Kapitel Fünfzehn
Fünfundzwanzigster Dezember
Jeff erster Gedanke war, dass ein Tornado ins Schlafzimmer gefegt war.
Dann wurde ihm klar, dass der Weihnachtsmorgen gekommen war und Chris auf ihrem Bett herumsprang.
„Aufwachen! Es ist Weihnachten. Und es hat noch mehr geschneit. Los, komm, Dad.“
Dave machte ein Auge auf. „Chris, wie alt bist du?“
Das ließ ihn innehalten. „Zehn.“
„Willst du es bis elf schaffen?“
Chris rollte mit den Augen. „Ach komm, ich habe gewartet, bis es hell ist.“ Dann sprang er vom Bett, sauste durch die Tür und trampelte die Treppe hinunter.
Dave blinzelte. „Wow. Du bist hier, und er hat nicht mal mit der Wimper gezuckt.“
„Warum sollte er? Chris ist mit zwei Vätern aufgewachsen.“
„Dann ist es jetzt offiziell.“ Dave küsste ihn. „Willkommen in der Familie.“ Er setzte sich im Bett auf und sah auf den Wecker. Er erstarrte. „Hast du gesehen, wie spät es ist? Es ist schon acht. Ich hätte schon vor einer Stunde aufstehen müssen. Ich habe so viel zu erledigen.“ Er sprang aus dem Bett und eilte ins Badezimmer. Sekunden später drang das Geräusch des laufenden Wasserhahns durch die offene Tür.
Jeff grinste. Er stand auf und schlenderte nackt zur Tür. „Darf ich dir den Rücken waschen?“
Dave starrte ihn streng an und hielt den Luffa-Handschuh wie eine Waffe hoch. „Bleib stehen. Komm keinen Schritt näher. Das hier ist alles nur deine Schuld.“
„Wie bitte? Mir kam es so vor, als ob wir zu zweit in dem Bett gelegen hätten. Und ich habe auch nichts davon gehört, wie du gesagt hast ‚nein, nein, nein, lass mich schlafen.‘“ Jeff blickte auf seine Morgenlatte herunter. „Möchtest du mir damit vielleicht ein bisschen helfen?“ Er leckte sich die Lippen.
Daves Augen weiteten sich. „Machst du Witze? Chris ist wach.“
Er kam ins Badezimmer, schloss hinter sich die Tür und verriegelte sie. „Was sagtest du gerade?“
Dave ließ den Luffa-Handschuh auf den gefliesten Boden der Dusche fallen. Sein Schwanz zuckte.
Das war alle Ermunterung, die Jeff brauchte.
Jeff hielt seinen Becher Kaffee in der Hand, den er dringend nötig gehabt hatte, und beobachtete amüsiert, wie Chris das Papier von seinen Geschenken riss. Dave saß neben ihm auf dem Sofa und lächelte. Chris hockte auf dem Teppich, umgeben von Weihnachtspapier. Seine Geschenke von Dave waren bis jetzt Kleidung, Spiele und Bücher gewesen.
Chris wird von ihm nicht verwöhnt.
Und Chris‘ überbordende Dankbarkeit zeigte Jeff deutlich, wie sehr er sich über jedes einzelne Geschenk freute.
Es hatte aufgehört zu schneien, aber die Wolken sahen aus, als ob noch mehr Schnee kommen würde. Die Welt vor den Wohnzimmerfenstern war unter einer weißen Decke verschwunden. Im Park lagen mindestens dreißig Zentimeter Schnee. Das Feuer flackerte im Kamin, und im Hintergrund sang ein Chor Weihnachtslieder. Die Luft duftete nach einer Mischung aus Tannennadeln und Truthahn.
Wir haben doch noch weiße Weihnachten bekommen
. Es sah ganz so aus, als ob dies das perfekte Weihnachtsfest werden würde.
