Stella und mir war ein Stein vom Herzen gefallen, als James den Kampf gewonnen hatte. Die ganze Zeit über hatte er mich nicht angesehen und ich konnte nicht beschreiben, was das in mir auslöste. Obwohl ich nun mit Sicherheit wusste, dass etwas zwischen uns nicht stimmte, war ich froh, dass ihm nichts Schlimmes passiert war. Was hatte ich falsch gemacht?
Jason wurde von zwei sehr breiten Männern aus dem Ring gezogen, die seinen Puls prüften.
Stella sagte kein Wort. Sie blickte ängstlich zu dem leblos erscheinenden Körper.
Aiden war nicht aufgetaucht, was mich doch sehr wunderte. Eigentlich hatte er James immer begleitet, soweit mir berichtet wurde. Ein paar Minuten später kam James in frischer Kleidung aus dem hinteren Teil der Anlage zurück. Seine Nase war schief und er blutete immer noch. Dann traf mich der Schlag.
Charlie stolzierte hinter ihm herum. Sie lächelte ihn die ganze Zeit an. Hatte rote Striemen am Hals. Was sollte das denn? Was hatte das alles zu bedeuten? Nachdem sie einige Wort gewechselt hatten, begab sie sich zu ihrem Bruder, der noch immer am Rand lag. So gemein es sich auch anhörte, aber er hatte es verdient.
Ekelhafter Dreckskerl.
Schließlich näherte sich James uns. Nein, Stella. Er zog sie in seine Arme und drückte sie fest an sich. Erst danach blickte er mich das erste Mal an und meinte schroff:
»Was machst du hier, Kaycee? Kannst du nicht respektieren, wenn ich sage, dass ich dich bei den Kämpfen nicht dabeihaben will?«
Geschockt und sprachlos weitete ich die Augen. Was war los mit ihm?
Stella beugte sich vor, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Vielleicht nahm sie mich in Schutz. Als die beiden in Richtung Ausgang gingen, lief ich ihnen einfach hinterher. James ignorierte mich und Stella sah mich über ihre Schulter hinweg entschuldigend an.
Okay … in diesem Moment verstand ich rein gar nichts mehr. Wir erreichten das Auto und James setzte sich hinter das Lenkrad.
»Du willst doch jetzt sicher nicht mit deiner gebrochenen Nase Auto fahren?«, meinte Stella zu ihm. Und ich musste ihr recht geben. Er hatte wahrscheinlich auch eine Gehirnerschütterung, so wie er aussah.
»Dann fahr du doch«, erwiderte er bissig. »Du weißt genau, dass ich kein Auto fahre, James. Lass Kaycee fahren. Ihren Wagen holen wir dann morgen ab. Bei dem muss man schließlich keine Angst haben, dass er sofort aufgebrochen wird.«
Ich kam mir vor wie in einem schlechten Film. Sie redeten über mich, als wäre ich gar nicht anwesend. James schäumte regelrecht und kochte vor Wut, war so aggressiv, wie ich es noch nie bei ihm erlebt hatte.
»Ich denke, das ist keine gute Idee«, sagte James daraufhin. Gerade fiel mir wieder ein, dass ich nicht einmal wusste, wo James überhaupt wohnte. Wir hatten nie darüber gesprochen und ich realisierte abermals, wie dumm ich eigentlich war.
Auch in mir brodelte nun der Zorn. Ich spürte, wie meine Emotionen mich übermannten, und platzte förmlich.
»Bist du eigentlich vollkommen bescheuert, oder was? Merkst du nicht, wie du mich behandelst? Und übrigens, ich stehe genau hier neben dir, du Arschloch! Sieh zu, dass du dich auf die Beifahrerseite begibst. Keine Ahnung, was mit dir zurzeit los ist.«
Eigentlich hatte ich mich besser unter Kontrolle, aber das musste gesagt werden.
James sah mir in die Augen und sein Blick wurde plötzlich sofort weicher. Er stieg aus und ging um das Auto herum, um auf der Beifahrerseite Platz zu nehmen.
»Was soll das, Stella?«, fragte ich leise, während James um das Auto schlurfte. »Was ist nur los mit ihm? Er wirkt so verändert und das innerhalb von den paar Tagen?! Und jetzt behandelt er mich auch noch wie ein Stück Scheiße?«
Traurig sah mich Stella an.
»Du hast recht. Ich denke, ihm macht das alles sehr zu schaffen. Ich weiß auch nicht, was los ist. Ich gebe dir die Adresse, wo wir hinmüssen. Danach kannst du mich nach Hause bringen und wir reden, okay?«, flüsterte sie mir zu.
Ich nickte dankbar.
Stella ging nach hinten, um sich auf die Rückbank zu setzen.
