|42|II. Kontinuitäten und Brüche: Deutsche und Polen vor 1939

1. Ethnisierung der Diskurse: Nationalismus und Exklusion 1848–1918

Kein Ereignis hat die deutsch-polnischen Beziehungen so geprägt wie die Aufteilung Polens zwischen Österreich-Ungarn, Russland und Preußen in den Jahren 1772 bis 1795.1 Während sich das Zarenreich die zentralpolnischen Gebiete einverleibte und Galizien Österreich-Ungarn zugeschlagen wurde, unterstanden das Großherzogtum Posen sowie Westpreußen fortan der preußischen Krone.2 Über einen Zeitraum von 123 Jahren sollte diese politische Ordnung stabil bleiben: Erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde ein unabhängiger polnischer Staat wieder in die europäische Landkarte eingezeichnet. Diese Konstellation schuf im Zeitalter des aufkommenden Nationalismus zunächst Zonen sich überschneidender Interessen zwischen der polnischen und der deutschen Nationalbewegung, die beide auf die Überwindung der nicht-nationalen Ordnungsmacht Preußen zur Errichtung unabhängiger Nationalstaaten zielten.3 Hier sind die Wurzeln jener „Polenbegeisterung“ des national gesinnten deutschen Bürgertums zu verorten, die insbesondere nach dem polnischen Aufstand von 1830 um sich griff.4 Die Sympathien und Unterstützung für die polnischen Aufständischen speisten sich dabei auch aus einem strategischen Kalkül: Der polnische Unabhängigkeitskampf erschien in dieser Perspektive als Chance, um das restaurative Mächtesystem zu überwinden. Dies wiederum galt als notwendige Voraussetzung zur Errichtung eines deutschen Nationalstaats.5

Das Jahr 1848 markiert vor diesem Hintergrund eine tiefe Zäsur in den modernen |43|deutsch-polnischen Beziehungen. Es waren insbesondere die Debatten in der Frankfurter Paulskirche, die das Ende der „Polenbegeisterung“ symbolisierten und ein feindliches, von Konkurrenz geprägtes Verhältnis der beiden Nationalbewegungen zueinander etablierte.6 Die entscheidende Frage war hierbei, wo die Grenzen eines zukünftigen deutschen Nationalstaats liegen sollten, genauer: wie man mit jenen Gebieten umgehen sollte, die Preußen infolge der Teilungen Polens in seinen Herrschaftsverband integriert hatte und in denen eine polnische Bevölkerungsmehrheit lebte. Dabei zeigte sich im Verlauf der Debatte unter den Abgeordneten ein instrumentelles Verständnis des Nationalitätenprinzips: So reklamierte man die Errichtung eines deutschen Nationalstaates, wies jedoch die polnischen Ansprüche auf die Teilungsgebiete entschieden zurück. Damit sollte an den Teilungen Polens festgehalten werden, die nun zu einem Garanten deutscher Nationalstaatsbildung erklärt wurden.7 „Die schwachsinnige Sentimentalität“ für die polnische Nationalbewegung, so formulierte es der Abgeordnete Wilhelm Jordan, müsse einem „gesunden Volksegoismus“ weichen: Die Teilungen Polens erklärte er zu einer „Naturnotwendigkeit“, an der nur „Volksverräter“ rütteln würden.8 Dadurch begab sich die deutsche Nationalbewegung – wie Philipp Ther einmal formuliert hat – in eine „strukturelle Abhängigkeit“9 zu Preußen: Nur der preußische Staat, so schien es, konnte die deutschen Ansprüche auf polnische Gebiete zementieren. Diese machtpolitische Wende verband sich in der Paulskirche mit weiterreichenden imperialen Ambitionen: Gregor Thum hat gezeigt, dass sich im Rahmen der Debatte der semantische Gehalt des Begriffs der Grenze zunehmend auflöste.10 Insbesondere im multiethnischen Raum Ostmitteleuropas, so der Konsens unter den Abgeordneten, sei ein zukünftiges deutsches Herrschaftsgebiet nicht zu fixieren. Deutschland wurde dabei als ein „jugendlicher, forttreibender Baum“ begriffen, „wurzelnd im Westen auf der breiten Grundlage des Rheins“, dessen „Wachstum der Sonne entgegen gen Osten gerichtet“ ist.11 Thum hat diese Vorstellung auf den Begriff der „dynamischen deutschen Ostgrenze“ gebracht, die die Möglichkeit implizierte, das Herrschaftsgebiet jederzeit |44|nach Osten auszudehnen. Die deutsche Ostgrenze, so Thum, zielte somit nicht auf Begrenzung und Fixierung des Nationalstaates, sondern implizierte stets ihre eigene Überwindung durch territoriales Ausgreifen nach Osten.12

Diese Entwicklungen gingen einher mit bestimmten Denkfiguren, Bildern und Diskursen, die zur Legitimierung deutscher Herrschaftsansprüche verwendet wurden und die deutsche Wahnehmung der Polen bis weit in das 20. Jahrhundert hinein prägen sollten. Zur Mitte des 19. Jahrhunderts etablierte sich zunächst die Denkfigur der „polnischen Wirtschaft“, die auf Chaotisierungstendenzen in sämtlichen Lebensbereichen, fatale Ineffizienz und generelle Unfähigkeit zielte.13 Die Polen wurden damit zu „wilden Barbaren“ erklärt, als „unzivilisierte Horden“ stigmatisiert, die zu eigenständigen kulturellen Leistungen prinzipiell nicht in der Lage seien. Diese Denkfigur implizierte zugleich die Vorstellung eines Zivilisationsgefälles, also einer grundsätzlichen Überlegenheit der Deutschen. Popularisiert wurden solche Vorstellungen insbesondere durch die Belletristik, die – wie zum Beispiel Gustav Freytags Bestseller „Soll und Haben“14 – die Bilder eines vermeintlichen Kulturgefälles zwischen wilden Polen und zivilisierten Deutschen fest im kollektiven Gedächtnis verankerten. Solche Texte erzeugten die Vorstellung einer spezifischen deutschen Zivilisierungsmission, die um die Vorstellung kreiste, nur durch erzieherische Tätigkeit „deutscher Kulturträger“ könnten die verwilderten Polen zu zivilisierten Menschen werden. Darüber hinaus verzahnte sich dieses Bild mit einer bestimmten Rezeption der mittelalterlichen Ostsiedlung, die nun als ein intendiertes, großangelegtes Projekt deutscher Siedler begriffen wurde.15 Diese Deutung der mittelalterlichen Ostsiedlung erlaubte es ihren Protagonisten, Polen als ein im Kern deutsches Gebiet zu bezeichnen: So konnte man zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein „Recht auf Rückkehr“ legitimieren, also den Einbezug der polnischen Gebiete in den deutschen Herrschaftsbereich.16

Vor diesem Hintergrund lassen sich einige Kontinuitätselemente herausstreichen, die langfristig prägend wirken sollten. Hierzu zählen neben den Stereotypen und Klischees eines pejorativen Polenbildes, die sich um die Kategorien der „polnischen Wirtschaft“ und des „unzivilisierten Polen“ zentrieren, |45|insbesondere zwei Aspekte: Die Auffassung, dass polnisches Territorium „urdeutsches“ Gebiet und deutsche Herrschaft über diese Gebiete deshalb legitim sei, spielte auch unter nationalsozialistischer Besatzung eine große Rolle zur Rechtfertigung deutscher Herrschaftsansprüche. Aus nationalsozialistischer Perspektive galt die Germanisierung weiter Räume des besetzten Polens und Osteuropas lediglich als Wiederaneignung historisch deutschen Bodens.17 Auch die Vorstellung einer dynamischen Ostgrenze verweist auf Zeit des Nationalsozialismus: Ein Blick auf die Dynamik räumlich immer ausgreifenderer Siedlungspläne, die schließlich im Generalplan Ost kulminieren sollten, zeigt, dass die Begrenzung des deutschen Herrschaftsraums im Osten keine Rolle mehr spielte. Sichtbar wird hier ein permanentes Voranschreiten, eine grenzenlose Dynamik, ein permanentes Ausgreifen bis an den Ural. Allerdings sollten diese Überlegungen zu Kontinuitäten nicht dazu verleiten, entscheidende Brüche aus dem Blick zu verlieren. Es bestehen große Differenzen zwischen den Revolutionären von 1848 und den Nationalsozialisten: Vorstellungen einer deutschen Zivilisierungsmission zur Erziehung der Polen spielten ab 1939 ebensowenig eine Rolle wie die kulturchauvinistische Vorstellung von der überlegenen Assimiliationskraft der deutschen Kultur. Für die Nationalsozialisten waren die polnischen Einwohner der besetzten Gebiete im Grunde irrelevant. Ihre Überlegungen bezogen sich ausschließlich auf den Raum: „Doch eine Germanisierung der Bevölkerung des annektierten bezw. eroberten Landes ist nicht möglich. Man kann nur den Boden germanisieren.“18 Die Polen galten in der rassistischen Perspektive der Nationalsozialisten nurmehr als quantité négligeable.

