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»Es ist acht Uhr dreißig. Hoch Sandra schickt uns weiterhin Heißluft aus Afrika übers ganze Land. Und wer kann, sollte heute ins Freibad gehen. Wir erwarten wieder um die sechsunddreißig Grad. Und noch ein kleiner Hinweis für unsere Hörer: Ventilatoren sind zwischen Lörrach und Freiburg restlos ausverkauft. Unser Reporter Heinz Lohmann wird in zehn Minuten darüber berichten. Bleiben Sie bitte dran.«
Katharina öffnete mühsam die Augen, als die gut gelaunte Stimme der Moderatorin aus ihrem Radiowecker ertönte. So viel Frohsinn am frühen Morgen war sie noch nicht gewachsen. Schlaftrunken schaltete sie das Radio aus. Katharina wankte in die Küche und setzte Kaffee auf. Hasi bekam frische Karotten. Nach einer ausgiebigen Dusche und zwei Tassen Kaffee machte sie sich auf den Weg in die Redaktion. Ihre Arbeitsmoral ließ heute definitiv zu wünschen übrig. Sie wäre viel lieber ins Freibad gegangen. Obwohl – wenn sie an die kreischenden Kleinkinder nebst ihren Müttern dachte, war ihr Büro vielleicht doch die bessere Alternative. Immerhin war die Redaktion kinderfreie Zone, wenn man von Dominik absah.
Bambi saß bereits an seinem Schreibtisch. Er blickte kurz auf, als sie an seinem Büro vorbeikam, und nickte ihr zu. Auch er war morgens kein Freund großer Worte.
Katharina stellte ihren PC an und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Anschließend sah sie aus wie ein schlecht gelaunter Waschbär. Sie hatte vergessen, dass sie sich am Morgen kräftig die Wimpern getuscht hatte.
Mit schwarzen Mascara-Ringen hackte sie lustlos auf ihrer Tastatur herum. Meine Güte, lief das heute zäh mit der Schreiberei. Wenn sie in dem Tempo weitermachte, würde sie bis tief in die Nacht hinein noch hier sitzen. Das Thema, das ihr Redaktionsleiter Gutmann aufgedrückt hatte, riss sie nicht gerade vom Hocker. Es ging um die Parkplatzsituation in Freiburg. Seitdem die Touristeninvasion über Freiburg hereingebrochen war, fanden Autofahrer keinen Platz mehr für ihre Fahrzeuge. Die Parkhäuser waren hoffnungslos überfüllt, obwohl die Gebühren unverschämt hoch waren. Beim Kampf um die wenigen Parkplätze war es bereits zu äußerst unschönen Szenen unter Autofahrern gekommen. Selbst blutige Nasen hatte es schon gegeben. Ob es wohl nur an der andauernden Hitze lag, dass die Leute immer aggressiver wurden? Katharina hatte keine Ahnung. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, sich wegen eines Parkplatzes zu prügeln.
Sie war aufrichtig dankbar, dass ihr Haus über eine Tiefgarage verfügte, wo sie ihren roten Flitzer abstellen konnte. Und ansonsten hatte sie das unverschämte Glück, dass sie sowohl ihren Arbeitsplatz als auch ihre Stammkneipen bequem zu Fuß erreichen konnte. Mit einem Fahrrad als Fortbewegungsmittel konnte sie sich immer noch nicht so recht anfreunden. Auf den Radwegen der Innenstadt ging es lebhafter zu als auf einem orientalischen Markt. Zudem waren Freiburgs Radler dafür berüchtigt, sich ohne Rücksicht auf Verluste den Weg zu bahnen. Dagegen waren Motorradrocker vorbildliche Verkehrsteilnehmer.
Katharina wandte sich schweren Herzens wieder ihrem Artikel zu.
»Und deswegen empfiehlt die Stadtverwaltung eindringlich, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.« Mit diesem Satz beendete sie zwei Stunden später den Artikel, bevor sie den Computer herunterfuhr. Den Pulitzerpreis würde sie für dieses Meisterwerk sicher nicht einheimsen. Doch heute würde sie auf jeden Fall früher Feierabend machen, komme, was wolle.
