26.

ABBIE

Jaspers selbstgefällige Art ist die Krönung. Für einen Moment habe ich wirklich darüber nachgedacht, ihn zu erwürgen. Ich, die brave Abbie, die noch nie körperliche Gewalt in Betracht gezogen hat. Gleichzeitig hat mein Herz einen begeisterten Hüpfer gemacht, als er im Kurs aufgetaucht ist. Es ist zum Verrücktwerden. Ich will ihn nicht mögen, aber ich bekomme es einfach nicht hin, wütend auf ihn zu sein. Er muss mich nur aus diesen freundlichen braunen Augen ansehen und ich bin verloren.

Es wäre wesentlich einfacher, ihn von mir zu stoßen, wenn ich mich nicht in ihn verliebt hätte. Dabei bin ich mir nicht einmal sicher, wann genau es passiert war. Vermutlich irgendwann zwischen der ersten Textnachricht und unserem Ausflug in die unterirdischen Gänge des Colleges. Vielleicht aber auch erst vor einer Stunde, als er mir sagte, ich sei das Blau in seinem Grau. Mein erster Gedanke war, dass Blau ab sofort meine Lieblingsfarbe ist.

Innerhalb von vier Wochen lagen meine Nerven blank, und das nicht nur wegen der Situation, in die Jasper meine Familie hineinmanövriert hat, sondern weil sich meine Gedanken trotzdem um Jasper drehen. Gleichzeitig ist da dieser Funken Hoffnung, dass er mir sein Zutun bei der Enthüllung des Geldwäscheskandals gebeichtet hat, weil er nicht wollte, dass etwas zwischen uns steht, bevor wir uns aufeinander einlassen. Weil er mich mag. Vielleicht auch ein bisschen mehr als das. Und dieser Gedankengang fühlt sich verrückt, aber echt an.

Ich krame das Handy aus meinem Rucksack, um mir die Aufgabenstellung noch einmal genau durchzulesen.

»Das ist deine Aufgabe?«

Erschrocken fahre ich herum. Ich habe nicht einmal bemerkt, dass er mir gefolgt ist, nachdem ich ihn habe stehen lassen, weil er ganz offensichtlich nicht gewillt war, meine Frage zu beantworten.

»Hör auf mir nachzulaufen!«, zische ich ihn an.

»Kann ich nicht. Wir haben eine Abmachung.«

»Nein, haben wir nicht.« Er kann unmöglich ernsthaft glauben, ich würde mir nach allem, was passiert ist, von ihm helfen lassen. Ich bin heute Morgen extra früh aufgestanden, um die Aufgabe für Secret Enemy freizuschalten, und habe es sogar geschafft, alles dafür vorzubereiten.

»Doch ich erinnere mich, dass du sie hast wieder aufleben lassen.«

Einen Moment lang sehe ich ihn an und frage mich, was genau er eigentlich bezwecken will. Glaubt er, dass wir weitermachen wie bisher? Dafür ist es zu spät.

»Lass es einfach gut sein, Jasper.«

Ohne auf eine Antwort von ihm zu warten, setze ich meinen Weg zum Verwaltungsgebäude fort. Nach eingehender Überlegung bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass man womöglich eine höhere Punktzahl erspielt, wenn man die Quest am helllichten Tag und bei Betriebsamkeit auf dem Campusgelände erledigt.

Nach fünf Minuten habe ich mein Ziel erreicht. Skeptisch betrachte ich den Eingang und sehe dann an der Fassade empor. Nach dem Hauptgebäude ist das der Verwaltung am höchsten. Da das Hauptgebäude, in dem ein Großteil der Vorlesungen stattfindet, über ein Spitzdach verfügt, ist es eher schwierig, da hinaufzukommen. Denn das ist mein Plan. Auf dem Flachdach des grauen Betonklotzes befindet sich ein Fahnenmast. Meine Idee ist, das Collegelogo gegen mein Statement auszutauschen. Dazu habe ich zwei Bettlaken umgestaltet, die sich in meinem Rucksack befinden und auf ihren Einsatz warten.

»Wie sieht dein Plan aus?«, ertönt Jaspers Stimme hinter mir, bevor er plötzlich neben mir auftaucht.

Habe ich wirklich gedacht, ich werde ihn so leicht los? Aber noch viel schlimmer ist, dass der Funken Hoffnung in mir genau das wollte. Und dann wäre da noch die Tatsache, dass Jasper clever ist und sich als nützlich erweisen könnte.

