|129|Zweiter Teil
„Polnische Banden“ – Krieg, Besatzungspolitik und die Logik der Massaker

„Die Polen“, so formulierte es der Chef des SS-Hauptamtes, Eugen Heißmeyer, im Sommer 1940, „sind keine Norweger oder Holländer oder Vlamen.“1 Aus seiner Perspektive unterschied sich das besetzte Polen von anderen Besatzungsgebieten insbesondere in einem Aspekt: „[H]ier sind Banden“, unterstrich Heißmeyer und hob gleichzeitig hervor, dass dies zu abweichenden Konstellationen deutscher Besatzungsherrschaft in Europa führe: „Im Osten ist die Lage anders als in Südnorwegen, Dänemark, Holland, Belgien, Böhmen und Mähren. Dort ist Ruhe und Frieden.“2 Im besetzten Polen jedoch, so Heißmeyer, sei aufgrund der Existenz bewaffneter Banden „keine Ruhe. Hier müßt ihr wach sein und auf der Hut, hier flackert der Widerstand […], hier brennt unter der Oberfläche der Wunsch nach Rache“3. Deshalb sei es die Aufgabe des SS- und Polizeiapparates, „in vielen Einzelkämpfen und Großaktionen“4 sämtliche Aufstände der „polnischen Banden“ niederzuschlagen: „An die Gewehre, sucht den Feind […] und vernichtet ihn!“5

Schlaglichtartig veranschaulicht Heißmeyer in seinen Ausführungen die fundamentale Bedeutung des Feindbildes der „polnischen Banden“ für die nationalsozialistische Wahrnehmung Polens und seiner Einwohner. Auf diskursiver Ebene fungierten die „polnischen Banden“ geradezu als differentia specifica, mit der das besetzte Polen definiert und zugleich gegenüber anderen Besatzungsgebieten abgegrenzt werden konnte. Aus nationalsozialistischer Perspektive war Polen ein wilder, unregulierter Raum, bevölkert von gewaltaffinen und hinterhältigen Menschen, die sich zu bedrohlichen „Banden“ zusammenschließen würde. Es war diese Perzeption, die Misstrauen und Ängste schürte und Szenarien permanenter Bedrohung schuf, aus denen man sich – wie Heißmeyer nachdrücklich betonte – nur mit der Anwendung von Gewalt befreien könne.

Vor dem Hintergrund der Analyse des spezifischen Settings rückt dieses |130|Kapitel den nationalsozialistischen Umgang mit den „polnischen Banden“ über den gesamten Zeitraum der Besatzungsherrschaft in den Mittelpunkt. Dabei liegt der Fokus der Untersuchung nicht in erster Linie auf den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Partisanen und dem deutschen Besatzungsapparat. Vielmehr widmen sich die folgenden Überlegungen dem Nexus zwischen Partisanenbekämpfung und Massakern an polnischen Zivilisten. Dazu knüpft die Studie an eine Beobachtung von Juliette Pattinson und Ben Shepherd an, die betont haben, dass im Kontext eines Partisanenkrieges die Haltung der Zivilbevölkerung, die zwischen die Fronten gerät, von entscheidender Bedeutung für den Ausgang des Konflikts ist.6 Denn hier können die Partisanen dringend benötigte Versorgungs- und Verpflegungsmöglichkeiten und potentielle Rekrutierungsbasen finden, hier können sie sich zurückziehen, untertauchen, kursierende Gerüchte abschöpfen, aber auch handfeste Informationen über Truppenbewegungen und Planungen der Besatzer erhalten. Ohne eine loyale oder zumindest duldende Haltung der Zivilbevölkerung, so Pattinson und Shepherd, ist Partisanenkrieg kaum erfolgreich zu führen.7 Vor diesem Hintergrund zielt Partisanenbekämpfung in der Regel darauf, den Zugriff der Partisanen auf die Ressource „Zivilbevölkerung“ zu verhindern. Hier öffnet sich für die Besatzer prinzipiell ein breites Spektrum möglicher Handlungsoptionen, das von werbenden Versuchen, die „Köpfe und Herzen“ zu gewinnen, bis hin zum massiven Einsatz von Gewalt reicht, mit dem die Fügsamkeit der Zivilbevölkerung erzwungen werden soll. Es war dieser systematische Zusammenhang, der die polnischen Zivilisten in das Zentrum nationalsozialistischer Partisanenbekämpfung rückte.

Für die folgenden Überlegungen sind drei übergreifende Aspekte von besonderer Bedeutung: der Zweite Weltkrieg als Handlungskontext, die konflikthafte Auseinandersetzung um Fragen der Zuständigkeit und der Zusammenhang von Entgrenzung und Begrenzung der Gewalt.

