Die Angst fing an, lange bevor du etwas gemerkt hast. Zumindest lange bevor du begonnen hast, mich darüber zu befragen, was die betrunkene Louise angestellt hatte. Bevor dein Verhalten mir gegenüber sich verändert hat.

Wir hatten acht zunehmend glückliche Monate gehabt. Dina war ein wenig in den Hintergrund getreten. Deine Arbeit lief gut, genau wie meine. Ich hatte es endlich geschafft, Mitglied der Mother Pluckers zu werden, nachdem zwei Frauen aus dem Ensemble mich zum Vorspiel vorgeschlagen hatten. Einige der anderen waren mir gegenüber zwar höllisch herablassend, weil ich keine Mutter war, aber alles in allem war es eine freundliche und talentierte Truppe, mit der ich gern meine Zeit verbrachte.

Dann kam dein und Dinas Hochzeitstag. Was auch der Abend war, an dem wir erfuhren, dass Dina jetzt mit ihrem neuen Freund verlobt war.

Ich hatte zugesehen, wie du am Tag zuvor in Schwermut versunken bist, absorbiert von dem wieder aufflackernden Groll darüber, wie schnell Dina dich verlassen hatte. Ich hatte mittlerweile begriffen, dass dir das, was andere Menschen von dir dachten, wichtiger war, als du vorgegeben hast. Das war der wahre Grund für die elegante Kleidung und das schicke Auto. Für die Art, wie du gern die Vorzüge eines tränentreibend teuren Weins hervorgehoben hast.

Aber es hat eine Weile gedauert, bis ich den Finger darauf legen konnte. Vermutlich war ich so damit beschäftigt, meine eigenen Unsicherheiten zu verbergen, dass ich blind für deine war. Vielleicht hatte ich schon mitbekommen, wie du vor deinen feineren

Aber so richtig kapiert habe ich es erst, als du einmal die falsche Kreditkarte mit zum Essen genommen hattest und hinterher nicht bezahlen konntest. Ich hatte dich vorher noch nie beschämt gesehen, und ich hätte nie gedacht, dass du in ähnlich brodelnder Selbstzerfleischung versinken konntest wie ich. Meine lebhafte Beteuerung, dass ich entzückt sei, endlich einmal für mich selbst bezahlen zu können, half nicht im Geringsten, dich aus deiner Stimmung herauszureißen.

Ich fing an, die Geschehnisse mit Dina neu zu deuten, und erkannte, dass es ein massiver Schlag gegen dein Selbstwertgefühl gewesen war. Ich versuchte mich damit zu beruhigen, dass du inzwischen nichts mehr für sie empfinden würdest. Aber das konnte mich nicht wirklich davon überzeugen, dass ich auf der sicheren Seite war, und als ich am Morgen eures Hochzeitstages aufwachte, schwebte die schlimmste aller Depressionen über mir.

Dein trübsinniges Schweigen den ganzen Tag über machte es nicht besser. Du hast mir nicht von der Verlobung erzählt. Du hast an dem Tag überhaupt kaum einen vollständigen Satz rausgebracht.

April merkte sofort, dass irgendwas nicht stimmte, als wir am Nachmittag telefonierten, und obwohl ich mich von dem Ganzen zutiefst gedemütigt fühlte, erzählte ich ihr, was los war.

Sie reagierte mit einem frustrierten Seufzer. »Er muss sie loslassen und erkennen, dass sie reine Platzverschwendung ist.« Und weil sie April war, schloss sie nahtlos an: »Lass uns ausgehen. Du und ich. Soll er sitzen, sich in seinem Elend suhlen und dich vermissen, wir amüsieren uns. Vergessen das Ganze.«

Es klang wie ein perfekter Plan. Anstatt rumzuhängen und die gestresste Freundin zu spielen, würde ich mich aufbrezeln und einen

Du warst ganz froh darüber, dass ich ausgehen wollte. Zusammengesunken am Küchentisch hockend brachtest du ein kleines Lächeln zustande, als ich dich zum Abschied küsste.

»Ich sehe die betrunkene Louise dann später«, hast du gesagt. Erinnerst du dich daran? Du fandst es immer noch süß, dieses Betrunkenes-Ich-nüchternes-Ich-Ding.

Ich warf dir ein Grinsen zu, nach dem mir eigentlich nicht zumute war. »Du solltest lieber Wasser und Nutella bereithalten.«

Der Abend begann okay. April war wie üblich urkomisch, und dadurch fühlte sich alles besser an. Aber dann zeigte sie mir die Ankündigung von Dinas Verlobung auf Facebook und fragte mich, was ich davon hielt.

Es war ein ekelhaft perfektes Bild, wahrscheinlich fast zu Tode gefiltert. Dina schmiegte sich an ihren attraktiven, adretten, neuen Mann, die linke Hand auf seine Brust gelegt, um den offen gestanden lächerlichen Diamanten an ihrem Ringfinger zu präsentieren.

