12.

JASPER

Lass es! Denk nicht einmal darüber nach. Lass es!

»Okay.« Großartig! Ignorier die Sprossen der Höllenleiter und spring einfach direkt. Eine fantastische Idee.

»Okay?«, fragt sie verwirrt.

Meine Chance, zurückzurudern, und ich sollte sie ergreifen, statt mich noch tiefer zu verstricken. Allerdings bringt Abbie mich grundsätzlich dazu, dass ich entgegen meinem Verstand handle.

»Dann machen wir das«, sage ich, gehe um den Küchentresen herum und stelle mich neben sie.

Blinzelnd sieht sie mich an. »Mit ›wir‹ meinte ich nicht du und ich«, stellt sie rasch klar. Davon bin ich auch nicht ausgegangen. »Also, das würden Aspen, Dion und ich tun«, fügt sie hinzu.

»Da weder die eine noch die andere anwesend ist, stelle ich mich gerne zur Verfügung. Außer ich erfülle deine Ansprüche nicht, dann rufe ich Aspen an?«, biete ich ihr an und hasse diesen kleinen miesen Verräter, der hinter seiner Ecke hervorlugt und hofft, dass er genau das tut. Abbies Ansprüchen genügen. Ich bin nicht scharf auf den Film, aber ich möchte, dass sie sich besser fühlt.

Ein paar Sekunden sieht sie mich ungläubig an. Als ihre Mundwinkel zucken, befürchte ich, sie könnte über meinen Vorschlag lachen. Aber dann lächelt sie dankbar und in ihren braunen Augen liegt dieses Glitzern, das meinen Untergang prophezeit. Weil es dafür sorgt, dass ich alles dafür tun würde, damit es nie wieder verschwindet. Und dieses Bedürfnis hat absolut nichts mit meinem schlechten Gewissen zu tun. Fuck!

»Bin ich eine schlechte Freundin, wenn ich froh bin, dass keine der beiden hier ist, weil ich ihre Nähe gerade nicht ertrage?«, fragt sie leise. Irgendwas sagt mir, dass es nicht nur in diesem Moment so ist, sondern möglicherweise mehr hinter ihren Worten steckt.

»Ich denke, es ist normal, dass Freundschaften einem hin und wieder zu viel sind und man von Zeit zu Zeit ausbricht, um durchzuatmen.« So geht es mir mit Cameron. Es gibt Tage, da habe ich das Gefühl, durch ihn etwas zurückzubekommen, und dann folgen die Tage, an denen er mich erstickt.

»Also wenn du deinen Vorschlag ernst meinst, dann würde ich mit dir gerne ein bisschen Farbe ins Grau mischen.«

»Na, dann los«, sage ich, umfasse ihr Handgelenk und ziehe sie vom Barhocker. Für einen winzigen Augenblick will ich sie erneut in die Arme nehmen, als sie zu mir aufsieht. Aber diesmal, um sie zu küssen und herauszufinden, wie zwanglos unser Lippenaufeinanderpressen auf der Party tatsächlich gewesen ist.

Wie konnte ich mich nur in diese Situation manövrieren? Habe ich ernsthaft geglaubt, meine Neugier kontrollieren zu können? Wow, wann habe ich mich zuletzt selbst derart überschätzt?

Als sie das Kinn etwas höher reckt und mir damit weiter entgegenkommt, kann ich gerade so verhindern, dass sich mein Verstand in den Stand-by-Modus verabschiedet und dem Verlangen die Führung überlässt. Stattdessen lege ich eine Hand zwischen ihre Schulterblätter und schiebe sie in Richtung Couch.

Ich greife nach der Fernbedienung und suche den Film raus. Abbie sitzt auf dem Sofa und grinst in sich hinein. Zum ersten Mal frage ich mich, ob sie spürt, dass ich mich von ihr angezogen fühle, weil ich es nicht so gut verstecke, wie ich annehme.

»Eine Frage habe ich noch. Müssen wir die Sache mit den Schlafanzügen durchziehen?« Wenn sie Ja sagt, wirds schwierig. Ich besitze nämlich keinen, weil ich grundsätzlich auf dem Sofa einschlafe, und sollte ich mal in einem Bett landen, dann aus anderen Gründen. Ich müsste entweder improvisieren oder nackt neben ihr auf dem Sofa sitzen. Okay, nicht nackt. Auf keinen Fall nackt. Falscher Gedankengang.

»Hast du einen mit Punkten im Schrank? Die mag ich am liebsten«, zieht sie mich auf. Da sie augenscheinlich schon wieder zum Scherzen aufgelegt ist, geht es ihr wohl besser. Oder sie überspielt gerade ihre eigentlichen Gefühle.

