🙄

Herrje, was genau wird das hier? Flirtet er mit mir? Nein, ganz sicher nicht. Warum fühlt es sich dann so an? Und warum beginnt mein Herz wild zu klopfen? O Gott, Dion hat recht. Oder es besteht jedenfalls die Möglichkeit. Stehe ich auf Jasper? Nein … vielleicht … ich habe keine Ahnung. Aber nach der Sache, die sich eben zugetragen hat, kann ich es nicht hundertprozentig ausschließen. Automatisch wandern meine Gedanken wenige Minuten zurück.

Ich: Oder du öffnest die App, drehst am Rad und verrätst mir, was deine Aufgabe ist.

Diesmal lenke ich unsere Unterhaltung um.

Ich: Das ist meine Geheimwaffe.

Das stimmt nicht. Ich gehöre nicht zu der hartnäckigen Sorte. Also was genau veranstalte ich hier? Warum beende ich die Unterhaltung nicht einfach?

Weil sich mit Jasper alles leicht anfühlt, sogar das Schreiben von Textnachrichten. Für gewöhnlich denke ich nämlich über jedes Wort dreimal nach. Bei ihm nicht. Weil ich nicht das Gefühl habe, überhaupt etwas Falsches sagen zu können. Das klingt verrückt, oder?

Ja. Aber meine Antwort fällt anders aus.

Ich: Nein. Weil ich befürchte, du könntest doch eine Pussy sein 😝

Ich: Dir bleiben 24 Stunden.

Ich: Okay was?

Ich: Warum?

Ich: Okay. Partner in crime.

Warum kommen die Worte in ihrer Bedeutung völlig falsch bei mir an? Ein Kribbeln breitet sich in meiner Magengegend aus. Aufregung gepaart mit Anspannung. Dass unsere Unterhaltung hierauf hinausläuft, hätte ich nicht erwartet. Aber ich verspüre auch nicht den Drang zurückzurudern.

Ich: Mach es nicht so spannend!

Ich: Was???

Ich: Was???

Meine Wangen explodieren jeden Augenblick, so heiß fühlen sie sich an. Das kann unmöglich wahr sein. Was ist das bitte für eine bescheuerte Aufgabe? Und dann setzt bei mir die Erkenntnis ein.

Ich: Führst du mich gerade an der Nase herum?

Ich: Gute Nacht, Jasper *gago* Anderson.

Ich: Du sprichst Tagalog?

Was für ein … Mir fällt tatsächlich nicht das passende Wort für Jasper ein. Gago ist noch geschmeichelt.

Ich schließe den Chat und lege das Handy zu den Kopfhörern auf den Nachtschrank. Ich stehe so was von nicht auf ihn. Mit einem Ruck drehe ich mich auf die Seite und reiße die Decke mit mir. Doch dann schleicht sich ein verräterisches Grinsen auf meine Lippen, das sich in ein leises Lachen verwandelt.