(1) Als „neuer Möglichkeitsraum“8 formte der Krieg in doppelter Hinsicht einen radikalisierenden Kontext: Zum einen produzierte er auf einer allgemeinen Ebene „jenen mentalen Ausnahmezustand, dessen nationalistischen Furor wir Heutigen beinahe schon vergessen hatten“9, wie Ulrich Herbert einmal formulierte. Der Krieg führte zu einer deutlichen Radikalisierung existierender Feindbilder und „setzte […] die dichtomische Struktur des Denkens und Fühlens auch bei solchen durch, die es gar nicht mit den Nazis hielten“10. Zugleich |131|wurde „unter dem Dogma der ‚nationalen Sicherheit‘ nun vieles möglich, was zuvor nur auf Unverständnis gestoßen“11 wäre. So wurde der Krieg zu einem wichtigen Legitimationsspender nationalsozialistischer Gewalt gegen Zivilisten: „Widersprüche, Einwände oder Vorbehalte waren nun obsolet“12, da es im Krieg tatsächlich um alles ging und deutsche Interessen nun mit allen Mitteln durchgesetzt werden mussten. Allerdings war der Krieg nicht einfach ein „external factor, […] extrinsic to some separate, long-standing perpetrator ‚character‘ oder ‚intention‘“13. Der spezifische Charakter des nationalsozialistischen Krieges in Polen und Osteuropa enthielt bereits die „seeds of radicalism“14: Die ideologische Grundierung des Krieges hatte unmittelbare Rückwirkungen auf die Wahrnehmung und Deutung insbesondere von negativen Entwicklungen an den Fronten. So konnten Rückschläge und Niederlagen rassistisch gedeutet und bestimmten Bevölkerungsgruppen zugeschrieben werden, gegen die nun „kriegsnotwendig“ mit aller Härte und Rücksichtslosigkeit vorgegangen werden konnte. In Zeiten, in denen es um die schiere Existenz des nationalsozialistischen Reiches ging, erschien deshalb auch Gewalt, die nur in losem Zusammenhang mit der Kriegführung stand, unter dem Signum der „Kriegsnotwendigkeiten“15 zunehmend akzeptabel. Dieser Krieg sollte unter allen Umständen gewonnen werden: Dies war das alles überragende Ziel der Nationalsozialisten. Zum anderen verschob sich dadurch im Laufe der Zeit auch die Position des besetzten Polen innerhalb des Gesamtgefüges deutscher Herrschaft in Osteuropa: De facto war es vor allem ein Hinterland der Front, das für die deutsche Kriegführung mobilisiert und ausgebeutet werden sollte. Aus nationalsozialistischer Perspektive implizierte dies jedoch als Bedingung der Möglichkeit vor allem eines: Im „Land der Banden“ musste um jeden Preis Ruhe und Ordnung herrschen. Und dies wiederum setzte die verantwortlichen Stellen im besetzten Polen unter immensen Handlungsdruck, insbesondere im Generalgouvernement, dem zentralen Schauplatz der polnischen Partisanenbewegung.

