Kapitel Zwölf
Auf Jeffs Antwort zu warten, war Folter.
„Wenn du dir den Job zutraust.“ In Jeffs Augen lag ein Zwinkern.
„Warum probieren wir es nicht aus?“ Dave zögerte nicht. Wieder legte er die Hand an Jeffs Wange, aber diesmal trat er näher, bis seine Lippen Jeffs berührten. Es war ein sanfter, unschuldiger Kuss, der genau richtig war. Jeff legte ihm zärtlich die Hand an den Hinterkopf und zog ihn noch näher an sich. Er vertiefte den Kuss, und Dave ließ es geschehen. Einen Arm um Jeffs Hüften geschlungen, presste er Jeffs Körper an seinen.
Als sie sich voneinander lösten, stieß Jeff hörbar die Luft aus. „Ich würde sagen, du hast den Job.“
Dave lachte. Er fühlte sich wunderbar schwerelos. „Bist du sicher?“
Jeff grinste. „Oh ja, du hast das Interview mit Bravour bestanden.“ Sein Magen knurrte, und er wurde rot. „Entschuldigung. Ich hatte heute kein Mittagessen, und ich war den ganzen Tag unterwegs.“
„Dann lass uns essen. Es ist alles fertig.“
Jeff folgte ihm an den Tisch, und Dave rückte ihm den Stuhl zurecht. Dann ging er zum Kühlschrank und holte den Wein. „Es ist ein Sauvignon Semillon. Ich finde, er passt hervorragend zu Huhn.“ Er goss zwei Gläser voll und begann dann, das Essen aufzudecken.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mit Fragen bombardiert worden bin, nachdem du weg warst“, sagte Jeff. „Alle wollten wissen, wer du bist.“
„Was hast du zu ihnen gesagt?“
Jeff lächelte. „Ich habe gesagt, dass du einfach ein Mann warst, der auf Santas Knie sitzen wollte.“
Dave prustete los. „Glaub mir, ich habe daran gedacht.“
„Nachdem du wieder gegangen warst, konnte ich mich natürlich kaum noch konzentrieren. Wenn also am Weihnachtsmorgen irgendwo ein kleines Kind aufwacht und feststellt, dass es das falsche Geschenk bekommen hat, dann hast du die Schuld.“
Dave füllte die Servierschüsseln mit Bratkartoffeln, Karottenpüree und Pastinaken und brachte sie zum Tisch. Dann holte er das Huhn aus dem warmen Ofen und schnitt ein paar dicke Scheiben ab.
„Ich schummle leider bei der Bratensoße. Es ist nur Instantsoße.“
„Kann ich die machen, während du den Vogel zerlegst?“ Jeff hustete. „Ich denke, ich werde es schaffen, kochendes Wasser auf Soßengranulat zu gießen.“
Dave kicherte und wies mit dem Kopf zum Schrank. „Die Dose ist da drin. Der Kessel hat schon gekocht, aber setz ihn noch mal auf.“ Jeff stand vom Tisch auf und machte sich daran, die Soße vorzubereiten. „Du hättest Matts Gesicht sehen sollen, als ich das erste Mal richtige Soße gemacht habe.“
„Was ist richtige Soße?“
„Ich hatte einen Rinderbraten gemacht. Ich setzte die Pfanne mit dem Bratensaft, der noch drin war, bei schwacher Hitze auf den Herd, gab Mehl und ein bisschen Wasser dazu und rührte alles glatt. Er nahm einen Löffelvoll, und …“ Dave lachte. „So, wie er gestöhnt hat, hätte man meinen können, dass er einen Orgasmus hatte.“
Jeff machte große Augen. „Oh, irgendwann muss ich das auch mal probieren.“
„Also stimmt es, was immer gesagt wird? Liebe geht durch den Magen?“
Jeff schüttelte den Kopf. „Nicht bei mir. Wenn ich jemanden lieben soll, dann muss er nicht für mich kochen, sondern mit mir lachen.“ Er begegnete Daves Blick. „So wie du. Also, was meine Liebe angeht, brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“
Jeffs Eingeständnis ließ Dave plötzlich vor Aufregung beben.