»Was glaubst du denn, wie mein Plan aussieht?« Auch wenn es zwischen uns aktuell schwierig ist, ergreife ich die Möglichkeit, die sich mir augenblicklich bietet. Ist das fair? Nein. Aber er war mir gegenüber ja auch nicht immer fair. Ohne ihn würde ich nämlich gar nicht erst in der Situation stecken, dringend Geld zu benötigen. Ohne ihn würde ich jetzt mit Dion und Aspen zu Mittag essen, statt eine Fahne zu hissen.

»Dass du hoffst, einfach in die Verwaltung zu marschieren und problemlos auf das Dach zu gelangen.«

»Und du denkst, das schaffe ich nicht?« Das lässt sich aus seinem Ton eindeutig heraushören.

»Ich weiß nicht. Kennst du denn den Code für den Fahrstuhl oder für die Sicherheitstür zum Treppenhaus?«

Mein Kopf schnellt in seine Richtung. Ich nahm an, beide Bereiche wären frei zugänglich und ich müsste mich lediglich unauffällig zum Fahrstuhl schleichen. Bisher war ich nur ein einziges Mal in dem Gebäude, und zwar, als ich unsere Anmeldungen zu Be My Date abgegeben habe. Allerdings habe ich mich da weniger für die Räumlichkeiten interessiert. Zu dem Zeitpunkt wäre ich nicht mal im Traum darauf gekommen, dass ich mir Monate später unerlaubten Zutritt zum Gebäude verschaffen müsste.

»Dachte ich mir.«

Langsam würde ich ihm wirklich gerne sein selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht wischen.

»Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens: Du hast einen Termin und erhältst von der Information die Schlüsselkarte für den Fahrstuhl. Zweitens: Du kennst den vierstelligen Code für das Bedienfeld.«

»Will ich wissen, woher du das weißt?«

Statt zu antworten, zuckt er mit den Schultern. »Also, Kim Possible, was tust du jetzt?«

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Mir bleiben noch vier Stunden, um einen alternativen Plan aus dem Ärmel zu schütteln, oder ich versuche einfach mein Glück.

»Ich gehe rein, sage, ich hätte ein wichtiges Anliegen und müsse dringend mit der Studierendenberatung sprechen.« Ja, das könnte funktionieren.

»Keine schlechte Idee. Allerdings ist heute Freitag und die Studierendenberatung nur bis zwölf besetzt. Wir haben bereits halb zwei.«

»Dann möchte ich halt mit Professorin Simmons sprechen!«

»Du meinst die Professorin Simmons, die gerade das Gebäude verlässt?«

Mein Blick folgt Jaspers. Verflucht, er hat recht. Sie läuft soeben in Richtung Theater, das sich nur wenige Meter links von uns befindet.

»Also gut, da du anscheinend das Genie von uns beiden bist, was schlägst du vor?« Herausfordernd blicke ich ihn an.

»Jetzt möchtest du meine Hilfe also doch?« Ein Lächeln schleicht sich auf seine Lippen. Ich würde mich gerne selbst schütteln, weil mein Herz wie ein Flummi in meiner Brust auf und ab hüpft, weil ich es nach wie vor mag, wenn sich seine Mundwinkel auf diese Art verziehen.

»Da ich dich nicht loswerde, mach dich doch bitte nützlich.«

Als das Grinsen in seinem Gesicht erlischt, bereue ich meine Worte sofort. Für eine kleine Ewigkeit sehen wir einander an. Seine sonst so freundlichen braunen Augen wirken schuldbewusst, aber vor allem erwecken sie gerade den Anschein, als würde Jasper glauben, er hätte es verdient, so von mir behandelt zu werden. Mein Gewissen meldet sich. Obwohl ich jedes Recht dazu habe, verletzt zu sein, weil er mir nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt hat, fühlt es sich falsch an, ihn dafür zu bestrafen. Aber noch kann ich nicht über meinen Schatten springen und diejenige sein, die nachgibt und uns wieder auf Kurs bringt.

Jasper atmet tief durch, unterbricht unseren Blickkontakt und sieht zum Eingang. »Okay, ich gehe rein, lenke Gloria vom Empfang ab und du kommst in zwei Minuten nach. Der Code für den Fahrstuhl lautet 1875

»Du kennst die Empfangsdame und den Code für den Fahrstuhl?«

»Ja«, antwortet er knapp.