(2) Zuständig für die Konzipierung und Implementierung von Strategien der Sicherung deutscher Herrschaft war in erster Linie der SS- und Polizeiapparat. An der Spitze der Polizeiverwaltung stand der Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) Ost, dem die „Führung aller dem Reichsführer-SS und Chef der deutschen |132|Polizei unterstehenden Kräfte“16 oblag.17 Dem HSSPF Ost unterstellte Himmler sämtliche Formationen der Ordnungspolizei, die von einem Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) kommandiert wurden, und den gesamten Apparat der Sicherheitspolizei unter dem Kommando eines Befehlshabers der Sicherheitspolizei (BdS).18 Zur Bekämpfung der „polnischen Banden“ konnte der HSSPF Ost auf einen dichten und tiefgestaffelten Apparat zurückgreifen, dessen unterschiedliche Formationen jeweils spezifische Aufgaben erfüllten.19 Die Sicherheitspolizei konzentrierte sich insbesondere in der Frühphase |133|der Besatzung auf die Identifzierung, Verfolgung und Ermordung jener staatstragenden Schichten der polnischen Gesellschaft, die als potentielle Keimzellen einer künftigen polnischen Widerstandsbewegung eingestuft wurden.20 Im Kontext der Partisanenbekämpfung übernahm die Sicherheitspolizei, deren Personal im Laufe der Zeit von etwa 2.00021 auf über 5.00022 Mann aufgestockt wurde, vor allem nachrichtendienstliche Funktionen: Hierzu zählten in erster Linie der Aufbau eines weitverzweigten Agentennetzes, die Lokalisierung „polnischer Banden“ sowie die Durchführung von „scharfen Vernehmungen“ gefangener „Bandenverdächtiger“. Das eigentliche Rückgrat der Aktionen gegen „polnischen Banden“ bildeten jedoch die unterschiedlichen Einheiten der Ordnungspolizei, die das operative Tagesgeschäft der Partisanenbekämpfung übernahmen und eine Vielzahl größerer und kleinerer Aktionen durchführten. Der Personalstand dieses Fußvolks der Partisanenbekämpfung wurde – aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage – im Laufe der Zeit kontinuierlich verstärkt: So erhöhte sich die Zahl der Ordnungspolizisten von 10.61023 im Jahre 1940 auf 15.000 Ordnungspolizisten 194224, steigerte sich im folgende Jahr nochmals auf über 19.00025, um schließlich 1944 ihren Höchststand mit über 44.00026 Mann zu erreichen. Diese Einheiten von Sicherheits- und Ordnungspolizei wurden noch verstärkt durch Truppen der Waffen-SS in einer Gesamtstärke von bis zu 12.000 Mann27 und etwa 14.000 Polizisten der Polnischen Polizei, die unter dem Kommando der deutschen Ordnungspolizei |134|immer wieder zu größeren Unternehmen der Partisanenbekämpfung rekrutiert wurden.28

„Sicherheit“ war jedoch ein Handlungsfeld, das aufgrund seiner fundamentalen Bedeutung das Interesse weiterer Besatzungsbehörden auf sich zog, die sich im Laufe der Zeit in unterschiedlicher Weise an den polizeilichen Sicherungsmaßnahmen beteiligten. Hier ist zunächst die Zivilverwaltung unter Dr. Hans Frank29 zu nennen: Im Grunde waren sämtliche Ebenen des dreistufigen Besatzungsapparates, der auf zentraler Ebene die „Regierung des Generalgouvernements“30, auf regionaler Ebene die Distrikte31 und auf lokaler Ebene die Kreisverwaltungen32 umfasste, in die Partisanenbekämpfung involviert. Während die Leitungsebenen als interne pressure groups fungierten, die in den Konsultation mit dem SS- und Polizeiapparat auf ein „energisches Durchgreifen“ drängten, speisten die Ressortabteilungen, insbesondere die Hauptabteilungen Arbeit und Ernährung und Landwirtschaft, ihre Expertise und ihre Wünsche direkt in die Konzipierung von Aktionen ein. So wurde die Partisanenbekämpfung immer wieder mit anderen Politikfeldern gekoppelt und entpuppte sich im Zeitablauf als catch-all-Maßnahme deutscher Herrschaft: Folglich zielten die Aktionen nicht nur auf die Herstellung von „Sicherheit“, sondern galten auch als Mittel zur Rekrutierung von Zwangsarbeitern und zur Eintreibung landwirtschaftlicher Kontingente. Darüber hinaus wurden auch die Besatzungstruppen der deutschen Wehrmacht in der Partisanenbekämpfung aktiv.33 Der Militärbefehlshaber34 verfügte über fünf Oberfeldkommandanturen |135|und eine Operationsreserve in Stärke von zwei Reservedivisionen35, deren Soldaten vom HSSPF Ost auf dem kurzen Dienstweg zur Partisanenbekämpfung rekrutiert werden konnten.

Die Zusammenarbeit dieser unterschiedlichen Besatzungsbehörden in der Partisanenbekämpfung produzierte in der Summe ein überaus ambivalentes Bild: Auf der einen Seite schuf die Partisanenbekämpfung breite Zonen der Übereinstimmung zwischen den unterschiedlichen Akteuren der deutschen Besatzungsherrschaft. So galt die Vernichtung der „polnischen Banden“ durch den HSSPF Ost als conditio sine qua non zur Durchsetzung deutscher Interessen und wurde von der Zivilverwaltung und der Wehrmacht grundsätzlich unterstützt.