Er verteilte das Huhn auf zwei vorgewärmte Teller, und Jeff goss kochendes Wasser in einen Krug mit Soßengranulat und rührte kräftig um. Dann setzten sie sich gemeinsam an den Tisch.
Jeff betrachtete das Essen vor ihm. „Wenn ich daran denke, dass ich vorhatte, heute Abend eine Tiefkühlpizza zu essen.“
Dave hob sein Glas. „Lass uns auf die verschobene Pizza trinken.“
„Ich habe eine bessere Idee.“ Jeff nahm sein Glas. „Auf neue Anfänge.“
„Neue Anfänge.“ Sie stießen an, dann machte sich Jeff über seine Mahlzeit her. Dave knurrte jetzt selbst der Magen, und er merkte, dass Jeff nicht der Einzige war, der Hunger hatte.
„Schmeckt fantastisch“, murmelte Jeff zwischen zwei Bissen. „Besonders die Soße.“ Seine Augen blitzten humorvoll.
Dave nickte. „Absolut.“ Er seufzte glücklich. „Danke.“
„Wofür? Dafür, dass ich hier bin und dein Essen esse?“
„Dafür, dass du hier bist und Punkt. Und dafür, dass du mich verstehst. Letzte Nacht, als du gegangen bist … Ich habe mich schrecklich gefühlt. Ich dachte, ich hätte alles ruiniert.“
Jeff legte seine Gabel hin. „Ich habe nicht viel geschlafen. Ich dachte die ganze Zeit darüber nach, dass ich dich gedrängt habe, während du nicht bereit dafür warst, gedrängt zu werden.“
Dave blickte hinüber zu der Wand mit den Fotos, dann wieder zu Jeff. „Und ich habe mit Matt gesprochen – über dich.“ Jeff blinzelte, und Dave nickte wieder. „Ich habe ihm erzählt, wie sehr er dich mögen würde.“ Sein Herz schlug schneller. „Ich habe ihm auch gesagt, dass ich – dass ich dich will.“
Jeff nahm sein Glas und trank einen Schluck. „Was für ein Zufall.“ Er sah Dave in die Augen. „Genau das habe ich über dich gedacht.“
Wärme durchströmte ihn. „Darüber bin ich froh.“ Sie aßen weiter. „Wann endet dein Job als Santa?“
„Am Weihnachtsabend. Dann ist für ein Jahr Schluss.“ Jeff grinste. „Heute habe ich einen tollen Wunsch bekommen. Ein kleiner Junge hat sich ein Brüderchen oder ein Schwesterchen gewünscht. Na ja, wie hätte ich ihm da irgendwelche Versprechungen machen können? Hätte ja sein können, dass sein Vater schon längst sterilisiert ist, oder was weiß ich. Ich war schon kurz davor zu sagen, dass ich nichts versprechen kann, da sah ich, dass seine Mutter mir zunickte.“ Jeff strahlte. „Und als der Junge mit seinem Vater außer Hörweite war, beugte sie sich zu mir und flüsterte mir zu, dass sie ihm an Weihnachten das Ultraschallbild aus der zwanzigsten Schwangerschaftswoche geben würden.“ Er seufzte. „Da wird ein kleiner Junge am Weihnachtsmorgen sehr glücklich sein. An solchen Tagen weiß ich wieder, warum ich diesen Job mache.“
„Ich glaube nicht, dass man ein guter Santa sein kann, wenn man keine Kinder mag. Und du bist sehr gut mit Kindern. Ich habe dir heute zugesehen.“
„Ich liebe
Kinder“, bestätigte Jeff. Dann grinste er. „Allerdings könnte ich kein ganzes allein aufessen.“
Dave gluckste. Dann wurde er ernst. „Du musst nach dem Essen nicht gleich weg, oder?“ Er wollte nicht, dass das hier schon vorbei war.