Neugierig mustere ich sie. Ich bin mir nicht sicher. Es könnte beides sein. Diese Art von Emotionen zu unterdrücken, beherrschen wir zweifelsohne beide.

»Keine Punkte, keine Streifen, nicht mal Schlafanzüge im Allgemeinen.« Vielsagend grinse ich sie an.

Sie blinzelt hektisch. Den Wink hat sie verstanden. Ich konnte mir den kleinen Seitenhieb einfach nicht verkneifen.

»Dann behalten wir wohl lieber unsere Klamotten an.«

Mir ist klar, wie sie das meint, aber bei mir treffen ihre Worte eindeutig den falschen Nerv. Denn in meinen Ohren klingt es, als hätte sie nichts gegen das Gegenteil einzuwenden.

»Ich versuche mal herauszufinden, wo Cameron seinen Zuckervorrat versteckt hat«, sage ich und lenke das Ganze in eine Richtung, die kein Kopfkino verursacht.

Fünf Minuten später habe ich eine Packung Jelly Beans, zwei Tafeln Schokolade und Mikrowellenpopcorn zutage gefördert. Nachdem ich alles auf den Tisch gestellt habe, hole ich noch unsere Gläser und die Schale mit den Frühstücksflocken.

»Bereit?«, frage ich, sobald ich ebenfalls auf dem Sofa Platz genommen habe. Darauf bedacht, den Abstand zwischen uns so groß wie möglich zu halten, um eine Annäherung zu verhindern. Je kleiner die Lücke, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man näher zusammenrückt. Jedenfalls dann, wenn man sich voneinander angezogen fühlt. Und ich schätze, bei uns ist genau das der Fall. Wie bei zwei Magneten. Ist eine gewisse Distanz zwischen ihnen gegeben, passiert absolut nichts. Verringert man den Abstand, kann man die Schwelle der Anziehung spüren. Lässt man sie los, krachen sie unweigerlich aufeinander und man hat Mühe, sie wieder voneinander zu lösen.

»Ja, kann losgehen.« Abbie greift nach den Jelly Beans und reißt sie auf, während ich auf Play drücke.

Statt zum Fernseher zu sehen, beobachte ich aus dem Augenwinkel, wie ein Jelly Bean nach dem anderen in Abbies Mund verschwindet. Als sie es bemerkt, hält sie mir die Tüte entgegen.

Ich schüttle den Kopf. »Süß trifft nicht meinen Geschmack.« Süß in jeglicher Form steht nicht sehr weit oben auf meiner Favoritenliste. Ich bevorzuge weder süße Frauen noch süßes Essen oder süße TV -Unterhaltung.

»Wirklich? Ich erinnere mich, dass du dich über meine Eiscreme hergemacht hast«, erwidert sie und grinst.

Okay, außer es handelt sich um Eiscreme.

Mein Blick heftet sich auf ihren Mund, als ein grünes Jelly Bean zwischen ihren Lippen verschwindet. Möglicherweise entwickle ich gerade eine neue Vorliebe, denn ich würde gerne mit dem Jelly Bean tauschen.

»Jeder macht mal eine Ausnahme. Aber grundsätzlich bevorzuge ich andere Dinge.« In Anbetracht dessen, in welche Richtung meine Gedanken gewandert sind, klingt das mehr als doppeldeutig. Abbie Westing fällt definitiv in die Kategorie Ausnahme. Denn was auch immer hier gerade läuft, entspricht nicht dem, was ich normalerweise mit einer Frau tue, wenn ich mit ihr alleine bin.

»Die da wären?«, fragt sie beiläufig, bringt mich damit aber tatsächlich aus dem Konzept.

»Wollten wir nicht den Film ansehen?«, weiche ich ihrer Frage aus, bevor ich etwas Unüberlegtes sage. Zum Beispiel, dass ich es gerade bevorzugen würde, sie mit meinem Mund zum Schweigen zu bringen.

Abbie wendet sich mir zu, verändert ihre Position in den Schneidersitz. »Also eigentlich läuft es folgendermaßen ab: Wir unterhalten uns, während der Film läuft, und verdrücken Unmengen von dem Zeug, das du offenbar nicht magst.«

»Und warum läuft der Film dann überhaupt, wenn er nicht angesehen wird?« Die Logik erschließt sich mir nicht.