***
Matthäus streckte sich entspannt auf Katharinas orangefarbenem Sofa aus, das diverse Rotwein- und Schokoladenflecken aufwies. Für Katharinas Geschmack räkelte sich der kleine Teufelsbraten in letzter Zeit etwas zu oft auf ihren Sitzmöbeln. Doch bei Magdalena Schulze-Kerkeling stand an diesem Abend eine Geistheilung auf dem Programm. Dabei konnte sie ihren Sohn nun wirklich nicht gebrauchen. Katharina hatte nur so viel verstanden, dass ihre Nachbarin heilsame spirituelle Energien durch ihren Prana-Kanal fließen lassen wollte. Was immer das auch war, sie wollte es gar nicht so genau wissen. Wenigstens hatte Magdalena versprochen, ihren Sohn so schnell wie möglich wieder abzuholen.
»Deine schmutzigen Kaffeetassen stehen immer noch auf der Fensterbank«, stellte Katharinas Besucher treffend fest. Er hatte vorübergehend seine Liegestätte verlassen, um die Küche nach etwas Essbarem abzusuchen.
»Du kannst sie ja waschen, wenn’s dir nicht passt«, schnappte Katharina zurück.
»Kinderarbeit ist verboten«, konterte Matthäus und zog sich aufs Sofa zurück – nicht ohne die Chipstüte, die er auf ihrem Küchentisch entdeckt hatte. Harmonischer hätte der gemeinsame Abend nicht verlaufen können.
Katharina setzte sich in ihren Rattansessel, Matthäus schnappte sich die Fernbedienung. Im Vorabendprogramm lief wie üblich nichts Gescheites. Doch Magdalenas Sohn hatte einen Narren an Werbespots gefressen. Katharina ließ den Dingen ihren Lauf. Hauptsache, sie hatte ihre Ruhe. Die währte exakt fünf Minuten.
»Ist Granufink ein Vogel?«, wollte Matthäus wissen. Katharina zog es vor, ihm keine Antwort zu geben. Für Mittel gegen nächtlichen Harndrang bei Männern war der Sohn ihrer Nachbarin einfach zu jung.
Dieser ging völlig in der bunten Welt der Werbung auf. »Haribo macht Kinder froh, und Erwachsene ebenso«, sang Matthäus lautstark mit. Katharina betrachtete ihn amüsiert. Matthäus drohte trotz seiner Erziehung ein Opfer des Konsumterrors zu werden. Gut, ihr Problem war das nicht. Sie blätterte gelangweilt in der Programmzeitschrift.
»Muss sich Hasi eigentlich sein Futter selbst verdienen?«, erkundigte sich Matthäus keine zwei Minuten später bei Katharina. Er war völlig hingerissen von einem Werbespot, in dem es um Vitaminpillen für Nagetiere ging. Ein schwarz-weißes Langohr kaute genussvoll auf bunten Kügelchen herum, um sein Immunsystem zu schützen.
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Katharina.
»Das ist doch eindeutig Hasi, der da mit den Meerschweinchen zusammen auftritt.«
»Blödsinn. Der sieht nur so aus. Hasis Futter bezahle ich, der muss nicht dafür arbeiten.«
Matthäus gab immer noch keine Ruhe. »Aber der Hase im Fernsehen sieht genauso aus wie deiner.«
Katharina kapitulierte. Gegen dieses Kind kam sie einfach nicht an. »Ist ja gut. Wenn Hasen das gleiche Fell haben, sehen sie sich schon ähnlich. Da kann man sie schon mal verwechseln«, gab sie zu. »Vielleicht sind Hasi und der Fernsehhase miteinander verwandt. Cousins ersten Grades oder so.«
Katharina wollte nach der Chipstüte greifen, doch Matthäus schnappte sie ihr weg.
»Jetzt gib doch mal die Tüte her«, maulte sie. Und stutzte. Was hatte Matthäus eben gesagt? Das gleiche Fell? Ähnlich sehen? Das traf auch auf Kleidung und Haare zu. Wie war das noch mal? Die Gästeführerinnen der Firma waren durch die Bank blond. Alle trugen ein pinkfarbenes Kostüm. Und als der Mord passierte, war es dunkel. Konnte es etwa sein, dass hier eine Verwechslung vorlag? Schließlich hätte Lisa an jenem Abend den russischen Musikern den Alten Friedhof zeigen sollen.