„Oh, wow.“ Chris starrte auf den Schulrucksack mit dem bunten Bild von Han Solo darauf, der mit einer Waffe in der Hand zum Sprung ansetzte. „Jeff, der ist klasse.“
Dave drückte Jeffs Oberschenkel. „Beim ersten Versuch gleich ins Schwarze getroffen. Ich bin beeindruckt.“
Jeff lächelte. „Als ich den sah, wusste ich gleich, der gehört Chris.“
Chris warf sich in Jeffs Arme und drückte ihn. „Danke.“ Dann nahm er wieder seinen Rucksack und machte sich daran, alle Taschen und Fächer zu öffnen und jeden Zentimeter genau zu untersuchen. „Der ist echt super.“
„Chris, da ist noch ein Geschenk für deinen Dad unterm Baum. Würdest du es ihm bitte geben?“
„Wann hast du denn das dort versteckt?“ Dave runzelte die Stirn, als Chris ihm das kleine Päckchen reichte. „Du solltest mir doch nichts kaufen.“ Er riss mit dem Daumennagel das Papier auf und warf es auf den Boden. Dave zog die Augenbrauen hoch. „Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
Chris betrachtete das Geschenk. „Das ist ein Riegel, so einer wie der an meiner Badezimmertür.“ Er zog die Stirn kraus. „Warum hat Jeff dir einen Riegel geschenkt, Dad?“
Dave bedeckte seinen Mund mit der Hand. „Keine Ahnung.“ Die Worte klangen gedämpft, so als ob er versuchte, nicht zu lachen. Er wies auf ein anderes Geschenk. „Das ist noch für dich, Chris.“ Als Chris danach griff, blickte Dave zu Jeff, der grinste.
„Ich werde ihn an der Schlafzimmertür anbringen, noch bevor wir heute Abend zu Bett gehen“, sagte Jeff mit gesenkter Stimme. „Zur Benutzung je nach Bedarf.“
Dave bekam einen Hustenanfall, und Jeff reichte ihm seinen Becher. Der köstliche Duft nach gebratenem Truthahn durchzog bereits das Zimmer.
„Oh, Dad.“ Chris hielt die Schachtel mit dem kleinen silbernen Weihnachtsbaum und seiner Kerze in der Hand. „Der ist sehr hübsch.“
„Ich freue mich, dass er dir gefällt.“ Dave breitete die Arme aus, und Chris warf sich hinein. „Frohe Weihnachten, Liebling.“
Chris stellte die Schachtel auf den Boden zu seinen anderen Geschenken und griff dann unter den Baum. „Das hier ist von mir.“
Dave blinzelte. „Wann hast du denn die Zeit gefunden, mir ein Geschenk zu kaufen?“
Chris lächelte. „Weißt du noch, wie ich mit Ethan und seiner Mutter Achterbahnfahren gegangen bin? Na ja … wir haben einige Fahrten gemacht, aber dann habe ich sie gebeten, mit mir auch über den Weihnachtsmarkt zu gehen. Ich hatte mein ganzes Taschengeld aus meinem Sparschwein dabei, dem, das Papa mir mal gekauft hat. Sie hat das Geschenk bei sich zu Hause für mich aufbewahrt, damit du es nicht findest. Ich habe es am Montag mitgenommen.“
Dave zog das glänzende rote Papier herunter. Jeff sah zu, wie etwas, das in sehr viel Seidenpapier eingewickelt war, zum Vorschein kam. Dave riss das Papier ab und hielt die Luft an. „Oh, Chris.“
Es war ein Stück Weihnachtsschmuck aus goldenem Metall, das aus einem Ständer mit vier kleinen Kerzenhaltern und vier winzigen Engelchen mit Trompeten und einem Stern darüber bestand. Von der Mitte aus spannten sich zwei Arme, an denen je ein Glöckchen hing. Darüber waren metallene Segel ausgespannt, um die aufsteigende Kerzenwärme
aufzufangen, und ganz oben schwebte ein größerer Engel, der ebenfalls Trompete blies.
„Die Frau, die es mir verkauft hat, hat gesagt, dass man es Engelglockenspiel nennt. Wenn man die Kerzen anzündet, fangen die Engel und die Segel an, sich zu drehen, und die Glöckchen klingeln.“ Er zeigte auf den Engel ganz oben. „Das ist Papa“, sagte Chris mit gepresster Stimme.
In Daves Augen glitzerten Tränen. „Klar, das ist er.“ Er legte die Box zur Seite und breitete wieder seine Arme aus. „Komm her.“ Er hielt Chris fest und barg sein Gesicht an Chris’ Hals.
Jeff versuchte, den Kloß in seiner Kehle herunterzuschlucken. „Warum zünden wir die Kerzen nicht gleich an?“, schlug er vor.
Chris löste sich von Dave und nickte. „Ja, bitte.“
Dave stand auf und ging zum Kamin, um eine Streichholzschachtel zu holen, während Jeff die vier dünnen, weißen Kerzen auspackte. Er steckte sie in ihre Halterungen, und Dave riss ein Streichholz an, um die Dochte anzuzünden.
Sekunden später begannen die Engel, sich zu drehen, und ein heller Glockenton erfüllte die Luft.
