13.

ABBIE

Mit einem hat Dion recht: Eine Schlagzeile ist nur so lange in aller Munde, bis eine neue auftaucht. Zum Beispiel, dass das New York Police Department gehackt wurde und für zwei Tage das Drei-Affen-Motiv über ihre Computerbildschirme lief. Oder wer in diesem Jahr für die Oscars nominiert wird. Das war weitaus spannender, als darüber zu berichten, dass die Stiftung meiner Mom nicht in die Geldwäsche involviert ist und die Ermittlungen in der Sache mittlerweile abgeschlossen sind.

Um unseren Namen reinzuwaschen, gab es nur einen winzigen Artikel in der heutigen Sonntagszeitung. Versteckt im Mittelteil und nicht mehr als zehn Zeilen lang. Das wars. Kein ›Es tut uns leid‹ oder ›Zur Entschädigung schalten wir eine Gratis-Werbeanzeige mit der besten Platzierung für die Sichtbarkeit‹. Die Sache hallt nach. Der Richtigstellung war ein Witz. Aber Bad News verkaufen sich besser als Good News.

Am Wochenende habe ich ein Telefonat meiner Mom belauscht. Sie hat mit Miss Stanley darüber gesprochen, dass einige große Geldgeber durch die Sache weggebrochen sind und damit ein Loch in die Stiftungskasse reißen. Sie hat keine Ahnung, wie sie es so schnell stopfen soll. Es ist genau das eingetreten, was ich befürchtet habe. Wie tief wird das finanzielle Loch schlussendlich werden? Wird sich Moms Lebenswerk davon erholen? Es ist einfach nicht fair, dass eine einzige Anschuldigung reicht, um jahrelange Arbeit in Schutt und Asche zu legen.

Ich sehe auf die Uhr. Dion müsste jeden Moment zur Tür hereinkommen, also klappe ich den Laptop zu, um mich um das Abendessen zu kümmern. Das Sportprogramm ist das Einzige, was sie hier am College kontinuierlich durchzieht. Würde sie dafür Credits erhalten, sie würde mit Bravour bestehen. Im vergangenen Semester habe ich sie ein paarmal ins Fitnessstudio begleitet, bis mich die Motivation verlassen hat. Sport und ich sind nicht kompatibel.

Als mein Handy auf dem Nachtschrank vibriert, zucke ich zusammen. Für einen winzigen Augenblick ertappe ich mich dabei, dass ich hoffe, dass die Nachricht von Jasper ist. Wir haben einen bunten Moment geschaffen, wie Jasper es nennen würde. Und ich hätte wirklich nichts gegen weitere. Mein Problem ist, dass sich seitdem meine Gedanken im Kreis drehen. Und zwar um die Frage, worauf das mit ihm am Ende hinausläuft. Worauf ich möchte, dass es hinausläuft. Was ich weiß, ist, ich würde ihn gerne kennenlernen. Was ich nicht weiß, ist, ob es eine gute Idee ist, sich an Jasper heranzuwagen. Er hat etwas an sich, das zur Vorsicht aufruft. Außerdem ist da immer noch die Sache, dass ich mich auf einen Platz an der NYU beworben habe, und wenn ich eine Zusage bekomme, ist dieses mein letztes Semester am Waterbury College. Diese Art von Gefühlschaos würde ich um unser beider willen gerne vermeiden.

Ich nehme das Handy zur Hand, um nachzusehen, von wem die Nachricht ist. Ein kurzer Anflug von Enttäuschung überkommt mich, weil es meine Mom ist, die fragt, ob wir gut in Waterbury angekommen sind. Was erwarte ich, dass Jasper mir nachläuft? Ja, vielleicht. Was absurd ist, weil ich diejenige bin, die seine Nachricht von Freitag ignoriert. Dabei hat er mich lediglich gefragt, ob ich klarkomme. Wenn jemand den ersten Schritt machen sollte, dann ich.

Bevor Mom sich Sorgen macht, tippe ich eine Antwort. Das Handy stecke ich danach in die Gesäßtasche meiner Jeans, dann gehe ich in die Küche, um den geplanten Glasnudelsalat zuzubereiten.

Gerade als ich Sojasprossen hinzugebe, fällt die Eingangstür laut ins Schloss.

»Abbie?«

»In der Küche.«

»Du glaubst nicht, was ich gerade erfahren habe.«

Oh, oh, Gossip-Alarm.

Dion stürmt regelrecht in den Raum und lässt ihre Sporttasche fallen. Jedes Mal frage ich mich, wie sie nach zwei Stunden Sport aussehen kann, als hätte sie sich nicht angestrengt. Ich habe mich nach unseren gemeinsamen Besuchen im Fitnessstudio grundsätzlich so gefühlt, als könnte ich mich für die nächsten drei Tage nicht bewegen.

