IV.2 Arnold Reisberg über die militärpolitischen Aspekte der Februarkämpfe 1934 in Österreich

Die bewaffneten Kämpfe vom 12. bis zum 15. Februar 1934 in Österreich sind ein bedeutsames Ereignis in der Geschichte der österreichischen und der gesamten internationalen Arbeiterbewegung. In diesen Kämpfen erhoben sich erstmals seit dem Machtantritt des Faschismus in Deutschland die Werktätigen eines europäischen Landes zum bewaffneten antifaschistischen Abwehrkampf.1

Die Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland ermunterte die internationale Großbourgeoisie 1933 und Anfang 1934 zu weiteren Angriffen auf die Arbeiterklasse, während gleichzeitig die schmähliche kampflose Kapitulation der deutschen Sozialdemokratie, die trotz der Einheitsfrontangebote der KPD erfolgt war, breite Volksmassen demoralisierte. In den klassenbewussten Kräften des Proletariats vieler Länder aber wuchs zugleich die Entschlossenheit, die Etablierung weiterer faschistischer Diktaturen nicht zuzulassen. In der gleichen Woche, als in Österreich die bewaffneten Kämpfe losbrachen, schlugen die französischen Arbeiter in Straßendemonstrationen und in einem machtvollen Generalstreik einen Angriff der französischen Faschisten zurück. Die Februarkämpfe in Frankreich und Österreich waren Vorläufer des antifaschistischen nationalrevolutionären Krieges in Spanien und der Widerstandsbewegung im zweiten Weltkrieg.2 Sie fügten auch der Kapitulationspolitik der internationalen Sozialdemokratie einen schweren Schlag zu.

Die Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland wirkte sich nachhaltig auf die Faschisierung in Österreich aus, die in breitem Maße bereits nach dem 15. Juli 1927 eingesetzt hatte, als die Polizei in Wien eine spontane Arbeiterdemonstration gegen den Faschismus mit Gewehrsalven auseinandergejagt, mehr als 90 Arbeiter getötet und viele Hunderte verwundet hatte. Vergeblich warnte die Kommunistische Partei Österreichs daraufhin: „Wenn die Arbeiterklasse nicht den Faschismus vernichtet, so vernichtet er die Arbeiterklasse!“ Die Führung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs (SP), der damals die überwiegende Mehrheit der Arbeiterklasse Österreichs folgte, setzte jedoch ihre seit der Errichtung der Republik Österreich betriebene Kapitulationspolitik fort.

Durch diese Haltung der SP-Führung ermutigt, setzte die österreichische Bourgeoisie nicht nur die Faschisierung des Staatsapparates verstärkt fort und baute die faschistischen Wehrorganisationen aus, sondern nahm während der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 Kurs auf eine offene faschistische Diktatur. Von dieser erhoffte sie sich den Ausweg aus der Wirtschaftskrise, die in Österreich tiefer und umfassender war als in anderen Ländern. Von den etwa 1 600 000 Arbeitern in Österreich waren auf dem Höhepunkt der Krise 500 000 bis 600 000 arbeitslos.

Ein Hindernis für die Bestrebungen zur Verwirklichung der Diktaturpläne war die Entschlossenheit der klassenbewussten Kräfte des Proletariats, die Etablierung einer faschistischen Diktatur und eine kampflose Kapitulation vor ihr nicht zuzulassen. Ein weiteres Hindernis war aber auch die uneinheitliche außenpolitische Orientierung verschiedener Schichten der österreichischen Bourgeoisie und der auf eine „autoritäre“ Regierung nach faschistischem Muster drängenden Kräfte.

Der mit deutschem Kapital verbundene und teilweise von ihm abhängige Teil der österreichischen Bourgeoisie setzte auf das imperialistische Deutschland und förderte die österreichischen Nationalsozialisten, die in Wirklichkeit eine Agentur des deutschen Imperialismus und seiner Hitlerpartei waren. Diese Kräfte erhielten Auftrieb durch die „Anschluss“-Propaganda, die seit 1918 von allen österreichischen Parteien mit Ausnahme der KPÖ betrieben wurde (die SP strich den Anschlussparagraphen erst 1933 nach Hitlers Machtantritt aus ihrem Programm). Ein anderer Teil der Bourgeoisie, der die überlegene deutsche Konkurrenz fürchtete, sowie die entscheidenden Kreise des Großgrundbesitzes und der katholischen Kirche orientierten sich auf das faschistische Italien. Als ihre Werkzeuge fungierten einflussreiche Vertreter der regierenden Christlichsozialen Partei und die faschistische Heimwehr. Im Konkurrenzkampf mit den Nationalsozialisten gaben sich diese Kreise demagogisch als Verteidiger der Unabhängigkeit Österreichs aus, während sie in Wirklichkeit das Land dem politischen Einfluss des italienischen Faschismus auslieferten, der damals – vor dem Überfall auf Äthiopien – starke außenpolitische Differenzen mit dem deutschen Imperialismus hatte. Dieser Flügel des Faschismus wurde als Austrofaschismus bezeichnet.

Zum Vollstrecker der austrofaschistischen Diktaturpläne wurde Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, dessen Regierung im Nationalrat, dem österreichischen Parlament, über eine Mehrheit von nur einer Stimme verfügte. Er benutzte einen an sich unbedeutenden parlamentarischen Zwischenfall – den gleichzeitigen Rücktritt aller drei Nationalratspräsidenten –, um die „Selbstausschaltung“ des Parlaments zu verkünden und mit Hilfe eines wieder hervorgeholten Notstandsparagraphen aus der Zeit der 1918 gestürzten k. u. k. Monarchie zu regieren.

Gewarnt durch das deutsche Beispiel, erwarteten die österreichischen Arbeiter in dieser Situation von der SP-Führung das Signal zum Kampf. Der dritte Nationalratspräsident setze in der Tat für den 15. März 1933 eine Sitzung des Nationalrates an, und die SP-Führung drohte für den Fall der Verhinderung einen Generalstreik und die bewaffnete Erhebung an. Die proletarische Wehrorganisation Republikanischer Schutzbund wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Es gab keinen Ort in ganz Österreich, in dem die Arbeiter nicht auf die Waffen warteten, um sich, zu jedem Opfer bereit, zum Kampf zu erheben. Hinter den Schutzbündlern standen Hunderttausende klassenbewusste Arbeiter. Als aber die Dollfußregierung auf ihren Positionen beharrte, griffen die sozialdemokratischen Führer, die nicht zu entschiedenen Aktionen bereit waren, zu einer schmählichen Komödie und schickten die Arbeiter kampflos nach Hause. Von nun an richtete die Dollfußregierung systematisch immer neue Schläge gegen die Rechte und Errungenschaften der Arbeiter. Sie verbot Arbeiterorganisationen, wie den Republikanischen Schutzbund (31. März 1933) und die KPÖ (26. Mai 1933), und bereitete sich offen darauf vor, mit Hilfe der Heimwehr auch die SP und die Gewerkschaften zu verbieten sowie die sozialdemokratische Verwaltung Wiens zu beseitigen. Die SP-Führung aber wich auch weiterhin Schritt für Schritt zurück, versagte spontanen Streikkämpfen ihre Unterstützung und vertröstete die Arbeiter auf einen unbestimmten „Endkampf“, was eine Demoralisierung breiter Arbeiterschichten zur Folge hatte.