Katharina traf die Erkenntnis wie ein Blitz. Sollte es der unbekannte Mörder etwa auf ihre neue Bekannte und gar nicht auf Yvonne abgesehen haben?
Sie sprang wie von der Tarantel gestochen aus ihrem Rattansessel. »Ich gehe ins Arbeitszimmer. Ich muss telefonieren. Mach so lange keinen Unfug«, rief sie ihrem Gast zu.
Matthäus schaute ungerührt durch seine großen Brillengläser auf den Fernsehschirm. »Solange du die Chipstüte und die Fernbedienung dalässt, hab ich damit kein Problem. Und überhaupt. Ohne meinen alltours sag ich nichts.«
Katharina konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Matthäus schien für Werbung wirklich äußerst anfällig zu sein.
»Kannst du gleich bei mir vorbeikommen? Es ist dringend. Ich muss dir etwas Wichtiges erzählen.« Katharina hatte Hauptkommissar Weber noch im Büro erreicht.
Seine Begeisterung hielt sich spürbar in Grenzen. »Aber nur, wenn’s wirklich wichtig ist. Eigentlich wollte ich mich nachher mit meinen Kumpel zum Joggen treffen.«
»Dafür ist’s eh zu heiß. Viel zu gefährlich für Männer in deinem Alter. Denk an dein Herz. Ich stell dir auch ein Bier kalt. Aber ich glaube, ich habe eine Idee, was den Mordfall auf dem Alten Friedhof betrifft.« Bevor Jürgen Weber protestieren konnte, legte Katharina auf.
Sie setzte sich wieder zu Matthäus. Der zog sich zwischenzeitlich eine Vorabendserie rein, in der ein dicker Polizist mit bayerischem Akzent mit seiner Sekretärin, einer gewissen Frau Stockl, stritt.
Eine halbe Stunde später klingelte es an Katharinas Haustür. Sie öffnete.
»Ich hab dir schon hundertmal gesagt, dass du deine Sprechanlage benutzen und nicht einfach aufmachen sollst«, schimpfte Weber, bevor er die Wohnung betrat. Im Gang blieb er stehen. »Muss ich bei dir eigentlich die Schuhe ausziehen?«
»Natürlich nicht. Auch wenn das sonst in der Wiehre so üblich ist«, beruhigte ihn Katharina. »Jetzt komm erst mal rein und mach’s dir auf dem Balkon gemütlich. Ich hol dir gleich ein Bier.«
Weber schaute Katharina fragend an, als er den Jungen auf ihrem Sofa entdeckte. »Wen haben wir denn da?« Er war erstaunt. Katharina war nicht gerade bekannt für ihre Kinderliebe.
Matthäus sagte nichts. Er musterte neugierig Katharinas Besucher, der ihn angrinste. Doch als er Weber nach draußen folgen wollte, scheuchte ihn Katharina zurück ins Wohnzimmer. Mord war nun wirklich nichts für seine jungen Ohren. Matthäus sah sie enttäuscht an und widmete sich wieder dem Fernsehprogramm. Der übergewichtige Kommissar hatte sich offenbar mit seiner Sekretärin versöhnt. Es folgte Werbung. Matthäus war zufrieden.
Katharina setzte sich zu Jürgen Weber und legte ihre Füße aufs Balkongeländer. »Habt ihr euch eigentlich mal Gedanken gemacht, dass der Täter möglicherweise die Falsche erschossen haben könnte?«
Weber sah sie erstaunt an. »Wie kommst du denn da drauf?«
»Genau genommen war es der missratene Sohn meiner Nachbarin, der mein Sofa belagert. Der hat mich auf diese Idee gebracht. Wegen der Hasen in einem Werbespot.«
»Hasen? Katharina, du solltest weniger Rotwein trinken. Was haben denn Hasen mit unserem Mordfall zu tun? Wir sind doch nicht in Alices Wunderland.«
Katharina erzählte ihm, wie Matthäus die Tiere verwechselt hatte. »Weißes Fell, schwarze Flecken? Pinkfarbenes Kostüm? Blonde Haare? Klingelt da nichts bei dir?«
Jürgen Weber sah sie etwas verwirrt an. »Was willst du mir denn jetzt eigentlich erzählen? Dass der Mörder einen pinkfarbenen Hasen erschießen wollte?« So langsam begann er, sich Sorgen um seine Freundin zu machen.