Jeff betrachtete ihn für einen Augenblick. „Nein, heute Abend nicht. Ich kann so lange bleiben, bis du mich rauswirfst. Ich habe morgen dieselbe Schicht wie heute – von eins bis fünf.“
„Dann könnten wir uns aufs Sofa setzen, Käsekuchen essen und noch ein bisschen Bill Hicks gucken, wenn du magst.“ Es gab noch ein paar mehr Dinge, die Dave gern machen wollte, wie zum Beispiel sich intensiver mit Jeffs Mund zu beschäftigen, aber er war bereit, Jeff die Führung zu überlassen.
„Wie wäre es, wenn wir einfach improvisieren?“
Das klang wie der perfekte Plan.
„Als du davon gesprochen hast, wie du mit Matt geredet hast, hast du das wirklich so gemeint?“ Daves Geständnis hatte Jeff tief berührt.
Dave richtete die Fernbedienung auf den Fernseher und schaltete ihn aus. „Ich habe auch mit mir selbst mal ein Wörtchen geredet.“
Jeff unterdrückte ein Lächeln. „Machst du das öfter?“
„Nur, wenn die Situation es erfordert.“
Er drehte sich auf dem Sofa zur Seite, um Dave anzusehen. „Und was hast du zu dir gesagt?“
Dave wandte sich zu ihm, die Wange an das Sofapolster gelehnt. „Dass ich das hier in Ordnung bringen muss. Und
dass ich mich entscheiden muss, was ich wirklich möchte und wohin die Reise gehen soll mit uns.“
Jeffs Puls raste. „Ich hoffe, du hast an dasselbe Reiseziel gedacht wie ich.”
„Und das wäre?“
Sein Herz klopfte schon wieder, als wollte es zerspringen. „Eins, wo wir uns am Ende küssen.“
Daves Atem stockte hörbar. „Das klingt nach einem Ort, wo ich gern wäre.“ Dann lehnte er sich zu Jeff und nahm seinen Mund mit einem langen, verträumten Kuss in Besitz.
„Ich dachte schon, wie würden nie dort ankommen“, murmelte Jeff gegen Daves Lippen. Er streichelte Daves Hals, und das Zittern, das durch Daves Körper lief, erregte ihn. Jeff ließ seine Hand abwärts gleiten und massierte Daves Brust, die sich wunderbar fest unter seinen Fingern anfühlte. Daves Hände erforschten ihn mit sanfter Zärtlichkeit. Er ließ sich Zeit, und das war für Jeff in Ordnung.
Dann vertiefte sich der Kuss, und plötzlich waren ihre Berührungen voller Leidenschaft. Jeff stöhnte leise, als Dave die Lippen zu seinem Hals herunterwandern ließ und ihn dort küsste. „Oh ja, genau so.“ Er wollte Dave berühren, seine Haut spüren, ihn einatmen.
„Ich könnte dich die ganze Nacht küssen“, wisperte Dave, das Gesicht in Jeffs Halsbeuge vergraben.
