Kapitel Zehn
Kaum hatte er das gesagt, bereute Dave es auch schon.
„Okay, vergiss, dass ich gefragt habe. Warum würdest du bloß für einen Käsekuchen mit dem Zug nach Bromley fahren wollen? Und selbst wenn du es wolltest, ich habe keine Ahnung, wann heute Nacht noch ein Zug fährt, mit dem du zurück nach Hause fahren könntest. Ich weiß nicht mal, wo du wohnst. Und ich war egoistisch. Chris übernachtet ja bei Ethan heute, und die Vorstellung, zurück in ein leeres Haus zu kommen … na ja. Okay, lass uns einfach Churros bestellen und …“
„Dave. Wie wäre es, wenn du mal kurz Luft holen würdest, sodass ich auch was sagen kann?“
Er schwieg.
„Okay.“ Jeff nahm einen Schluck Wasser und faltete dann die Hände vor sich auf dem Tisch. „Ich würde sehr gern mit zu dir kommen und Käsekuchen essen. Der letzte Zug aus Bromley fährt um null Uhr fünfzig – ich habe nachgeschaut. Ich wohne in einer Einzimmerwohnung im Erdgeschoss in Dagenham. Nein, du bist nicht egoistisch. Ich verstehe sehr gut, dass es sich komisch für dich anfühlen könnte, wenn Chris nicht im Haus ist. So verlockend Churros und Schokoladensoße auch klingen, für meine schlanke Linie wären sie weniger ideal. Und wenn wir den Champagner in den Kühlschrank tun, wenn wir bei dir ankommen, vermute ich, dass er, wenn wir mit dem Käsekuchen fertig sind, kalt genug ist, um ihn zu öffnen und zusammen zu trinken – außer, er ist bis dahin explodiert.“
Daves Herzschlag beruhigte sich ein wenig. „Ich wollte ganz locker klingen mit meinem Vorschlag, aber als ich es dann wirklich gesagt habe … Ich werde dich nicht zu lange aufhalten, falls du morgen arbeitest.“
„Das tue ich, aber meine Schicht beginnt erst um eins.“ Jeff lächelte. „Außerdem, dank dir dauert mein Geburtstag länger.“
„Dann lass uns gehen.“
Jeff gab dem Kellner ein Zeichen, und nachdem dieser bestätigt hatte, dass mit der Bezahlung alles geklärt war, gab Jeff ihm ein Trinkgeld, nahm seine Tüte mit der Champagnerflasche, und sie verließen das Restaurant. Es war eine kalte Nacht, und Dave zog seinen Mantel enger um sich.
„Wir können ein Taxi von Waterloo bis Victoria nehmen“, schlug Jeff vor. Sie gingen schnell, wobei sie den zahlreichen Passanten auswichen, die ihnen entgegenkamen.
„Ich muss dir was gestehen“, sagte Dave, nachdem sie eine gute Minute gegangen waren.
„Oh? Muss ich Angst haben?“
„Ich habe dir eine Karte zum Geburtstag gekauft, aber ich habe sie zu Hause vergessen. Ich wollte sie mitnehmen, aber ich habe einfach nicht mehr dran gedacht.“
Jeff lachte. „Aha. Deshalb fahren wir also zu dir nach Hause.“ Dave lachte auch. Nach ein paar Augenblicken fuhr Jeff fort: „Du hast mal gesagt, dass du Matt am Anfang nicht leiden konntest. Warum?“ Sein Atem bildete in der eisigen Luft weiße Wölkchen.