Auf der anderen Seite entpuppte sich das Vorgehen des SS- und Polizeiapparates zu einem veritablen Konfliktherd innerhalb des deutschen Besatzungsapparats. Wie das Eingangszitat von Eugen Heißmeyer zeigt, beruhten die die Maßnahmen des SS- und Polizeiapparates zur Herstellung von umfassender „Sicherheit“ im besetzten Polen auf dem Einsatz massiver Gewalt. Aus der Perspektive des SS- und Polizeiapparates barg die Gewalt das Versprechen, die Kontrolle über eine gefährliche Situation zurückgewinnen und die Bedrohung durch polnische Partisanenverbände aus der Welt schaffen zu können. In der Binnenkommunikation mit den anderen Besatzungsbehörden wurde dabei eine spezifische Erwartungshaltung erzeugt: dass nämlich Sicherheit im Kontext der Fremdherrschaft durch den energischen Gewalteinsatz von SS und Polizei ein erreichbarer Zustand sei, dessen Eintreten unmittelbar bevorstehe. An dieser Erwartungshaltung wurde der SS- und Polizeiapparat schließlich von den anderen Besatzungsbehörden gemessen, die feststellen mussten, dass das Versprechen von „Sicherheit“ nicht eingelöst wurde. Vielmehr wurden immer weitere Gefahren und Bedrohungen identifiziert, intensivierte sich im Laufe der Zeit das Gefühl der Bedrohung und entzogen sich immer größere Räume dem deutschen Zugriff.36 Jedoch reagierte der SS- und Polizeiapparat auf das offenkundige Scheitern seines Sicherheitsversprechens nicht mit einem Strategiewechsel, |136|sondern versuchte unter Beibehaltung der bisherigen Konzeption mit einem noch höheren Ressourcen- und Gewalteinsatz ihr Sicherheitsversprechen zu realisieren. Diese Lernresistenz, die Unfähigkeit, von einem einmal eingeschlagenen Weg abzuweichen, war ein wesentliches Kennzeichen der gewalttätigen Sicherungsstrategien des SS- und Polizeiapparates, die zu keinem Zeitpunkt zur Stabilisierung des deutschen Herrschaftsanspruchs beitragen konnten. Dies führte innerhalb der Zivilverwaltung und der Wehrmacht immer wieder zu Zweifeln an den Kompetenzen des SS- und Polizeiapparates, dem ein unproduktives und unprofessionelles Vorgehen bescheinigt wurde. Insbesondere der Militärbefehlshaber erhob angesichts des Debakels von SS und Polizei verstärkt Ansprüche auf die Zuständigkeit für die Wiederherstellung von „Sicherheit und Ordnung“ und eröffnete damit die immer wieder geführten Debatten um Kompetenzen im Politikfeld „Sicherheit“. Diese Kompetenzkonflikte wirkten dabei als ein eigenständiger Radikalisierungsfaktor: Denn der SS- und Polizeiapparat sah sich umso mehr unter Zugzwang gesetzt, die eigenen Kompetenzen nachzuweisen, je stärker diese von Dritten bezweifelt wurden. Und in der Logik ihrer Sicherungsstrategien impliziert dies eine abermalige Intensivierung des Gewalteinsatzes. Gleichzeitig versuchte Himmler die Angriffe auf die Zuständigkeit des SS- und Polizeiapparates durch Integration des besetzten Polen in eine überregionale Sicherheitsarchitektur abzuwehren. Mit der Eingliederung der polnischen Gebiete in das Netzwerk der „Bandenkampfgebiete“ entzog er sich der Kritik an den leeren Versprechungen seines regionalen SS- und Polizeiapparates, indem er mit Erich von dem Bach-Zelewski als „Chef der Bandenkampfverbände“ einen externen Zuständigen installierte. Allerdings blieb auch dieses Sicherheitsversprechen unerfüllt, so dass dem SS- und Polizeiapparat schließlich – mit dem Heranrücken der Front im Frühjahr 1944 – der Zugriff auf dieses Politikfeld entzogen wurde. Bis zum Rückzug der deutschen Truppen von polnischem Boden im Januar 1945 waren es die Einheiten der deutschen Wehrmacht, die offiziell für die Sicherung des Besatzungsgebietes zuständig waren.