Als sie nicht direkt mit den Neuigkeiten herausrückt, um genügend Spannung aufzubauen, sehe ich zu ihr auf, während ich den fertigen Salat vermenge.

»Na los, was ist der neuste Gossip?«

»Paula wurde am Freitag vom College suspendiert«, sagt sie und lässt bewusst die Details weg. Dion liebt es, wenn man Gossip zelebriert. Daher gibt es die Informationen häppchenweise.

»Welche Paula jetzt genau?«, frage ich und gehe eher unbeeindruckt von den News zum Küchenschrank, um Schüsselchen und Gabeln zu holen.

»Paula Stuart.«

»Und warum wurde sie suspendiert?«

»Sie hat was mit Erickson.«

Überrascht reiße ich die Augen auf. »Meinem Matheprof?«

»Jup. Die beiden treiben es munter auf dem Dozentenpult.«

»Wow.« Zum Glück ist es nicht Professor Henson. Der ist schätzungsweise doppelt so alt wie Erickson. Aber ich kann Paula verstehen, unattraktiv ist Letzterer nicht.

»Das hätte ich Paula gar nicht zugetraut, aber stille Wasser sind tief und dreckig«, merkt Dion an.

»Man kann sich eben nicht aussuchen, in wen man sich verliebt. Findest du es fair, wenn man für Gefühle suspendiert wird?« Grundsätzlich würde ich sagen, nein, aber in Waterbury ist das höchstwahrscheinlich eine Todsünde. Gab es dazu einen Absatz in der Hausordnung? Nicht, dass ich wüsste. Ich werde später nachsehen.

»Gott, sie ist doch nicht in ihn verliebt.«

»Ist sie nicht?«, frage ich überrascht.

»Nein, sie hat sich über Erickson Zugang zu den Prüfungsaufgaben verschafft und sie an die Studierenden vertickt«, erklärt Dion.

»Oh!« Mehr fällt mir dazu wirklich nicht ein.

»Und das ist noch nicht alles, sie hat ein richtiges Netzwerk aufgebaut. Du sagst ihr das Thema deiner Hausarbeit, sie besorgt jemanden, der sie für dich schreibt.«

»Oh!«, wiederhole ich.

»Wirklich schade, dass sie aufgeflogen ist. Von ihrem Dienstleistungsangebot hätte ich gerne Gebrauch gemacht.«

»Dion!«, ermahne ich sie.

»Was? Minimal-Maximal-Prinzip. Henson wäre begeistert, wie ich die Theorie in der Praxis anwende«, grinst sie.

»Und wie ist die Sache rausgekommen?«

»Keine Ahnung. Vielleicht war jemand mit seiner erschummelten Note unzufrieden.«

»Oder es hat mit dem Spiel zu tun«, mutmaße ich.

»Secret Enemy?«

Ich nicke, dann gebe ich etwas Salat in die Schüsseln und reiche eine an Dion.

»Quatsch. Wie kommst du denn darauf?« Sie setzt sich an den Küchentisch.

»Findest du es nicht seltsam, dass die Sache ausgerechnet jetzt rauskommt?«

»Da ist sie wieder, die Verschwörungstheoretikerin.«

Genervt verdrehe ich die Augen, weil sie mich nicht ernst nimmt. Ich setze mich auf den Platz ihr gegenüber und schenke uns beiden je ein Glas Wasser ein. Skeptisch betrachtet Dion den Inhalt. Die Zitronenscheibe fehlt. Also steht sie auf und geht in die Küche.

»Also gut, Abbs. Wie sieht deine Theorie aus?«, fragt sie ohne Spott, als würde sie ernsthaft interessieren, was ich darüber denke.

»Du hast doch erzählt, dass das Spiel früher die Geheimnisse der Teilnehmenden enthüllt hat. Was, wenn das immer noch so ist? Hat Paula Secret Enemy gespielt?«

»Das weiß ich gar nicht, aber ich glaube schon. Henry hat mehrfach betont, dass alles nur zum Spaß dient.«

»Und wenn nicht?«

»Dann hoffen wir, dass niemand weiß, dass du mit zwölf eine Packung Haarfarbe im Supermarkt geklaut hast«, erwidert sie belustigt.

»Haha. Die Leichen in deinem Keller sind spannender als meine«, schieße ich zurück.