»Nein, natürlich nicht.« Katharina zündete sich ungeduldig eine Zigarette an. »Ich will damit andeuten, dass vielleicht gar nicht Yvonne, sondern eine andere Stadtführerin erschossen werden sollte.«
Weber sah sie skeptisch an. »Findest du das nicht ein ganz kleines bisschen spekulativ? Mit deiner Phantasie solltest du dringend Drehbücher für Vorabendserien schreiben.«
Etwas mehr Begeisterung hätte Katharina schon von ihrem Freund erwartet. »Was heißt spekulativ? Schließlich gleichen sich die Gästeführerinnen der Agentur Pink Ladys optisch genauso wie ein Ei dem anderen.«
»Abgesehen davon, dass sie hübscher als Eier sind.« Jürgen Weber konnte seine Chauvi-Sprüche einfach nicht lassen. Er dachte nach. »Völlig abwegig ist die Idee allerdings nicht. Auf dem Alten Friedhof war’s schließlich duster. Und im Dunkeln sehen alle Blondinen gleich aus.«
»Du musst es ja wissen«, bemerkte Katharina spitz, bevor sie weitersprach. »Also wäre es doch möglich, dass nicht Yvonne Schönberg, sondern diese Lisa, die ich gestern getroffen habe, das Opfer sein sollte. Weißt du eigentlich, dass Lisa in der Mordnacht die Tour auf dem Alten Friedhof mit den russischen Musikern machen sollte? Das hat sie mir selbst erzählt.«
Der Hauptkommissar stutzte. »Ehrlich? Das wusste ich bisher noch nicht. Trotzdem. Du hast eine viel zu blühende Phantasie«, stellte Jürgen Weber nicht zum ersten Mal fest. »Wärst du so nett, mir noch ein Bier zu holen?«
Katharina blieb stur sitzen. »Jetzt denk doch mal nach. Es gibt zwei Todesfälle in jüngster Zeit. Sowohl Lisa als auch Uwe waren zur selben Zeit auf Ko Samui. Beide haben sich gekannt. Uwe hat sich angeblich zu viele Drogen reingezogen und ist tot. Kurze Zeit später wird eine Frau erschossen, die Lisa zum Verwechseln ähnlich sieht. Findest du nicht, dass es da eine Verbindung geben könnte? Wo bleibt dein kriminalistisches Gespür?« Jürgen Weber hatte ihr zwar aufmerksam zugehört, war aber immer noch nicht restlos überzeugt.
»Also, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Immerhin hat sich auch unser Mordopfer Yvonne Schönberg nicht nur Freunde gemacht. Darf ich dich an die Erpresserbriefe und die Fotos erinnern? Vielleicht ist doch einem der Männer die Sicherung durchgebrannt, der ihren Reizen zum Opfer gefallen ist. Oder eine eifersüchtige Ehefrau hat zur Waffe gegriffen, um die unliebsame weibliche Konkurrenz zu beseitigen. Nicht zu vergessen dein Nachbar. Der hatte ebenfalls allen Grund, auf Yvonne sauer zu sein. Da kommt auch ohne deine Verwechslungstheorie noch viel Arbeit auf uns zu.«
Jürgen Weber trank den letzten Schluck aus seiner Bierflasche, bevor er weitersprach. »Und hast du diese verrückten ›Freiburger‹ vergessen? Vielleicht kam von denen einer auf die Idee, eine Stadtführerin zu erschießen, um Touristen abzuschrecken. Das würde zumindest ins Konzept passen.« Jürgen Weber versuchte, die Beine auszustrecken, ohne dabei den Tisch umzuwerfen. Für einen Mann seiner Größe war Katharinas Balkon einfach nicht geschaffen.
Katharina ließ sich von ihrem Verdacht nicht abbringen. »Bis jetzt haben aber eure Ermittlungen absolut nichts ergeben. Die Ehemänner, die ihr bisher überprüft habt, scheinen alle ein Alibi zu haben. Dass eine Ehefrau aus Eifersucht zur Waffe greift, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Und was diese ›Freiburger‹ betrifft: Du hast selbst gesagt, dass du sie für einen Haufen Spinner hältst. Die stiften höchstens jede Menge Ärger. Aber einen Mord traust du denen doch wirklich nicht ernsthaft zu, oder?« Katharina holte tief Luft, bevor sie weitersprach.