(3) Die Gewalt, die im Kontext der nationalsozialistischen Partisanenbekämpfung entfesselt wurde und die sich in zahllosen Massakern an polnischen Zivilisten entlud, stellte die militärischen und polizeilichen Führungsebenen vor eine spezifische Herausforderung: Auf der einen Seite ermächtigten sie ihre Truppen zum Einsatz von massiver Gewalt, um die „polnischen Banden“ zu vernichten. Diese Ausdehnung der Zone erlaubter Gewaltanwendung barg – auf der anderen Seite – jedoch die Gefahr einer unkontrollierten Esklalation, die unter allen Umständen verhindert werden sollte. Jan Philipp Reemtsma hat in diesem Zusammenhang einmal darauf hingewiesen, dass Organisationen mit Gewaltlizenz ihre Mitglieder kontrollieren müssen, um zu verhindern, dass sich die Gewalt gegen die eigene Institution richtet.37 Zwar wurden die eingesetzten |137|Einheiten zur massiven Gewaltanwendung ermuntert, indem ihnen im Sinne eines „Du darfst!“ Rückendeckung zur Ausreizung eines möglichst großen Handlungsspielraums zugesichert wurde. Allerdings sollte die nationalsozialistische Partisanenbekämpfung nicht zu einem Privatkrieg eigenmächtiger Soldaten und Polizisten führen, da dies wiederum die Disziplin, den normativen Rahmen der Institution, gefährden würde.38 Die Spitzen von Polizei und Militär standen also vor dem Problem, dass in einer Konstellation der intendierten Entgrenzung exzessiver Gewalt Disziplinlosigkeiten oder Willkürakte zu einem massiven Problem für die Stabilität der Institutionen werden. Daher finden sich zahlreiche Befehle, die darauf zielten, die Disziplin und die „Manneszucht“ innerhalb der Truppen wiederherzustellen. Die deutsche Partisanenbekämpfung entfaltete sich deshalb auch in einem permanenten Spannungsverhältnis von Entgrenzung und Begrenzung erlaubter Gewaltanwendung, das der Partisanenbekämpfung eine spezifische Dynamik verlieh.39

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen nimmt das folgende Kapitel die Massaker an polnischen Zivilisten im Kontext der Bekämpfung „polnischer Banden“ in den Blick. Keineswegs strebt die folgende Darstellung einen Anspruch auf Vollständigkeit an – vielmehr sollen jene Massaker in den Blick genommen, die für bestimmte Phasen deutscher Partisanenbekämpfung von Bedeutung sind. Die Untersuchung differenziert dabei zwischen sechs Konstellationen, die sich über den gesamten Zeitraum nationalsozialistischer Herrschaft erstrecken und einen umfassenden Einblick in die Entwicklung und Dynamik der Partisanenbekämpfung bieten:

Zunächst analysiert die vorliegende Untersuchung die Massaker an polnischen Zivilisten während des deutschen Überfalls auf Polen im September 1939. Sie knüpft dabei an die Studie Jochen Böhlers an, der ein Interpretationsangebot für das massenhafte Töten polnsicher Zivilisten durch deutsche Soldaten und Polizisten vorgelegt hat. Sein argumentativer Angelpunkt war dabei der „Freischärlerwahn“, also die Angst der deutschen Soldaten vor der „hinterhältigen“ Kampfesweise vermeintlich allgegenwärtiger polnischer Partisanen. Böhler betont jedoch, dass es ein virtueller Krieg war, den die Wehrmacht hier führte: Denn eine organisierte polnische Partisanenbewegung habe es im September 1939 nicht gegeben. Gleichwohl habe die illusionäre Vorstellung eines ubiquitären Feindes verhaltenssteuernde Wirkung gehabt und Massakern an polnischen Zivilisten Vorschub geleistet. Die Analyse von Massakern im Kontext eines eingebildeten Partisanenkrieges bildet die Grundlage für die |138|Analyse jener Konstellation, in der die Deutschen tatsächlich mit polnischen Partisanen konfrontiert wurden. Hier bildeten sich bestimmte Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster, die in vielfältiger Weise mit den folgenden Entwicklungen verbunden sind.

In einem zweiten Schritt richtet sich der Fokus auf das Frühjahr 1940 und damit auf jenen Moment, als sich die deutschen Besatzer tatsächlich erstmals mit einer bewaffneten Gruppierung konfrontiert sahen. Die Auseinandersetzung mit „Hubal“ und seinen Männern kann als Initiationsphase begriffen werden, in der das Instrument der „Bandenbekämpfung“ erstmals angewendet wurde. Die hier gemachten Erfahrungen sollten in unterschiedlichem Maße bereits auf die folgenden Jahre verweisen.

Daraufhin widmet sich die Analyse einer Konstellation, in der das Auftreten bewaffneter Gruppierungen keine punktuelle Erscheinung mehr war, sondern in bestimmten Räumen zu einem flächendeckenden Phänomen wurde. Ab Sommer 1942, so läßt sich nur wenig vereinfachend sagen, sammelten sich solche Gruppen insbesondere in den waldreichen Gebieten im Südosten des Generalgouvernements. Der deutsche Besatzungsapparat nahm diese Entwicklung als massive Herausforderung wahr, auf die mit den Mitteln der Partisanenbekämpfung reagiert wurde. Die entscheidenden Träger die Aktionen im Sommer und Herbst 1942 waren dabei in erster Linie kleinere Formationen der Ordnungspolizei, die beweglich und dezentral organisiert bestimmte Gebiete immer wieder durchkämmten.