»Woher?« Es ist mehr als unangebracht, dass sich Eifersucht in mir breitmacht, nur weil er ihren Vornamen kennt. Doch wenn ich mich recht erinnere, ist besagte Gloria kaum älter als wir und bildhübsch, und Jasper ist ein Magnet für schöne Frauen. Den Rest spinnt sich mein Verstand gerade selbst zusammen.

»Willst du das wirklich wissen?«

Nein, wahrscheinlich nicht. Aber es klingt ohnehin, als würde er meine Vermutung bestätigen.

»Okay, du hast zwei Minuten. Aber lass uns eines klarstellen: Dass wir das hier gemeinsam durchziehen, ändert nichts. Ich nehme deine Hilfe nur an, weil ich Secret Enemy gewinnen will, um an das Preisgeld zu kommen.«

Erst als Jasper mich verwundert ansieht, merke ich, was ich ihm gerade mitgeteilt habe.

Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, aber ich hebe abwehrend die Hand. »Du hast nicht wirklich geglaubt, deine Aktion würde keine Kollateralschäden verursachen? Die Anschuldigungen gegen meine Mom haben ein Loch in die Stiftungskasse gerissen. Wenn ich das Geld gewinne, kann ich ihr etwas unter die Arme greifen, auch wenn es nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.«

»Ich –«

»Können wir das einfach so stehen lassen und die finanziellen Schwierigkeiten meiner Familie nicht weiter thematisieren?«, unterbreche ich ihn.

»Abbie –«

»Nein, Jasper. Ich meine es ernst. Lass uns das hier gemeinsam durchziehen und anschließend getrennte Wege gehen«, schneide ich ihm erneut das Wort ab. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist Mitleid.

Statt zu antworten, nickt Jasper. Ein weiteres Mal sehen wir einander an. In seinem Blick liegen Bedauern, Schuld und Entschlossenheit. Ohne ein weiteres Wort geht er auf den Eingang zu, nimmt die wenigen Stufen nach oben und verschwindet kurz darauf in dem Gebäude.

Ich sehe auf die Uhr. Mit jeder Sekunde, die vergeht, klettert mein Puls vor Aufregung in die Höhe. Es ist eindeutig etwas anderes, sich im Dunkeln in Sicherheit zu wiegen, als am helllichten Tag wo einzusteigen. Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, ist deutlich höher.

Als Jaspers Zeit abgelaufen ist, setze ich mich mit einem mulmigen Gefühl in Bewegung. Bevor ich in die Eingangshalle trete, atme ich tief durch. Unauffällig schiele ich zum Empfangstresen und entdecke Jasper, der lässig dagegenlehnt und sich mit Gloria unterhält. Sie lacht über etwas, das er gesagt hat, und klemmt sich eine ihrer dunklen Locken hinters Ohr. Mein Auftauchen hat sie nicht einmal bemerkt, weil sie zu sehr damit beschäftigt ist, Jasper anzulächeln. Und ich kann es ihr nicht einmal verübeln, denn wenn Jasper in meiner Nähe ist, habe ich auch das Gefühl, dass um mich herum nichts weiter existiert.

Statt den Plan zu verfolgen, beobachte ich die beiden. Jasper stützt sich mit dem Ellenbogen auf der Marmorplatte ab und beugt sich ihr entgegen. Sie schiebt mit dem Zeigefinger die runde Brille auf ihrer Nase zurecht, bevor sie sich ebenfalls nach vorne beugt. Ich sehe kurz zum Fahrstuhl und zögere. Nicht, weil ich die Sache abblasen will, sondern weil ich wissen will, wie weit Jasper für sein Ablenkungsmanöver gehen würde. Aber vor allem interessiert mich, ob er es genießt. Argh, warum kann er mir nicht einfach egal sein?

Ohne meinen Blick von den beiden abzuwenden, setze ich einen Fuß vor den anderen. Jasper lehnt sich so weit über den Tresen, dass er Gloria etwas ins Ohr flüstern kann und damit die Sicht auf mich verdeckt. Ich unterdrücke das Bedürfnis dazwischenzugehen und mache einen weiteren Schritt auf den Lift zu. Im nächsten Moment laufe ich gegen einen der gelben Cocktailsessel.

Wie in Zeitlupe sehe ich, wie Gloria aufschreckt und ihren Kopf in meine Richtung dreht. Blitzschnell verstecke ich mich hinter dem Möbelstück, über das ich gestolpert bin, und zähle bis zwanzig. Ein Scheppern lässt mich zusammenzucken. Vorsichtig luge ich hinter dem Sessel hervor, um nachzusehen, was das Geräusch verursacht hat. Auf dem Boden liegt eine zerbrochene Vase, die zuvor auf dem Tresen gestanden hat. Jasper geht gerade in die Knie, um die Schnittblumen aufzusammeln. Gloria kann ich nicht entdecken.