Gedrängt von Mussolini, glaubten Dollfuß und die Heimwehrführung im Januar 1934, zum letzten Streich ausholen zu können. Planmäßig wurden polizeiliche Durchsuchungen in den Arbeiterheimen durchgeführt, Waffenverstecke des in der Illegalität weiterbestehenden Schutzbundes ausgehoben und Anfang Februar 1934 auch führende Funktionäre dieser Organisation verhaftet.

Die KPÖ machte die Arbeiter auf die tödliche Bedrohung von Freiheit und Demokratie aufmerksam und rief auf, gegen diese Gefahr zu kämpfen, bevor es zu spät sei. Noch am 10. Februar veröffentlichte die illegale Rote Fahne einen Aufruf des Zentralkomitees der KPÖ mit der Aufforderung: „Schlagt den Faschismus nieder, eher er euch niederschlägt! Legt sofort die Arbeit nieder! Streikt! Holt die Nachbarbetriebe heraus! Wählt Aktionskomitees zur Führung des Kampfes in jedem Betrieb! Geht auf die Straße! Entwaffnet die Faschisten! Die Waffen in die Hände der Arbeiter! Generalstreik! Sofortige Auflösung aller faschistischen Organisationen! … Sofortige Wiederherstellung der Versammlungs-, Presse-, Koalitions- und Streikfreiheit! Sofortige Freilassung aller antifaschistischen Gefangenen! Weg mit der Todesstrafe und dem Standrecht! Weg mit der Henker-Regierung!“3

Die Führung der Sozialdemokratie stemmte sich immer energischer gegen die Kampfforderungen und verhandelte insgeheim mit Dollfuß. Immer mehr Arbeiter sahen ein, dass auf ein Kampfsignal der SP-Führung nicht zu rechnen war. Verzagtheit bei den einen, verzweifelte Entschlüsse zu einem Kampf auch ohne Befehl bei den anderen waren die Folge. Einen solchen verzweifelten Entschluss fassten die Schutzbündler in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz, und ihr Führer, der sozialdemokratische Landessekretär Richard Bernaschek, teilte dem SP-Führer Otto Bauer am 11. Februar 1934 diese „nicht mehr rückgängig“ zu machende Entscheidung in einem Brief mit. Otto Bauer verlangte auch diesmal, dass geduldig gewartet werde. Aber der Gang der Ereignisse war nicht mehr aufzuhalten.

Als die Linzer Polizei am 12. Februar 1934 um 6.30 Uhr versuchte in das sozialdemokratische Arbeiterheim im „Hotel Schiff“ einzudringen, gab Bernaschek den Befehl, auf die Polizisten zu schießen. Damit war das Signal für die bewaffneten Kämpfe der österreichischen Arbeiter gegen die faschistische Diktatur gegeben. Der kleinen Gruppe von Schutzbündlern gelang es, das „Hotel Schiff“ gegen Polizei und Militär bis zum Mittag zu halten. Im Laufe des Vormittags griffen die Kämpfe auf die ganze Stadt über. Dabei wurde bereits die entscheidende Schwäche der Aktion sichtbar: Es fehlte an einer zentralen Leitung und an einer Koordinierung des Handelns der einzelnen Kampfgruppen, die eine nach der anderen den überlegenden Kräften der Exekutive unterlagen.

Auf die Kunde von den bewaffneten Kämpfen in Linz legten in Wien verschiedene Betriebsbelegschaften die Arbeit nieder, ohne auf Anweisungen der sozialdemokratischen Führung zu warten. Die SP-Führung sah sich nunmehr vor die Notwendigkeit gestellt, den Generalstreik und die Mobilisierung des Schutzbundes zu beschließen, gab jedoch den ausdrücklichen Befehl, keine Kampfaktionen zu beginnen. Als im Elektrizitätswerk ein Arbeiter die Aggregate abschaltete und die Stadt ohne Strom bleib, eilten die Schutzbündler zu ihren Sammelplätzen, überließen aber – entsprechend den ihnen von der SP-Führung erteilten Weisungen – der Regierung die Initiative. Die Regierung aber verkündete bereits in der Mittagszeit das Standrecht und setzte neben der Polizei auch Militär mit Artillerie gegen die Arbeiter ein. Die Brücken über den Donaukanal wurden besetzt, die Innenstadt mit dem Sitz der Regierung wurde um 13 Uhr durch Stacheldrahtverhaue abgesperrt.

Ebenso wie in Linz gab es auch in Wien keine einheitliche Kampfaktion der Schutzbündler. Die Bezirke und sogar die größeren Gebäudekomplexe waren voneinander isoliert. Und es wurde auch nicht in jedem Bezirk gekämpft.

Die sozialdemokratische Kampfleitung konnte keinen Kontakt zu den einzelnen Kampfgruppen herstellen, geriet selbst in Gefahr verhaftet zu werden und löste sich bereits am 13. Februar auf, während die Arbeiter einzelne Stützpunkte bis zum 15. Februar verteidigten.

Nicht anders sah es in der Provinz aus. Die kämpfenden Arbeiter in den Industrieorten Oberösterreichs, Tirols und der Steiermark waren ohne zentrale Führung und gegenseitige Verbindung und standen einer überlegenen, einheitlich geführten und durch faschistische Verbände noch verstärkten Exekutive gegenüber. Eine Ausnahme bildete Bruck a. d. Mur, wo der SP-Landessekretär Koloman Wallisch den Kampf organisierte. In vielen anderen Orten sabotierten sozialdemokratische Partei- und Gewerkschaftsführer den Generalstreik und den bewaffneten Kampf oder liefen zum Feind über. Selbst nach dem Ausbruch der Kämpfe verhandelten in Wien rechte sozialdemokratische Führer, wie Karl Renner und Otto Helmer, mit führenden Vertretern der Regierungspartei über eine Kapitulation, was sie allerdings nicht vor der Verhaftung rettete.