Anschließend nimmt die Analyse das Jahr 1943 in den Blick, das in doppelter Hinsicht die Parameter nationalsozialistischer „Bandenbekämpfung“ verschob. Einerseits wurde das Scheitern der bis dahin verfolgten Strategie offenkundig: Seit der Jahreswende 1942/43 ist eine explosionsartiges Anwachsen der bewaffneten Gruppierung in den Wäldern des Generalgouvernements zu verzeichnen, die in bestimmten Räumen den deutschen Herrschaftsanspruch deutlich einschränkten. Andererseits wurde das besetzte Polen zum „Bandenkampfgebiet“ erklärt und in eine überregionale Sicherheitsarchitektur eingebunden.

Ferner untersucht die Studie die Endphase nationalsozialistischer „Bandenbekämpfung“: Es war eine Phase, in der die deutschen Besatzungstruppen die Kontrolle über weite Räume de facto verloren hatten. Vor dem Hintergrund des Vormarsches der Roten Armee ist dabei ein erneuter Zuständigkeitswechsel zu verzeichnen: Ab 1944 fanden die Aktionen zur „Bandenbekämpfung“ unter der Ägide der deutschen Wehrmacht statt.

Schließlich folgt eine Analyse der Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944, in deren Rahmen das bislang auf den ländlichen Raum bezogene Instrument der Partisanenbekämpfung erstmals auf ein urbanes Zentrum angewendet wurde. Dieser Methodentransfer in den städtischen Raum verschob das Bedingungsgefüge der „Bandenbekämpfung“ und produzierte eine abermalige Radikalisierung des deutschen Vorgehens.

 

 

 

    1 KdS Warschau, Befehl Nr. 26, Betr.: Befehl des SS-Hauptamtes, 21.6.1940, AAN, 214/V-6 (Niemieckie władze okupacyjne 1939–1945), Bl. 1ff.

    2 Ebd.

    3 Ebd.

    4 Ebd.

    5 Ebd.

    6 Juliette Pattinson/Ben Shepherd: Partisan and Anti-Partisan Warfare in German-Occupied Europe, 1939–1945. Views from Above and Lessons for the Present, in: The Journal of Strategic Studies 31 (2008), S. 675–693, hier: S. 677.

    7 Ebd.

    8 Kundrus/Strotbek, Genozid, S. 416.

    9 Herbert, Wer waren die Nationalsozialisten, S. 36.

   10 Ebd.

   11 Kundrus/Strotbek, Genozid, S. 416.

   12 Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 394.

   13 Donald Bloxham: Genocide, The World Wars and the Unweaving of Europe, London 2008, S. 3.

   14 Ebd., S. 4.

   15 Christoph Dieckmann/Babette Quinkert: „Kriegsnotwendigkeiten“ und die Eskalation der deutschen Massengewalt im totalen Krieg. Einführende Bemerkungen, in: dies. (Hrsg.): Kriegführung und Hunger 1939–1945. Zum Verhältnis von militärischen, wirtschaftlichen und politischen Interessen, Göttingen 2015, S. 9–32.