Die Ausrufung des deutschen Kaiserreiches und die Gründung eines deutschen Nationalstaats unter preußischer Führung im Jahre 1871 formten eine neue Konstellation der deutsch-polnischen Beziehungen. Dieser deutsche Nationalstaat beruhte auf der Kontinuität der Teilungen Polens, so dass die Polen eine vergleichsweise große Minderheit im jungen Nationalstaat bildeten.19 Die |46|nun einsetzenden Entwicklungen entfalteten sich im Kontext von zwei unterschiedlichen Spannungsfeldern, die sich in der konkreten politischen Praxis verknüpften. Zunächst ist hierbei auf konfessionelle Unterschiede zwischen einem borussischen Protestantismus und dem polnischen Katholizismus hinzuweisen. Aus der Perspektive der deutschen Regierung barg diese konfessionelle Differenz die Gefahr von Loyalitätskonflikten, die als eine Bedrohung für die ohnehin als instabil und fragil geltende innere Einheit des jungen Nationalstaates gedeutet wurde. Deshalb zählte die polnische Minderheit insbesondere unter der Kanzlerschaft Otto von Bismarcks zu jenen „Reichsfeinden“, die zur Festigung des Kaiserreichs bekämpft werden sollten.20 Darüber hinaus stand die Wahrnehmung der polnischen Minderheit in einem engen Zusammenhang mit bestimmten Migrationsprozessen in den Ostprovinzen des Kaiserreiches, die von der einsetzenden Industrialiserung und Urbanisierung kaum berührt wurden: Sie blieben im Kern landwirtschaftlich geprägte Regionen, während der Westen des Kaiserreiches von den rasanten Modernisierungsprozessen erfasst wurde. Dadurch entfalteten sich nach 1871 verschiedene Migrationswellen aus den ostdeutschen Provinzen in die urbanen und industriellen Zentren des Westens. Zunächst verließen zahlreiche Polen die Region, um sich insbesondere im Ruhrgebiet anzusiedeln.21 Für die folgende Entwicklung war jedoch entscheidender, dass auch die deutschsprachige Bevölkerung die vergleichsweise armen Ostprovinzen gen Westen verließ, während sich gleichzeitig Polen vor allem aus dem Zarenreich dort niederließen. Zwar waren die demographischen Effekte dieser Migrationsbewegungen keineswegs gravierend, doch die Perzeption dieser Entwicklung war eine andere: „Es entstand das Bild der deutschen Ostgrenze als eines gefährdeten Damms“, so formulierte es Benno Nietzel eindrücklich, „der angesichts der anbrandenden Flut slawischer Menschen zu brechen und überspült zu werden drohte.“22 Dieses Bedrohungsszenario, die Angst vor einer Polonisierung der Ostprovinzen, mobilisierte radikale Akteure wie den Ostmarkenverein, erfasste aber auch liberale Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie beispielsweise Max Weber, der die Entwicklung in den Ostprovinzen als „ökonomischen |47|Kampf ums Dasein“23 interpretierte. Die Polen seien dabei, so Weber in seiner Freiburger Antrittsvorlesung im Jahre 1895, aufgrund ihrer „physischen und psychischen Rassenqualitäten“ im Vorteil: „Der polnische Kleinbauer gewinnt an Boden, weil er gewissermaßen das Gras vom Boden frißt, nicht trotz, sondern wegen seiner tiefstehenden physischen und geistigen Lebensgewohnheiten.“24 Diese von Hysterie und Ängsten geprägte Perzeption stilisierte den Umgang mit den demographischen Entwicklungen in den ostdeutschen Provinzen zu einer Existenzfrage für das Kaiserreich, das diesen „Volkstumskampf“ entschlossen führen müsse.25

Im Kontext dieser beiden Spannungsfelder ist eine deutliche Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen zu verzeichnen. Diese beruhten in erster Linie auf den Strategien der Reichsregierung, die auf die Beseitigung dieser „polnischen Gefahr“ zielten. Es lassen sich hierbei im Kern zwei Phasen unterscheiden, in denen die Reichsregierung mit unterschiedlichen, immer radikaleren Maßnahmen versuchte, den „Volkstumskampf“ gegen die polnische Minderheit zu gewinnen. Zunächst zielte sie in den 1870er Jahren mit dem „Kulturkampf“ insbesondere auf die Stellung des polnischen Klerus, dessen Einfluss durch die Erteilung des Schulunterrichts in ausschließlich deutscher Sprache26 und die Einführung einer staatlichen Kontrolle der Ausbildung von Geistlichen27 eingeschränkt werden sollte. Dieser massive Eingriff in die kirchliche Verwaltung löste Protest und Widerstand unter polnischen Priestern aus, die daraufhin vielfach zu Gefängnisstrafen verurteilt worden sind.28 Jedoch erwies sich der „Kulturkampf“ als fulminanter Fehlschlag, der eine Solidarisierungswelle mit den polnischen Geistlichen unter den Angehörigen der polnischen Minderheit auslöste und damit ihre führende Rolle innerhalb der polnischen Gesellschaft zementierte.29

In den folgenden Jahren versuchte die Reichsregierung, die ethnischen Verschiebungen in den ostdeutschen Provinzen mit unterschiedlichen Maßnahmen umzukehren. Das Handlungsspektrum reichte dabei von der Deportation von 48.000 polnischen Einwanderern ohne preußische Staatsbürgerschaft30 über den staatlichen Aufkauf polnischen Grundbesitzes und die gleichzeitige subventionierte Ansiedlung von 150.000 deutschen Siedlern aus dem Innern |48|des Reichs31 bis hin zur Einführung eines Enteignungsrechts32, mit dem polnischer Grundbesitz entschädigungslos zugunsten von deutschen Siedlern umverteilt werden sollte. All diese Maßnahmen scheiterten: Sie waren erfolglos in dem Versuch, die Polonisierungsängste durch eine Umkehrung des demographischen Trends zu bannen. Im Gegenteil: Sie stärkten die polnische Nationalbewegung, wirkten als ein Katalysator und verschafften ihr immer größeren Zulauf. In diesem Sinne ist Bismarck „das unbeabsichtigte Verdienst zuzuschreiben, die polnische Nationalbewegung […] gleichsam in einer Art Rückkopplungseffekt erweckt zu haben“33. Innerhalb der Reichsregierung breitete sich angesichts der polnischen Hartnäckigkeit zunehmend ein Gefühl von Machtlosigkeit aus. Diese Ohnmachtserfahrung stand dabei in scharfem Kontrast zum Selbstbild einer großen Nation, die im Osten eine „historische Mission“ zu erfüllen habe. Das Scheitern der Germanisierungspolitik wurde vor diesem Hintergrund als demütigende Schande empfunden. Gregor Thum hat gezeigt, dass diese Wahrnehmungsmuster tiefgreifende Ängste evozierten und Panik auslösten, die zu einer spezifischen Radikalisierung des Vorgehens führten, denn der „Volkstumskampf“ wurde zur Prestigefrage erklärt und musste unter allen Umständen gewonnen werden.34 Die Schmach des Scheiterns, das Debakel der Germanisierungspolitik sollten deshalb durch immer schärfere Maßnahmen überwunden werden, die schließlich mit dem Enteignungsrecht den verfassungsrechtlich geschützten Gleichheitsgrundsatz zumindest punktuell suspendierten.35 Gleichwohl waren dem politischen Handeln im Kaiserreich bestimmte Grenzen gesetzt: Obwohl sie verfemt, angefeindet und verachtet wurden, so waren die polnischen Einwohner der ostdeutschen Provinzen doch Bürger des Reiches, die durch ihre verfassungsrechtlich garantierten Rechte geschützt waren. Das Enteignungsrecht, das insgesamt in vier Fällen zur Anwendung kam, deutet zwar eine Bereitschaft zur „Erosion des […] Gleichheitsgrundsatzes“36 an, doch insgesamt zog die Verfassung des Kaiserreiches Grenzen des Erlaubten und Möglichen ein. Es waren diese Grenzen, die einen deutlichen Unterschied zur Konstellation der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg markierten: Hier waren fast alle gewaltbegrenzenden Schranken eingerissen worden.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der Verlauf der Kampfhandlungen formten einen neuen Wahrnehmungs- und Handlungskontext, der die in den Vorkriegsjahren angelegten Tendenzen der deutschen Polenpolitik auf |49|entscheidende Weise katalysierte. Im Hinblick auf die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen sind hierbei vor allem Fragen nach den spezifischen Wahrnehmungsmustern, den Kriegszielen und der konkreten Besatzungspolitik von Bedeutung. Zunächst stellte sich aus der Perspektive der deutschen Regierung die Frage nach der Loyalität der polnischen Minderheit in verschärfter Weise. Insbesondere die Rekrutierung polnischer Soldaten für die kaiserliche Armee wurde mit großen Bedenken betrachtet. Allerdings erwiesen sich diese Sorgen als unbegründet: Desertionen polnischer Soldaten waren anscheinend kaum zu verzeichnen.37 Doch begrenzte sich das deutsche Misstrauen nicht auf die polnischen Soldaten, sondern bezog sich auch auf die führenden Persönlichkeiten der polnischen Minderheit, die vielfach präventiv verhaftet wurden.38

Für die meisten der eingesetzten deutschen Soldaten bedeutete der Einmarsch in Kongresspolen, das ehemalige russische Teilungsgebiet, den ersten Kontakt mit einer ihnen unbekannten Welt. Gabriel Liulevicius hat herausgearbeitet, dass dies für viele Soldaten eine verstörende Erfahrung war. Die raue, unwirtliche, aber auch unberührte Natur, die zuweilen extreme Kälte, matschige Straßen und allgegenwärtiger Schmutz – diese Eindrücke gewannen deutsche Soldaten unmittelbar nach dem Einmarsch.39 Die Einheimischen erschienen den deutschen Soldaten, so Liulevicius, ganz im Sinne der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts popularisierten Denkfigur eines vermeintlichen „Kulturgefälles“: Sie nahmen die polnischen Einwohner Kongresspolens als verlaust, rückständig, schmutzig, stumpfsinnig, im Grunde vorzivilisatorisch, auf jeden Fall aber als in vielfacher Hinsicht besserungsbedürftig wahr. Die Zerstörungen, die die russische Armee auf ihrem Rückzug hinterlassen hatte, intensivierten diese Wahrnehmungen nochmals und zementierten die Überzeugung, in ein unzivilisiertes Land ohne jegliche Kultur einmarschiert zu sein. All das wirkte wie eine Bestätigung der vielfach vermittelten „barbarischen Zustände“ im Osten. Diese Wahrnehmung schuf zugleich eine Handlungsanweisung: die mittelalterliche Ostkolonisation wiederaufzunehmen, Elend, Schmutz und Dreck zu beseitigen und die Region im Sinne einer deutschen Zivilisierungsmission auf eine höhere Kulturstufe zu heben. Exemplarisch für diese Vorstellungen steht der Roman „Der Wanderer zwischen den Welten“ von Walter Flex, der den Osten als „Sehnsuchtsraum einer heilen, von der Industrialisierung noch unberührten Natur“40 zeichnete, der zugleich eine immerwährende Zivilisationsaufgabe für das Deutsche Volk sei.

Diese Wahrnehmungsmuster verbanden sich dabei mit Diskussionen um |50|mögliche Kriegsziele im Osten, die als radikalisierende Fortführung der Polenpolitik des Kaiserreiches zu begreifen sind. Relevant sind hierbei in erster Linie jene Planspiele, die auf die Eingliederung und Germanisierung eines „polnischen Grenzstreifens“41 zielten, der von Łódź im Süden bis nach Suwałki im Norden reichen und entlang der Flüsse Warthe, Narew und Weichsel führen sollte. Die deutsche Ostgrenze wäre nach diesem Plan weit nach Osten verschoben worden und hätte große Räume Kongresspolens eingeschlossen. Die dort lebenden Polen sollten zu hunderttausenden aus dem Gebiet vertrieben werden, während gleichzeitig deutsche Bauern angesiedelt werden sollten, um einen „Schutzwall“ vor dem Bedrohungsszenario einer „slawischen Flut“ zu bilden.42 Diese Vorstellung wurde unter anderem von Sven Hedin, dem „privilegierten ‚Schlachtenbummler‘ auf deutscher Seite“43, popularisiert: In seinem Buch „Nach Osten“ forderte er dazu auf, „eine germanische Mauer gegen die slawischen Sturmwogen zu errichten“44. Gerhard Wolf hat diese Planungen zu Recht als einen Schritt hin zu einer „Politik der ethnischen Säuberungen“45 bezeichnet. Es war lediglich der spezifische Verlauf des Krieges, der die Umsetzung dieser Planungen verhinderte: Erst die endgültige deutsche Niederlage machte aus diesen radikalen Plänen Makulatur.46 Allerdings gab es gegenläufige Planungen: So versuchte die politische Führungsebene des Reiches, die Polen durch Ausrufung eines polnischen Königreiches für eine langfristige Zusammenarbeit mit dem Reich zu gewinnen.47 Doch auch diese Planung scheiterte aufgrund ihres für die Polen offensichtlich strategischen Charakters.