Dave lachte leise. „Ich war im Campus-Supermarkt einkaufen. Ich wollte ein Laib Brot kaufen. Du weißt, wie es manchmal ist, oder? Man geht los, um eine Sache zu kaufen, und dann sieht man andere Sachen, die man auch noch braucht. Ich hatte mir keinen Einkaufskorb genommen – ich wollte ja nur ein Brot –, aber als ich an die Kasse kam, bereute ich das. Ich hatte beide Arme voller Sachen, versuchte, nichts fallen zu lassen. Du kannst dir denken, was als Nächstes passierte. Es war wie beim Domino. Als das erste Teil runterfiel, kam der ganze Rest hinterher. Da hockte ich also und versuchte hektisch, alles aufzusammeln, als diese Stimme sagte: ‚Man nimmt entweder einen Korb, oder man kauft weniger ein.‘“ Er lächelte. „Da stand Matt mit seinem überlegenen Lächeln. Ich bedankte mich bei ihm für den Tipp, und dann sagte ich, wenn er nicht mehr anzubieten hätte an Unterstützung, dann sollte er sich seine Ratschläge bitte sonst wohin stecken.“
Jeff lachte. „Also nicht direkt Liebe auf den ersten Blick.“
Dave schnaubte lachend. „Ich fand, dass er ein arroganter Blödmann war. Dann, ein paar Wochen später, traf ich ihn in der Campus-Bar – ganz wörtlich. Ich ging rein, genau als er rauskam, und wir sind zusammengestoßen. Er lag auf dem Boden, alle Viere von sich gestreckt, rieb sich den Kopf, und das Erste, was er von sich gab, war ein Zitat aus einem Gary-Larson-Cartoon. ‚Das kokosnuss-artige Geräusch, als ihre Köpfe zusammenstießen, erfreute den Vogel insgeheim.‘ Ich wusste natürlich zuerst nicht, dass es ein Zitat war, und dachte, ich hätte es mit einem komplett Durchgeknallten zu tun. Erst Monate später zeigte er mir den Cartoon, wo ein Mann, eine Katze und ein Hund sich alle gleichzeitig bücken, um einen Ball aufzuheben, während ein Papagei im Käfig sitzt und zusieht.“ Er lachte in sich hinein. „Meine erste Begegnung mit Larson. Da wusste ich, dass wir einen ähnlichen Sinn für Humor hatten.“
Er blieb an der Bordsteinkante stehen und hob die Hand, um ein vorbeifahrendes schwarzes Taxi anzuhalten. Er nannte dem Fahrer die Adresse, und sie stiegen hinten ein.
„Und was hat schließlich das Eis gebrochen?“, fragte Jeff.
Dave seufzte. „Er hat mich zum Drink eingeladen, weil er sagte, er sei schuld gewesen – er hatte auf eine Nachricht auf seinem Handy geguckt. Ich sagte okay, und wir kamen ins Gespräch. Als er aufhörte, mir auf die Nerven zu gehen, merkte ich, dass er tatsächlich ziemlich gut aussah. Aus einem Drink wurden viele, und wir haben den Rest der Nacht geredet. Irgendwann gestand er mir, dass er nach der Sache im Supermarkt versucht hatte, mich wiederzufinden. Der Rest ist Geschichte.“
„Gab es vor Matt schon mal jemanden?“
Dave schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht viel ausgegangen. Ich war ein langweiliger Student. Ich weiß nicht mal mehr, warum ich an dem Abend in die Bar gegangen bin. Ich habe kaum getrunken, anders als die meisten Leute in meinem Studiengang. Denen war jeder Anlass recht, um ein Bierchen zu kippen oder sieben. Also, ich nehme an, es war Schicksal.“ Er blickte aus dem Fenster. „Ah. Wir sind da.“
Sie stiegen aus, und Dave zahlte das Taxi. Der nächste Zug nach Bromley stand bereits kurz vor der Abfahrt, und es war der pure Stress, rechtzeitig den Bahnsteig zu erreichen. In der allerletzten Sekunde sprangen sie in den Zug. Jeff sicherte die erstbesten zwei freien Plätze, und sie sanken erschöpft auf die Sitze.
„War Chris aufgeregt wegen heute Nacht?“
Dave lächelte. „Ja, aber nicht, weil er bei Ethan übernachtet. Dass ich mit dir essen gehe, hat ihn viel mehr interessiert.“ Er wandte den Kopf und sah Jeff an. „Du hast da einen Fan.“
Jeff wurde rot. „Er ist großartig. Ich wollte fragen, gibt es etwas, was ich ihm zu Weihnachten schenken könnte? Ich würde ihm gern ein Geschenk kaufen.“
Wärme durchströmte ihn. „Das ist sehr lieb von dir. Du musst das nicht tun.“
„Aber ich möchte gern. Hast du eine Idee für mich, was ihm gefallen könnte?“
Dave nickte. „Am Freitag ist seine Schultasche zerrissen. Ich weiß, das ist kein sehr spannendes Geschenk, aber er braucht eine neue, wenn er im Januar wieder zur Schule geht. Ich hatte noch keine Zeit, ihm eine zu besorgen.“
Jeffs Augen leuchteten auf. „Ich weiß genau, was ich ihm kaufe. Ich hab da was auf eBay gesehen.“ Er schüttelte den Kopf. „Nur noch vier Tage bis Weihnachten. Die Zeit rennt.“
„Ja, das tut sie, jedenfalls in unserem Alter. Also, was hast du an Weihnachten vor?“
„Normalerweise gehe ich zu Amy. Wir feiern nicht groß. Kein Truthahn zum Beispiel. Meistens snacken wir einfach, Pasteten, Käse, Chips …“ Jeff biss sich auf die Lippe. „Ich wette, du kannst auch einen Truthahn braten.“
Dave lächelte. „Das Weihnachtsdinner war immer sehr wichtig bei uns. Ich will ehrlich sein, in den letzten zwei Jahren hat es mir nicht besonders viel Spaß gemacht. Aber in diesem Jahr … Ich habe einen Truthahn vorbestellt, zum Abholen am Weihnachtsabend. Und Chris will mir bei den Vorbereitungen helfen.“ Die Erinnerung daran, wie Matt Gemüse geschält und den Truthahn tranchiert hatte, tat nicht mehr so weh wie früher.