„Du kannst mich küssen, mich berühren …“ Jeff war schwindlig davon, wie berauschend dies alles war. Plötzlich hielt Dave inne, und Jeff sah in seine Augen. „Alles okay mit dir?“
Dave stieß zittrig den Atem aus. „Es ist gerade ein bisschen viel für mich. Es ist so lange her, dass ich …“
Jeff nahm Daves Gesicht zwischen die Hände. „Das ist okay, ich verstehe dich. Und wir müssen nicht mehr machen als küssen.“
Dave begegnete seinem Blick. „Ist es in Ordnung, wenn ich nichts überstürzen will?“
Jeff lächelte und küsste ihn auf die Stirn. „Natürlich ist das in Ordnung. Und ich verstehe sehr gut, dass es zu viel werden kann. Ich war auch schon lange nicht mehr mit jemandem zusammen.“
„Es ist einfach so, dass ich nie jemand anderen hatte als –“
Jeff legte ihm einen Finger an die Lippen. „Ich weiß. Es ist okay.“
„Du weißt, dass ich es will, oder?“
Jeff warf einen Blick zwischen Daves Beine und grinste. „Dafür gibt es gewisse Anzeichen, also, ja.“ Das brachte Dave zum Kichern. Jeff lehnte sich vor und küsste ihn auf den Mund. „Weißt du noch, wie ich gesagt habe, dass ich kein Mann für unverbindliche Abenteuer bin? Na ja, ich weiß, dass es bei dir dasselbe ist. Was immer auch gerade zwischen uns passiert, es ist etwas Ernstes. Oder?“
Daves Lächeln brachte sein ganzes Gesicht zum Leuchten. „Ja, das ist es.“
„Dann haben wir also jede Menge Zeit.” Noch ein Kuss, diesmal auf Daves Nasenspitze. „Ich gehe nämlich nicht weg.“ Er grinste. „Außer vielleicht nach Hause.“
„Wenn du über Nacht bleibst, würde ich dir morgen Frühstück machen. Im Gästezimmer, natürlich.“
Jeff sah ihn fragend an. „Du würdest mir Frühstück im Gästezimmer machen?“
Dave verdrehte die Augen. „Du weißt, was ich meine. Ich wollte nur nicht, dass du das Gefühl hast, du musst gehen. Und außerdem … Ich möchte nicht, dass du gehst.“
Das wollte Jeff ebenfalls nicht. „Dann bleibe ich da.“
Der warme Glanz in Daves Augen verriet ihm, dass das genau die richtige Antwort war.
Das Bett war bequem, die Kissen gerade richtig fest, und die Laken dufteten nach Lavendel. Das Mondlicht ließ die weißen Wände bläulich leuchten, und von draußen drang der Ruf einer Eule herein. Doch davon war Jeff nicht aufgewacht – ihm ging zu viel im Kopf herum, als dass an Schlaf auch nur zu denken gewesen wäre.
Wie geht noch dieses Lied? Wie viel sich an einem Tag doch ändern kann?
Und Dave hatte alles
verändert. Die Ironie, die darin lag, war ihm nicht entgangen: Jeff hatte den größten Teil des Nachmittages damit zugebracht, sich zu wünschen, der Tag möge schon zu Ende sein, und den größten Teil des Abends damit, sich zu wünschen, dass die Zeit stehen blieb.
Er hatte jedes Wort, das er gesagt hatte, ernst gemeint. Er wollte nichts Unverbindliches mit Dave – er wollte, dass sie eine Beziehung aufbauten, die Bestand hatte. Denn es ging nicht nur um sie selbst. Da war auch noch Chris.
Ich weiß, was er sich für seinen Vater wünscht – jemanden, der ihn wieder zum Lächeln und zum Lachen bringt
. Die Trauer hatte Chris zwei Menschen geraubt – Matt und den Dad, den er vorher gekannt hatte, denn Jeff war sicher, dass ein Teil von Dave mit seinem Ehemann gestorben war. Er hatte das Leuchten in Chris‘ Augen gesehen, als sie durch Madame Tussaud’s spaziert waren, und er hatte instinktiv verstanden, woher es kam: Für einen Moment hatte er seinen Dad wiedergehabt.
Ich übernehme also nicht nur Verantwortung für Dave, sondern auch für seinen Sohn.
Was Jeff schockierte, war, dass ihm die Idee keine Angst machte. Tatsächlich gefiel sie ihm.
Die Schlafzimmertür quietschte und öffnete sich, und Jeff setzte sich im Bett auf. Dave trat ins Zimmer. Das Mondlicht gab seinen weißen Shorts einen unheimlichen Glanz.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Jeff.
Dave kam zum Bett herüber. „Weißt du noch, wie ich gesagt habe, dass ich nichts überstürzen will?“
„Ja.“ Jeffs Herz klopfte.
„Und dass es ziemlich lange her ist, seit ich … du weißt schon.“
„Ja.“ Sein Herz fing an zu rasen.
„Also …“ Daves Haut leuchtete gespenstisch im bläulichen Licht. „Denkst du, wir könnten …“
Ohne ein Wort zu sagen, schlug Jeff die Bettdecke zurück. „Komm her.“