Vergeblich warteten die Arbeiter Wiens auf die Erhebung in Niederösterreich. Vor den Toren Wiens liegt ein dichtbesiedeltes Industriegebiet, wo der Schutzbund besonders in Wiener Neustadt starke Abteilungen besaß. Die sozialdemokratische Führung verhinderte in den meisten Orten den Ausbruch der Kämpfe; der Schutzbundkommandant von Wiener Neustadt z. B. ließ sich rechtzeitig verhaften.

In den übrigen Bundesländern herrschte „Ruhe“. In Kärnten traten führende Sozialdemokraten sogar offen für die austrofaschistische Regierung ein.

Als schwerster Schlag gegen die kämpfenden Arbeiter erwies sich der Misserfolg des Generalstreiks. Die Ursache dafür war, dass sich wichtige Schichten der Arbeiterklasse, darunter die Eisenbahner und andere Verkehrsarbeiter, auf Grund vorangegangener Niederlagen an dieser Kampfaktion nicht beteiligten. Die Regierung blieb im Besitz der Rundfunkstationen. Sie konnten ihre Truppen ungehindert an die Kampfstätten transportieren. Am Abend des 12. Februar funktionierten in Wien die Licht- und Wasserversorgung sowie das Telefon wieder, und am Morgen des 13. Februar erschienen wieder alle Zeitungen mit Ausnahme der von der Regierung verbotenen sozialdemokratischen „Arbeiter-Zeitung“.4 Die Regierung löste sofort alle Klassenorganisationen des Proletariats auf und verbreitete Siegesmeldungen. Um die letzten Kämpfer zu demoralisieren forderte Dollfuß in ultimativer Weise die Kapitulation der Arbeiter bis Donnerstag, 15. Februar, 12 Uhr, wofür er Pardon versprach.

Trotzdem kämpften die Schutzbündler an manchen Orten auch noch am vierten Tag tapfer weiter, bis ihre Munition zu Ende ging. Die letzte Schutzbundabteilung aus Floridsdorf schlug sich mit der Waffe in der Hand in die Tschechoslowakei durch, von wo aus sie sich in die Sowjetunion begab, die den Schutzbündlern Asyl gewährte. In der Steiermark zogen sich die letzten Kämpfer, etwa 70 Mann, zusammen mit dem Wallisch in das schneebedeckte Gebirge zurück und gingen dort am 16. Februar auseinander. Wallisch selbst wurde auf der Flucht verhaftet und dann ermordet.

Selbst heute, 40 Jahre nach jenen Ereignissen, lässt sich die Zahl der Kampfopfer nicht präzise angeben. Die Regierung behauptete im Märzheft 1934 der Polizei-Zeitschrift „Öffentliche Sicherheit“, dass die Verluste des Freiwilligen Schutzkorps, des Bundesheeres, der Polizei und der Gendarmerie insgesamt 115 Tote betragen hätten. Diese Zahl wird wahrscheinlich richtig sein. Die von der Regierungsseite geschätzte Zahl der Opfer aus der Zivilbevölkerung – 196 Tote und 319 Verwundete – dürfte dagegen stark untertrieben sein; die Schätzungen der Arbeiterseite schwanken zwischen 250 und 300 Toten, und die meisten Verwundeten sind von der ärztlichen Statistik gar nicht erfasst worden. Präziser sind die Angaben über die Opfer des Polizei- und Justizterrors. Mehr als 2400 Arbeiter wurden verhaftet, 21 von ihnen zum Tode verurteilt und neun standrechtlich hingerichtet. Bei weiteren Polizeiaktionen wurden 1934 allein in Wien nach offiziellen Angaben 7000 Kommunisten und 12 000 Sozialisten verhaftet.

Militärischer Träger der Kämpfe war seitens der Arbeiter der Republikanische Schutzbund. Er stellte bei Ausbruch der Kämpfe eine geschlossene militärische Organisation unter sozialdemokratischer Führung dar, die organisationsfremden Arbeitern, in erster Linie den Kommunisten, die Aufnahme verwehrte. Nur unter größten Anstrengungen gelang es Kommunisten, sich an einzelnen Kampforten die Teilnahme an den Aktionen zu erzwingen; sie spielten dort vielfach eine mobilisierende Rolle.

Dem Schutzbund gehörten auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung etwa 80 000 Mann an, doch ging die Mitgliederzahl Anfang der 30er Jahre erheblich zurück. Die Schutzbündler waren – illegal – hauptsächlich mit Mannlicher-Repetiergewehren M 88/90 und M 95 sowie in geringerem Maße mit Gewehren anderer Typen und mit Pistolen bewaffnet. In den Waffenverstecken lagen auch Maschinengewehre bereit, und im Wiener Arsenal wurden nach den Kämpfen sogar vier Infanteriegeschütze aufgefunden, die aber nicht eingesetzt worden waren. Der Schutzbund besaß ferner eine große Anzahl von Handgranaten, von denen ein erheblicher Teil aus Gußeisen oder Messingguß selbst hergestellt worden war (sogenannte Schmiervasen).

Die Zahl der an den Kämpfen beteiligten Schutzbündler ist nicht genau bekannt, die Angaben schwanken zwischen 10 000 und 20 000 Mann. Die meisten Schutzbündler erhielten infolge des Versagens der Leitung keine Waffen. Die Kräfte der Exekutive bestanden dagegen aus 25 000 Soldaten, 8 000 Gendarmen, rund 10 000 Wiener Polizisten sowie mindestens 15 000 Mann aus den faschistischen Wehrverbänden und verfügten über alle erforderlichen Waffen bis zu schwerer Artillerie. Eine bedrohliche Situation ergab sich für die Regierungstruppen nur, als ihnen am zweiten Kampftag plötzlich die Munition auszugehen drohte. Die faschistische ungarische Regierung half jedoch sofort aus; und da der Eisenbahnerstreik ausgeblieben war, kam die Munition auch ohne Störungen heran.

Die Niederlage der österreichischen Arbeiter im Februar 1934 hatte organisatorische, militärtaktische und politische Ursachen.