„Weiß Chris, dass Janine ihn ausgetragen hat?“
Dave nickte. „Als er sechs Jahre alt war, fragte er, warum er einen Dad und einen Papa hat und keine Mum. Da haben wir uns mit ihm zusammengesetzt und es ihm, so gut wir konnten, erklärt. Als er Janine das nächste Mal sah, hat er sie richtig fest umarmt und sich bei ihr bedankt. Ich schwöre, das war eines der wenigen Male, wo ich sie habe weinen sehen.“ Er lachte leise. „Am nächsten Tag ist er in die Schule gegangen und hat seiner ganzen Klasse stolz verkündet, dass er eine Mum und zwei Väter hat.“
Shortlands Station kam näher, und der Zug wurde langsamer. Sie standen auf und stellten sich an die Tür. Als sie ausstiegen, schaute Jeff in seine Tüte.
„Ich glaube, diese Flasche muss erst mal eine ganze Weile liegen. Sie ist so durchgeschüttelt worden, dass ich schon vor mir sehe, wie ich deine Möbel von oben bis unten mit Champagner vollspritze, wenn ich den Korken rausziehe.“
„Wir müssen sie ja nicht heute aufmachen“, bemerkte Dave. „Du könntest sie für Sylvester aufheben.“
Jeff hob die Brauen. „Und sie ganz allein austrinken? Nein danke. Ich möchte sie lieber mit dir teilen. Außerdem, wie oft trinkst du Jahrgangschampagner?“
Dave musste zugeben, dass er bisher noch nicht das Vergnügen hatte.
Sie gingen die Station Road entlang, am Bowling-Club und den Spielplätzen vorbei und nahmen dann den Weg durch Martins Hill Park, der zu Daves Haus führte.
„Oh, das sieht schön aus“, rief Jeff aus und wies auf die bunten Lichter in den Bäumen um das Denkmal herum. Lichterketten mit weißen Miniglühleuchten wanden sich um das Geländer, das das Denkmal umgab. „Ich liebe dein Wohnviertel“, murmelte er. „All dies direkt vor der Tür zu haben … Wenn ich hier wohnen würde, würde ich niemals umziehen wollen.“ Er schauerte zusammen. „Es ist kälter geworden. Glaubst du, dass sie recht haben und dass wir Schnee bekommen werden?“
Dave stöhnte. „Chris hat die Vorhersage im Fernsehen gesehen. Er sagt, wenn Schnee kommt, will er im Park einen Schneemann bauen.“
„Einen wie aus dem Zeichentrickfilm Der Schneemann ?“
Dave lachte. „Oh, nein. Er hat sehr viel ehrgeizigere Pläne. Er will Yoda bauen.“ Sie erreichten das Tor, und Dave öffnete es, um Jeff in den Garten zu lassen, und folgte ihm dann zur Haustür. Als sie im Haus waren, eilte er gleich ins Wohnzimmer, um im Kamin ein Feuer anzuzünden.