»Weil wir damit bunte Momente verbinden und wir uns an das Gefühl erinnern, wie es war, ihn mit dreizehn das erste Mal zu sehen. Jede von uns war gerade in einer schwierigen Phase. Dieser Film hat uns da durchgeholfen. Über die Jahre ist es zu einer Art Ritual geworden. Geht es einer von uns schlecht, schalten wir Dirty Dancing ein und streiten darüber, ob er romantisch ist.«

»Und?«

»Und was?« Ich spiegle ihre Sitzposition wider, damit wir uns gegenübersitzen und einander besser ansehen können.

»Auf welcher Seite argumentierst du – romantisch oder überzogene Floskeln mit kitschiger Musik unterlegt?«

Meine Frage entlockt ihr ein Lachen, das in mir den Wunsch weckt, sie immer wieder zum Lachen zu bringen. »Ganz klar romantisch.«

»Dachte ich mir.« Aber ich hätte mir die andere Seite gewünscht, weil wir dann höchstwahrscheinlich mehr auf einer Wellenlänge wären, was …

Denk nicht mal darüber nach.

»Ja, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Was ist mit dir?«

»Was soll mit mir sein?« Können wir das Thema wechseln?

»Romantiker oder Realist?«

»Realist«, antworte ich, ohne darüber nachdenken zu müssen. Romantische Ambitionen sucht man bei mir vergebens. Ich komme nicht in Stimmung, wenn jemand Kerzen anzündet, Rosenblätter streut und mir ins Ohr säuselt, was er fühlt. Mich macht es an, wenn man mir ziemlich direkt sagt, was man von mir will und vor allem wie. Also definitiv nicht süß und ganz klar nicht dieselbe Wellenlänge. Denn an Abbie schreit alles nach großem Gefühlszauber. Außerdem gibt es immer noch das klitzekleine Problem, dass wir nur hier sitzen, weil ich es so richtig verbockt habe.

Abbie mustert mich und scheint dabei über irgendwas nachzudenken. Sie ist abgelenkt und ich wüsste zu gern, wo sie gerade mit ihren Gedanken ist. Ich stupse ihr mit der Fußspitze gegen das Schienbein.

»Reportagen sind auch eher realistisch als romantisch«, sagt sie schnell und befördert ein weiteres Jelly Bean in ihren Mund, dann legt sie die Tüte zurück auf den Tisch und nimmt sich die Schüssel mit dem Popcorn.

Dahin sind also ihre Gedanken gewandert. Zu unserer Unterhaltung auf der Party. Sind sie auch noch ein Stück weitergewandert, dahin, wo meine seit diesem Abend immer wieder landen?

Ja, denn ihr Blick heftet sich gerade sehnsüchtig auf meine Lippen. Verdammt!

Komm schon, Abbie, lass das! Denn ich werde dich nicht davon abhalten, solltest du dich trauen, mich herauszufordern.

»Vor allem sind sie informativ«, antworte ich und fixiere ihr Gesicht.

»Und was genau interessiert dich?«

Im Augenblick du. Keine Ahnung, was sie mit mir anstellt, aber mein Blick verhakt sich mit ihrem. Selbst wenn ich wollte, ich könnte mich nicht abwenden. Viel zu sehr bin ich von der Imperfektion in ihrer linken Iris fasziniert. Dieser braungrüne schmetterlingsähnliche Fleck hat mich bereits in den Hamptons in seinen Bann gezogen. Ein hübscher kleiner Fehler in der Matrix.

»Heterochromie«, rutscht es mir heraus.

Abbie blinzelt und senkt ihren Blick. Fixiert den Inhalt der Schüssel in ihren Händen. Dafür würde ich mir gern selbst eine Ohrfeige verpassen. Denn diese Reaktion hat sie auch gezeigt, als ich beim letzten Mal zu genau hingesehen habe.

Ich ändere meine Sitzposition und rutsche näher an sie heran. Dass das hier eine dumme Idee ist, weiß ich, aber mein Verstand hat sich schon vor zwanzig Minuten in den Ruhemodus begeben und der Neugier das Steuer überlassen. Mit jedem Pulsschlag wächst sie weiter an. Die Filmgeräusche verschwimmen zu einem Rauschen in weiter Ferne. All meine Sinne polen sich gerade auf Abbie.

Ich nehme ihr das Popcorn ab und stelle es auf den Couchtisch. Als ich mich ihr wieder zuwende, stößt mein Oberschenkel gegen ihre Knie. Magnete, die sich aufeinander zubewegen, denn ich kann diesen Sog in jeder Faser meines Körpers spüren. Und ich bin mir durchaus bewusst, dass es nicht fair ist, als ich meine Finger unter ihr Kinn lege und es anhebe, damit sie mich ansieht. Aber einen Platz in der Hölle habe ich mir bereits gesichert, kommt es da wirklich noch darauf an, wie lang die Liste der Fehltritte ist, die mich dorthin befördert? Sicher nicht.