Durch das Vorrücken der deutschen Armee entstanden ab 1915 jenseits dieser Planungsebene zwei Besatzungszonen, die sich in ihrer politischen Praxis scharf voneinander unterschieden. Das Besatzungsgebiet Oberost galt als ein „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“48, als ein gestaltungsoffener Raum, in dem ohne irgendwelche Rücksichten gehandelt werden konnte. Unter Erich Ludendorff49 zielte die Besatzungspolitik sowohl auf die wirtschaftliche Ausbeutung der Region und auf die Vermittlung deutscher Hygiene- und Ordnungsvorstellungen. Mit Gabriel Liulevicius handelte es sich bei der Besatzungspolitik |51|in Oberost um „eine[n] desaströsen Versuch, Kultur durch Gewalt zu vermitteln“50. Zugleich tauchte im Besatzungsgebiet Oberost auch jene Vorstellung einer nicht fixierbaren, dynamischen deutschen Ostgrenze wieder auf: „Das vorherrschende Bild in den Köpfen der Besatzer war das einer aggressiv voranschreitenden Grenze, eines in Bewegung befindlichen Kriegsstaates. Immer wenn eine neue Grenze gezogen wurde, drängte er schon darüber hinaus, weiter nach Osten.“51 Diese Vorstellungen verzahnten sich mit siedlungspolitischen Ambitionen in Oberost. Die Pläne für eine deutsche Siedlungspolitik wurden räumlich dabei stets ausgreifender: Immer weitere Regionen wurden als potentielles Ziel deutscher Siedlungen anvisiert. Auch hier setzte erst die Kriegsniederlage 1918/19 diesen umfassenden Planspielen ein Ende. Im Generalgouvernement Warschau hingegen, dem zweiten Besatzungsgebiet, standen kooperative Elemente stärker im Vordergrund. Unter dem Generalgouverneur Hans Hartwig von Beseler wurde eine Politik verfolgt, die auf Stärkung der polnischen Selbstverwaltung setzte und unter anderem in der Eröffnung der Warschauer Universität mündete.52 Ziel war es dabei, die gemeinsame Frontstellung gegenüber dem russischen Zarenreich stärken. Allerdings beruhte auch diese Politik nicht auf den Prinzipien politischer Gleichheit, sondern war geprägt kolonialen Mustern: Beseler visierte eine kulturelle Hebung der Polen an, um sie zu zivilisierten Menschen zu erziehen.53

Der Erste Weltkrieg bedeutete eine wichtige Zäsur in der deutschen Polenpolitik, die gleichsam ihre Schatten auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs wirft. Es zeigen sich sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten in den jeweiligen Konstellationen der beiden Weltkriege. Zu den bedeutsamen Kontinuitäten zählt hierbei zum einen die spezifische Wahrnehmung der polnischen Bevölkerung als unkultiviert, schmutzig und verarmt. Ganz ähnliche Wahrnehmungsmuster lassen sich während des Krieges 1939 auch finden. Zum anderen verweisen auch die gewalttätigen Germanisierungspläne auf Kontinuitätselemente, die beide Weltkriege miteinander verbinden. Doch auch die Unterschiede in den Konstellationen der Jahre 1915/18 und 1939/45 treten deutlich hervor. Zunächst ist die Abwesenheit einer spezifischen Erwartungshaltung zu nennen, die 1939 zu einer Explosion der Gewalt führen sollte: die Erwartung, dass sich die polnische Zivilbevölkerung auf „hinterhältige“ Weise an der Kriegführung beteiligen würde. Der rücksichtlose Umgang mit vermeintlichen Freischärlern, der insbesondere den Krieg im September 1939, aber auch die folgenden Besatzungsjahre prägen sollte, war während des Ersten Weltkriegs |52|an der Ostfront deutlich weniger ausgeprägt als in Belgien und Nordfrankreich.54 Allerdings haben neuere Forschungen gezeigt, dass sich beispielsweise in Kalisz im August 1914 vergleichbare Massenerschießungen auf Grundlage ähnlicher Eskalationsmuster ereignet haben wie zeitgleich in Belgien.55 Darüber hinaus sind deutliche Differenzen in der jeweiligen politischen Agenda zu verzeichnen: Ab 1939 ging es im Kern nur um die Zerstörung der polnischen Nation durch den massenhaften Einsatz von Gewalt. Während des Ersten Weltkriegs war die politische Planung und besatzungspolitische Praxis deutlich inkohärenter und reichte von einer Zivilisierungsmission zur „Hebung“ der Polen und der strategischen Errichtung eines polnischen Königreiches bis hin zu einer Politik der ethnischen Säuberung. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass gewaltsame Pläne nicht blutig umgesetzt wurden: Zwischen Plan und Praxis klaffte in den Jahren 1914 bis 1918 ein Graben, der von den Nationalsozialisten ab 1939 durch die rücksichtslose Anwendung massenhafter Gewalt überbrückt worden ist.

2. Ambivalenzen der Zwischenkriegszeit: Eskalation und Kooperation 1918–1939

Das Jahr 1918 markiert eine bedeutende Zäsur in den deutsch-polnischen Beziehungen. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg sah sich das Deutsche Reich mit einer Reihe neu entstandener Nationalstaaten in Ostmitteleuropa konfrontiert, jenem „Cordon Sanitaire“, der den Verlierer des Ersten Weltkriegs von der Sowjetunion trennen sollte.56 Zweifellos war die Zweite Polnische Republik der größte und wichtigste Bestandteil dieses Gürtels unabhängiger Staaten. Für die nun einsetzenden Entwicklungen war es dabei von entscheidender Bedeutung, dass durch den gewählten Verlauf der deutsch-polnischen Grenze weite Räume der ehemaligen Ostprovinzen des Deutschen Reiches dem polnischen Staat einverleibt wurden: etwa 90 Prozent der überwiegend polnischen Provinz Posen, aber auch zwei Drittel des ethnisch gemischten Westpreußen wurden dem neuen polnischen Staat angegliedert.57 Damit wurde Ostpreußen durch den sogenannten „polnischen Korridor“ vom |53|Reichsgebiet abgetrennt. Die überwiegend deutschsprachige Hafenstadt Danzig wurde als Freie Stadt einem Hohen Kommissar des Völkerbundes unterstellt. In umstrittenen Gebieten, insbesondere in Oberschlesien, sollte eine Volksabstimmung über die endgültige Zugehörigkeit entscheiden.58

Diese Ereignisse der Jahre 1918/19 schufen einen Rahmen für spezifische Entwicklungen, die zum Verständnis der nationalsozialistischen Gewaltgeschichte von besonderer Relevanz sind. Insbesondere die unmittelbare Nachkriegszeit, mit ihren spezifischen Gewalt- und Verlusterfahrungen, erweist sich dabei als eine „konstitutive Phase“59, in der sich radikale Formen gewalttätiger Auseinandersetzung sowie neue Wahrnehmungsmuster und Feindbilder etablierten. So war der Waffenstillstand vor allem für die Soldaten und Offiziere an der Ostfront ein traumatisches Ereignis, das Wut, Verzweiflung, Unverständnis und tiefe Frustration auslöste. Zwar hatte man kurz zuvor noch den deutschen Herrschaftsbereich massiv nach Osten ausgedehnt, doch durch das Eingeständnis der deutschen Niederlage waren alle euphorischen Siedlungspläne plötzlich Makulatur: Der Traum von einem „deutschen Osten“ zerplatzte in dem Moment, als seine Umsetzung für die Akteure vor Ort zum Greifen nahe schien. In dieser Situation verweigerten zahllose deutsche Soldaten die Kapitulation, sammelten sich in Freiwilligenverbänden und führten den verlorenen Krieg auf eigene Faust weiter.60 Um die deutschen Herrschaftsansprüche im Osten aufrechtzuerhalten, übten die Freikorps massive Gewalt gegen einheimische Zivilisten aus.61 Auch die ehemaligen deutschen Ostprovinzen Posen, Westpreußen und Oberschlesien wurden von dieser Gewalt erfasst: In den Jahren 1919 bis 1921 führten deutsche Freikorps dort einen Kleinkrieg gegen polnische Freiwilligenverbände und Zivilisten.62 Allerdings ist hier auf wichtige räumliche Unterschiede zu verweisen: Während die Kämpfe in Posen und Westpreußen bereits im Sommer 1919 endeten, entwickelte sich Oberschlesien bis zur Volksabstimmung im Sommer 1921 zu einem Raum permanenter Auseinandersetzung zwischen deutschen Freikorps und polnischen Freiwilligenverbänden, der seine symbolische Verdichtung im Kampf um den |54|Annaberg fand.63 Diese Kämpfe sind in besonderem Maße relevant für die Frage nach Kontinuitäten nationalsozialistischer Gewaltgeschichte: Sie erzeugten neue Feindbilder und führten zu einer entgrenzten deutschen Gewaltpraxis. Die polnischen Freiwilligenverbände erschienen den deutschen Freikorps als heimtückische „Mörderbanden“, als Gruppen marodierender Meuchelmörder, deren Gewalt sich in erster Linie gegen die deutsche Zivilbevölkerung Oberschlesiens gerichtet habe: „Die polnischen Verbände waren […] nichts Besseres als bewaffnete Banden. Ihre Kampfesweise war dementsprechend bestialisch.“64. Zwar kommt Boris Barth nach sorgfältiger Analyse aller verfügbaren Quellen zu der Feststellung, dass von einem „flächendeckende[n] und gezielte[n] Terror gegen deutsche Zivilisten“65 keine Rede sein kann. Doch die Wahrnehmung der Freikorps war eine andere: Es entstand der Eindruck, man befinde sich in einem existenziellen Kampf gegen einen hinterhältigen und grausamen Feind, der jenseits aller normativen Bindungen und voller Grausamkeit gewaltsam gegen Deutsche vorgehe. Hier entwickelte sich das Feindbild der „polnischen Banden“, die als antizivilisatorische, unmenschliche Horden eine in jeder Hinsicht entgrenzte Gewaltpraxis ausübten. Es war die Erfahrung der Freikorpskämpfe und ihre spezifische Interpretation, die in den Köpfen der eingesetzten deutschen Truppen das tradierte Vorurteil der Polen als kulturloser Barbaren mit der Vorstellung grausamer polnischer Bandenkriegführung verknüpfte. Diese Situationsdeutung legitimierte nun in der Perspektive der deutschen Truppen das eigene Überschreiten von bislang gültigen Handlungsgrenzen. Der „Volkstumskampf“ an der deutsch-polnischen Grenze gegen einen Feind, der „mit der Brutalität eines Wanzen Heeres“66 kämpfe, so schien es, erfordere andere Regeln als herkömmliche bewaffnete Konflikte.67 In der aufgeheizten Atmosphäre der unmittelbaren Nachkriegsjahre führten die deutschen Freikorps nun einen Krieg jenseits aller völkerrechtlichen Bindungen, einen Krieg, in dem die grundlegende Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten bewusst eingeebnet wurde. In dieser Konstellation wurden nicht nur die polnischen Freiwilligenverbände zu Feinden |55|erklärt, sondern tendenziell alle polnischen Einwohner der Grenzregionen unter Generalverdacht gestellt. Das Szenario war dabei geprägt von zahllosen gewaltsamen Übergriffen gegen polnische Zivilisten; Plünderungen, Vergewaltigungen, Folterungen, aber auch Erschießungen waren an der Tagesordnung.68 Die Kämpfe in Oberschlesien legten enorme Gewaltpotentiale frei und boten Gelegenheitsstrukturen für die Ausübung zahlloser Grausamkeiten.69