„Stell den Champagner in den Kühlschrank. Der Gefrierschrank wäre zu riskant. Dort drin findest du auch den Käsekuchen.“
„Ich habe auch meine Karte gefunden“, erwiderte Jeff. „Sie lag auf dem Küchentisch. Darf ich sie aufmachen?“
„Ehe du das tust …“ Dave hob die Hände. „Ich hatte keine Ahnung, was du heute Abend bestellen würdest, okay? Vielleicht habe ich die Speisekarte gegoogelt, aber …“
Jeff sah ihn verwirrt an. „Okay, jetzt bin ich wirklich neugierig.“ Er riss den Umschlag auf und brach gleich darauf in schallendes Gelächter aus. „O mein Gott, das ist so schräg.“
Dave hatte eine Karte ausgesucht, auf der ein Mann und eine Ente abgebildet waren, die mitten in der Wüste mit einer Picknickdecke zwischen sich im Sand saßen. Der Mann sprach davon, dass dies ihre letzten Vorräte seien – ein paar Pancakes, einige Gurkenscheiben und etwas Hoisin-Soße. Sein letzter Satz lautete: „Was soll danach nur aus uns werden?“
Jeff gluckste. „Und genau jetzt beschließt die Ente, dass es Zeit ist, sich in einen Fleischfresser zu verwandeln.“ Er schüttelte den Kopf. „Nicht sehr wahrscheinlich, oder?“ Er zwinkerte belustigt. „Und jetzt begreife ich auch, warum du gefragt hast, ob ich wirklich die Ente bestellen will.“
Dave wandte sich wieder dem Kamin zu, um das Feuer in Gang zu bringen. „Du weißt, wo die Teller sind. Schneide uns zwei Stücke Kuchen ab, dann essen wir sie hier.“ Manchmal konnte er kaum glauben, dass sie sich erst vor vier Wochen das erste Mal begegnet waren: Es kam ihm vor, als ob er Jeff schon viel länger kannte. Es hatte sich so ungezwungen angefühlt, wie sie sich auf dem Heimweg vom Restaurant unterhalten hatten.
Er stand auf und ging zu dem Bücherregal hinüber, in dem seine DVDs standen. Lächelnd zog er eine davon heraus. „Ich habe die perfekte Untermalung für unseren Nachtisch.“ Er steckte die DVD in das Gerät und setzte sich dem Fernseher gegenüber aufs Sofa. Als Jeff ins Zimmer trat, drückte er Play und dann Skip, und im nächsten Moment erschien Bill Hicks und sprach darüber, dass fundamentalistische Christen glaubten, dass Dinosaurierfossilien von Gott erschaffen wurden, um ihren Glauben daran zu prüfen, dass die Welt erst zwölftausend Jahre alt war. Raubt dieser Gedanke dem einen oder anderen den Schlaf? Gott läuft herum und vergräbt Fossilien: „Ho ho! Jetzt werden wir sehen, wer noch an mich glaubt, ha ha! Ich bin ein Witzbold-Gott. Ich lach mich tot, ho ho ho!“
Jeff lachte schon. „Oh, wow, ich liebe diesen Auftritt.“ Er setzte sich neben Dave aufs Sofa, und sie aßen Käsekuchen und lachten. Als die DVD zu Ende war, seufzte Jeff zufrieden. „Ich muss dir etwas zu meinen Geburtstagen erklären. Als ich ein Junge war, gab es an meinem Geburtstag nie eine Feier. Ich bekam auch fast nie Geschenke, weil es so kurz vor Weihnachten war. Deshalb, heute … das war der schönste Geburtstag, den ich je hatte. Meine Schwester hat mich reingelegt, du warst mit mir essen, du hast mich zum Lachen gebracht …“ Sein Gesicht leuchtete. „Einfach nur perfekt.“
„Ich hatte kein Geschenk für dich“, murmelte Dave.
Jeffs Augen waren voller Wärme. „Doch, das hattest du. Mein Geschenk war eingepackt in einen langen Mantel und einen gestreiften Schal.“
Dave hätte nicht sagen können, ob es das Feuer war, das knisterte, oder die Elektrizität zwischen ihnen, als er sich näher zu Jeff lehnte. Jeff bewegte sich ebenfalls, und in dem Moment, als seine Hand Daves Nacken berührte, sanft wie ein Flüstern, konnte Dave nicht länger an sich halten. „Jeff …“
Dann schloss Jeff die Lücke zwischen ihnen und ihre Lippen trafen sich. Es fühlte sich so gut an, ihn zu küssen.
Gott, wie ich das vermisst habe . Daves Kehle krampfte sich zusammen, und sein Herz hämmerte.
Er löste sich von Jeff und zog sich zurück. „Ich … Es tut mir leid.“