»Mich interessiert Unvollkommenheit. Weil ich wissen will, wie sie zustande kommt, wenn alle nach Perfektion streben. Ich bin nahezu besessen davon, den Dingen auf den Grund zu gehen. Und dieses kleine Detail fasziniert mich obendrein.« Das ist die Wahrheit und ich habe keine Ahnung, ob sie mich versteht oder für durchgeknallt hält.

Ein zaghaftes Lächeln erscheint auf ihren Lippen und ich unterdrücke den Impuls, mit dem Daumen darüberzustreichen. Herauszufinden, wie es sich anfühlt.

»Normalerweise sagen die Leute so was wie ›Wow, das ist abgefahren. Es irritiert mich. Sieht schräg aus. Kann man dagegen was machen? Ist das eine Krankheit?‹ Das Wort Freak habe ich auch schon gehört«, plappert sie nervös drauflos.

Ich würde sie zu gerne davon abhalten, sich selbst zu bewerten, indem ich meine Lippen auf ihre drücke. Denn genau das ist es, was sie tut. Sie sieht ihre Andersartigkeit als Makel an. Das Problem ist nicht sie, sondern Menschen, die damit nicht umgehen können und ihre Unsicherheit auf andere projizieren.

Ich lehne mich etwas vor, öffne den Mund, um etwas zu sagen, schließe ihn wieder. ›Scheiß drauf, was andere sagen‹ ist nicht das, was sie hören will. Aber ich bekomme meine Gedanken auch nicht zu einer charmant klingenden Antwort zusammengefasst.

»Anderssein ist eine besonders schöne Form von Richtigsein«, versuche ich es dennoch und zwinkere ihr zu. Ergibt das Sinn? Ich denke, das trifft es ganz gut.

Das Lächeln auf ihren Lippen wird breiter. »Deine Superkraft ist eindeutig, Dinge zu sagen, damit man sich besser fühlt.«

Einige würden ihr da ganz klar widersprechen. Normalerweise bin ich der Grund, warum man sich schlecht fühlt. Was sie wüsste, hätte ich ihr meine Beteiligung an ihrem Dilemma gebeichtet. Die Chance habe ich in dem Moment verstreichen lassen, als ich sie in meine Arme genommen und mich dazu entschieden habe, ein Heuchler zu sein.

»Das war etwas Nettes. Du solltest lächeln, statt das Gesicht zu verziehen«, sagt Abbie und verpasst mir mit der Faust einen leichten Hieb gegen die Schulter.

Ich umfasse ihr Kinn fester und ziehe sie näher zu mir heran. »Warum schlägst du mich dann?«

»Das war eine lieb gemeinte Geste«, erwidert sie und grinst.

»Wirklich? Darunter stell ich mir etwas anderes vor.«

Sollte ich sie zu diesem Spiel herausfordern? Nein. Doch ich hoffe mindestens so sehr, dass sie sich darauf einlässt, wie ich hoffe, dass sie es nicht tut.

Unsere Blicke verschmelzen miteinander, gleichzeitig löst sich der Abstand, der meine Lippen von ihren trennt, immer mehr in Luft auf. Der Duft ihres Parfüms gemischt mit Popcorn steigt mir in die Nase. Blumig und süß. Nicht mein Geschmack. Und doch atme ich ihn tief ein, damit er sich in meine Festplatte brennt und sich jederzeit abrufen lässt.

»Was zum Beispiel?«

Der Ton ihrer Stimme hat etwas Lockendes, aber es schwingt auch eine gehörige Portion Unsicherheit mit. Wäre das nicht der Fall, würde ich ihr sagen, dass sie für eine lieb gemeinte Geste vor mir auf die Knie sinken müsste, während ich die Hose öffne. Solche Fantasien sind mehr als unangebracht, aber es wäre die ehrlichste Antwort, die heute meinen Mund verlassen würde.

»Das musst du schon selbst herausfinden.« Mein Ton ist nicht weniger lockend und so wie sich ihre Augen weiten, ist die Botschaft, die ich ihr nicht hätte senden sollen, angekommen. Denn, sind wir ehrlich, wie wird das hier enden? Genau. In einem Drama, das niemand braucht und das sich ganz leicht vermeiden ließe, hätte ich mich unter Kontrolle.