Neben dieser Erfahrung der Freikorpskämpfe ist auch die Erinnerung an die Auseinandersetzung von großer Bedeutung. So setzte nach 1921 eine mythische Verklärung der Freikorpskämpfe in Oberschlesien ein, die in der Folge zu einem zentralen Erinnerungsort der Zwischenkriegszeit wurden.70 Mit einer auflagenstarken Freikorpsliteratur diffundierte das Feindbild von den „polnischen Banden“ in die deutsche Gesellschaft und setzte sich im kollektiven Gedächtnis der Nation fest.71 Der polnische Literaturwissenschaftler Jan Chodera hat diesen Literaturkörper ausgewertet, der sich insbesondere dadurch auszeichnet, „daß die Deutschen stets zu leiden haben“72. In zahllosen Romanen und Schauspielen wurden die Polen als „Strolche und Verbrecherkolonnen“, als „Bestien“, „Galgengesichter“ und „Mordbrenner“ gezeichnet, die wie Heuschreckenschwärme über wehrlose deutsche Zivilisten herfallen würden.73 Die unterschiedlichen Autoren griffen dabei stets auf ähnliche Topoi zurück, um die rücksichtslose Gewaltbereitschaft der Polen zu veranschaulichen. Auf der einen Seite finden sich in den Texten bemerkenswert explizite Schilderungen polnischer Grausamkeiten: Deutsche werden an Scheunentore genagelt, ihre Leichname werden enthauptet und in Flüsse geworfen, grundsätzlich werden die Deutschen „in bestialischer Weise […] zu Tode geschlagen“74, ausgepeitscht, getreten, geprügelt und gefoltert. Eingeschlagene Zahnreihen, zerstörte Schädeldecken, abgeschnittene Ohren und Genitalien gehörten ebenso zum festen Bestandteil dieser Erinnerungsliteratur wie ausgestochene |56|Augen und weitere umfassende Verstümmelungen.75 Im wohl einflussreichsten Buch der Freikorpsliteratur, Arnolt Bronnens „O.S.“, heißt es, die Polen „mordeten, tausend Mann gegen zwanzig, die Deutschen auf viehische Weise. Von den siebzehn Landjägern wurde nicht einer verschont, von den sechs Polizisten wurden drei geschlachtet, drei zu Krüppeln geschlagen und gefangen“76. Auf der anderen Seite betonen die Autoren immer wieder entgrenzte Formen sexueller Gewalt an deutschen Frauen und Mädchen: „Und schon griffen sie nach ihnen [den Frauen], zerrten sie in Scheunen, ins Heu aufs Stroh. Kein Schreien, kein Sperren half. Und die Männer und Brüder, wenn sie wild wurden, wurden schon wieder hübsch zahm gemacht oder gar mucksmäuschenstill“77. Insbesondere die massenhaften Vergewaltigungen hätten den stets stark alkoholisierten, „vertierten polnischen Horden“ ein großes Vergnügen bereitet: „Hei, war das ein Spaß!“78 Kurt Oskar Bark schließlich summierte in seinem Buch „Wacht an der Weichsel“ alle gängigen Feindbilder: „Das da drüben sind Bestien! Das da drüben mordet Verwundete, das da drüben hat von der Kompagnie Partenheimer nicht nur den in ihre Hände gefallenen Rest der hundertzwanzig Männer erst ausgezogen (um die Uniformen zu schonen) und dann erschlagen, das da drüben hat die beiden Schwestern dieser Kompagnie in gleicher Weise ermordet. […] Das da drüben, der weiße Adler, kennt kein Völkerrecht, kennt keine Heiligkeit des Wortes, kennt kein Menschentum, kein Menschenrecht. Das da drüben ist ein giftiges Tier der Wildnis.“79 Nun ist die Wirkung dieser literarischen Welle im Rückblick nur schwer einzuschätzen. Doch deuten die hohen Auflagezahlen und der große Verbreitungsgrad darauf hin, dass diese Bücher bestimmte Bedürfnisse der Leserschaft befriedigten. Bei aller analytischen Vorsicht kann davon ausgegangen werden, dass sie innerhalb der Weimarer Gesellschaft durchaus auf Akzeptanz stießen und dabei spezifische Wahrnehmungsmuster erzeugten, welche die Polen als kulturell fremde, tendenziell grausame und rücksichtslose Horden zeichneten.

Die Kämpfe der deutschen Freikorps und ihre Erinnerung spielen eine Schlüsselrolle für das Verständnis der Gewaltentgrenzung im Zweiten Weltkrieg. Neue Feindbildstereotypen und eine entgrenzte Gewaltpraxis verweisen in mehrfacher Hinsicht auf die nationalsozialistische Besatzungsherrschaft. Zunächst öffnete die Zuschreibung einer spezifischen polnischen Gewaltaffinität einen Resonanzraum, in den die nationalsozialistische Propaganda sowohl im Vorfeld des deutschen Überfalls im September 1939 als auch während |57|der gesamten nationalsozialistischen Besatzungszeit stoßen konnte. Hier bildeten sich jene Vorstellungen und Begriffe, auf welche die Nationalsozialisten zwanzig Jahre später mühelos zurückgreifen konnten, um die eigene Gewaltanwendung zu legitimieren. Außerdem entwickelte sich aus der Erfahrung und Deutung der Freikorpskämpfe die Erwartung eines „Bandenkrieges“ in einer zukünftigen militärischen Auseinandersetzung mit Polen zu einem Fixpunkt aller militärischen Planungen. Diese spezifische Perzeption eines hinterhältig kämpfenden Gegners sollte ab 1939 zentrale Bedeutung für die massenhafte Gewalt gegen polnische Zivilisten haben. Die Wurzeln dieser Erwartungshaltung liegen in den Jahren 1919 bis 1921. Dadurch verfestigte sich die Überzeugung, dass ein Krieg gegen Polen keinesfalls innerhalb der Parameter gewöhnlicher Waffengänge ausgefochten werden dürfte. Im Gegenteil: Die besondere Hinterhältigkeit und rücksichtslose Gewaltbereitschaft „polnischer Banden“, so die Überlegungen, erfordere die Ausdehnung der Zone erlaubter Gewalt, um den „vertierten Horden“ angemessen begegnen zu können. Schließlich lassen sich biographische Kontinuitäten von den Freikorpskämpfen zur nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft ziehen. Zahlreiche Schlüsselfiguren des deutschen Besatzungsapparates brachten Erfahrungen aus den Freikorpskämpfen mit. Insbesondere für das Personal des SS- und Polizeiapparates waren dies persönliche Schlüsselerlebnisse.80 Zu ihnen zählen unter anderem der Höhere SS- und Polizeiführer Ost, Friedrich Wilhelm Krüger, Ludolf von Alvensleben, der spätere Kommandeur des „Volksdeutschen Selbstschutzes“, und auch Erich von dem Bach-Zelewski, der Chef der Bandenkampfverbände.81

Zugleich treten jedoch auch gewichtige Unterschiede zwischen den Freikorpskämpfen und der Ausübung massenhafter Gewalt unter nationalsozialistischer Besatzung hervor. Zum einen entfaltete sich die Gewalt in jeweils unterschiedlichen Konstellationen: Die strukturelle Defensive nach der Kriegsniederlage 1918 implizierte eine grundsätzlich andere Ausgangslage für die Ausübung von Gewalt als die Herrschaft über ein besetztes Gebiet nach dem erfolgreichen Feldzug vom September 1939. Zielte die Freikorpsgewalt in erster Linie auf die Verteidigung des vormalig eigenen Territoriums, nahm die nationalsozialistische Gewalt auch und gerade gestalterische Funktionen wahr, die das besetzte Polen von Grund auf verändern sollte. Zum anderen ist auf einen weiteren strukturellen Unterschied hinzuweisen: Zwar öffneten sich den nationalsozialistischen Potentaten im besetzten Polen erhebliche Handlungsspielräume, doch kann – im Gegensatz zu den Freikorps – keine Rede davon |58|sein, dass sie als unabhängige „Warlords“ agierten. Nationalsozialistische Gewalt war staatlich organisierte Gewalt: Alle Akteure waren eingebunden in hierarchische Strukturen, sie waren Teil eines staatlichen Apparates, der der Gewalt Form und Richtung gab.82 Trotz dieser strukturellen Unterschiede ist jedoch festzuhalten, dass die Erfahrung der Freikorpskämpfe und ihre spezifische Erinnerung für das Verständnis deutscher Massaker an polnischen Zivilisten im Zweiten Weltkrieg von zentraler Bedeutung sind.