Der Schein der Kerzen ließ Chris‘ Gesicht leuchten. „Gefällt es dir wirklich, Dad?“
Dave wischte sich die Augen. „Ich glaube, es ist eines der schönsten Dinge, die ich je gesehen habe. Es ist viel zu schön, um es nach Weihnachten wegzupacken. Ich finde, wir stellen es auf den Kaminsims.“
Chris lächelte. „Das finde ich gut.“
Dave legte seine Hand auf Jeffs und drückte sie. „Jetzt tut es mir nur leid, dass ich für dich kein Geschenk habe.“
Jeff hob Daves Hand an seine Lippen und küsste seine Finger. „Hast du doch. Du hast es mir schon gegeben.“
Der Truthahn würde in einer halben Stunde gar sein, das Gemüse lag geschält und geschnitten im Kochwasser, und die Füllung war bereit, gemeinsam mit den Würstchen und den Bratkartoffeln in den Ofen geschoben zu werden. Chris hatte den neuen Esstisch gedeckt, der mit seinem dunkelroten Tischtuch großartig aussah.
Als Chris ihn flehentlich ansah, gab Dave endlich nach. „Geh und hol deine Gummistiefel.“
Chris rannte mit einem Jubelschrei aus dem Zimmer.
„Ist in deinem Terminplan Zeit für Schnee?“, fragte Jeff grinsend.
„Für Schnee ist immer Zeit, besonders zu Weihnachten. Wie oft haben wir das schon?“
Wenige Minuten später waren sie alle drei im Garten, schaufelten sich Schnee auf die Arme und schleppten ihn zu dem Ort in der Mitte, den Chris ausgesucht hatte.
Jeff betrachtete die weiße Schneedecke um sie herum. „Glaubt ihr, wir haben genug, um Jabba the Hutt zu bauen?“
Chris‘ Augen funkelten, und Dave stöhnte. „Das musstest du einfach sagen, oder? Findest du nicht, dass wir schon genug Probleme haben? Wir wissen immer noch nicht, wie wir Yodas Ohren machen sollen.“
„Ich hab’s mir anders überlegt“, erklärte Chris. Dave und Jeff stießen beide einen Seufzer der Erleichterung aus. „Ich will lieber R2D2 bauen.“
„Ich habe eine bessere Idee.“ Jeff zog sein Handy aus der Tasche und scrollte. Er hielt Chris das Handy hin. „Was hältst du davon?“
Chris bekam große Augen. „O ja.“
Dave versuchte, Jeff über die Schulter zu schauen, aber Jeff presste das Handy an seine Brust. „Nein. Das wird eine Überraschung. Du gehst zurück ins Haus und kochst was. Chris und ich kümmern uns hier um alles.“ Er begegnete Daves Blick. „Natürlich nur, wenn du einverstanden bist.“
Dave lächelte. „Ich finde, das ist eine sehr gute Idee.“ Er trat auf Jeff zu, und Jeff beugte sich vor.
„Halt!“, schrie Chris. Sie drehten sich um und starrten ihn an. Chris packte sie an den Händen und zog sie zur Haustür. „Jetzt
könnt ihr euch küssen.“
Jeff zog die Brauen zusammen, aber Dave kapierte. Er zeigte nach oben, wo er einen Mistelzweig aufgehängt hatte. „Ich glaube, darum geht’s ihm.“
Er umfasste Jeffs Gesicht mit seinen schneebedeckten Handschuhen, und Jeff schauderte. „Sch, ganz ruhig.“ Dave lehnte sich vor und küsste ihn. Es war ein warmer, süßer Kuss, vielleicht nicht heiß genug, um den Schnee zum Schmelzen zu bringen, doch er wärmte Dave das Herz.
Als er hörte, wie Chris seufzte, löste er sich von Jeff und drehte sich zu ihm um.
Chris lächelte, und auf einmal fühlte sich Dave ganz leicht.
Dann hustete Chris. „Okay. Genug geküsst. Zurück an die Arbeit.”
Dave lachte. „Ja, Sir.“ Er gab Jeff einen Schmatzer auf die Wange. „Ich liebe dich“, flüsterte er.
Jeffs Augen schimmerten. „Ich liebe dich auch.”
Dann stapfte Dave zurück ins Haus, um sich um die Truthahnfüllung zu kümmern. Er lächelte, als er die Ofentür öffnete.
Vielleicht gibt es für mich von Santa heute Nacht noch eine andere Art Füllung.
Eine halbe Stunde später stand der Truthahn auf dem Tisch, unter einem Bogen Alufolie verborgen, und die Füllung und die Kartoffeln dufteten herrlich.