»Guck dir den Hintergrund an«, sagte April. »Das ist Florenz. Sie sind seit fast einer Woche zurück. Sie hat es sich extra für heute aufgespart.«

»O mein Gott.« Aus irgendeinem Grund war mir noch übler als an meinem Geburtstag. Es fühlte sich so berechnend an. Der Beleg für ein unendliches langes Spiel, das ich meiner festen Überzeugung nach nur verlieren konnte.

In diesem Moment wusste ich, dass ich mich betrinken würde. Ich wollte so betrunken werden, dass ich mich an nichts mehr erinnerte und nichts mehr fühlte. Von da an würde die betrunkene Louise den Abend übernehmen.

Es muss ziemlich spät gewesen sein, als ich plötzlich schlagartig wieder in mein Ich zurückgerissen wurde. Vermutlich hatte ich eine Trinkpause eingelegt und war so weit ausgenüchtert, dass ich wieder an die Oberfläche tauchte.

Ich brauchte einen Moment, um zurückzuweichen. Und ein paar weitere Sekunden, um ihn wegzustoßen, als er mir folgte, anstatt mich loszulassen.

»Hey«, hörte ich ihn über die Musik hinweg sagen. »Was soll das, verdammt noch mal?«

Und dann kreischte ich ihn an und schlug um mich, auf seine Oberarme und seine Brust. Ich schrie, dass er weggehen solle. Dass er mich loslassen solle. Das tat er schließlich auch mit einem wütenden Schubser, der mich rückwärts taumeln ließ.

Ich dachte kurz daran, ihm wehzutun. Ich hatte die verrückte, spontane Idee, ich könnte ein Glas auf seinem Kopf zerschlagen. Aber sie floss im Bruchteil einer Sekunde durch mich hindurch und ließ mich zitternd zurück.

Ich hatte keine Ahnung, wohin ich ging. Es war schieres Glück, dass ich April über den Weg gelaufen bin, die mit ein paar Typen in der Schlange vor der Bar plauderte. Ich hatte solche Angst, dass sie ungehalten sein würde, weil ich nach Hause wollte, doch stattdessen reagierte sie besorgt. Sie sammelte meine Handtasche und meinen Mantel ein und stieg mit mir in ein Taxi. Sie wartete die halbe Fahrt geduldig, ohne etwas zu sagen, bis ich mich wieder so weit gefasst hatte, dass ich ihr erzählen konnte, was passiert war.

»Ich muss ihn irgendwie dazu eingeladen haben«, erklärte ich ihr, und Tränen quollen aus meinen Augen. »Ich muss es provoziert haben.«

»Ich glaube nicht, dass du davon ausgehen kannst«, sagte April sanft. »Es gibt eine Menge Arschlöcher da draußen. Und selbst wenn … die Schuld kann man dir sicher trotzdem nicht dafür geben.« Sie legte eine Hand auf meinen Arm und rieb ihn sanft.

»Aber ich komme mir vor … wie eine miese Betrügerin.«

»Tut mir leid, ich bin einfach eine Idiotin.«

»Du bist bloß jemand, der eine schwere Zeit durchgemacht hat«, widersprach sie. »Hier ist nur Platz für eine Idiotin, und das werde ich sein.«

Danach fühlte ich mich ein wenig besser, verfiel jedoch sofort wieder in quälende Schuldgefühle, als ich das Haus betrat und dich halb schlafend auf dem Sofa antraf.

»Hey, Lou-Lou«, hast du gesagt, dich aufgerichtet, meine Hand genommen und mich schlaftrunken neben dich auf das Sofa gezogen. Ich zitterte mittlerweile heftig von dem Alkoholentzug und meinem schlechten Gewissen. »Komm her.«

In deinen Armen kam ich mir noch viel dümmer vor, das aufs Spiel gesetzt zu haben. Uns. Alles.

Aber du warst derjenige, der sich entschuldigt hat.

»Es tut mir leid, dass ich so ein Idiot war«, hast du in mein Haar gemurmelt. »Es ist wirklich ehrlich nicht so, dass ich Dina vermisse. Es ist … ich komme mir nur so dumm vor, dass ich sie je für einen guten Menschen gehalten habe. Gerade heute hat sie bekannt gegeben, dass sie sich verlobt hat. Heute. Und sie weiß, was für ein verdammter Tag heute ist. Da bin ich mir sicher. Es ist alles dazu gedacht, mich zu verletzen, und ich … ich komme mir einfach vor wie ein Volltrottel, weil ich auf sie reingefallen bin.« Du hast geseufzt, und ich liebte das Gefühl, wie sich deine Brust unter mir bewegte. Es hatte etwas Weiches und Allumfassendes. »Und schon gar nicht hätte ich grantig auf dich werden dürfen. Du bist so anders als sie. So wundervoll. Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch«, sagte ich. Ich erzählte dir nicht, dass die Tränen, die auf dein Hemd tropften, nichts mit Dina und alles mit einem Mann in einem Club zu tun hatten.