Nach der Beendigung der Freikorpskämpfe und der Teilung Oberschlesiens im Jahre 1921 waren die gewaltsamen Auseinandersetzungen um den Verlauf der deutsch-polnischen Grenze beendet. Die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung deutete die Gebietsabtretungen an die Zweite Polnische Republik als unrechtmäßige, verbrecherische Amputation.83 Diese Rezeption der territorialen Verluste als „schreiendes Unrecht“84 ist analytisch in Beziehung zu setzen mit jener bereits vorgestellten diskursiven Barbarisierung der Polen, die den Deutschen umfassende Überlegenheit suggerierte. Dass die deutsche „Kulturnation“ den „wilden Polen“ weite Gebiete der preußischen Ostprovinzen überlassen musste, wurde als unerträgliche Ungerechtigkeit empfunden.85 Den Zeitgeist vermag ein Brief zu illustrieren, den der junge Heinz Guderian 1919 an seine Frau schrieb: „Da will man Teile unseres Landes an die Barbaren ausliefern!“, so Guderian, um mit großer Verbitterung fortzufahren: „Denn halbe Wilde sind die Polen […] doch noch. Ärmlich, dreckig, unfähig, dumm und gemein, verkommen und heimtückisch […]“86. Die Zweite Polnische Republik war aus deutscher Perspektive „ein Staat, der nicht sein durfte“87, wie Heinrich August Winkler einmal treffend formulierte. Sie galt als „Saisonstaat“, der, so Reichskanzler Josef Wirth im Oktober 1922, zu „zertrümmern“88 sei. „Nimmermehr kann Preußen-Deutschland sich mit einem Bromberg, Graudenz, Thorn, (Marienburg), Posen in polnischer Hand abfinden“89, befand der spätere Chef der Heeresleitung, der General Hans von Seeckt, in einer Denkschrift aus dem Februar 1920. Es war ein lagerübergreifender Konsens innerhalb der Weimarer Gesellschaft, die Gebietsabtretungen an die Zweite Polnische Republik unter keinen Umständen zu akzeptieren. |59|Joerg K. Hoensch sprach einmal zu Recht davon, dass die „Forderung nach einer umfassenden Revision der Ostgrenze“ in einer vielfach zerklüfteten Weimarer Gesellschaft im Grunde „eine[r] der wenigen echten nationalen Integrationsfaktoren“90 war. Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit, so die Hoffnung in Politik und Gesellschaft, sollten im Osten Grenzrevisionen durchgeführt und abgetretene Gebiete wieder in das Reich integriert werden.

In dieser Konstellation wurde insbesondere die „Ostforschung“ zu einem wichtigen Legitimationsspender für die deutschen Gebietsansprüche: Hier bündelten sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen in vielfältigen Versuchen, „deutsch geprägte Landschaften“ und „deutsche Kulturleistungen“ im osteuropäischen Raum zu identifizieren, um sie dann für das Deutsche Reich reklamieren zu können.91 Benno Nietzel hat die „Ostforschung“ einmal treffend als „Übersetzung überheblicher Chauvinismen in eine wissenschaftliche Begriffssprache“92 bezeichnet. Entscheidend war dabei, dass sich die „Ostforscher“ zunehmend der Kategorie des Volkes widmeten, die – im Unterschied zur Staatsangehörigkeit – auf ein organisches Prinzip der Zugehörigkeit durch gemeinsame Abstammung zielte.93 Dadurch konnte die ewige Zusammengehörigkeit aller Deutschen, unabhängig von ihrer momentanen Staatsbürgerschaft, herausgestrichen und gleichzeitig die neue Grenzziehung als willkürlich und unrechtmäßig gedeutet werden. Dies hatte auch unmittelbare Konsequenzen auf einer politisch-praktischen Ebene: So rückte insbesondere die deutsche Minderheit in Polen in den Blick, die – obwohl sie eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit besaß – als untrennbarer Bestandteil des deutschen Volkes galt.94 „[A]us dem Volkskörper herausgerissen“95, galten die Angehörigen der deutschen Minderheit als wehrlose Opfer der Versailler Ordnung. Potenziert wurde diese viktimisierende Wahrnehmung der deutschen Minderheit durch den Paralleldiskurs über eine vermeintliche polnische Gewaltaffinität: Nun |60|galten die Angehörigen der deutschen Minderheit als zunehmend gefährdet und bedroht. Gleichzeitig schien die Existenz einer deutschen Minderheit die deutschen Ansprüche auf umfassende Grenzrevisionen zu legitimieren. Deshalb wurde die massenhafte Westmigration von Angehörigen der deutschen Minderheit in das Reichsgebiet als großes politisches Problem empfunden: Denn die Anzahl der Angehörigen der deutschen Minderheit halbierte sich in den ersten beiden Jahren.96 Lange kolportierte Vorstellungen, die Angehörigen der deutschen Minderheit seien vor einer repressiven polnischen Politik geflohen, sind mittlerweile von der Forschung überzeugend zurückgewiesen worden.97 Vielmehr lagen die Gründe für die Abwanderung nach Westen in erster Linie „bei den Deutschen selbst und ihrer Mentalität“98: Sorgen vor der Rekrutierung zum polnischen Heer spielten hier ebenso eine Rolle wie soziale Abstiegsängste einer zuvor in jeder Hinsicht privilegierten Gruppe und ein genereller Widerwille, sich in einen polnischen Staat integrieren zu müssen.99 Aus der Perspektive der Reichsregierung gefährdete die Abwanderung der deutschen Minderheit die vermeintlich legitimen deutschen Revisionsansprüche, da deren Anwesenheit den Weimarer Politikern als Voraussetzung für eine großzügige Korrektur der Grenzziehung galt. Vor diesem Hintergrund suchte die Reichregierung nach Wegen, um die deutsche Minderheit zum Verbleib in Polen zu bewegen: Es kam daraufhin zum Aufbau verschiedener finanzkräftiger Organisationen, die die deutsche Minderheit finanziell subventionieren, sie dadurch zum Verbleib motivieren und gleichzeitig den reichsdeutschen Einfluss auf die Minderheit erhöhen sollten.100 Auf diese Weise wurde die deutsche Minderheit zu einem Instrument revisionistischer Politik, zu einem Hebel, mit dem die Politiker der Weimarer Republik die Versailler Ordnung aus den Angeln heben wollte.101

Mühelos konnten die Nationalsozialisten zur Legitimierung ihres Angriffskrieges auf den verbreiteten Hass auf den „Saisonstaat“ Polen zurückgreifen. Doch so groß der Hass auf den polnischen Nachbarn auch war, so drängend eine Grenzrevision auch erschien – die Anwendung massiver Gewalt war für |61|die Weimarer Politiker zu keinem Zeitpunkt eine realistische Option. Diese Gewaltabstinenz ist in erster Linie auf die Integration Weimars in die internationale Ordnung von Versailles zurückzuführen, die zwar weithin verachtet wurde, aber gewalthemmend wirkte. Aufgrund der Rüstungsbeschränkungen war das Deutsche Reich militärisch nicht in der Lage, einen Angriffskrieg zur Grenzrevision zu führen. Zugleich war das Deutsche Reich durchaus abhängig vom Wohlwollen der internationalen öffentlichen Meinung, insbesondere im Hinblick auf die Schulden- und Reparationszahlungen. Gewalt war in dieser Konstellation einer notwendigen Rücksichtnahme auf eine kritische und wachsame internationale Öffentlichkeit keine Option. Hier deutet sich ein fundamentaler Unterschied zum Nationalsozialismus an: Sukzessive hebelte Hitler in den Jahren 1933 bis 1938 die restriktiven Bestimmungen der Versailler Ordnung aus, ein Vorgang, der ohne die Passivität der Westmächte als Garanten der Versailler Ordnung nicht denkbar gewesen wäre. Unmittelbar vor dem deutschen Überfall auf Polen deutete Hitler in einer Ansprache vor den Kommandeuren der Wehrmacht schließlich an, dass auch die internationale öffentliche Meinung für ihn keinerlei Relevanz mehr besaß: „Seien Sie hart, seien Sie schonungslos, handeln Sie schneller und brutaler als die anderen. Die Bürger Westeuropas müssen vor Entsetzen erbeben.“102 Hitler zerstörte mit dieser Aufforderung einen der signifikanten gewaltbegrenzenden Faktoren der Zwischenkriegszeit. Der deutsche Überfall auf Polen im September 1939 markiert vor diesem Hintergrund einen radikalen Bruch: Das Zeitalter gegenseitiger Rücksichtnahme war endgültig vorbei.

Im Jahre 1933 jedoch deutete sich noch nichts von alldem an. Im Gegenteil: Bereits unmittelbar nach der Machtübergabe leitete Hitler eine deutliche Entspannung im deutsch-polnischen Verhältnis ein. Die zunächst tastenden Annäherungsbemühungen103 mündeten schließlich am 26. Januar 1934 in einem deutsch-polnischen Nichtangriffspakt. Zum großen Erstaunen der deutschnationalen Koalitionspartner, aber auch der breiten deutschen Öffentlichkeit bedeutete dieser Vertragsabschluss die Abkehr von den in den Weimarer Jahren immer wieder lautstark erhobenen Revisionsforderungen.104 Keineswegs handelt es sich dabei – wie früher vielfach angenommen wurde105 – um ein Täuschungsmanöver Hitlers. Vielmehr beruhte diese Entscheidung im Kontext |62|seiner langfristigen außenpolitischen Zielvorstellungen auf dem ernsthaften Bemühen, die Zweite Polnische Republik, die selbst expansive Ziele gegenüber der Sowjetunion hegte, als „Juniorpartner“ für einen kommenden „Krieg um Lebensraum“ zu gewinnen.106

Zwei Faktoren formten das deutsch-polnische Verhältnis der Jahre 1933 bis 1939, die sich analytisch trennen lassen, gleichwohl eng miteinander verzahnt waren. Zum einen ist vielfach hervorgehoben worden, dass sich in den Schriften führender Nationalsozialisten kaum Spuren eines spezifischen Antipolonismus finden lassen, die Rückschlüsse auf die Gewaltpraxis der Jahre 1939 bis 1945 erlauben würden.107 Im Gegenteil: Hitlers Bewunderung für den Sieg der polnischen Armee über die sowjetischen Streitkräfte im Jahre 1920 stand der Zuschreibung „rassischer Minderwertigkeit“ im Weg. Insbesondere seine wohlwollende Einschätzung Józef Piłsudkis scheint zu einer „freundlichen Bewertung […] der polnischen Nation“108 geführt zu haben, deren strikter Antibolschewismus ihm zusätzlich imponiert haben mag.109 Hinzu kam – wie Martin Broszat betont hat –, dass der Österreicher Hitler „kaum angestammte Ressentiments und Haßgefühle“ gegenüber Polen gehegt habe.110 Grundsätzlich spielte Polen jedoch – wenn überhaupt – nur eine marginale Rolle in Hitlers Büchern und Reden. In erster Linie war Polen für Hitler einer von „den Randstaaten“111, jenem Gürtel neuer Nationalstaaten, die das Reichsgebiet von der Sowjetunion, dem „Feind Nr. 1“112, trennte. Zum anderen markierte die Machtübergabe an die Nationalsozialisten eine gravierende Verschiebung der Parameter außenpolitischer Zielvorstellungen. Hitler grenzte sich in seinen außenpolitischen Konzeptionen von den sogenannten Grenzpolitikern ab, jener politischen Klasse der Weimarer Republik, deren außenpolitische Ziele sich in vermeintlich geringfügigen Grenzrevisionen erschöpft hätten. Er verstand sich selbst hingegen als einen Raumpolitiker, dessen politisches Denken um die Erlangung großer imperialer Herrschaftsgebiete kreiste.113 Eine bloße Revision der Versailler Ordnung war zu keinem Zeitpunkt die zentrale Achse nationalsozialistischer Außenpolitik, obwohl später einzelne Expansionsschritte |63|wie etwa der „Anschluss“ Österreichs, die Annexion des Sudetenlandes und Elsass-Lothringens durchaus Züge „klassischer“ Revisionspolitik trugen.114 Der Kern von Hitlers außenpolitischer Konzeption war jedoch nicht die Revision der deutschen Ostgrenze, sondern die umfassende Eroberung von „Lebensraum“ durch die Zerschlagung der Sowjetunion, deren Ressourcen zum Aufbau eines Kontinentalimperiums genutzt werden sollten.115 Dieses weitgespannte Fernziel eines deutschen „Lebensraums“ in den Gebieten der Sowjetunion erlaubte Hitler eine große Flexibilität im Umgang mit den jungen ostmitteleuropäischen Nationalstaaten.116 Seine großflächigen Expansionsziele sollten nicht durch Auseinandersetzungen um kleinformatige Grenzrevisionen gefährdet werden.