»Abgesehen davon: Dass Manfred Klein geschossen hat, glaubst du ja selbst nicht. Wegen ein paar geklauter Manuskripte bringt man schließlich niemanden um. Ihr habt also immer noch keine heiße Spur. Zumindest in dem Punkt sind wir uns ja wohl einig.«
Bevor ihr Weber widersprechen konnte, stand sie auf, um ihm noch ein Bier zu holen. Sie musste morgen dringend einkaufen, so langsam gingen ihre alkoholischen Vorräte zur Neige.
Matthäus lümmelte immer noch friedlich auf dem Sofa herum, die leere Chipstüte lag vor ihm. Er schaute sich höchst interessiert »Frauentausch« an.
»Spinnst du? Das ist nichts für dich«, fauchte ihn Katharina an. Als sie ihm die Fernbedienung wegnehmen wollte, klingelte es ein weiteres Mal an ihrer Tür.
»Deine Mutter. Mach sofort den Fernseher aus und lass die Chips verschwinden.« Blitzschnell kam der Knabe Katharinas Aufforderung nach.
Als Magdalena die Wohnung betrat, blätterte Matthäus unschuldig in seinem buddhistischen Bilderbuch. Die Chipstüte hatte er unauffällig unter dem Sofa vergraben.
Dieses Kind ist einfach mit allen Wassern gewaschen, befand Katharina.
»Ach, du hast Herrenbesuch.« Magdalena äugte neugierig auf den Balkon, von dem aus ihr Jürgen Weber freundlich zuwinkte. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Matthäus zu Claudia Huber gebracht. Obwohl er sich dort überhaupt nicht wohlfühlt. Ihm ist anschließend immer schlecht, wenn er in ihrer Wohnung war.« Was vermutlich an der Patchouli-geschwängerten Luft liegt, schoss es Katharina durch den Kopf. In ihr regte sich Mitleid mit Magdalenas Sohn. Ein Abend mit Claudia Huber war mit Sicherheit noch grauenhafter als ein Volksmusik-Festival.
»Lass mal. Matthäus ist so ein nettes Kind. Der hat überhaupt nicht gestört.« Katharinas Akt an Selbstverleugnung war kaum zu überbieten. »Aber jetzt muss er sicher ins Bett.«
Magdalena stand wie angewurzelt im Wohnzimmer.
»Ach was. Es ist doch noch so heiß draußen. Da darf er länger aufbleiben. Und ich bin auch noch nicht müde.« Es war offensichtlich, dass ihre Nachbarin gern bleiben würde.
Katharina blieb eisern. »Er braucht trotzdem seinen Schlaf. Ist gut für sein Karma. Also dann. Gute Nacht.« Katharina bugsierte Magdalena entschlossen Richtung Hausflur. Matthäus tapste hinterher, das buddhistische Bilderbuch hatte er unter den Arm geklemmt. Mutter und Sohn räumten Katharinas Wohnung nur widerwillig.
»Seit wann hast du denn ein Herz für Kinder?«, fragte Jürgen Weber. »So kenne ich dich gar nicht.«
»Matthäus ist kein Kind. Matthäus ist eine Heimsuchung auf zwei kurzen Beinen. Quasi meine Buße auf Erden, seit der Papst das Fegefeuer abgeschafft hat. Aber jetzt zurück zu unserem Fall.« Sie ließ sich neben Jürgen Weber auf dem Balkon nieder.
»Was heißt ›unser Fall‹? Soviel ich weiß, ermittle ich und nicht du.«
»Ist ja gut. Aber vielleicht könntest du dir trotzdem mal Gedanken machen, ob die Frauen nicht doch verwechselt wurden und die Todesfälle auf Ko Samui und Freiburg etwas miteinander zu tun haben.«
Der Polizist seufzte. »Mach ich. Vorher gibst du eh keine Ruhe. Aber jetzt lass mich einfach mein Bier austrinken, bevor ich dich verlassen muss. Ich habe morgen einen harten Tag – auch ohne deine Hasengeschichten.«