Auch Bäume gehen mit der Mode

Halt. Die Überschrift trügt, denn die Bäume selbst kennen keine Mode. Wir Menschen sind es, die Abwechslung lieben, aber offenbar nur im Rudel. Sobald ein Trend gesetzt ist, läuft ihm ein Großteil von uns hinterher (und da nehme ich mich selbst nicht aus).

Solche Trends machen auch nicht vor Pflanzen halt. Sie kennen das vielleicht von Obst und Gemüse: Immer wieder taucht neues »Superfood« auf, Pflanzen, denen besonders gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben werden. So etwa der Gojibeere. Ihr Handelsname klingt edler als der üblich botanische, denn der lautet »gemeiner Bocksdorn«. Der Strauch stammt ursprünglich wahrscheinlich aus China und ist als Neophyt, als eingeschleppte, nicht heimische Pflanze, mittlerweile auch in unseren Landstrichen auf dem Vormarsch. Die kleinen, zwei Zentimeter langen orangeroten Früchte sollen voller Vitalstoffe stecken. Antioxidantien, essenzielle Fettsäuren, Eisen, vielerlei Vitamine – das klingt zu schön, um wahr zu sein. Daneben soll ihr Wohlgeschmack jedes Müsli verfeinern. So weit die Theorie. Da meine Frau und ich gerne experimentieren, bestellten wir uns zwei Pflanzen. Gespannt warteten wir auf die Blüten und danach auf die Früchte. Schon im zweiten Jahr gab es eine kleine Kostprobe. Im ersten Augenblick schmeckten die Früchte fad-süß, um schon kurz darauf ins unangenehm Bittere umzuschlagen. Mögen sie auch noch so gesund sein – wir überlassen die Früchte inzwischen den Vögeln.

Auch was Zimmerpflanzen angeht, wechseln sich die Trends ab: Von Kakteen über Yuccapalmen und Zimmerlinden sind schon jede Menge Modegewächse in die gute Stube hinein- und auch wieder herausgetragen worden. Warum sollte das im Wald anders sein? Oder besser im Forst, denn wie bereits erwähnt geht es ja in den allermeisten Fällen um Baumansammlungen, die von Menschen gestaltet wurden. Überall dort, wo Förster anpflanzen lassen, spielt die jeweilige Mode eine entscheidende Rolle. Forstverwaltungen würden das natürlich anders nennen; sie fühlen sich dem jeweiligen Stand der Forschung verpflichtet.

Doch in Wahrheit unterliegen die grünen Verwalter denselben Versuchungen wie Normalbürger beim Shoppen. Bei ihnen sind es natürlich exotische Bäume, die eine gewisse Faszination hervorrufen. Damit sie im heimischen Revier wachsen können, müssen sie aus einer ähnlichen Klimazone stammen und vor allem relativ kalte Winter vertragen. Das trifft auf viele Wälder der nördlichen Breiten, also Nordamerikas, Europas und Asiens zu. Deshalb findet man dort auch so häufig Riesenmammutbäume. Ich habe ein Exemplar im Schönbuch, einem großen Waldgebiet in Baden-Württemberg, gesehen. Es ist fast 50 Meter hoch und hat in Brusthöhe einen Durchmesser von 1,80 Meter. Das ist schon beeindruckend, denn unseren heimischen Waldbäumen wie der Buche geht meist schon bei 40 Metern die Puste aus.

Doch der Mammutbaum passt in den Wald wie ein Elefant zwischen Rehe und Hirsche. Vielleicht trifft es der Vergleich mit einem Zoo noch besser: Diese einzelnen Pflanzentrophäen sind allein, stehen ohne ihre Artgenossen, ja ohne ihr Ökosystem zwischen Buchen und Eichen. Zu einem kompletten, funktionsfähigen Wald gehören Tausende Arten, die fein austariert zusammenarbeiten. Eine allein, auch wenn es die größte ist, lässt die Präsenz nordamerikanischer Wälder noch nicht einmal erahnen.