In den Jahren 1934 bis 1938/39 sorgte der strategische Kurswechsel für gute wechselseitige Beziehungen: Der sogenannte „Wirtschaftskrieg“ wurde begraben und die Minderheitenfrage entwickelte sich zu einem spannungsarmen Gegenstand regelmäßiger bilateraler Konsultationen.117 Auch in „weicheren“ Politikfeldern unternahmen Deutsche und Polen in diesen Jahren ernsthafte Annäherungsversuche. So sorgte ein intensiver, subventionierter Kulturaustausch für regelmäßige Kontakte unter Theaterregisseuren, Filmproduzenten und Publizisten, mit dem Ziel, das Bild des jeweils Anderen möglichst positiv zu gestalten.118 Schließlich waren auch die persönlichen Kontakte zwischen der nationalsozialistischen Führung und den Spitzenpolitikern der Zweiten Polnischen Republik von gegenseitigem Respekt geprägt: Hermann Göring etwa war regelmäßiger Gast an der Weichsel, schrieb ein wohlwollendes Vorwort zur deutschen Ausgabe von Piłsudskis „Gesammelten Werken“ und kondolierte auch bei dessen Beerdigung im Jahre 1935.119 „Wie eine Fußballmannschaft“, so formulierte es einmal Joachim von Ribbentrop, sollten Deutschland und Polen zusammenarbeiten: „möglichst ökonomisch, ohne Krisen und blitzartig“120.

Die entscheidende Zäsur dieser Ära deutsch-polnischer Annäherung bildet die Zerschlagung der Tschechoslowakei, an der sich auch die polnische Regierung mit der Forderung nach einer Abtretung des Teschener Gebiets zunächst |64|beteiligt hatte.121 Hitler sah nun den Zeitpunkt für eine „Generalbereinigung“ aller noch bestehenden Differenzen zwischen beiden Ländern gekommen: Neben eher symbolischen territorialen Zugeständnissen, insbesondere der Angliederung Danzigs an das Reich, und dem Bau einer exterritorialen Autobahn durch den „polnischen Korridor“ nach Ostpreußen zielten die im Herbst 1938 erstmals unterbreiteten deutschen Vorschläge in erster Linie auf die Einbindung Polens in ein antisowjetisches Bündnis.122 Martin Broszat hat diesen Vorstoß Hitlers einmal als einen „Versuchsballon, als ein Vorfühlen“ interpretiert, „ob Warschau sich auch dann einem deutschen Führungsanspruch unterwerfen würde, wenn es etwas kostete“123. Signalisierte die polnische Regierung zunächst verhaltene Ablehnung, die durchaus noch Spielraum für eine spätere Zustimmung enthielt, so machte der polnische Außenminister Józef Beck am 6. Januar 1939 im Rahmen eines Gesprächs mit Hitler auf dem Obersalzberg jedoch unmissverständlich deutlich, dass Polen nicht bereit sei, die „Globallösung“ zu akzeptieren.124 Einen letzten Versuch, Polen von einer Annahme der deutschen Forderungen zu überzeugen, unternahm Außenminister von Ribbentrop am 26. Januar 1939 in Warschau, das zu Ehren des deutschen Staatsgastes mit Hakenkreuzfahnen beflaggt war.125 Ribbentrop bot eine Garantie der deutsch-polnischen Grenze und eine Verlängerung der Nichtangriffserklärung um weitere 25 Jahre. Zusätzlich schlug er seinen polnischen Gesprächspartnern ein Kompensationsgeschäft vor: Zwar müsse Danzig zwingend an das Reich angegliedert werden, doch könne Polen nach einem gemeinsamen Angriff auf die Sowjetunion weite Räume der sowjetischen Ukraine am Schwarzen Meer erhalten. Als auch dieser Vorschlag auf Unverständnis stieß, verlor Ribbentrop anscheinend die Geduld: „Sie sind äußerst starrsinnig in diesen Meeresfragen“, hielt er Beck entgegen, „das Schwarze Meer ist auch ein Meer!“126 Die polnische Regierung hatte jedoch keinerlei Interessen, sich als „Juniorpartner“ in einem gemeinsamen antibolschewistischen Kreuzzug dem Deutschen Reich dauerhaft unterzuordnen. Irritiert musste Ribbentrop daher im Verlauf der Warschauer Gespräche feststellen, dass seine polnischen Verhandlungspartner der festen Überzeugung waren, die nationalsozialistische Ostexpansion sei mit den vitalen Interessen des polnischen Staates schlicht nicht zu vereinbaren. Eindringlich und mit Verweis auf die Münchener Konferenz führte Beck ihm vor Augen, dass er mit leeren Händen nach Berlin |65|zurückkehren würde: „Wir sind doch keine Tschechen!“127 Die polnische Außenpolitik wurde seit Anfang der dreißiger Jahre im Sinne einer „Politik des Gleichgewichts“128 gestaltet. Damit versuchte Polen, eine unabhängige Politik zu verfolgen, die eine Äquidistanz zu den beiden großen Nachbarn im Westen und Osten halten sollte. Nur so glaubte die Regierung, die Unabhängigkeit und politische Selbstständigkeit Polens in Europa sichern zu können. Ein Bündnis mit dem Deutschen Reich gegen die Sowjetunion hätte dieser Konzeption fundamental widersprochen und Polen in eine befürchtete Abhängigkeit zum westlichen Nachbarn gebracht.

Nach dem Scheitern der Warschauer Gespräche vollzog sich im Frühjahr ein abermaliger Kurswechsel der nationalsozialistischen Ostpolitik. Bereits am 25. März 1939 unterrichtete Hitler den Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, dass in Kürze mit einem deutschen Angriff zu rechnen sei: „Polen soll dann so niedergeschlagen werden, dass es in den nächsten Jahren als politischer Faktor nicht mehr in Rechnung gestellt werden brauchte.“129 Dazu spannte das Deutsche Reich in den folgenden Monaten auch jene Macht ein, welche deutsche Streitkräfte ursprünglich einmal gemeinsam mit polnischen Truppen angreifen sollte: die Sowjetunion. Am 23. August 1939 hatten die zwei weltanschaulich so unterschiedlichen Diktaturen scheinbar prinzipielle Differenzen aus dem Weg geräumt, ihre axiomatisch unterstellte Erzfeindschaft überwunden und mit dem Hitler-Stalin-Pakt „ein Abkommen von größter Rücksichtslosigkeit“130 geschlossen. Ein „imperialistisches Bündnis“131 war geschmiedet worden, in dessen Rahmen Einflusszonen in Ostmitteleuropa fixiert wurden, das insbesondere jedoch den Weg bereitete für einen gemeinsamen Angriff auf Polen. Am 1. September 1939 griff das Deutsche Reich vom Westen, Norden und Süden an, zwei Wochen später, am 17. September, folgte der Einmarsch der Roten Armee von Osten. All das schien bis dahin nicht im Bereich des Möglichen zu liegen, wirkte paradox und löste weltweit Schockwellen ratloser Verblüffung aus. Es war eine fundamentale Umkehrung der Fronten: Scheiterte Ribbentrop daran, Polen für einen gemeinsamen Krieg gegen die Sowjetunion zu gewinnen, so gelang es ihm, die Sowjetunion von einem gemeinsamen Angriff auf Polen zu überzeugen. Das vormals umworbene |66|Polen, der anvisierte „Juniorpartner“ deutscher Expansion, wurde so zu seinem ersten Opfer.

Es war die Weigerung der Polen, zu kooperieren – und keineswegs ein tiefverwurzelter Antipolonismus –, die im Jahre 1939 dazu führte, dass die deutschen Expansionspläne zunächst auf Polen bezogen wurden. Das deutsch-polnische Verhältnis der Vorkriegsjahre ist damit ein Musterbeispiel für die opportunistische, wechselhafte Einstellung der Nationalsozialisten zu den slawischen Ländern. In diesem Zusammenhang hat Timothy Snyder ein interessantes Gedankenexperiment gewagt: Hätte Polen sich den deutschen Forderungen einer „Globallösung“ gefügt, wäre es sehr wahrscheinlich, dass das Land – ähnlich wie die Slowakei – den Krieg als Satellitenstaat des Deutschen Reiches überlebt hätte.132 Da die Zweite Polnische Republik jedoch den Weg nach Osten in den künftigen deutschen „Lebensraum“ blockierte, entschloss sich Hitler zur Anwendung massenhafter Gewalt. Das polnische „Nie!“ hatte eine doppelte Konsequenz: Es bestimmte die Bündniskonstellationen der ersten beiden Jahre des Zweiten Weltkriegs und setzte das Land einer entgrenzten deutschen Gewaltherrschaft aus.

 

 

 

    1 Michael G. Müller: Die Teilungen Polens 1772 – 1793 – 1795, München 1988.

    2 Broszat, Zweihundert Jahre, S. 85ff.; Norman Davies: Im Herzen Europas. Eine Geschichte Polens, München 2002, S. 145–152; Rudolf Jaworski/Christian Lübke/Michael G. Müller: Eine kleine Geschichte Polens, Frankfurt/M. 2000, S. 253ff.

    3 Michael G. Müller: Deutsche und polnische Nation im Vormärz, in: Klaus Zernack (Hrsg.): Polen und die polnische Frage in der Geschichte der Hohenzollernmonarchie 1701–1871. Referate einer deutsch-polnischen Historiker-Tagung vom 7. bis 10. November in Berlin-Nikolassee, Berlin 1982, S. 69–95.