In der österreichischen sozialdemokratischen Führung gab es im Wesentlichen zwei Auffassungen über die Rolle des Schutzbundes bei einer bewaffneten Auseinandersetzung. Die eine, die zur offiziellen Doktrin wurde, wollte im Schutzbund eine rein militärische Organisation sehen, der die Arbeiterschaft, wie es in der Resolution der 5. Reichskonferenz des Schutzbundes (1927) heißt, „den Schutz der demokratischen Republik …, den Schutz der Rechte, die die demokratische Republik der Arbeiterklasse gesichert hat, gegen jede Vergewaltigung“ übertragen hatte.5

Diese rein militärische Aufgabenstellung war, wie die Kommunisten rechtzeitig aufzeigten und wie es die Praxis 1934 bewies, in zweierlei Hinsicht falsch und verderblich: Erstens trennte sie den Schutzbund von den Massen und raubte ihm damit die Basis, auf der allein sein Kampf hätte erfolgreich sein können; zweitens erzeugte sie bei den Massen die Vorstellung, dass es nicht auf die Kampfbereitschaft jedes einzelnen Arbeiters ankomme, sondern dass man sich passiv auf die Aktionen des Schutzbundes verlassen müsste.

Im Gegensatz dazu forderte General Theodor Körner6, ein Mitbegründer des Schutzbundes, unter Berufung auf Clausewitz, Marx, Engels und Lenin sowie auf die Erfahrungen der russischen Revolutionen, den Schutzbund als den bewaffneten, vorwärtstreibenden Vortrupp so eng wie möglich mit der politischen und gewerkschaftlichen Bewegung, ja mit den breitesten Massen des Volkes zu verbinden; hierhin sah er die erste und unabdingbare Voraussetzung für einen Sieg. Er empfahl die Zermürbungstaktik, wie sie später in der Widerstandsbewegung und im Antiimperialistischen Partisanenkrieg mit Erfolg angewendet wurde: „Immer wird es sich im Bürgerkrieg im Kampf gegen das Militär oder gegen gut organisierte reaktionäre Gewalten darum handeln, die Truppen zu zermürben: durch moralische Einflüsse, durch Ermüdung, durch Verwirrung, durch Erschöpfung, durch Verhinderung einheitlicher Leitung, Erschwerung der Befehlsgebung, durch Reibung bei der Verpflegung, moralische Ängstigung wegen der Familien u. dgl. Die militärischen Führer müssen den Kopf verlieren, die Truppe muss zersetzt werden.“7 Körner berief sich auch auf Instruktionen der Moskauer Aufständischen von 1905: „Handelt in kleinen Gruppen …, rasch angreifen und ebenso rasch verschwinden …, keine befestigten Stellungen einnehmen.“8

Eine Ausbildung der Schutzbündler nach den Methoden des regulären Militärs lehnte Körner ab, da man ja doch nicht mit der besseren Bewaffnung und der organisierteren Führung der Soldaten konkurrieren könne, was im Schutzbund Minderwertigkeits- und Unterlegenheitsgefühle, bei den Arbeitern aber Angst hervorrufen würde. Er suchte deshalb nach anderen Möglichkeiten: „Auf was es ankommt, ist: alle in der Masse der Arbeiter schlummernden Kräfte aufzuwecken, zusammenzufassen und zu organisieren; alle möglichen Fälle durchzudenken, um Selbständigkeit, Selbsttätigkeit, Selbstbewusstsein und damit Sicherheit im Bürgerkrieg und Kampf zu erzielen.“9

Körner betonte die Notwendigkeit, Sympathien in den bewaffneten Organen des Staates zu gewinnen, um die Streitkräfte der Reaktion wenn schon nicht zu neutralisieren, so doch wenigstens zu unterminieren. Er warf der Schutzbundführung vor, dass der von ihr ausgearbeitete Aktionsplan das „Volk mit allen inneren Kräften nicht in Betracht“ zog. „Aus der Arbeiterschaft sind in den vielen langjährigen Kämpfen gegen die Staatsgewalt immer ganz ungeahnte Kräfte gekommen, die auch bei Putsch und Staatsstreich in erster Linie freigemacht werden müssen … Es ist vollkommen falsch, wenn der Schutzbund sich selbständig macht und so in Erscheinung tritt, als ob von ihm allein der Schutz der Republik und der Arbeiterklasse abhängen würde.“10 Körner verlangte, dass die Arbeiterklasse zur Initiative im Kampf erzogen werde: „Den Schutz der Republik bei wirklichem Putsch oder Staatsstreich von der Wienzeile11 aus zu dirigieren ist vollkommen unmöglich. Umgekehrt, von den untersten Instanzen aufwärts, muss jeder Genosse wissen, worauf es ankommt, denn bei einem ernsten Putsch oder Staatsstreich ist auf das Funktionieren der führenden Genossen nicht zu rechnen.“12 Der Februar 1934 sollte zeigen, wie recht Körner gerade in diesem Punkte gehabt hat.

Die sozialdemokratische Parteiführung lehnte Körners Anschauungen ab. Er trat deshalb Ende Februar 1930 aus der Leitung des Schutzbundes aus. Damit erlosch sein Interesse an dieser Organisation jedoch nicht, denn es sind auch aus späteren Zeiten von ihm Schriftstücke zur Lage im Schutzbund und zu dessen Aufgaben erhalten. Eine Analyse seiner Gedankengänge macht deutlich, dass er – entgegen seiner eigenen Meinung – keineswegs bolschewistische Auffassungen vertrat. Die Unterschiede werden schon im Ausgangspunkt der Überlegungen deutlich, nämlich in der Frage, wann die Arbeiterklasse zur Gewaltanwendung schreiten darf. Körner vertrat die Ansicht, dass die Macht nur legal, auf parlamentarischem Wege erlangt werden dürfe, dass man „selbst partiellen Ungesetzlichkeiten der Regierung … nur mit demokratischen Mitteln entgegentreten“ dürfe und dass man „unbedingt auf dem Boden der Legalität bleiben“ müsse.13 Gewaltanwendung wollte Körner nur in einem einzigen Falle zulassen, wenn nämlich die Sozialdemokratische Partei trotz einer parlamentarischen Mehrheit von der Bourgeoisie an der gesetzlichen Regierungsübernahme gehindert werden würde. Eine solche Auffassung musste jedoch zur untätigen Hinnahme eines faschistischen oder monarchistischen Staatsstreichs vor den Wahlen führen. Seine historisch unhaltbare Behauptung: „Noch niemals in der Geschichte hat das Volk einen wirklichen Sieg über das Militär im Straßenkampf errungen“, führte ihn weiter zur Forderung: „Die passive Verteidigung ist zunächst diejenige Kampfform, die anzuwenden ist.“14 Diese Forderung steht im Widerspruch zu der von den Marxisten aus den Erfahrungen aller Revolutionen und Bürgerkriege gewonnenen Erkenntnis, dass die Defensive der Tod jeder bewaffneten Erhebung ist.15

Im Grunde enthielten Körners Überlegungen trotz vieler richtiger Ansichten zu Einzelfragen eine mit der militärpolitischen Auffassung des Leninismus unvereinbare Unterschätzung der Organisiertheit. Die Bolschewiki hatten sowohl in der Revolution von 1905/07 als auch in der Oktoberrevolution straff organisierte bewaffnete Kräfte geschaffen, die den Kampf der Massen nicht ersetzten, ihm aber die militärische Stütze gaben, wobei die Partei die einheitliche politische Führung sicherte. Die militärische Ausbildung und Bewaffnung des Schutzbundes kann daher nicht als Fehler und als Ursache für die Niederlage der österreichischen Arbeiter in den Februarkämpfen 1934 bezeichnet werden. Eine Ursache für diese Niederlage ist vielmehr darin zu suchen, dass die militärisch geschulten Kräfte losgelöst von der Aktivität der Massen und ohne richtige politische Führung handelten.