   16 Zitiert nach: Birn, Höhere SS- und Polizeiführer, S. 83.

   17 Diese Schlüsselposition innerhalb des Gesamtgefüges deutscher Herrschaft besetzte Himmler mit besonders radikalen, ihm treu ergebenen Führungskadern des SS-Polizeiapparates. Zunächst installierte Himmler den SS-Obergruppenführer Friedrich-Wilhelm Krüger als HSSPF Ost. Der 1894 in Straßburg geborene Krüger, der das Gymnasium vor dem Abitur verlassen hatte, um eine Kadettenschule zu besuchen, war ein Veteran des Ersten Weltkriegs und nach der deutschen Niederlage Mitglied des Freikorps Lützow. Seine berufliche Laufbahn – nach dem Ausscheiden aus der Reichswehr – war überaus wechselhaft: so war er zunächst im Buchhandel tätig, bevor er 1924 Vorstandsmitglied der Berliner Müllabfuhr wurde. Nach seiner Entlassung trat Krüger 1929 in die NSDAP ein, wurde ein Jahr später Mitglied der SA und trat 1931 in die SS ein. Ab 1932 war er Abgeordneter der NSDAP-Fraktion im Reichstag und diente als SA-Gruppenführer im Persönlichen Stab von Ernst Röhm. Hier übernahm er das Ausbildungswesen der SA, agierte dabei jedoch so ungeschickt, dass er heftige Konflikte mit der SA-Führung provozierte und schließlich 1935 von seinem Posten entbunden wurde. Daraufhin kehrte er der SA den Rücken und engagierte innerhalb der SS, wo er schnell in Himmlers Führungsmannschaft aufstieg. BAB, BDC, SSO Krüger; Larry V. Thompson: Friedrich-Wilhelm Krüger – Höherer SS- und Polizeiführer Ost, in: Smelser/Syring, Die SS, S. 320–331; Birn, Die Höheren SS- und Polizeiführer, S. 340; Longerich, Himmler, S. 141; seine Ernennung zum HSSPF Ost im Herbst 1939 verstand Himmler offenkundig als Gelegenheit zur Bewährung. Siehe: Birn, Die Höheren SS- und Polizeiführer, S. 379–380; bis November 1943 blieb Krüger HSSPF Ost, wurde schließlich jedoch abgelöst und durch den vormaligen HSSPF Warthe, Wilhelm Koppe ersetzt. Der 1896 in Hildesheim geborene Koppe, ein hochdekorierter Weltkriegsveteran und ehemaliger Kaffeegroßhändler, war 1930 in die NSDAP und 1932 in die SS eingetreten. Vor dem deutschen Überfall fungierte Koppe als Inspekteur der Sicherheitspolizei in Dresden. BAB, BDC, SSO Koppe; Epstein, Model Nazi, S. 144f.; Birn, Höhere SS- und Polizeiführer, S. 339; Koppe war einer der „härtesten und durchsetzungsfähigsten HSSPF“ und genoss Himmlers volles Vertrauen, der ihn wohl gerade deshalb im November 1943 in das Generalgouvernement abberief. Siehe: Birn, Höhere SS- und Polizeiführer, S. 378.

   18 Auf der regionalen Ebene setzte sich dieses Muster fort: Hier wurden erstmals SS- und Polizeiführer (SSPF) als Territorialbefehlshaber eingesetzt, die dem HSSPF Ost direkt unterstanden. Innerhalb der einzelnen Distrikte waren den SSPF wiederum die Kommandeure der Sicherheitspolizei (KdS) und der Ordnungspolizei (KdO) unterstellt. Siehe: Führerorganisation der Polizei im Generalgouvernement, 1.11.1939, BAB, R 58/241; Stellenbesetzung der SS u. Polizei im Generalgouvernement, BAB, R 70 Polen/180; Mallmann/Matthäus/Böhler, Einsatzgruppen, S. 100.

   19 Laut Wolfgang Jacobmeyer war das Generalgouvernement in Sicherheitsfragen „das am stärksten von SS- und Polizeifunktionen durchsetzte Besatzungsgebiet des Zweiten Weltkriegs“. Siehe: Wolfgang Jacobmeyer: Das Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete 1939–1945, unv. Manuskript (Hamburg 2011), S. 3. Ich danke Wolfgang Jacobmeyer für die freundliche Überlassung des Textes.

   20 Siehe exemplarisch zum Distrikt Radom: Borodziej, Terror.

   21 Mallmann, „Mißgeburten“, S. 75; geringfügig andere Zahlen bei: Borodziej, Terror, S. 53. Borodziej geht von etwa 2.000 Angehörigen der Sicherheitspolizei im GG aus: 479 Beamte beim KdS Krakau, 321 Beamte beim KdS Lublin, 351 Beamte beim KdS Radom und 481 Beamte beim KdS Warschau.

   22 Besprechung der politischen Angelegenheiten, 21.11.1942, in: Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 574.

   23 Es handelte sich um vier Polizeiregimenter mit 13 Polizeibataillonen und einer berittenen Abteilung, 40 Gendarmeriezüge und 400 Schutzpolizisten im Einzeldienst Aufbau der Orpo im GG, 20.8.1940, BAB, R 19/97; Einzeldienst der Schutzpolizei des Reiches im GG, 2.7.1940, AIPN, Reg. GG, Nr. II/330, Bl. 2ff.

   24 Besprechung der politischen Angelegenheiten, 21.11.1942, in: Präg/Jacobmeyer, Diensttagebuch, S. 574.

   25 Borodziej, Terror, S. 34ff.; Eisenblätter, Grundlinien, S. 293; Seidel, Deutsche Besatzungspolitik, S. 63.

   26 Ebd.; Marek Getter: Zarys organizacji policji niemieckiej w Warszawie i dystrykcie warszawskie w latach 1939–1944, in: Rocznik Warszawski 6 (1965), S. 256ff.

