Kapitel 9
Ich kam gerade im Heavenly’s
an und wollte sofort in den Pausenraum gehen, da lenkte mich etwas auf der rechten Seite des Clubs ab. In der hintersten Ecke stand ein Mann, den ich hier noch nie gesehen hatte. Er war sehr groß, besaß selbst am Hals Tattoos und machte sich an der Innentasche seiner Lederjacke zu schaffen. Mir kam das sehr komisch vor, also stellte ich mich so hin, dass ich ihn weiter beobachten, er mich aber wiederum nicht gleich sehen konnte. Mit geschickten und offenbar geübten Handgriffen zückte er eine kleine Tüte heraus und zeigte sie seinem Gegenüber, der daraufhin nickte und ein ganzes Bündel Geldscheine hervorholte. Schließlich verabschiedeten sich die beiden voneinander. Mich beschlich ein mulmiges Gefühl. In letzter Zeit hatte ich schon öfter solche komischen Typen hier bemerkt, die scheinbar Drogen unter die Menschen brachten. Wusste James das etwa? Ich hatte ihn, ehrlich gesagt, schon ewig nicht mehr gesehen, und wenn, dann nur im Vorbeigehen. Nach der Attacke auf mich war er mir aus dem Weg gegangen und ich verstand wieso. Ich hatte einen fatalen Fehler gemacht und es tat mir leid – doch das konnte ich ihm nicht sagen.
Seit diesem verdammten Tag, an dem James Torres mich so angefasst hatte, glaubte ich, mehr davon zu brauchen. Wusste, mehr davon zu wollen. Seine Berührung, so klein sie auch gewesen sein mochte, hatte mich fast umgehauen. Das war absolutes Neuland für mich. Vielleicht hatte er nicht so gefühlt wie ich und nun machte ich mir selbst etwas vor. Oder hatte ich mir das alles sogar eingebildet? Ich war so verdammt unsicher!
Die Lippen aufeinanderpressend ging ich zum Pausenraum, um meine Sachen abzustellen. Vor James Büro hielt ich kurz inne und dachte sehnsüchtig an ihn. An alles, was er mir nicht geben konnte, ich aber wollte.
Ein lautes Stöhnen riss mich aus meinen Gedanken und mein Mund klappte auf. Es kam eindeutig aus dem Raum vor mir. Nun würde mein Herz also schon zum zweiten Mal in Einzelteile zerbrechen.
»Oh ja, James! Besorg es mir richtig! Jaaaa, genau da …« Das Stöhnen ging weiter und ich versuchte, nichts dabei zu empfinden. Leider scheiterte ich kläglich. Einerseits war ich wütend, andererseits neidisch. Ich wollte auch einmal das fühlen, was sie so aufschreien ließ. Auf dem Absatz machte ich kehrt, ballte die Hände zu Fäusten, ging zu den Waschräumen und spritzte mir kaltes Wasser in mein erhitztes Gesicht. Nun hatte ich also meine Antwort: James wollte mich nicht. Ein kleiner Moment hatte alles zunichtegemacht und meine Hoffnungen zerschmettert. Ich seufzte, ließ die Schultern hängen und blickte mich im Spiegel an. Zum Glück saß mein Make-up noch. Wenigstens auf das konnte man sich verlassen.
Es brachte nichts, etwas hinterherzutrauern, das ich eh nie besessen hätte. Die Arbeit rief.
Zurück auf dem Flur kam Charlie gerade aus James Büro. Sie sah gut aus, wie immer. Ihre Haare waren leicht verwuschelt und sie wirkte ein wenig verschwitzt, was ihrer Schönheit jedoch nichts anhaben konnte. Im Gegensatz zu ihr gehörte ich eindeutig zur Kategorie ‚Standard‘.
Als sie mich bemerkte, zog sie ihre perfekt gezupften Augenbrauen hoch und schaute mich von oben herab an.
»Oh, was machst du
denn hier? Und dann auch noch so ein nuttiges Outfit? Zum Glück weiß ja schon die ganze Stadt, was du für eine Schlampe bist, daher kannst du es jetzt auch endlich zeigen, oder?« Sie lachte spöttisch auf. »Wie sagt man so schön: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.«
Ihre folgenden Worte waren schließlich nur noch ein drohendes Zischen: »Du bist schuld daran, dass ich nicht bekommen habe, was ich wollte. Und das werde ich dich jetzt spüren lassen. Warte nur ab.«
Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Was war nur mit ihr los? Und was, verdammt nochmal, hatte sie denn bitte nicht bekommen? Die Typen fanden sie umwerfend, sie kam aus einer reichen Familie und hübscher als ich war sie auch noch. Keine Ahnung, was für ein Problem sie hatte. Dass ich nichts erwiderte, machte sie offenbar wütend. Sie holte Luft, zeigte mit dem Finger auf mich und schien, mir wieder etwas an den Kopf werfen zu wollen.
Und dann kam James aus seinem Büro heraus.
Sein Hemd war zerknittert. Kratzspuren zierten seinen Hals. Langsam spürte ich Wut in mir aufkeimen. Ich mochte ihn und was tat er? Meine ehemals beste Freundin ficken, die mir Schreckliches angetan hatte und mir noch Schrecklicheres antun wollte. Als er mich erblickte, trat ein komischer Ausdruck in sein Gesicht. Seine Augen wurden leer und er wirkte … reumütig. Verdammt. Ich hasste diese widersprüchlichen Signale.
»Komm mal runter, Charlie! Hast du nicht bekommen, was du wolltest? Miss Moore, gehen Sie an die Arbeit. Ich bezahle Sie nicht fürs Herumstehen!«, fuhr er mich auf einmal an. Gerade dachte ich, er wollte sich für mich einsetzen, doch stattdessen machte er mich dumm an? Was für ein Drecksack! Ein verlogenes, manipulatives Arschloch. Mir platzte der Kragen und ich drehte mich zu Charlie um:
»Genau Charlie, ist es nicht das, was du immer wolltest? So richtig hart von James gefickt werden? Damit lagst du mir doch immer in den Ohren. Sei froh, dass er dich jetzt doch mal rangelassen hat.« Ich zwinkerte ihr zu, drehte mich um und verschwand in Richtung Club. Keine Ahnung, wo ich den Mut hergenommen hatte, aber die beiden kotzten mich an! Leise hörte ich noch ihre in der Ferne verblassenden Stimmen, zum Glück jedoch nicht, was sie sagten. Ich war schon verletzt genug.
Einmal mehr wünschte ich mir, dass ich ihn hassen könnte. Doch so, wie es jetzt schmerzte, wusste ich, dass ich mein Herz schon verloren hatte.