Eine weitere wesentliche Ursache lag im Widerspruch zwischen dem revolutionären Willen der Schutzbündler und der klassenbewussten Arbeiter einerseits und der Politik der sozialdemokratischen Führung andererseits. Die von Körner vorgeschlagene Taktik hätte aber zur Voraussetzung gehabt, dass die SP-Führung dem Schutzbund revolutionären Kampfgeist und eine revolutionäre Zielsetzung gegeben hätte – und das stand im direkten Widerspruch zu ihrer ganzen Politik. Körner selbst drückte diesen Gedanken so aus: „Wenn der Politiker dem militärischen Führer nicht ganz genau die zu lösenden Aufgaben stellt, und umgekehrt, wenn der militärische Führer eine militärische Führung nicht ganz genau auf die politischen Notwendigkeiten einstellt, geht es im Krieg schief.“16

In Wirklichkeit hat die SP-Führung die äußerste Aktion des Schutzbundes niemals ernsthaft ins Kalkül gezogen. Sie hat den Schutzbund – abgesehen von seiner Funktion, die Aktivität der radikalsten Arbeiter zu zügeln, Entwicklungen wie am 15. Juli 1927 zu verhindern und die Arbeiterklasse in Sicherheit zu wiegen – immer nur als politisches Druckmittel betrachtet. Aus diesem Grunde waren das Unterdrücken jeder Initiative von unten sowie die Forderung nach sturem Abwarten des Befehls von oben für die SP-Führung unbedingt notwendig, um die vom Austromarxismus praktizierte Kapitulationspolitik des Gewehr-bei-Fuß-Stehens durchzusetzen. Körner aber erkannte nicht, dass seine Forderungen im Rahmen einer von opportunistischen Kräften geführten Organisation nicht erfüllt werden konnten. Er, „der, von der Seite des bewaffneten Kampfes her, die verhängnisvolle Unrichtigkeit der Politik der SPÖ erkannte, hat jedoch ihre Wurzel nicht erkannt (den kleinbürgerlichen Reformismus), und er hat daher auch nicht die politischen Konsequenzen gezogen … Obwohl er auch das Primat der politischen Führung gegenüber der militärischen voll anerkannte, hat er doch nicht die Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, dass die Führung der SPÖ zu einem revolutionären Kampf nicht bereit war. Das war sein Fehler.“17

In militärtaktischer Hinsicht bestand der entscheidende Fehler in der Befolgung des Befehls, sich an den Sammelpunkten zwar zu bewaffnen, von den Waffen aber erst dann Gebrauch zu machen, wenn die Exekutive angreifen sollte. Diese Orientierung überließ die Initiative dem Gegner, und es ergab sich die sonderbare Umkehrung, dass die Sammelpunkte zumeist glänzende Stützpunkte für die Verteidigung abgaben, dass aber offensive Aktionen, nachdem der Gegner erst einmal mit Maschinengewehren oder gar Artillerie vor ihnen Stellung bezogen hatte, nicht mehr möglich waren. Der Exekutive genügten dann sogar kleinere Einheiten, um die in den Häusern verbarrikadierten Schutzbündler in Schach zu halten.

Der Befehl der SP-Führung widersprach eklatant den von Marx und Engels aufgestellten, von Lenin weiterentwickelten und glänzend angewandten Grundsätzen für einen bewaffneten Aufstand. In Engels Artikelserie „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“ heißt es dazu: „Erstens darf man nie mit dem Aufstand spielen, wenn man nicht fest entschlossen ist, alle Konsequenzen des Spiels auf sich zu nehmen … Zweitens hat man einmal den Weg des Aufstands bestritten, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstands; er ist verloren, noch bevor er sich mit dem Feind gemessen hat.“18

Es wird sogar von Vertretern der Regierungspolitik anerkannt, dass die Arbeiter im Februar nicht unbedingt hätten unterliegen müssen, sondern bei richtiger Strategie und Taktik trotz aller ungünstigen Umstände hätten siegen können. Emil Ludwig, der damalige Chef des österreichischen Bundespressedienstes und ein enger Vertrauensmann von Dollfuß, schätzte die Kämpfe in Wien später folgendermaßen ein: „Überblickt man die Situation in Wien selbst nach dem Ausbruch der blutigen Auseinandersetzungen, so muss auch der Laie zu einem Ergebnis kommen: Der erste Bezirk, Sitz der Regierung und aller Verwaltungsmittelpunkte, war noch durch Stunden beinahe ungeschützt. Hätte der Republikanische Schutzbund sofort nach einer Entscheidung zum Kampfe einen ernsten Vorstoß unternommen, so hätte es keinem Zweifel unterliegen können, dass er sich über den ersten Bezirk hinweg in den Besitz von Wien gesetzt hätte. Ob sie mit dem Besitz Wiens oder seiner wichtigsten Punkte die Schlacht für sich entschieden hätten, bleibt eine offene Frage. Aber dieser Anfangserfolg wäre ohne größere Schwierigkeiten zu erzielen gewesen, denn erst in den Mittagsstunden begann man mit der Verbarrikadierung der Zufahrtsstraßen zum ersten Bezirk … Bauer und Deutsch hatten zu Beginn ihrer Operation eine festgeschlossene, geschulte Truppe von 25 000 Mann in der Hand, der Regierung gegenüber zunächst eine bedeutende Übermacht. Sie wurde taktisch nicht ausgenützt, und so wurden nur die städtischen Wohnbauten die vornehmlichsten Kampfobjekte.“19

