Wir biegen um die Ecke und spazieren eine kleine Kastanienallee entlang. Mein Gang ist heute federnd, denn unterwegs werden wir aufregende Entwicklungen besprechen und Entscheidungen treffen.
»Dann hältst du es also für eine gute Idee? Das wäre eine Verkaufsausstellung mit fünfundvierzig Gemälden, vierundvierzig Zeichnungen und einer Lithografie«, sage ich zu Jan Veth.
Er streicht sich über den Bart, während er über seine Antwort nachdenkt. »Aber wo?«
»Ich werde drei Räume im ersten Stock des Café Riche in der Passage mieten.«
»In Den Haag?«
Ich nicke. »Ich habe es mir angesehen. Es gibt dort viel Platz und Licht, um die Bilder gut zu zeigen.« Es kribbelt in meinem Bauch. »Glaubst du, ich habe genug Zeit, das alles auf die Beine zu stellen?«
Seine Miene drückt Zweifel aus, aber dann sagt er: »Ich weiß, dass man dich nicht unterschätzen darf.«
Ich lache über seine Ehrlichkeit. An manchen Tagen glaube ich, dass er meine Unabhängigkeit und Unerschrockenheit fürchtet. An anderen Tagen sieht er, wie sehr ich mit dem langsamen Vorankommen zu kämpfen habe, mit immer wieder auftretenden Rückschlägen und Zurückweisungen. Wir gehen einige Schritte schweigend, doch mein Kopf schwirrt von der gigantischen Aufgabe, die vor mir liegt. »Ich kann gar nicht fassen, dass das wirklich passiert«, sage ich lachend. »Eine Retrospektive im großen Stil.«
»Und du meinst, 16 . Mai bis 6 . Juni wäre ein guter Zeitraum?«
»Ja«, antworte ich. Beim Gehen putzt er wieder mal seine Brille. Inzwischen weiß ich, dass er das immer tut, wenn er Zeit zum Nachdenken braucht. Er hält sie gegen das Licht und wischt dann noch einmal mit dem Taschentuch nach. »Der dänische Künstler Johan Rohde sagte bereits, er würde bis zu zweihundertsiebzig Gulden für Weizenfeld nach einem Sturm bezahlen. Und so viele Leute haben mir versichert, dass sie einen Nachmittag vorbeikommen wollen.«
Jan lächelt. »Ausgezeichnete Neuigkeiten, Jo. Du hast so hart dafür gearbeitet. Theo und Vincent wären stolz auf dich.«
Unauffällig versuche ich, mir in den Nasenrücken zu kneifen, um die Tränen aufzuhalten. Was gäbe ich dafür, um die nächste Ecke zu biegen und Theo vor der Pension warten zu sehen. Meine Tage sind zum Bersten gefüllt: Haushalt, mein Sohn, Pläne für Vincents Werk. Alles daran begeistert mich, doch gleichzeitig vermisse ich meinen Mann bei den guten Dingen noch mehr.
Jan und ich gehen schweigend weiter. Der Frühling ist gekommen: Hoffnung und Aufblühen nach dem langen Winter. Rosafarbene Dolden schmücken die Zweige der Kastanienbäume. Einige der Blüten treiben im Wind. Lächelnd beobachte ich ihre Reise.
»Ich habe heute Morgen übrigens Blumen und einen erfreulichen Brief von Isaac Israëls erhalten.« Jan sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. »Er schrieb, dass nicht alles gemalt werden kann, dass es eine schmale Grenze gebe, die leicht überschritten wird.«
»Wie was zum Beispiel?«
»Sein Beispiel war die Sonne, doch er meinte, wenn mein Schwager Dinge oder Menschen im Bereich des Möglichen wählte, dann seien seine Arbeiten bemerkenswert geworden.«
Jan nickt. »Andere erkennen langsam, was Theo und du, was ihr schon lange wusstet.«
»Israëls hat Vincent sogar mit Wagner verglichen. Und er will meinen Sohn malen. Er hat uns in sein Atelier eingeladen.«
»Bei dem musst du aufpassen«, warnt mich Jan, aber ich wische seine Worte mit der Hand beiseite.
Clara hat dasselbe gesagt, doch ich mag die Freundschaft mit Isaac. Er schreibt oft und scheint ein einsamer Mensch zu sein, der seine Mahlzeiten in Cafés einnimmt. Ich glaube, wir wurden möglicherweise beide verlassen.
»Das ist ein erster Schritt«, sagt Jan.
Einen Augenblick lang frage ich mich, ob er meine Korrespondenz mit Isaac meint, und das bringt mich zum Lachen, was meinen Freund überrascht.
»Darin, Vincents Arbeiten einem Publikum zu zeigen und Anerkennung zu bekommen?«
Jan nickt und betrachtet mich aufmerksam. »Und wie fühlst du dich dabei, Jo?«
»Voller Angst, mit einer Prise Hochgefühl. Es gibt noch so viel zu erreichen.«
Mai 1892
Heute kamen Verkade und Serrurier zu Besuch. Ich liebe es, wieder französische Maler bei mir zu Hause zu empfangen. Französisch zu sprechen und Nachrichten aus Paris zu hören weckt das Heimweh nach einem Ort und einer Zeit, die es so nicht mehr gibt. Ihre Wertschätzung und Begeisterungsrufe beim Betrachten von Vincents Bildern machten mich ebenfalls sehr glücklich.
Ich kann gar nicht fassen, dass mir tatsächlich nach und nach gelingt, was ich mir vorgenommen habe. Aber langsam macht das Thema die Runde. Der Ruf meines Schwagers reicht bis über den Ozean.
So viele reisen an, um diese Ausstellung zu besuchen.
Morgen ist die Eröffnung. Eine echte Ausstellung von Vincents Werken in Den Haag.
So viel Anerkennung für van Goghs Fähigkeiten und Talent. Jene, die ihn einst ausgelacht und verspottet haben, verstecken sich bereits in den hintersten Winkeln. Ich glaube nicht, dass sie es wagen würden, ihre Meinung jetzt noch laut zu äußern.
Oh, wie sich die Zeiten ändern.
Heute habe ich zehn Gemälde an Buffa in Amsterdam geschickt, gestern zwanzig zu Oldenzeel in Rotterdam, bald wird es eine weitere Ausstellung im Pulchri geben und dann die bisher größte im Kunstzaal Panorama diesen Dezember. Ich halte mich an meinen Plan, und er geht tatsächlich auf. Immer wieder verleihe ich Schlüsselwerke und biete dazu andere Bilder zum Verkauf an.
Eines Tages wird mein Sohn dieses Skizzenbuch lesen und sich eine Meinung über das Leben seiner Mutter bilden. Er wird meine Gedanken erfahren, meine Schwächen, die Hindernisse, die Verzweiflung und auch meine Entschlossenheit.
Was kann man seinem Kind Besseres beibringen, als niemals aufzugeben.