»Im Ernst, Abbs, warum sollte das Spiel Paula an den Pranger stellen? Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Secret Enemy wird jedes Jahr gespielt. Um die Geheimnisse der High Society auszuplaudern, reicht jemand wie Grant Taylor, um den Gossip unter die Leute zu bringen.« Die Zitronenscheibe fällt mit einem platschenden Ton in das Glas und sorgt dafür, dass Wasser auf den Tisch spritzt, während Dion sich wieder hinsetzt.

»Ja, du hast sicher recht und es ist nur ein Zufall.«

»Wann genau sollte die Runde ausgewertet sein?«, fragt Dion und nimmt das Handy vom Tisch.

»Heute im Laufe des Tages.«

»Warte, ich sehe mal nach.« Dion öffnet die App. »Ah, die Ergebnisse sind schon online. Ich bin auf Platz fünf«, sagt sie und hält mir das Ranking unter die Nase. Auf der Eins steht PinkPanthe r . Meinen Namen kann ich auf den ersten Blick nicht entdecken. Neugierig nehme ich mein Handy zur Hand und öffne ebenfalls Secret Enemy . Die kleine Brieftaube flattert über den Bildschirm. Ich tippe sie an und die Papierrolle in ihrem Schnabel öffnet sich.

»Und?«, fragt Dion.

»Platz vierunddreißig«, antworte ich und seufze.

»Dann spielen wir wohl weiterhin mit um den Thron.«

»Ja, sieht ganz so aus. Hoffen wir, die nächste Aufgabe bringt mehr Punkte, sonst fliege ich raus.« Dann wars das mit dem Preisgeld und der kleinen Finanzspritze für meine Mom. Ich werde mir also für die nächste Runde etwas einfallen lassen müssen, um im Ranking hochzuklettern. Im besten Fall bis an die Spitze.

»Hast du eine Ahnung, was es mit diesen Enemys auf sich hat?«, frage ich Dion.

Das Masken-Symbol ist mir bisher nicht aufgefallen. War es von Anfang an da oder ist es jetzt erst aufgetaucht? Und was sind Enemys? Hat Henry sie auf der Party erwähnt?

»Sie erhöhen den Schwierigkeitsgrad.«

»Verstehe.«

Ich tippe das Icon an.

»Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken?«

»Ich tüftle an einer Strategie.« Das ist nicht gelogen, gleichzeitig überlege ich, wie mein Masterplan für die Sache mit Jasper aussieht. Ignoriere ich ihn weiterhin oder mache ich einen Schritt auf ihn zu, ohne zu wissen, worauf genau ich mich zubewege?

Die Entscheidung vertage ich auf morgen, wenn ich ausgiebig darüber nachgedacht habe. Im Augenblick muss ich mich auf Secret Enemy konzentrieren, weil es immer noch die beste Möglichkeit ist, an Geld zu kommen, das meine Mom dringend braucht.

Ich schließe die Enemys und tippe das Siegerpodest-Icon direkt daneben an. Die Top Ten der Teilnehmenden öffnet sich. Das ist definitiv neu, denn nach der ersten Runde gab es kein Ranking, sondern lediglich die Information, ob man noch im Spiel ist.

Jasper hat seine Aufgabe also doch erfüllt, und das augenscheinlich ganz gut, denn er ist auf Platz sieben. Es juckt mir in den Fingern, ihn zu fragen, was seine Aufgabe war, aber dann fällt mir ein, dass ich das nicht muss. Ein Blick in die Fotogalerie reicht, also tippe ich sie an. Die Aufnahmen sind nach Erstellungsdatum sortiert. Lange muss ich nicht suchen, weil er einer der Letzten gewesen ist.

Echt jetzt? Er musste die Löcher auf dem Golfplatz mit Sand füllen? Dafür hat er so viele Punkte bekommen, dass er unter den Top Ten ist? Kunst wird eindeutig unterbewertet, wenn ich damit nur auf Platz vierunddreißig gelandet bin.

Ich scrolle weiter und stoße auf ein Video von Paula. Aus Neugier öffne ich es. Es ist ein Zeitraffer und zeigt sie, wie sie in der Abenddämmerung ein riesiges Blumenbild mit verschiedenfarbiger Sprühfarbe auf das Tennisfeld sprayt. Am Ende hält sie grinsend eine der Dosen in die Kamera und deutet auf den Hinweis – wasserlöslich. Immerhin. Ich frage mich, wie die Aufgabenstellung dazu lautete.

Mein Blick fällt auf den Namen, der unter dem Video steht. PinkPanther. Ganz automatisch setzt sich mein Gedankenkarussell erneut in Gang. Hat jemand absichtlich die Führende des Spiels unschädlich gemacht? War das Ranking bereits online, als Paulas Nebengewerbe öffentlich wurde? Alles nur ein Zufall oder steckt mehr dahinter?