Die Ursache für diese taktische Einstellung lag in dem Befehl, den Angriff der Exekutive passiv abzuwarten. Dieser Befehl resultierte aus der Grundeinstellung der SP-Führung, mit der Gewalt nur zu drohen, um Verhandlungen zu erreichen. Die Schutzbündler setzten sich jedoch in ihrer proletarischen Kampfentschlossenheit in vielen Orten über diese Defensivideologie hinweg. Ein vom österreichischen Ministerium für Landesverteidigung publizierter Bericht stellt fest: „In den kleineren Städten der Mehrzahl der Bundesländer waren die aufrührerischen Handlungen des Schutzbundes fast, durchweg offensiver Natur und äußerten sich vorwiegend in der gewaltsamen Besetzung bundesstaatlicher Ämter, Überrumpelung und Entwaffnung von Gendarmerieposten und Heimwehrunterkünften, in Überfällen gegen einzelne Personen der Sicherheitsexekutive oder der Wehrverbände, in der Unterbrechung von Verkehrslinien und ähnlichen Anschlägen.“20

Ein weiterer entscheidender Grund für die Niederlage war das Fehlen einer einheitlichen Kampfleitung, die die vereinzelten Kampferfolge zu einer Generaloffensive hätte zusammenfassen können. Es gelang den Aufständischen nirgends, größere geschlossene Verbände zum Angriff zu führen. Im Bericht des Verteidigungsministeriums heißt es: „Zu einem offensiven Auftreten größerer Massen bewaffneter Revolutionäre auf Plätzen oder im offenen Gelände kam es nicht. Es handelte sich zumeist um Vorstöße von Schutzbündlern in der Stärke von Abteilungen von 50 bis 300 Männern.“21

Gerade auf dem Funktionieren der zentralen Kampfleitung aber waren der Aktionsplan des Schutzbundes und die gesamte militärische Ausbildung der Schutzbündler aufgebaut worden. Straffe Disziplin ist in einer militärischen Organisation unabdingbar. Hier war sie aber einseitig als Unterordnung unter eine falsche, reformistische und in Wirklichkeit nicht kampfgewillte Führung ausgeprägt worden; es fehlte jede Erziehung zum selbständigen Handeln, die ein notwendiges Korrelat zur Disziplin ist.

Eng verbunden mit dieser falsch verstandenen Disziplin war eine legalistische Einstellung, auf Grund derer die Schutzbündler – vor allem in Wien – selbst die notwendigsten Diversionsakte unterließen, weil sie nicht irgendwelches „Volkseigentum“ gefährden oder gar vernichten wollten. Fast nirgends wurden Zufahrtswege, Brücken, Unter- und Überführungen gesprengt, Autos requiriert oder Persönlichkeiten des Gegners festgenommen. Die kämpfenden Schutzbündler verzichteten sogar darauf, sich auf „ungesetzliche Weise“ Lebensmittel zu verschaffen, und ließen lieber vor Erschöpfung die Waffen sinken. Das richtige Bemühen, sich gegen anarchistische Plünderer abzugrenzen, wie es in Koloman Wallischs Befehl „Wer auf eigene Faust plündert, wird als Schädling unseres heiligen Kampfes betrachtet und rücksichtlos von uns selber erschossen!“22 zum Ausdruck kam, schlug hier in einen Verzicht auf jegliche Requisitionen um und schwächte damit den Kampf.

Ein schwerwiegender Fehler bestand darin, dass die Kenntnis der Waffenverstecke auf relativ wenige Schutzbundfunktionäre beschränkt war, von denen viele bereits vor dem 12. Februar in die Hände der Polizei gefallen waren; manche ließen sich sogar ganz gern verhaften. Die Ursache auch für diese Maßregel, die dazu führte, dass eine große Anzahl von Schutzbündlern keine Waffen bekam, war wiederum die Angst der sozialdemokratischen Führer vor einer eventuellen spontanen Aktion.

Die Schutzbundführung hatte zudem nicht genügend Vorsorge für die Ernennung von Ersatzkommandeuren getroffen, die an die Stelle von Verhafteten oder Überläufern hätten treten können. Dieser Umstand führte zum Ausfall so wichtiger Schutzbundorganisationen, wie Brigittenau, Kreis West oder Niederösterreich. Dabei hätten der Zusammenschluss der Floridsdorfer mit den Brigittenauer Schutzbündlern und die Unterstützung der Organisation von Simmering und Favoriten durch den Schutzbund von Wiener Neustadt die militärische Situation vor allem im Raum der Hauptstadt mit einem Schlag zugunsten der Arbeiter geändert.

Der Hauptgrund für die Niederlage allerdings bestand im Ausbleiben des Generalstreiks zur Unterstützung der bewaffneten Kämpfe. Die Schuld dafür versuchen sozialdemokratische Parteiführer und Historiker seither auf die Massen abzuwälzen. Es war aber die von der SP-Führung seit den ersten Tagen der ersten Republik betriebene Kapitulationspolitik, die die Kampfmoral breiter Schichten der Arbeiterklasse so minderte, dass diese Massen im Februar 1934 nicht mehr in Aktion traten: „Wir haben die Gelegenheit verpasst. Aus dem Bewusstsein der Verantwortung für jedes Menschenleben, aus Menschlichkeit haben wir nicht sofort zu den Waffen gegriffen … Der Rückzug der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften hat unzweifelhaft eine gewisse Demoralisierung herbeigeführt“, müssen schließlich nach 40 Jahren selbst österreichische Sozialisten eingestehen.23

Die SP-Führung hatte immer auf den großen Tag vertröstet, an dem sie den Generalstreik sozusagen durch Knopfdruck auslösen würde, und dabei darauf verzichtet, diesen Streik durch Teilkämpfe vorzubereiten, für ihn rechtzeitig Agitation zu treiben und auch die rückständigsten Schichten dafür zu gewinnen. So brachen die Februarkämpfe, die von den Linzer Schutzbündlern in bewusster Auflehnung gegen die Kapitulationspolitik der SP-Führung begonnen wurden, zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt aus. Selbst nach dem Ausbruch der Kämpfe hätten erste militärische Erfolge den Generalstreik noch auslösen können, doch solche Erfolge gab es eben nicht, wofür die Ursache wiederum in der falschen politischen und militärischen Führung durch die SP zu suchen ist.