James stieg ein, saß einfach nur stumm neben mir und starrte ausdruckslos in die Ferne. Stella gab mir von hinten Anweisungen, wo ich langfahren musste. Fast hatten wir Phoenix verlassen, als Stella plötzlich sagte, dass ich hier halten sollte. Es war ein Haus, das zwar unscheinbar, aber dennoch teuer wirkte. Beige Fassade, ein schicker Vorgarten voller Rosenbüsche und eine große Veranda aus dunklem Holz. Das Viertel wirkte nobel und gepflegt. Hier wohnte er also.
Stella und ich stiegen aus.
James rührte sich nicht, schien wohl eingeschlafen zu sein. Ich öffnete ihm die Beifahrertür und wurde mit einem durchdringenden Blick gestraft. Ihm schien etwas auf der Zunge zu liegen.
»Egal, was du jetzt sagen willst, lass es. Mach es nicht noch schlimmer. Komm jetzt«, sagte ich und streckte ihm die Hand hin, um ihm zu helfen.
Er schlug sie beiseite. Wie ein kleines, trotziges Kind.
Ich konnte nur den Kopf über ihn schütteln.
Stella klingelte an der Tür, die uns von einer Art Krankenschwester geöffnet wurde. Irritiert runzelte ich die Stirn. Die Dame kam auf uns zu und stützte James, dem sichtlich schwindelig war.
Auch die Stärksten hatten also Momente der Schwäche. Wir betraten das sehr schick eingerichtete Haus und ich hörte Schritte von oben. Der Flur war groß, hell gestrichen und dunkle Fliesen zierten den Boden. Bei jedem Lichtstrahl funkelten die Glitzerpigmente in ihnen. Es roch nach frischen Rosen.
Eine zierliche Frau mittleren Alters kam von oben die Treppe hinunter und zog ihren Morgenmantel enger um sich. Als sie James sah, wurden ihre Augen glasig und ihre Schritte beschleunigten sich.
»James, mein Liebling, was ist mit dir passiert?« Das war also seine Mum. Ihre Verwandtschaft lag auf der Hand. Sie war eine schöne Frau, hatte stechend blaue Augen und dunkles Haar, was ihr bis zu den Schultern reichte. In ihrem Gesicht stand fürchterliche Angst geschrieben.
»Alles okay, mach dir keine Sogen. Jason hatte ein bisschen zu viel Koks intus. Ich muss mich nur hinlegen und etwas schlafen.«
»Mr. Torres!«, sagte die Frau im Krankenschwesternoutfit bestimmt. »Wir sehen uns zuerst Ihre Nase an. Setzen Sie sich dort auf den Sessel.«
Seine Mutter rang sichtlich um Fassung.
Ich nahm all meinen Mut zusammen und ging auf sie zu. »Machen Sie sich keine Sorgen, er wird wieder. Er ist stark.«
Sie musterte mich und es war, als würde ihr ein Licht aufgehen. Erst jetzt nahm sie mich richtig wahr.
»Sie müssen Kaycee sein, oder? Erzählen Sie mir bitte alles, was passiert ist. Kommen Sie mit.«
Sie führte mich auf die andere Seite des Hauses in einen großen, gemütlichen Wintergarten voll von Möbeln aus Rattan.
»Setzen Sie sich zu mir«, sagte sie und klopfte auf den Stuhl neben sich.
Ich erzählte ihr, was vorgefallen war, ließ aber die unschönen Details aus, weil ich wusste, dass sie psychische Probleme hatte. Sie war ein sehr sympathischer Mensch und bot mir an, dass ich, nachdem ich Stella nach Hause gebracht hatte, hier schlafen könne. Dann würden wir noch einmal in Ruhe miteinander reden. Ich stimmte ihr zu und wir gingen ins Wohnzimmer zurück.
James lag auf der Couch, reagierte überhaupt nicht und atmete gleichmäßig. Stella sprach daher bedacht leise.
»Wo warst du, Kaycee? Marie hat James gerade ein Schlafmittel injiziert, damit er endlich einmal wieder zur Ruhe kommt. Wollen wir gleich los?«
Er hatte Schlafprobleme? Immer wenn wir die Nacht zusammen verbracht hatten, war das nicht der Fall gewesen. Komisch. Ich nickte Stella zu und drehte mich zu James’ Mutter um.
»Ich bin in spätestens einer Stunde wieder hier, in Ordnung?« Sie nickte und lächelte leicht.
»Fahr vorsichtig, meine Liebe. Und nimm den Schlüssel mit, damit sich Marie schlafen legen kann. Ich warte hier auf dich.«
Damit machten Stella und ich uns auf den Weg zum Wagen. Sie musste dringend nach Hause, weil Minas Babysitter spätestens um sechs Uhr morgens losmusste.