ZWEI JAHRE UND ACHT MONATE ZUVOR

JASPER, 18 JAHRE ALT

»Mach nicht so ein Gesicht«, sagt Noah und zieht den Reißverschluss des Koffers zu.

»Wie soll ich denn sonst gucken, wenn sich mein bester Freund auf einen anderen Kontinent verpisst?«

»Ich verpisse mich nicht, ich gehe aufs College.«

»Ja, aber warum muss es ausgerechnet dieses sein? In England gibt es eine Menge guter Universitäten«, maule ich, denn das war unser Plan. Er hatte bereits die Zusage für Oxford. Wir wollten uns eine gemeinsame Wohnung nehmen, sobald ich meinen Abschluss gemacht habe. Und plötzlich hat er alles über den Haufen geworfen.

»Weil ich es will«, wiederholt er.

Diese Unterhaltung haben wir in den vergangenen Wochen immer wieder geführt. Wir haben die Sommerferien auf dem Landsitz meines Großvaters verbracht. Überraschenderweise waren meine Eltern ebenfalls für drei Wochen angereist. Ich kann mich nicht dran erinnern, wann wir zuletzt gemeinsam so viel Zeit miteinander verbracht haben. Ihre Besuche beliefen sich nie auf länger als ein Wochenende.

Mein Dad war wie ausgewechselt und ich hegte die Hoffnung, die Dinge würden nun anders laufen. Die Kluft zwischen uns könnte sich möglicherweise schließen. Er würde nachgeben und mich meinen Traum leben lassen, anstatt mir eine Zukunft aufzwingen zu wollen.

Am Anfang habe ich mir nichts dabei gedacht, als mein Dad plötzlich Sympathie für Noah entwickelte. Es ist unmöglich, Noah nicht zu mögen. Er ist höflich, bescheiden und intelligent. Kein Proll wie die meisten Jungs in unserem Alter. Inzwischen bin ich schlauer und weiß, dass mein Dad nur ein Ziel verfolgt hat: mich und Noah zu trennen. Er hat ihm das Waterbury College regelrecht aufgeschwatzt, indem er von der Exklusivität und den Möglichkeiten geschwärmt hat.

Mein Dad hat in Waterbury seinen Abschluss gemacht, bevor er nach England ging, um in einer der Niederlassungen des Familienimperiums die Leitung zu übernehmen. Dort hat er meine Mom kennengelernt. Als sein Vater verstorben ist, hat er den Hauptsitz in Boston übernommen und ist zurück in die Staaten. Meine Mom hat er mitgenommen, mich nicht.

Mit einem siegessicheren Grinsen bot er Noah an, ein Empfehlungsschreiben aufzusetzen und bei der Collegeleitung ein gutes Wort für ihn einzulegen, damit er noch in diesem Jahr einen Platz erhält. Und Noah hat angebissen.

»Und ich will, dass du in meiner Nähe bleibst.« Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie es ist, die Tür zu meiner Zukunft zu öffnen und ohne Noah hindurchzugehen. Und das ist es, worauf mein Dad setzt. Noah ist sein Druckmittel, um mir seinen Willen aufzuzwingen, damit ich ebenfalls meine Koffer packe, mich in den Flieger setze und das College besuche. Ich mache Noah keinen Vorwurf, dass er auf Elijah hereingefallen ist. Manipulation beherrscht er in Perfektion. Inzwischen bin ich immun dagegen, weil sich hinter allem, was den Mund meines Dads verlässt, eine Absicht zu seinem Vorteil versteckt.

»In einem Jahr spielst du in der Profiliga Cricket und hast ohnehin keine Zeit mehr für deinen langweiligen Kumpel«, versucht er mich zu besänftigen.

»Für dich habe ich immer Zeit.«

»Drei Jahre sind keine Ewigkeit. Wir bekommen das hin.«

Für mich fühlt es sich aber gerade genau danach an.

»Und wer soll dir die Prolls vom Leib halten?«

»Irgendwann muss ich lernen, ohne dich zu überleben. Außerdem habe ich einiges von dir gelernt. Meine Rechte ist nicht zu unterschätzen.« Um seine Worte zu untermauern, täuscht er einen rechten Haken an und tänzelt unbeholfen herum, als befände er sich in einem Boxring.

»Mmh.« Ja, Noah weiß sich zu helfen, dennoch ist mir nicht wohl dabei, zum ersten Mal seit sieben Jahren kein Auge mehr auf ihn zu haben. Noah ist Familie. Mein Seelenvertrauter. Alles, was ich habe. Es fällt mir schwer, ihn loszulassen.

Er setzt sich zu mir aufs Bett und legt einen Arm um meine Schultern. »Sind wir beste Freunde oder beste Freunde?«

»Deswegen muss ich keine Luftsprünge machen. Ich freu mich ja für dich, aber eine geringere Distanz wäre mir lieber.«

»Du wirst sehen, die Zeit vergeht wie im Flug. Wir beide gegen den Rest der Welt ist nicht vom Tisch, wir pausieren nur für eine Weile.«