Die Haustür öffnete sich, und Jeff streckte den Kopf in den Flur. „Du kannst jetzt rauskommen.“
Dave wischte sich die Hände sauber und ging dann nach draußen, ohne sich damit aufzuhalten, erst seinen Mantel anzuziehen. Er keuchte, als er die riesige Schneekugel sah. „Ihr habt BB-8 gebaut!“ Die Ähnlichkeit war wirklich verblüffend. Er betrachtete prüfend den Kopf. „Was ist das?“
„Wir haben einen runden Glasuntersetzer mit schwarzem Papier dahinter als Auge genommen“, erklärte Jeff.
„Das war meine Idee“, sagte Chris stolz.
Dave umarmte ihn. „Ich finde ihn wundervoll, aber jetzt müsst ihr beide ins Haus kommen. Janine und Amy werden jeden Moment hier sein.“
Chris stieß ein Quietschen aus und rannte ins Haus.
Dave nahm Jeffs Hand. „Und ich habe drinnen etwas für dich.“ Nachdem sie sich auf der Fußmatte ausgiebig den Schnee von den Stiefeln getrampelt hatten, führte er Jeff ins Haus. Drinnen zogen sie die Stiefel aus und ließen sie auf der Matte stehen.
Auf dem Küchentisch standen ein Eiskübel und Champagnergläser.
Jeffs Gesicht leuchtete auf. „Mein Geburtstagsgeschenk. Ich hatte es schon total vergessen.“
„Na ja, du hast gesagt, wir könnten es teilen.“ Dann erstarrte er. „Aber wir brauchen wahrscheinlich mehr Gläser.“ Einen Moment später öffnete sich die Haustür.
„Frohe Weihnachten, alle miteinander“, rief Janine. Sie steckte den Kopf durch die Tür. „Ich habe draußen noch einen weiteren Gast aufgegabelt. Ich habe ihr gesagt, sie soll einfach
hereinspazieren, weil das hier alle so machen.“ Ihre Augen leuchteten auf. „Ooh, Champagner.“
Dave lachte. „Hast du bemerkt, dass ihre ersten Worte nicht ‚Ooh, ein neuer Tisch‘ waren? Das sollte dir schon eine Menge über meine Schwester verraten.“
Nachdem Chris und Amy einander vorgestellt worden waren und alle sich gegenseitig umarmt hatten, öffnete Dave den Champagner und goss ihn in fünf Gläser. Er sah Chris an. „Du darfst einen winzigen Schluck nehmen, okay?“ Sie stellten sich um den Tisch, und Dave hob sein Glas. „Allen ein fröhliches Weihnachtsfest.“
„Dad, darf ich einen Toast aussprechen?”
Dave blinzelte. „Natürlich.“
Chris sah sie an, und sein Gesicht glühte. „Auf Dad und Jeff.“
Dave konnte nicht an sich halten. Er nahm Jeffs Hand in seine und küsste sie.
Amy keuchte. „Moment mal. Im Ernst? Wann ist das passiert?“ Dann grinste sie stolz. „Verdammt, ich bin gut.“
Jeff starrte sie mit offenem Mund an. „Du denkst, dass du
uns zusammengebracht hast?“
„Natürlich hat sie das nicht
getan“, verkündete Janine mit einem Glitzern in den Augen. „Denn das war ich
.“
Dave tat sein Bestes, um nicht zu lachen.
„Ihr habt beide unrecht“, erklärte Chris. Er lächelte. „Ich habe Santa gebeten, für Dad einen Freund zu finden, und das hat er getan. Aber ich glaube, jemand hat ihm geholfen – Papa.“ Er wandte den Kopf und sah zu den Fotos an der Wand. „Auf Papa.“
„Auf Papa“, wiederholten alle im Chor.
Wärme durchströmte Daves Brust. Er stellte sein Glas auf dem Tisch ab und wandte sich zu Jeff. „Ein frohes Weihnachtsfest. Möge es das erste von vielen sein.“
„Das wünsche ich mir auch“, murmelte Jeff.
Dave neigte sich näher zu ihm, aber er hielt inne, als Chris ein lautes Schnaufen hören ließ. Chris rollte mit den Augen. „Okay, wir haben keinen Mistelzweig hier drin, aber du darfst ihn küssen.“
Dave und Jeff brachen in Gelächter aus, und Janine und Amy stimmten ein. Und für einen kurzen Moment kam es Dave so vor, als ob er ein vertrautes, trockenes Lachen hörte.
Frohe Weihnachten, Matt. Und danke.