Unsere Blicke treffen sich und Jasper deutet mit einer Kopfbewegung in Richtung Fahrstuhl. Hastig komme ich auf die Füße und sprinte zum Lift. Mit zittrigen Fingern drücke ich auf den Knopf. Als die Tür aufgleitet, husche ich hinein und atme kurz durch. Quälend langsam schließt sich der Fahrstuhl. In der letzten Sekunde schlüpft Jasper herein. Seine Brust hebt und senkt sich schnell.

»Alles okay?«, fragt er, tippt den Code ins Tastenfeld ein und drückt anschließend auf die vierte Etage.

»Was machen wir, wenn jemand zusteigt?«, will ich wissen, während ich auf die Anzeige sehe, die langsam nach oben zählt.

»Um die Zeit befinden sich alle außer Gloria in der Mittagspause.«

»Du verschaffst dir wirklich einen sehr genauen Überblick über deine Umgebung, was?«, sage ich bissiger, als ich beabsichtigt habe. Eifersucht ist ein Verräter.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Jasper es spürt, denn er stellt sich direkt vor mich und sucht meinen Blick. Ich weiche ihm aus, weil ich befürchte, er könnte darin lesen, dass mir missfällt, dass er die Empfangsdame ein bisschen zu persönlich kennt.

Die Tür öffnet sich. Wortlos gehe ich an Jasper vorbei und sehe mich im Flur um, dann blicke ich zur Decke.

»Wie kommen wir auf das Dach?« Jetzt wird mir klar, dass ich meinen Plan nicht ganz durchdacht habe. Nein, eigentlich bestand er nur darin, dass ich das Endergebnis vor Augen hatte. Der Weg dorthin war mehr als neblig.

»Über die Feuertreppe.«

»Es gibt eine Feuertreppe? Warum haben wir nicht die, sondern den Fahrstuhl genommen?«

»Wo wäre da der Spaß gewesen?«, antwortet er mit einem Schulterzucken und geht auf die Metalltür links von uns zu.

In diesem Augenblick würde ich ihm gern einen Tritt gegen das Schienbein verpassen. Spaß hatte eindeutig nur er beim Flirt mit Gloria. Ich habe vor Anspannung beinahe einen Herzinfarkt erlitten.

Erneut tippt er den Code ein. Mit einem Klicken springt die Tür auf. Frische Luft schlägt uns entgegen, als Jasper ins Freie tritt. Mein Blick fällt auf die sehr schmale Plattform, auf der er steht. Durch das Gitter kann ich in die Tiefe sehen. Mir wird schlecht.

»Abbie?«

»Gibt es noch einen anderen Zugang zum Dach?«

»Nicht dass ich wüsste.«

Ohne es zu wollen, weiche ich einen Schritt zurück in Richtung Fahrstuhl.

»Wir sollten uns beeilen.« Jasper sieht auf seine Uhr. »Die Mittagspause ist in fünfzehn Minuten vorbei.« Er mustert mich, während ich den Kopf schüttle.

»Akrophobie«, schlussfolgert er aus meinem Verhalten.

»Vielleicht habe ich ein bisschen Höhenangst«, gebe ich zu.

»Okay, dann geh ich alleine aufs Dach und du wartest hier.«

»Was? Keine klugen Ratschläge von wegen ›sieh einfach nicht nach unten, die Treppe ist sicher‹ und demonstratives Hüpfen, um deine Worte glaubhaft wirken zu lassen?« Natürlich, warum bin ich da nicht von selbst draufgekommen? Wenn ich nicht hinsehe, ist die Angst nicht real. Diese Tipps sind lächerlich. Als könnte man mal eben den Schalter umlegen.

Ein leises Lachen verlässt seine Lippen. »Würde dir das denn helfen, deine Angst zu überwinden?«

»Nein.«

»Dachte ich mir. Und da uns gerade etwas die Zeit davonrennt, hast du entweder einen besseren Vorschlag oder ich übernehme die Sache.«

Mein Blick wandert den Flur entlang. »Was ist mit den Büros?«

»Hast du denn deine Haarklemme dabei?«, fragt er und grinst frech. Ich ignoriere das Flattern in meiner Magengegend, das sich bei seiner Neckerei bemerkbar macht.

