ZWEI JAHRE UND VIER MONATE ZUVOR

JASPER, 18 JAHRE ALT

Da am Wochenende ein wichtiges Spiel ansteht, habe ich alleine weitertrainiert. Laut Coach ist meine Kondition im Keller und er hat recht. Keine Ahnung, woher das Formtief so plötzlich kommt, aber ich habe nicht vor, es einfach so hinzunehmen und darauf zu warten, dass es vorübergeht.

Es regnet, als ich das Trainingsgelände verlasse. Meine Teamkollegen sind bereits vor einer halben Stunde gegangen, als der Coach das Ende eingeläutet hat. Die Tropfen laufen mir übers Gesicht, mischen sich mit Schweiß. Ich kann das Salz auf meinen Lippen schmecken, als ich mit der Zunge darüberfahre. Das Einzige, wonach ich mich jetzt sehne, ist eine heiße Dusche und ein Telefonat mit Noah, bevor er ins Bett geht. Zeitverschiebungen sind ätzend.

Ich biege nach links zu den Kabinen ab und bleibe sofort stehen, als ich den Wagen auf dem sonst leeren Parkplatz entdecke. Die Fahrertür öffnet sich und mein Dad steigt aus. Mein Blick wandert zu der Eingangstür, die mich von einer Dusche und sauberen Klamotten trennt. Fünf Minuten. Länger dauern unsere Gespräche ohnehin nicht. Dreihundert Sekunden, vielleicht auch zwanzig mehr, und dann bin ich ihn los. Für eine Weile jedenfalls. Die Abstände zwischen unseren Treffen sind kürzer geworden. Angeblich, weil er in der Niederlassung in London zu tun hat und nach mir sehen will. Lächerlich. Ich glaube, er wird so lange hier auftauchen, bis er seinen Willen durchgesetzt hat. Aber ich habe nicht vor nachzugeben und das College zu besuchen, das er für mich vorgesehen hat. Ich will überhaupt keins besuchen. Was ich will, ist Cricket spielen, mit Noah abhängen und vielleicht ein nettes Mädchen finden, das in meinen Zeitplan passt. Später ein Haus auf dem Land. Zwei Kinder. Eine englische Bulldogge. Solche Dinge. Ich will alles, nur nicht das, was der Mann, der am Wagen auf mich wartet, von mir verlangt.

»Du ziehst das also wirklich durch?«

»Ja«, antworte ich knapp. Genau wie ich ist er ein Einzelkind. Sein Vater war es ebenfalls. Manchmal frage ich mich, ob er so versessen darauf wäre, über mich zu bestimmen, hätte ich Geschwister, die Anderson Real Estate in die nächste Generation führen könnten. Ob sein Antrieb allein daher rührt, dass die Ära mit ihm zu Ende geht. Dass sein Vermächtnis in Hände übergeht, die nicht der Blutlinie folgen. Dass das, was seine Familie erschaffen hat, in Vergessenheit gerät.

»Du stellst den Sport über die Familie?«

»Nein, ich stelle ihn nur über dich.«

»Und bist du jetzt stolz?«

»Hängt davon ab, wie angepisst dein Ego ist, dass dein Plan, mir Noah wegzunehmen, damit ich einknicke, nicht aufgegangen ist«, antworte ich gelangweilt. Denn in Wahrheit ist es mir scheißegal, wie es um Elijah Andersons Ego steht.

»Sprich nicht in dem Ton mit mir!«, herrscht er mich an.

»Sonst was? Schlägst du dann zu?«, provoziere ich ihn und es funktioniert. Seine sonst undurchdringbare Fassade bekommt Risse. Er ballt die Hände zu Fäusten. Ich bin nicht mehr der kleine Junge, der Angst vor ihm hat, und das weiß er. »Glaub nicht, ich wüsste nicht, dass du Mom misshandelst. Geht dir dabei einer ab?«

Er verringert den Abstand zwischen uns, aber diesmal weiche ich nicht zurück, sondern biete ihm die Stirn.

»Sobald ich an das Erbe von Großvater komme, nehme ich sie dir weg und werde dafür sorgen, dass du in der Hölle schmorst.« Würde meine Mom ihn jetzt verlassen, bliebe ihr nichts. Elijah würde sie zerstören, nur damit er gewinnt. Er ist ein Narzisst, der sich in seiner Macht über andere suhlt. Aber das Geld, das mir der alte Fernsby hinterlassen hat, reicht für Mom und mich, um entspannt, aber vor allem ohne den Drecksack zu leben. Es gibt nur einen Haken: Laut Testament kann ich erst mit einundzwanzig frei darüber verfügen. Bis dahin gibt es eine Treuhandreglung, die zwar anständig etwas abwirft, aber bei Weitem nicht genug. Am Anfang habe ich nicht verstanden, warum mein Großvater mich zum Alleinerben gemacht hat, aber inzwischen glaube ich, er wusste, dass meine Mom keinen Penny sehen würde.

»Ist das eine Drohung?«

»Ein Versprechen«, antworte ich. Zufrieden grinse ich, als ich zum ersten Mal Zeuge davon werde, dass er nervös ist.

»Lass den Blödsinn und komm endlich zur Vernunft.« Den Ton kenne ich nicht von ihm, aber es klingt wie eine verzweifelte Warnung.

Ich lache.

Und dann mache ich den Fehler und wende für den Bruchteil einer Sekunde den Blick von ihm ab. Er reißt mir den Cricketschläger aus der Hand. Holt aus. Hält inne.

»Na los, schlag zu! Im Gegensatz zu Mom weiß ich, wie man sich wehrt«, sage ich gedehnt und fordere seine Selbstbeherrschung heraus.