Es wird Zeit, dass du alles liest. Alles, was ich dir geschrieben habe. Alles, was ich bis zu der Nacht aufgeschrieben habe, in der ich fast gestorben wäre. Das alles steht hier.

In den letzten paar Tagen gab es nicht mehr viel hinzuzufügen. Außer dass ich keine Angst mehr habe.

Das heißt nicht, dass ich mir Illusionen mache. Ich weiß, dass die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Totschlags gegen mich erheben wird, und ich weiß, dass ich möglicherweise verurteilt werde. In der Vergangenheit sind viele Frauen ins Gefängnis gekommen, weil sie aus Notwehr getötet haben. Die statistischen Daten sind geradezu Besorgnis erregend.

Ich weiß nicht, wie viel Patrick dir über das anstehende Gerichtsverfahren erzählt hat. Jedenfalls meint er, dass dabei mein Entschluss, das Messer mitzunehmen, eine wichtige Rolle spielen wird, weil es auf Vorsatz hindeutet. Er hofft jedoch, dass die Geschworenen verstehen werden, dass ich nicht ahnen konnte, meinem Angreifer zu begegnen, und das Messer aus reiner Vorsicht eingesteckt hatte.

Das andere Plus, natürlich nur unter rein juristischen Gesichtspunkten, ist das Trauma, das ich erlitten habe. Er meint, ich soll ganz offen und aufrichtig über alles sprechen, wenn es so weit ist. Nichts, was irgendjemand gegen mich vorbringen könnte, wird etwas daran ändern, welche Angst ich hatte. Patrick findet, ich darf ruhig verletzlich wirken, wenn dieser Punkt im Prozess zur Sprache kommt. Das ist etwas, womit ich mich im Moment ständig konfrontiert sehe, und das ist ein sehr ungewohntes Gefühl für mich.

April hat es geschafft, sogar in Abwesenheit unsere Kronzeugin zu sein. Ihre Aussage war in sich vollkommen schlüssig. Anscheinend wird vorerst kein Verfahren gegen sie eingeleitet. Insofern habe ich also Glück, weil so der Wert ihrer Aussage nicht geschmälert wird. Die National Crime Agency stellt zwar Ermittlungen über sie an, aber Patrick meint, es ist ihr erstaunlich gut gelungen unterzutauchen. Das ist vermutlich einer der Vorteile, dass sie alles von so langer Hand geplant hat. Seltsamerweise bin ich ihr sehr dankbar, dass sie das alles aufs Spiel gesetzt hat, um einen letzten Abend mit mir zu verbringen. Inzwischen steht für mich außer Frage, dass es eine Art Abschied war.

Du findest es bestimmt seltsam, dass mir ihr Verlust so nahe geht. Immerhin hat sie mir in vielem nicht die Wahrheit gesagt, und sie war schuld daran, dass du mit Dina in diese dumme Geschichte hineingeraten bist. Ich weiß, dass sie dich mehr oder weniger erpresst hat, acht Jahre lang als Drogenkurier für sie zu arbeiten. Mir ist auch klar, dass niemand sie dazu gezwungen hat, das alles zu tun, und dass sie dank dir, Dina und allen anderen, die in diese dubiosen Geschäfte verwickelt waren, unglaublich viel Geld gemacht hat. Und ich weiß auch, dass ihr alle, aus unterschiedlichen Gründen, immer noch stinksauer auf sie seid.

Trotzdem fehlt sie mir, Niall. Für mich steht völlig außer Zweifel, dass ihr in den letzten fünf Jahren mehr an mir gelegen hat als irgendjemandem sonst, dich eingeschlossen. Ich bedaure, dass ich alles, was jetzt auf mich zukommt, ohne sie durchstehen muss. Ebenso bedaure ich, dass ich nicht miterleben werde, wie sie vor Gericht erscheint und für mich eintritt. Ich bin sicher, sie hätte alles getan, um dem Staatsanwalt das Leben schwer zu machen. Aber deswegen mache ich mir keine Sorgen. Ich weiß, dass ich sie nicht mehr brauche, um mir den Rücken zu stärken, so gern ich es auch hätte.