»Nein, aber vielleicht hat jemand nicht abgeschlossen.« Noch während ich rede, gehe ich auf die erste Tür zu. Verschlossen. Die nächste ebenfalls. Wäre auch zu einfach. Bei der dritten habe ich tatsächlich Glück.

»Ha! Na, wer sagts denn.«

»Nicht schlecht, Kim Possible«, würdigt Jasper meinen Einfall und folgt mir in den Raum. Ich nehme den Rucksack ab, öffne ihn, nehme die zwei zusammengetackerten Bettlaken heraus und sehe zu den beiden Doppelfenstern, die circa einen Meter weit auseinanderliegen. Es ist zwar nicht der Fahnenmast, aber ich denke, es zeigt trotzdem Wirkung.

Jasper öffnet das eine Fenster und ich das andere. Unsere Blicke verschmelzen miteinander.

Seine Lippen verziehen sich zu einem schiefen Grinsen. »Gib mir das eine Ende, dann klemme ich es zwischen Rahmen und Scheibe«, fordert er mich auf.

Ich zögere kurz, bevor ich mich etwas hinausbeuge, um ihm den Stoff zu reichen. Keine Minute später prangt das Statement an der Fassade des Verwaltungsgebäudes.

»Das hätten wir. Und jetzt nichts wie raus hier«, sagt Jasper und wirkt plötzlich ernst.

Ich schnappe mir meinen Rucksack, folge ihm in den Flur und gehe auf den Fahrstuhl zu. Gerade als er auf den Rufknopf drücken will, entfährt ihm ein leises »Shit!«.

»Was ist?« Dann weiß ich, was er meint. Die Anzeige, die sich über der Fahrstuhltür befindet, wechselt von zwei auf drei.

Er greift nach meinem Handgelenk und zieht mich mit sich. Gemeinsam rennen wir in die Richtung, aus der wir gerade gekommen sind, direkt auf die Glastür zu, hinter der sich das Treppenhaus befindet.

Ein leises Ping ertönt und kündigt das Sichöffnen der Fahrstuhltür an. Ich kann hören, wie sie aufgleitet. Das wars. Wir werden jeden Moment erwischt.

Jasper tippt eine Zahlenkombination in das Tastenfeld, das sich an der Wand befindet. Im nächsten Augenblick spüre ich ein erneutes Ziehen an meinem Handgelenk, als Jasper ins Treppenhaus tritt und die Stufen nach unten hastet. Erst als wir im Erdgeschoss ankommen, lässt er mich los.

»Wie kommen wir unbemerkt aus dem Gebäude? Ein weiteres Ablenkungsmanöver bei der Empfangsdame?« Gott, ich sollte aufhören ihm unterschwellig meine Eifersucht unter die Nase zu reiben.

Auf sein bestätigendes Schmunzeln hin schießt mir die Hitze in die Wangen. Ich wende den Blick von ihm ab und sehe mich nach einer Fluchtmöglichkeit um, die uns nicht durch die Eingangshalle führt.

»Wir nehmen den Seiteneingang«, sagt er und deutet auf die Tür links von uns.

Gemeinsam setzen wir uns in Bewegung. Erneut bleibt Jasper stehen, während ich zielstrebig auf die Tür zugehe.

»Ich wollte schon immer mal einen Feueralarm auslösen.« Er hat die Worte kaum ausgesprochen, da dröhnt ein ohrenbetäubender Lärm durch das Gebäude. Mein Kopf schnellt zu Jasper und dann zu dem kleinen Glaskasten, in dem sich der Knopf für den Alarm befindet.

Lachend kommt er auf mich zu, öffnet die Seitentür und schiebt mich hindurch. Perplex sehe ich ihn an.

»Also dann, Kim Possible, unsere Wege trennen sich hier.«

Bevor ich darauf etwas antworten kann, eilt er davon. Einen Moment sehe ich ihm fassungslos hinterher. Bewege mich nicht von der Stelle, bis mir einfällt, dass ich mich schleunigst aus dem Staub machen sollte.

Mit hastigen Schritten begebe ich mich auf die Vorderseite des Gebäudes, um noch ein Foto für Secret Enemy zu knipsen. Vor dem Haupteingang hat sich bereits eine Menschentraube gebildet. Mein Blick wandert die graue Fassade empor, während ich das Handy herauskrame.

Ein Grinsen schleicht sich auf meine Lippen, als ich mein Statement entdecke, das zwischen die Fenster der obersten Etage gespannt auf den Bettlaken steht.

Be free. Be wild. Be yourself.