Neben der österreichischen SP-Führung gehört auch die gesamte II. Internationale zu den Schuldigen an der Niederlage der Februarkämpfe. Die Austrofaschisten wurden vom italienischen und ungarischen Faschismus unterstützt; die sozialistischen Parteien im „demokratischen Westen“ hingegen rührten keinen Finger für den Kampf der österreichischen Arbeiter. „Wir warteten damals in Wien darauf, dass uns die ‚Rote Wehr‘ der deutschen Sozialdemokratie der Tschechoslowakei zu Hilfe kommen würde, wir warteten auf die Hilfe der demokratischen Westmächte. Alles war vergeblich!“24

Die Februarkämpfe gingen verloren, weil die österreichische Arbeiterklasse gespalten war. Jahrzehntelang hatte die SP den Arbeitern eingeredet, in ihren Reihen sei die Einheit der Arbeiterklasse verwirklicht, sie sei der Garant des demokratischen Weges zum Sozialismus, weshalb eine Einheitsfront, wie sie von den Kommunisten vorgeschlagen wurde, nicht notwendig wäre. In der Stunde der großen Prüfung erwies sich diese „Einheit“ jedoch als Hülle ohne Inhalt; und es wurden die großen Gegensätze sichtbar, die in der Partei bestanden: der Gegensatz zwischen der Führung und den Massen, zwischen den Rechten, die für die Klassenzusammenarbeit mit der Bourgeoisie auf Kosten der Werktätigen eintraten, und den klassenbewußten Sozialisten, die allerdings durch ihre Illusionen von einer Einheit mit den Rechten zunächst noch an einer tatkräftigen Politik gehindert wurden.

Die Februarkämpfe zeigten den Arbeitern Österreichs auch, dass die vielverleumdeten Kommunisten gar nicht die Spalter der Arbeiterbewegung waren, sondern dass sie an der Seite ihrer sozialdemokratischen Klassengenossen kämpften. Viele sozialdemokratische Arbeiter erkannten, wie berechtigt die Warnungen der KPÖ vor einem Vormarsch der Reaktion und wie richtig die von ihr vorgeschlagenen Kampfmaßnahmen waren. Im Februar 1934 und danach bewährten sich die Kommunisten als Einiger der Arbeiterbewegung, als Initiatoren gemeinsamer Aktionen, Organisatoren der illegalen Gewerkschaften und Träger der proletarischen Solidarität. Ihre Losung „Man muss zusammenarbeiten“ entsprach den Wünschen aller aufrechten Arbeiter. So haben die Februarereignisse erneut die entscheidende Bedeutung der marxistisch-leninistischen Partei bewiesen.

Die schwere und tiefe Erschütterung, die in der österreichischen Arbeiterklasse nach der Niederlage im Kampf gegen den Faschismus eintrat, machte vielen Tausenden Arbeiterfunktionären der SP deutlich, dass der austromarxistische Weg nicht zum Sieg führte. Ein Großteil von ihnen fand sofort den Weg zur Kommunistischen Partei, die so in der Illegalität zu einer Massenpartei wurde. Andere, die diese Konsequenz scheuten, bildeten die Organisation der Revolutionären Sozialisten, die sich vom Reformismus lossagte und sich, wenn auch mit Schwankungen, zur kämpferischen Einheitsfront mit den Kommunisten bekannte. Selbst Otto Bauer, der geistige Führer des Austromarxismus, trennte sich von verschiedenen Illusionen und gelangte zu der Feststellung, „dass der Weg zu einer vollkommenen, nicht mehr vom Kapital beherrschten, nicht mehr durch die Klassenkämpfe gefährdeten Demokratie durch die Diktatur des Proletariats hindurchführt“25. Er bekannte sich damit schließlich auch zur Einheit der Arbeiterklasse, wobei er sich allerdings der Illusion hingab, diese Einigung im Rahmen der organisatorischen Einheit mit den Reformisten verwirklichen zu können.

Die Kommunistische Internationale verfolgte die Februarkämpfe mit tatkräftiger Sympathie und leitete aus ihnen wichtige Schlussfolgerungen für die Strategie und Taktik der kommunistischen Weltbewegung ab. Einige führende Kommunisten vertraten zunächst die Ansicht, die Februarkämpfe wären ein bewaffneter Aufstand gewesen und hätten die Eroberung der politischen Macht zum Ziel gehabt. In langen Diskussionen wurde jedoch die Erkenntnis gewonnen, dass diese Kämpfe eine antifaschistische Aktion zur Verteidigung der Demokratie gewesen sind. Georgi Dimitroff half mit seinem „Brief an die österreichischen Arbeiter“, die richtige Einschätzung der Februarkämpfe zu finden: „Der bewaffnete Widerstand des österreichischen Proletariats gegen den Faschismus schlug nicht in einen wirklichen bewaffneten Aufstand um … Euer bewaffneter Kampf war dem Wesen nach ein Kampf um die Wiederherstellung der von Dollfuß gebrochenen Verfassung.“26

Die KPÖ zog daraus die Schlussfolgerung, dass in der durch die faschistische Diktatur geschaffenen Situation die wichtigste unmittelbare Aufgabe darin bestand, die demokratischen Rechte zurückzuerobern und die nationale Unabhängigkeit Österreichs gegen den deutschen Faschismus zu verteidigen. Auf ihrem XII. Parteitag stellte sich die KPÖ im September 1934 die Aufgabe, eine breite antifaschistische Bewegung für diese Ziele zu organisieren.

Der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, der im Sommer 1935 die neue Strategie der kommunistischen Weltbewegung für den Kampf gegen Faschismus und Kriegsgefahr entwickelte, stützte sich dabei auch auf die Erfahrungen, die von den einzelnen nationalen Abteilungen der internationalen Abteilungen der internationalen Arbeiterklasse in ihrem revolutionären Kampf gesammelt worden waren. Er analysierte allseitig die bewaffneten Februarkämpfe der österreichischen Arbeiter, die bewaffneten Kämpfe der spanischen Arbeiter (1934) und den Kampf der französischen Kommunisten für die proletarische Einheitsfront und für die Volksfront. Aus diesen Aktionen und den dabei gesammelten Erfahrungen leitete er wichtige Schlußfolgerungen ab, die die Politik der Arbeiterklasse während der Folgezeit bestimmten. Der VII. Weltkongress forderte die Arbeiter aller Länder auf, sich im Kampf gegen die faschistische Aggression, für Frieden, Demokratie und Sozialismus in einer Einheitsfront zusammenzuschließen und sich mit allen progressiven Kräften in einer antifaschistischen Volksfront zu verbünden. Johann Koplenig, der Generalsekretär der KPÖ, betonte dazu: „Der Kampf der Werktätigen Österreichs ist in erster Linie ein Kampf um ihre Freiheit. Dieser Kampf ist gleichzeitig ein Kampf um den vom Faschismus bedrohten Frieden. Wer bedroht den Frieden in Österreich am stärksten? Der Hitler-Faschismus, der nach Österreich greift.“27

Der VII. Weltkongress lenkte die Aufmerksamkeit der Kommunisten Österreichs und der anderen Länder auf die Notwendigkeit, die nationale Frage ihres Landes gründlicher als bisher zu studieren. Die KPÖ war die erste österreichische Partei, die auf Grund einer exakten marxistisch-leninistischen Analyse die eigenständige nationale Existenz des österreichischen Volkes anerkannte und damit dem Kampf für die Unabhängigkeit Österreichs, gegen alle Anschläge des deutschen Imperialismus neue Impulse gab.