    4 Dieter Langewiesche: Humanitäre Massenbewegung und politisches Bekenntnis. Polenbegeisterung in Südwestdeutschland 1830–1832, in: ders.: Liberalismus und Sozialismus. Gesellschaftsbilder – Zukunftsvisionen – Bildungskonzeptionen, Bonn 2003, S. 83–102.

    5 Ebd.

    6 Michael G. Müller/Bernd Schönemann: Die „Polen-Debatte“ in der Frankfurter Paulskirche, Frankfurt/M. 1991.

    7 Günter Wollstein: Das „Großdeutschland“ der Paulskirche: Nationale Ziele in der bürgerlichen Revolution von 1848/49, Düsseldorf 1977.

    8 Zitate nach: Hackmann/Kopij-Weiß, Nationen, S. 52.

    9 Philipp Ther: Deutsche Geschichte als imperiale Geschichte. Polen, slawophone Minderheiten und das Kaiserreich als kontinentales Empire, in: Sebastian Conrad/Jürgen Osterhammel (Hrsg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2006, S. 129–148, hier: S. 136.

   10 Gregor Thum: Eine deutsche Frontier? Die deutsch-polnische Grenze und die Ideen von 1848, in: Karoline Gil/Christian Pletzing (Hrsg.): Granica. Die deutsch-polnische Grenze vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, München 2010, S. 19–38, hier: S. 22.

   11 Zitiert aus der Rede des Abgeordneten Wilhelm Jordan nach: Ebd., S. 22.

   12 Ebd., S. 26.

   13 Hubert Orlowski: „Polnische Wirtschaft“. Zum deutschen Polendiskurs der Neuzeit, Wiesbaden 1996.

   14 Siehe hierzu vor allem: Kristin Kopp: Reinventing Poland as German Colonial Territory in the Nineteenth Century: Gustav Freytag’s Soll und Haben as a Colonial Novel, in: Robert L. Nelson (Hrsg.): Germans, Poland, and Colonial Expansion to the East: 1850 Through the Present, New York 2009, S. 23–64.

   15 Dies ungeachtet der Tatsache, dass nationale Kategorien im Mittelalter keine Rolle spielten. Siehe: Wolfgang Wippermann: Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der Geschichtsschreibung und Publizistik, Berlin 1979; Ther, Geschichte, S. 132ff.

   16 Thum, Frontier, S. 28.

   17 Siehe hierzu die Überlegungen zum Selbstverständnis deutscher Akteure: Jochen Böhler: Die heile Welt des Eduard Schmidt. Gewalt und Alltag deutscher Polizeiformationen und -dienststellen in Polen 1939–1943, in: ders./Stephan Lehnstaedt (Hrsg.): Gewalt und Alltag im besetzten Polen 1939–1945, Osnabrück 2012, S. 89–116.

   18 Zitiert nach: Andreas Wirsching: „Man kann nur den Boden germanisieren.“ Eine neue Quelle zu Hitlers Rede vor den Spitzen der Reichswehr am 3. Feburar 1933, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 49 (2001), S. 517–550, hier: S. 547.

   19 Die Polen bildeten sechs Prozent der Reichsbevölkerung. In Preußen bildeten sie eine große Minderheit von elf Prozent. Die Zahlen nach: Gregor Thum: Imperialists in Panic: The Evocation of Empire at Germany’s Eastern Frontier around 1900, in: Maurus Reinkowski/ders. (Hrsg.): Helpless Imperialists. Imperial Failure, Fear and Radicalization, Göttingen 2013, S. 137–162, hier: S. 141; zur Frage, ob man das Kaiserreich vor diesem Hintergrund noch als Nationalstaat bezeichnen kann, siehe: Ther, Geschichte; ders.: Beyond the Nation: The Relational Basis of a Comparative History of Germany and Europe, in: Central European History 36 (2003), S. 45–73.

   20 Hans-Ulrich Wehler: Von den „Reichsfeinden“ zur „Reichskristallnacht“. Polenpolitik im Deutschen Kaiserreich, in: ders.: (Hrsg.): Krisenherde des Kaiserreiches 1871–1918. Studien zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte, Göttingen 1979, S. 181–202; Broszat, Zweihundert Jahre, S. 134ff.; Jaworski/Lübke/Müller, Geschichte Polens, S. 168ff.

   21 Siehe zu den sogenannten „Ruhrpolen“ insbesondere: Christoph Kleßmann: Polnische Bergarbeiter im Ruhrgebiet, 1870–1945. Soziale Integration und nationale Subkultur einer Minderheit in der deutschen Industriegesellschaft, Göttingen 1978.

   22 Benno Nietzel: Im Bann des Raumes. Der „Osten“ im deutschen Blick vom 19. Jahrhundert bis 1945, in: Gunther Gebhard/Oliver Geisler/Steffen Schröter (Hrsg.): Das Prinzip „Osten“. Geschichte und Gegenwart eines symbolischen Raums, Bielefeld 2010, S. 21–50, hier: S. 27.

   23 Zitiert aus Webers Antrittsrede an der Universität Freiburg von 1895 nach: Jürgen Kaube: Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen, Berlin 2014, S. 211.

   24 Ebd., S. 212.

   25 Thum, Imperialists, S. 146; Nietzel, Im Bann, S. 27ff.

   26 Broszat, Zweihundert Jahre, S. 134ff.

   27 Wolf, Ideologie, S. 39–40.

   28 Ebd.

   29 Hackmann/Kopij-Weiß, Nationen, S. 60.

   30 Broszat, Zweihundert Jahre, S. 134ff.; Jaworski/Lübke/Müller, Geschichte, S. 168ff.; Hackmann/Kopij-Weiß, Nationen, S. 60; Thum, Imperialists, S. 144–145.

   31 Thum, Imperialists, S. 144–151; Wehler, Reichsfeinde, S. 187ff.; Walkenhorst, Nation, S. 222.

   32 Walkenhorst, Nation, S. 273ff.; Wehler, Reichsfeinde, S. 191; Wolf, Ideologie, S. 44–46.

   33 Hackmann/Kopij-Weiß, Nationen, S. 63.

   34 Thum, Imperialists, S. 151–158.

   35 Wehler, „Reichsfeinde“, S. 191.

   36 Wolf, Ideologie, S. 44.

   37 Hackmann/Kopij-Weiß, Nationen, S. 84.

   38 Ebd., S. 85.

   39 Vejas Gabriel Liulevicius: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002.

   40 Siehe hierzu: Herfried Münkler: Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918, Berlin 2013, S. 350–352, hier: S. 352.

   41 Imanuel Geiss: Der polnische Grenzstreifen 1914–1918. Ein Beitrag zur deutschen Kriegszielpolitik im Ersten Weltkrieg, Lübeck 1960; Wolfgang Mommsen: Der Erste Weltkrieg. Anfang und Ende des bürgerlichen Zeitalters, Frankfurt/M. 2004, S. 118–136.

   42 Christhardt Henschel: Territoriale Expansion und „völkische Flurbereinigung“. Überlegungen für einen „polnischen Grenzstreifen“ im Ersten Weltkrieg, in: Karoline Gil/Christian Pletzing (Hrsg.): Granica. Die deutsch-polnische Grenze vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, München 2010, S. 61–74, hier: S. 62.

   43 Münkler, Krieg, S. 352.

   44 Zitiert nach: Ebd., S. 354.

   45 Wolf, Ideologie, S. 50.

   46 Rutherford, Prelude, S. 30–31.

   47 Broszat, Zweihundert Jahre, S. 184f.

   48 Liulevicius, Kriegsland, S. 75.

   49 Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg, München 2011.

   50 Liulevicius, Kriegsland, S. 242.

   51 Ebd., S. 202.

   52 Hackmann/Kopij-Weiß, Nationen, S. 90–91.

   53 Ebd.; Robert Spät: Für eine gemeinsame deutsch-polnische Zukunft? Hans Hartwig von Beseler als Generalgouverneur in Polen 1915–1918, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 58 (2009), S. 469–500.

   54 Siehe umfassend zu den gewalttätigen Ausschreitungen deutscher Soldaten an belgischen Zivilisten während des Vormarsches 1914: John Horne/Alan Kramer: Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004.

   55 Laura Engelstein: „A Belgium of Our Own.“ The Sack of Russian Kalisz, August 1914, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 10 (2009), S. 441–473; Hackmann/Kopij-Weiß, Nationen, S. 93.

   56 Andreas Hillgruber: Der Zweite Weltkrieg. Kriegsziele und Strategie der großen Mächte, Stuttgart 19963, S. 9–26.

   57 Heinrich August Winkler: Im Schatten von Versailles. Das deutsch-polnische Verhältnis während der Weimarer Republik, in: Ewa Kobylińska/Andreas Lawaty/Rüdiger Stephan (Hrsg.): Deutsche und Polen. 100 Schlüsselbegriffe, München/Zürich 1992, S. 60–68, hier: S. 61.

   58 Vgl.: Broszat, Zweihundert Jahre, S. 208ff.

   59 Pohl, Herrschaft, S. 40.

   60 Barth, Dolchstoßlegenden, S. 229–290; Pohl, Herrschaft, S. 34–40.

   61 Robert G. L. Waite: Vanguard of Nazism. The Free Corps Movement in Postwar Germany, Cambridge 1952; Hagen Schulze: Freikorps und Republik 1918–1920, Boppard 1969; Barth, Dolchstoßlegenden.

   62 Siehe hierzu vor allem: Barth, Dolchstoßlegenden, S. 229–290; ders.: Die Freikorpskämpfe in Posen und Oberschlesien 1919–1921. Ein Beitrag zum deutsch-polnischen Konflikt nach dem Ersten Weltkrieg, in: Dietmar Neutatz/Volker Zimmermann (Hrsg.): Die Deutschen und das östliche Europa. Aspekte einer vielfältigen Beziehungsgeschichte. Festschrift für Detlef Brandes zum 65. Geburtstag, München 2006, S. 317–333; Bernhard Sauer: „Auf nach Oberschlesien“. Die Kämpfe der deutschen Freikorps 1921 in Oberschlesien und den anderen ehemaligen deutschen Ostprovinzen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 58 (2010), S. 297–320.

   63 Boris Barth stellt die überzeugende These auf, daß die Lage in Oberschlesien niemals derart eskaliert wäre, wenn eine Volksabstimmung unmittelbar im Sommer 1919 stattgefunden hätte. Wie in Westpreußen und Posen, so Barth, hätte sich der deutsche Widerstand zwar kurzfristig zugespitzt, danach aber wäre eine Beruhigung der Situation eingetreten. Siehe: Ebd., S. 322; ferner: Ralf Schattkowsky: Deutschland und Polen 1918/19 bis 1925. Deutsch-polnische Beziehungen zwischen Versailles und Locarno, Frankfurt/M. 1994, S. 85–94.

