Ich muss mich bei dir entschuldigen, Niall. In ein paar Punkten war ich nicht ganz ehrlich zu dir. Obwohl man nicht sagen könnte, dass ich dich aktiv belogen habe. Eher habe ich es unterlassen, dir wichtige Details zu erzählen.
Ich weiß nicht einmal, warum es mir nicht egal ist, was du über mich denkst. Trotzdem fällt es mir aus irgendeinem Grund schwer, dir verschiedene Dinge zu gestehen. Vielleicht, weil es mir schwerfällt, sie mir selbst einzugestehen. Daran könnte es liegen. Jedenfalls wird mir allmählich klar, dass es mir nur dann besser gehen wird, wenn ich mich mal so richtig auskotze, damit endlich die nackte Wahrheit ans Licht kommt. Aber wahrscheinlich würde ich damit bloß unsere makellosen Scheißteppiche versauen.
Deshalb zu meiner ersten Unwahrheit. Sie steht schon lange zwischen uns, und bestimmt wirst du dich sehr über sie ärgern.
Du warst nicht der erste Mann, den ich auf Hannahs Hochzeit geküsst habe. Und nicht nur das. Fast wäre ich mit jemand anderem nach Hause gegangen.
Ich habe dir erzählt, dass Aprils italienischer Freund mit mir geflirtet hat. Ich erinnere mich an nichts von dem, was er zu mir gesagt hat. Oder wie er ausgesehen hat. Nur, dass er groß und attraktiv war und sich gar nicht wie ein Italiener angehört hat.
Und ich könnte auch nicht sagen, wie es dazu gekommen ist. Eben noch hatte ich mich mit der Braut unterhalten, und im nächsten Moment stand ich draußen im Flur, mit dem Rücken an der Wand und mit der Zunge dieses gutaussehenden Manns im Mund und seiner Hand um meine Taille.
So etwas hatte ich bis dahin nie getan. Ich habe dir schon früher erzählt, wie schwer es mir fiel, Aufmerksamkeit zu erregen. Vor allem für Alphamänner war ich einfach Luft. Deshalb war das sehr ungewöhnlich für mich. Wundervoll. Ich war mehr als willig, als er mich in ein leeres Bad zog und die Tür von innen verriegelte.
Eine erfahrenere, weniger gehemmte Frau wäre möglicherweise weiter gegangen. Vielleicht gibt es eine Parallelwelt, in der ich diese Person bin und in der du und ich nie zusammengekommen wären, weil ich plötzlich gemerkt hätte, dass ich mehr auf zudringliche Italiener stehe. Vielleicht wäre das eine spiegelverkehrte Realität, in der die betrunkene Louise mein wahres Ich ist und die nüchterne Louise ein schniefendes Häufchen Elend, das nur zum Vorschein kommt, wenn ich noch nicht genügend getrunken habe.
Aber so war es nicht. Als er mich gegen das Waschbecken drückte und mein Kleid hochzuziehen begann, hatte die nüchterne Louise ihr Comeback. Plötzlich fand ich, dass das alles viel zu schnell und zu weit ging und dass ich das mit einem Mann, den ich nicht kannte, nicht tun sollte, und schon gar nicht mit einem, der die Sache so komplett unter Kontrolle hatte.
Meine Geilheit schlug in Panik um. Ich versuchte, mich von ihm loszureißen. Er wollte wissen, was los sei, und dann fing jemand an, gegen die Tür zu donnern. Sie müssen uns wohl reingehen gesehen haben.
Wir lösten uns voneinander und brachten schnell unsere Kleider in Ordnung. Als mein Beinahe-Lover schließlich die Tür öffnete, tat er so, als wäre mir übel geworden. Als hätte er sich um mich kümmern müssen. Der mittelalte Mann im Flur machte nicht den Eindruck, als nähme er ihm das ab. Allerdings war ich fast froh, dass er da war. Es hieß, dass ich mich rasch vor dem heißen Italiener verdrücken konnte, ohne ihn ansehen zu müssen. Es hieß, dass ich so tun konnte, als hätte ich keine Angst gehabt.
Als ich danach im Freien zu euch beiden stieß, zu dir und April, kam ich nicht von einer harmlosen Unterhaltung mit Hannah. Ich hatte noch den Geschmack dieses Mannes auf meiner Zunge und war halb erleichtert, halb enttäuscht, dass ich ihm entkommen war.
Siehst du jetzt uns und unsere Beziehung in einem anderen Licht, Niall? Fragst du dich jetzt rückblickend, wie du so blind sein konntest?
Das hoffe ich sehr, Schatz, denn inzwischen will ich nichts anderes mehr, als dir wehzutun.