Schneller Wuchs hat Menschen schon immer fasziniert. Auf Wälder bezogen waren es in den 1960er-Jahren Pappeln, die die Liebe der Förster auf sich zogen. Balsampappeln wurden so gezüchtet und gekreuzt, dass Bäume mit bis zu 30 Metern Wuchshöhe in 20 Jahren regelrecht heranschossen. Zum Vergleich: Selbst die als schnell wachsend bekannte Fichte erreicht im gleichen Zeitraum kaum mehr als zehn Meter Höhe. Was man völlig außer Acht gelassen hatte, war die spätere Verwendung. Ein Hauptabnahmezweig, nämlich die Hersteller von Zündhölzern, hatte sich durch das Aufkommen von Einwegfeuerzeugen vom Markt verabschiedet; Ähnliches galt für Anbieter von Obstkistchen aus Spanholz. Die zu dicken, mächtigen Stämmen herangewachsenen Pappeln wurden nun zum Problem. Keiner wollte das Holz, und entlang von Straßen und Wegen entpuppten sich die jungen Giganten als riskant. Die Kronenäste sind spröde wie Glas und brechen schon bei wenig Wind oder Schnee. Die Konsequenz: Pappeln werden überall durch Fällaktionen beseitigt, und ihr Holz wird anschließend verramscht. Eine Renaissance erleben Pappelarten lediglich in Kurzumtriebsplantagen, wo sie nach wenigen Jahren als dünne Stämmchen abgemäht, geschreddert und in Biomassekraftwerken verbrannt werden. Da dies aber eine landwirtschaftliche Kultur ist und mit Wald nichts mehr zu tun hat, will ich dieses Thema nicht weiter vertiefen.

Ein anderes Modebeispiel ist die große Küstentanne, lateinisch Abies grandis. Ihre Heimat ist die Nordwestküste des amerikanischen Kontinents, wo sie auf einem relativ kleinen Areal in Mischung mit anderen Nadelbäumen wächst. Die große Küstentanne erfüllt mehrere Faszinationskriterien: Sie wächst besonders schnell, viel schneller als Fichten, die bisher die Wälder in Deutschland dominieren. Bis zu einem Meter schieben sich die Triebe jedes Jahr in die Höhe. Im Gegensatz zur Douglasie steckt sie auch Trockenperioden locker weg, Wetterereignisse also, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel immer häufiger auftreten werden. Selbst gegenüber Stürmen scheint diese Baumart gefeit zu sein, wurzelt sie doch besonders tief und kann sich deshalb besser verankern als Fichten, Kiefern oder Douglasien. Zwar wird sie schon seit dem 19. Jahrhundert in Europa angebaut, doch ihr Durchbruch auf großer Fläche kam erst nach dem Orkan Kyrill 2007. Seitdem wachsen zahlreiche Anpflanzungen ihrer späteren Verwendung entgegen. Doch welcher?

Ich hatte in meinem Revier auch einige Exemplare stehen, die ein experimentierfreudiger Förster schon vor Jahrzehnten in Fichtenkulturen mischte. Mittlerweile waren daraus stattliche Stämme geworden, die ich im Rahmen der regulären Holzernte fällen ließ. Der Holzkäufer, der Bauholz für sein Sägewerk suchte, rümpfte damals wie viele seiner Kollegen die Nase. Die Qualität des weichen Holzes steht hinter der Fichte zurück, sodass die Preise ebenfalls entsprechend niedriger sind. Bis zum Orkan Kyrill wollte daher kaum noch jemand auf diese Baumart setzen. Erst im Rahmen der Klimawandeldiskussion wurde sie wieder aus der Schublade geholt. Schließlich wollte man nicht auf Nadelbäume verzichten, und während Fichten, Kiefern und Douglasien keine gute Zukunft prophezeit wurde, schien und scheint bis heute die große Küstentanne die Rettung der Nadelforste zu sein.

Warum lassen sich Förster immer wieder auf solche Modebäume ein? Die Antwort ist ganz einfach: Förster sind eben auch nur Menschen. Sie lieben große Bäume, lieben das Ausgefallene und haben Spaß an neuen Entwicklungen. Vor allem aber: Sie möchten gestalten. Das gipfelt in der Aussage vieler Kollegen, dass Förster »Wald machen«, er ohne sie einem siechen Patienten gleicht, der nicht überlebensfähig ist.

All diese Versuche, den Wald unseren Wünschen anzupassen, erinnern an ein Wohnzimmer, das wir ständig neu einrichten. Bäume als dekorative Möbelstücke – naturferner kann eine Sichtweise nicht sein. Ausgerechnet die grüne Fraktion, also mein Berufsstand, hat den Kontakt zu echter Natur damit mehr verloren als jeder Großstadtbewohner.