   64 Erich von Manstein: Aus einem Soldatenleben 1887–1939, Bonn 1958, S. 66.

   65 Barth, Freikorpskämpfe, S. 322.

   66 Zitiert nach: Ebd., S. 327.

   67 Johannes Hürter: Konservative Mentalität, militärischer Pragmatismus, ideologisierte Kriegführung. Das Beispiel des Generals Georg von Küchler, in: Gerhard Hirschfeld/Tobias Jersak (Hrsg.): Karrieren im Nationalsozialismus. Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz, Frankfurt/M./New York 2004, S. 239–253.

   68 Barth, Dolchstoßlegenden, S. 229–254; ders., Freikorpskämpfe, S. 320ff.

   69 So entpuppten sich etwa die „Vernehmungsräume“ der Freikorps als reine Folterkammern, in denen polnische Zivilisten gefoltert, gequält und misshandelt wurden. Es gehörte anscheinend zur alltäglichen Gewaltpraxis der Freikorps, polnische Gefangene gegen Wände zu stoßen, die durchgehend mit langen Nägeln versehen waren: „Blutspritzer an den Wänden und Hautteile an den Nägeln“ zeugten von dieser Form überschießender Gewalt. Siehe: Sauer, „Auf nach Oberschlesien.“, S. 304.

   70 Jochen August: „Sonderaktion Krakau“. Die Verhaftung der Krakauer Wissenschaftler am 6. November 1939, Hamburg 1997, S. 15f.; Barth, Freikorpskämpfe, S. 332.

   71 Wolfram Wette: Ideologien, Propaganda und Innenpolitik als Voraussetzungen der Kriegspolitik des Dritten Reiches, in: Wilhelm Deist (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bd. 1: Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik, Stuttgart 1979, S. 25–173, hier: S. 94ff.

   72 Jan Chodera: Das Bild Polens in der deutschen Literatur, in: Kommunität. Vierteljahreshefte der Evangelischen Akademie 18 (1974), S. 28–47, hier: S. 41.

   73 Siehe für weitere Beispiele: Ebd., S. 42.

   74 Frank Arnau: Männer der Tat, Berlin 1931, zitiert nach: Ebd., S. 41.

   75 Mit zahlreichen Beispielen: Ebd., S. 40–42.

   76 Arnolt Bronnen: O.S., Berlin 1929, S. 132, zitiert nach: Ebd., S. 41.

   77 Herybert Menzel: Umstrittene Erde, Berlin 1930, S. 147, zitiert nach: Ebd.

   78 Magda Trott: Die Heimat ruft, Breslau 1920, S. 120, zitiert nach: Ebd.

   79 Karl Otto Bark: Deutsche Wacht an der Weichsel, Leipzig 1931, S. 58f., zitiert nach: Ebd.

   80 Vor allem das Personal der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei, die nach 1939 zur Kerngruppe des SS- und Polizeiapparates im besetzten Polen zählten, weist vielfache Verbindungen zu Freikorpskämpfen auf. Siehe detailliert: Mallmann/Böhler/Matthäus, Einsatzgruppen, S. 19–46.

   81 Ruth Bettina Birn: Die Höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten, Düsseldorf 1986, S. 330ff.

   82 Pohl, Herrschaft, S. 39.

   83 Broszat, Zweihundert Jahre, S. 201ff.

   84 Winkler, Im Schatten, S. 60.

   85 Aus einer Vielzahl von Untersuchungen siehe beispielsweise: Rudolf Jaworski: Deutsch-Polnische Feindbilder 1919–1932, in: Ernst Hinrichs (Hrsg.): Deutschland und Polen von der nationalsozialistischen Machtergreifung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, Braunschweig 1986, S. 177–193, hier: S. 181.

   86 Guderian an seine Frau, Bartenstein 24. Mai 1919, zitiert nach: Hürter, Heerführer, S. 89ff.

   87 Winkler, Im Schatten, S. 66.

   88 Ebd., S. 64.

   89 Ebd., S. 63.

   90 Jörg K. Hoensch: Deutschland, Polen und die Großmächte 1919–1932, in: Wolfgang Jacobmeyer (Hrsg.): Die deutsch-polnischen Beziehungen 1919–1932. XVII. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Historiker, Braunschweig 1985, S. 19–34, hier: S. 23.

   91 Michael Burleigh: Germany Turns Eastwards. A Study of Ostforschung in the Third Reich, Cambridge 1988, S. 22ff.; Ingo Haar: Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf“ im Osten, Göttingen 2000; am biographischen Beispiel: Eduard Mühle: Für Volk und Deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung, Düsseldorf 2005; zusammenfassend: Wippermann, Die Deutschen, S. 70–73.

   92 Nietzel, Im Bann, S. 36.

   93 Ulrich Herbert: Wer waren die Nationalsozialisten? Typologien des politischen Verhaltens im NS-Staat, in: Gerhard Hirschfeld/Tobias Jersak (Hrsg.): Karrieren im Nationalsozialismus. Funktionselite zwischen Mitwirkung und Distanz, Frankfurt/M. 2004, S. 17–42, hier: S. 31ff.

   94 Ebd., S. 32.

   95 Rainer Münz/Rainer Ohliger: Auslandsdeutsche, in: Etienne François/Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte, Bd. I, München 2001, S. 370–390, hier: S. 375.

   96 Jansen/Weckbecker, „Selbstschutz“, S. 20f.

   97 Albert Kotowski: Polens Politik gegenüber seiner deutschen Minderheit 1919–1939, Wiesbaden 1999; Wolf, Ideologie, S. 57ff.; Nietzel, Im Bann, S. 34.

   98 Jansen/Weckbecker, „Selbstschutz“, S. 21f.

   99 Wolf, Ideologie, S. 56; Przemysław Hauser: Die deutsche Minderheit in Polen 1918–1933, in: Wolfgang Jacobmeyer (Hrsg.): Die deutsch-polnischen Beziehungen 1919–1932. XVII. deutsch-polnische Schulbuchkonferenz der Historiker, Braunschweig 1985, S. 67–88.

 100 Norbert Krekeler: Die deutsche Minderheit in Polen und die Revisionspolitik des Deutschen Reiches 1919–1933, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Ursachen, Ereignisse, Folgen, Frankfurt/M. 1985, S. 15–28.

 101 „Hinter der Minderheitenpolitik stand die Grenzfrage und erst dadurch erhielt auch erstere ihren politischen Sprengstoff“, urteilte treffend Martin Broszat. Zitiert nach: Broszat, Zweihundert Jahre, S. 228.

 102 Rede Hitlers vom 23.8.1939, zitiert nach: Hans Umbreit: Deutsche Militärverwaltungen 1938/39. Die militärische Besatzung der Tschechoslowakei und Polens, Stuttgart 1977, S. 66.

 103 Diese liefen zunächst parallel zu militärischen Drohungen Polens. Am 6. März wurde die polnische Garnison auf der Westerplatte bei Danzig verstärkt, polnische Kriegsschiffe liefen unangemeldet in den Danziger Hafen ein. Siehe dazu: Marian Wojciechowski: Die polnisch-deutschen Beziehungen 1933–1938, Leiden 1971, S. 10ff.

 104 Ludolf Herbst: Das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Frankfurt/M. 1996, S. 106–110; Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 12.

 105 Siehe etwa: Wojciechowski, Beziehungen, S. 10ff.

 106 Günter Wollstein: Die Politik des nationalsozialistischen Deutschlands gegenüber Polen 1933–1939/45, in: Manfred Funke (Hrsg.): Hitler, Deutschland und die Mächte. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches, Düsseldorf 1976, S. 795–810; Broszat, Zweihundert Jahre, S. 234ff.

 107 Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 11f.; ders., Zweihundert Jahre, S. 234ff.; Connelly, Nazis, S. 11.

 108 Broszat, Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 11.

 109 Zu Hitlers Sympathien für Piłsudski siehe: Borejsza, Antyslawizm, S. 67f.

 110 Broszat, Zweihundert Jahre, S. 235.

 111 Ebd., S. 234.

 112 Ebd.

 113 Gerhard L. Weinberg: Germany, Hitler, and World War II. Essays in Modern German and World History, New York 1995, S. 2.

 114 Bloxham, The Final Solution, S. 171.

 115 In seinem „Zweiten Buch“ forderte Hitler an Stelle einer Fixierung auf die Wiederherstellung der Grenzen von 1914 den Übergang „zu einer klaren weitschauenden Raumpolitik“. Siehe: Gerhard Weinberg (Hrsg.): Hitlers Zweites Buch, München 1961, S. 163.

 116 Klaus Hildebrand: Deutsche Außenpolitik 1933–1945. Kalkül oder Dogma?, Stuttgart/Berlin/Köln 1990, S. 37ff.

 117 Wolf, Ideologie, S. 65f.

 118 Gerade angesichts der bereits analysierten Weimarer Hassliteratur ist ein größerer Bruch kaum denkbar. Siehe dazu umfassend: Karina Pryt: Befohlene Freundschaft. Die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen 1934–1939, Osnabrück 2010.

 119 Connelly, Nazis, S. 11.

 120 ADAP Serie D, Bd. 5, S. 272.

 121 Broszat, Zweihundert Jahre, S. 253ff.

 122 Ders., Nationalsozialistische Polenpolitik, S. 13ff.

 123 Zitiert nach: Ebd.

 124 Ders., Zweihundert Jahre, S. 254.

 125 Siehe hierzu auch die Erinnerungen des deutschen Dolmetschers: Paul Schmidt: Statist auf diplomatischer Bühne 1923–45. Erlebnisse des Chefdolmetschers im Auswärtigen Amt mit den Staatsmännern Europas, Bonn 1950, S. 425–427.

 126 Hans Roos: Polen und Europa. Studien zur polnischen Außenpolitik 1931–1939, Tübingen 1957, S. 396.

 127 Wlodzimierz Borodziej: Geschichte Polens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 187.

 128 Grundlegend: Marek Kornat: Die Politik des „Gleichgewichts“ zwischen zwei totalitären Mächten, in: ders.: Polen zwischen Hitler und Stalin. Studien zur polnischen Außenpolitik in der Zwischenkriegszeit, Berlin 2012, S. 67–118.

 129 Zitiert nach: Böhler, Auftakt, S. 31.

 130 Werner Benecke: Die Entfesselung des Krieges. Von „München“ zum Hitler-Stalin-Pakt, in: Osteuropa 59 (2009), S. 33–46, hier: S. 45.

 131 Jürgen Zarusky: „Hitler bedeutet Krieg“. Der deutsche Weg zum Hitler-Stalin-Pakt, in: ebd., S. 97–114, hier S. 98.

 132 Timothy Snyder: Nazis, Soviets, Poles, Jews, in: The New York Review of Books, 3.12.2009.