Ein Räuspern lässt uns wie zwei ertappte Teenager aufschrecken. Schlagartig hat sich der Abstand zwischen uns vervielfacht.

»Komm ich ungelegen? Dann verzieh ich mich wieder.«

Abbie sieht zu Cam, während mein Blick nach wie vor auf ihr ruht. Ihre Wangen färben sich tiefrot.

»Ich geh dann mal«, sagt sie, springt hastig vom Sofa auf und ergreift regelrecht die Flucht.

Shit! So sollte das nicht laufen. Okay, die Richtung, die wir gerade eingeschlagen haben, sollte es ebenfalls nicht sein. Aber … fuck … Zum ersten Mal habe ich keine Ahnung, welches Ziel ich verfolge. Die Dinge, die ich will, liegen extrem weit auseinander und ich stehe genau dazwischen. Wenn ich sie gehen lasse, hätte ich ein Problem weniger. Wenn ich sie aufhalte, komme ich aus der Nummer nicht mehr raus.

Cam und ich sehen einander an. Er irritiert, ich unschlüssig. Mit dem Kopf deutet er zum Flur, in dem Abbie gerade verschwunden ist. Als hätte er mir die Entscheidung abgenommen, stehe ich vom Sofa auf und eile ihr hinterher.

»Alles okay?«, frage ich.

Abbie zuckt zusammen, während sie ihre Schuhe anzieht. Sie hat nicht damit gerechnet, dass ich ihr nachlaufe. Aber im Grunde hatte ich gar keine andere Wahl. Auch ohne Cam würde ich jetzt hier stehen. Weil ich sie immer noch beschützen will. Und eigentlich sollte ich damit bei mir anfangen, statt sie in meinen Mist mit hineinzuziehen.

Ein Seufzen entweicht ihr, bevor sie mich ansieht. »Ja. Danke für die Ablenkung.«

Ich nehme ihre Jacke vom Haken und halte sie so, damit sie einfach hineinschlüpfen kann. Etwas länger als unbedingt nötig bleibe ich dicht hinter ihr stehen und sie rückt auch nicht ab. Nachdem ich einmal tief durchatme, um meinen Verstand aus dem Dämmerschlaf zu holen, greife ich nach meinem Mantel. »Ich bringe dich nach Hause.«

»Nein, nicht nötig.«

Normalerweise würde ich darauf bestehen, aber ihre Worte haben einen flehenden Unterton. Sie will nicht, dass ich sie begleite. Weil sie verwirrt ist und eine Weile mit ihren Gedanken allein sein muss. Und ich kann es verstehen. Ein Zustand, den ich nur allzu gut kenne.

»Okay.«

Ein dankbares Lächeln.

»Wenn du jemanden brauchst, um bunte Momente zu schaffen – du hast meine Nummer.« Was rede ich da für einen Bullshit?

Ein nachdenklicher Blick.

»Ich meine es ernst. Ruf an.« Wow, zählt das schon zu Ich bettle sie an, sich von mir helfen zu lassen, damit ich mich selbst weniger dafür hasse, dass das hier meine Schuld ist ?

Ein hoffnungsvolles Blinzeln, bevor sie durch die Tür verschwindet.

Ich sehe ihr so lange nach, bis sie um die Ecke biegt. Als ich das Wohnzimmer wieder betrete, hat sich Cam nicht vom Fleck bewegt. Seine Lippen teilen sich.

»Ich will nicht darüber reden«, lasse ich ihn gar nicht erst zu Wort kommen, nehme die Fernbedienung vom Couchtisch und schalte den Fernseher aus. Ich starre auf den schwarzen Bildschirm. Das wars. Man drückt einen Knopf und alles ist vorbei. Am Ende bleibt ein schwarzes Nichts übrig. Keine Ahnung, welche Schraube sich in meinem Kopf gelockert hat, aber es fühlt sich an, als würde mein Verstand mächtig durchgeschüttelt. In diesem Augenblick realisiere ich, dass ich am Ende verlieren werde, ohne exakt definieren zu können, was genau eigentlich auf dem Spiel steht.

»Aber –«, setzt Cameron an.

»Nicht jetzt, Cam«, unterbreche ich ihn barsch und verschwinde zurück in den Flur, nehme erneut den Mantel vom Haken und ziehe die Schuhe an. Dann verlasse ich den Bungalow und folge Abbie. Nur um sicherzugehen, dass sie klarkommt, und mit genügend Abstand, damit sie mich nicht bemerkt. Weil ich einfach nicht anders kann, als auf sie aufzupassen.