In der II. Internationale lösten die Februarkämpfe der österreichischen Arbeiter eine starke Differenzierung aus. Emile Vandervelde, Karl Kautsky und andere rechte Kräfte sahen im Scheitern der Februarkämpfe eine Bestätigung ihrer Ansicht, dass das Proletariat bewaffnete Kämpfe nicht mehr gewinnen könne. Die linken Kräfte leiteten aus den Februarkämpfen dagegen die Schlussfolgerung ab, dass im Kampf gegen den Faschismus die Einheitsfront des Proletariats und die Anwendung aller Mittel notwendig seien.

Sie akzeptierten deshalb auch die von den Kommunisten vorgeschlagene Zusammenarbeit, so dass es um die Mitte der 30er Jahre in vielen Ländern zum Abschluss von Einheitsfrontabkommen zwischen Kommunisten und Sozialisten kam. Dieser Zusammenschluss der antifaschistischen Kräfte fand seinen Höhepunkt in den Widerstandsbewegungen gegen den Hitlerfaschismus während des zweiten Weltkrieges und wirkt bis in die heutige Zeit nach.

Als erste Lehre vermittelten die Februarkämpfe von 1934 in Österreich erneut die Erkenntnis von der Notwendigkeit der marxistisch-leninistischen Partei. Die Führung der Arbeiterklasse durch eine solche Partei ist die Voraussetzung für alle Erfolge sowohl im Tageskampf als auch im Kampf um die Macht.

Die zweite, nicht minder wichtige Lehre bestand darin, dass die kämpferische Einheit und Geschlossenheit der Arbeiterklasse die notwendige Voraussetzung für den Erfolg bildet. Diese Einheit entsteht nicht im Selbstlauf, sie muss vielmehr in beharrlichem Kampf errungen und täglich neu gefestigt werden. Es geht hierbei nicht um eine formale Einheit in einer reformistischen Organisation, sondern um die faktische Aktionseinheit in Betrieb und Werkstatt, in Stadt und Land zwischen den Arbeitern ohne Unterschied der Parteirichtung. Die Kommunistische Partei hat sich stets für diese Aktionseinheit der Arbeiterklasse eingesetzt.

Eine dritte Lehre betraf die Notwendigkeit eines Bündnisses der Arbeiterklasse mit allen werktätigen Schichten des Volkes, wie es sich in Österreich dann 1938 in der antinationalsozialistischen Front herauszubilden begann. Die Februarkämpfe von 1934 bestätigten, dass ohne das feste Bündnis der Arbeiterklasse mit den Bauern, den Handwerkern und den Mittelschichten der Städte die Verteidigung der Lebensinteressen der Werktätigen gegen die Herrschaft und Politik der Monopole ebenso unmöglich ist wie die Eroberung und Erhaltung der Macht.

Als vierte Lehre machten die Februarkämpfe schließlich erneut die Notwendigkeit deutlich, sich die Erfahrungen des internationalen Klassenkampfes anzueignen, wie sie in der Geschichte der Arbeiterbewegung und in der wissenschaftlichen Theorie des Marxismus-Leninismus zusammengefasst sind. Jede kommunistische Partei steht vor der Aufgabe, die revolutionären Traditionen ihres Landes mit den Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung zu verknüpfen, die Lehren des Marxismus-Leninismus schöpferisch auf die Verhältnisse in ihrem eigenen Land anzuwenden und sie durch eigene Leistungen zu bereichern. In diesem Sinne sind auch die Lehren der heldenhaften Februarkämpfe des österreichischen Proletariats zu einem Bestandteil der großen, unbesiegbaren Lehre des Marxismus-Leninismus geworden.

Anmerkungen

1 Siehe dazu A. Reisberg, Februar 1934. Hintergründe und Folgen, Wien 1974.

2 Siehe dazu derselbe, die Februarkämpfe 1934 in Frankreich und Österreich, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 1964, H. 2, S. 231 ff.

3 Zit. Nach: Österreich – Brandherd Europas, Zürich 1934, S. 90 f.

4 Die kommunistische „Rote Fahne“ war von der Dollfußregierung bereits 1933 verboten worden.

5 Verhandlungsbericht der Fünften Reichskonferenz des Republikanischen Schutzbundes, in: Der Schutzbund, 1927, Novemberheft.

6 Siehe dazu E.C. Kollman, Theodor Körner. Militär und Politik, München 1973; sowie meine Rezension in: Militärgeschichte, 1974, H. 3, S. 360 ff.

7 Zit. Nach: J. Duczynska, Theodor Körner und der 12. Februar, in: Österreich 1927 bis 1938, München 1973, S. 112; siehe dazu Kollman, S. 205.

8 Listovki moskovskich bol’sevikov v period pervoj russkoj revoljucii, Moskau 1955, S. 358.

9 Zit. Nach: Duczynska, S. 113.

10 Zit. Nach: Kollman, S. 213.

11 Damaliger Sitz des SP-Vorstands in Wien.

12 Zit. Nach: Kollman, S. 213 f.

13 Zit. Nach: N. Leser, Zwischen Reformismus und Boschewismus, Wien 1968, S. 487.

14 Ebenda.

15 W. I. Lenin, Werke, Bd. 26, S. 167.

16 Zit. Nach: Duczynska, S. 116.

17 F. Fürnberg, … und worin Körner irrte, in: Weg und Ziel, 1973, H. 2, S. 66.

18 K. Marx/F. Engels, Werke, Bd. 8, S.95.

19 E. Ludwig, Österreichs Sendung im Donauraum, Wien 1954, S. 121.

20 Erfahrungen anläßlich der Assistenzleistungen zur Unterdrückung der Aufstände im Jahre 1934, Wien 1935, S. 19.

21 Ebenda.

22 Zit. Nach: P. Wallisch, Ein Held stirbt, Karlsbad 1935, S. 234.

23 K. Czernetz, Vierzig Jahre seit dem Februar 1934, in: Die Zukunft, 1974, H. ¾, S. 11. – Die hier so entschuldigend angeführte „Menschlichkeit“ hat die Zahl der Opfer im Endeffekt vervielfacht.

24 Ebenda.

25 O. Bauer, Zwischen zwei Weltkriegen?, Bratislava 1936, S. 322.

26 G. Dimitroff, Brief an die österreichischen Arbeiter, Moskau-Leningrad 1934, S. 6, 16.

27 VII. Kongress der KI. Gekürztes stenographisches Protokoll, Moskau 1939, S. 336.