   27 Martin Cüppers: auf eine so saubere und anständige SS-mäßige Art“. Die Waffen-SS in Polen 1939–1941, in: Klaus-Michael Mallmann/Bogdan Musial (Hrsg.): Genesis des Genozids. Polen 1939–1941, Darmstadt 2004, S. 90–110, hier: S. 105.

   28 Anordnung HSSPF Ost, 8.7.1940, BAB, R 52 III/43, Bl. 54ff.; Adam Hempel: Pogrobowcy klęksi. Rzecz o policji „granatowej“ w Generalnym Gubernatorstwie 1939–1945, Warszawa 1990, S. 68ff.; Seidel, Besatzungspolitik, S. 83; Borodziej, Terror, S. 38ff.

   29 Zur Person Franks siehe: Dieter Schenk: Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur, Frankfurt/Main 2006; Karol Grünberg/Boleslaw Otręba: Hans Frank na Wawelu, Włocławek 2001; Christian Schudnagies: Hans Frank. Aufstieg und Fall des NS-Juristen und Generalgouverneurs, Frankfurt/Main 1989.

   30 Siehe zur Struktur und Personal der „Regierung des Generalgouvernements“: Max Freiherr Du Prel: Das Generalgouvernement, Würzburg 1942, S. 375–381.

   31 Musial, Zivilverwaltung, S. 40.

   32 Siehe umfassend: Roth, Herrenmenschen.

   33 Die Gesamtstärke militärischer Besatzungstruppen variierte im Verlauf der deutschen Besatzungsherrschaft zum Teil gravierend: Waren im Oktober 1939 noch insgesamt 550.000 deutsche Soldaten im Generalgouvernement stationiert, so sank die Zahl April 1940 auf 400.000, um – im Zuge des militärischen Aufmarsches zur „Operation Barbarossa“ – im Juni 1941 auf etwa 2.000.000 zu steigen. Bis Februar 1942 verringerte sich diese Anzahl wieder auf etwa 300.000 deutsche Soldaten, bevor sie sich im November 1943 auf 550.000 erhöhte, um schließlich, unmittelbar vor dem Ende der deutschen Besatzung, im September 1944 abermals die Millionengrenze zu durchstoßen. Siehe: Leon Herzog: Die verbrecherische Tätigkeit der Wehrmacht im Generalgouvernement in den Jahren 1939 bis 1945, in: Zeitschrift für Militärgeschichte 4 (1967), S. 445–458, hier: S. 449ff.; Łuczak, Polityka, S. 411.

   34 Die organisatorischen Strukturen unterlagen dabei einem permanenten Wandel: Bis 1940 unterstanden die deutschen Truppen im Generalgouvernement einem Oberbefehlshaber Ost, dessen Dienststelle jedoch Juli 1940 umbenannt und nun von einem Militärbefehlshaber im Generalgouvernement geleitet wurde. Im September 1942 fand eine abermalige Umwandlung der militärischen Führungsstrukturen statt, an dessen Spitze nun ein Wehrkreisbefehlshaber im Generalgouvernement stand. In der Endphase der deutschen Herrschaft in Polen, schließlich, wurde der militärische Führungsstab als Befehlshaber im Heeresgebiet Generalgouvernement bezeichnet. Herzog, Tätigkeit, S. 447ff.; ders.: Niemieckie siły zbrojne w okupowanej Polsce w latach 1939–1941, in: Wojskowy Przegląd Historyczny 4 (1961), S. 88–113; Kazimierz Radziwończyk: Niemieckie siły zbrojne w okupowanej Polsce, 22.6.1941-wiosna 1944 r., in: Wojskowy Przegląd Historyczny 3 (1962), S. 103–159.

   35 Dies waren die Reservedivision 154 unter Generalleutnant Altrichter und die Reservedivision 174 unter Generalleutnant Renner; siehe: Herzog, Tätigkeit, S. 446ff.

   36 Siehe zu dieser Dynamik grundsätzlich: Münkler, Strategien.

   37 Reemtsma, Vertrauen, S. 173.

   38 Ders.: Institutions of Violence and their Potential Dynamics, in: Wolfgang R. Vogt (Hrsg.): Gewalt und Konfliktbearbeitung. Befunde – Konzepte – Handeln, Baden-Baden 1997, S. 151–161.

   39 Für den kroatischen Fall siehe die anregenden Überlegungen von: Alexander Korb: Im Schatten des Weltkriegs. Massengewalt der Ustaša gegen Serben, Juden und Roma in Kroatien 1941–1945, S. 347ff.