Ich habe von der National Crime Agency ein paar Dinge mehr

Man könnte also durchaus sagen, dass April eigentlich nicht mich geliebt hat, sondern ihre kleine Schwester Dee. Alles, was sie für mich empfunden hat, könnte ein Nachhall davon gewesen sein. Das halte ich für gut möglich. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass April mich besser verstanden hat als jeder andere. So gut, wie ich hoffe, dass du mich verstehen wirst.

Und da ist noch etwas, was ich dir über April erzählen muss. Ich habe einen Brief von ihr bekommen. Ich weiß, dass er von ihr ist, auch wenn sie nicht unterschrieben hat. Sie hat mich darin »Schatz« genannt und sich entschuldigt, dass sie Charlie Ruskin so falsch eingeschätzt hat.

Außerdem hatte sie einen Schlüssel auf die Karte geklebt. Für eine Selfstorage-Lagerbox. Die Adresse steht auf dem Schlüsselanhänger. Sie hat sie eingekreist und darunter geschrieben: »Nicht vor deinem nächsten Geburtstag öffnen«.

Ich glaube schon zu wissen, was ich in diesem Depot finden werde. Ich glaube, es enthält die Aussicht auf ein schönes, sorgenfreies Leben und die Möglichkeit, deine Schulden zu tilgen, wenn ich das möchte. Allerdings bin ich nicht sicher, ob wir das annehmen sollen. Ob ich nicht darauf verzichten und alles, was mit April zu tun hat, weit hinter mir lassen sollte.

Mit Sicherheit muss ich die Finger davon lassen, solange diese Angelegenheit nicht vor Gericht geklärt ist, und selbst dann könnte

Aber genug zu April. Hier soll es schließlich um uns gehen.

Was für seltsame Folgen das alles hatte. Deine Angst um mich. Dein Respekt vor dem, was ich getan habe. Und dein plötzlicher Hass auf Dina, weil sie dich verraten hat, als es eng wurde. Ich glaube, dich sagen zu hören, dass sie ein manipulatives Miststück ist, war so ziemlich das Schönste, was ich dich jemals sagen gehört habe. Mir ist sehr wohl bewusst, dass das nur ein schwacher Triumph ist, aber das schmälert meine Freude nicht im Geringsten.

Da war noch diese andere Sache, die du gesagt hast. Deine Befürchtungen, ich könnte mit einem Kind überfordert sein. Wie sehr du mich doch unterschätzt hast. Ich habe nämlich eine viel größere Herausforderung bewältigt und bin gestärkt daraus hervorgegangen. Du hast gesagt, du hättest dieses Potenzial in mir schon früher erkennen müssen, aber zu deiner Rechtfertigung, Niall, muss ich gestehen, dass ich es nicht einmal selbst in mir gesehen habe. Es ist uns beiden verborgen geblieben.

Das Eigenartigste daran ist vielleicht, dass wir plötzlich wieder an eine gemeinsame Zukunft glauben. Und sie vor allem auch wollen. Natürlich ist das alles mit einem großen Fragezeichen versehen. Es gibt eine Menge unangenehme Dinge, die wir beide vorher noch klären müssen. Zwei potenzielle Gerichtsverfahren und Haftstrafen, obwohl Patrick sagt, dass Daniella Tod und Teufel in Bewegung setzen wird, um einen Deal für dich herauszuschinden.

Wir beide haben vieles, das wir aufarbeiten und erklären, für das wir uns entschuldigen und über das wir uns ärgern müssen. Oder uns auch nur … verzeihen. Aber mein Gefühl sagt mir, dass wir wieder etwas erschaffen können, diesmal auf einer soliden Basis. Dass wir, wenn wir nur hart genug dafür kämpfen, vielleicht, aber

Und ich möchte dir auch sagen, dass ich mich schon freue auf diesen Kampf.