Cesar stand auf und zog sich seine Jeans über. Lexies Beichte hatte ihm die Sprache verschlagen. Zu wissen, was sie hatte durchleiden müssen … Es hatte seine eigenen Dämonen dazu gebracht, die hässlichen Köpfe zu recken.
Er hatte das Gefühl, als läge ihm ein eiserner Ring um die Brust, der sich unerbittlich enger zog. Lexie war Mutter. Sie hatte ihr Baby aufgeben müssen. Mit dem Verstand wusste er, dass sie keine andere Wahl gehabt hatte, aber die Vorstellung traf ihn an einem Ort tief in seinem Innern. Er bekam kaum noch Luft.
„Warum hast du mir das erzählt?“
Ihre Augen weiteten sich unmerklich, sie wurde blass. Und dann, als Reaktion auf Cesars versteinerte Miene, verhärteten sich auch ihre Züge.
„Weil ich dachte, du wärst derjenige, dem ich es erzählen könnte. Aber ich sehe, dass ich es nicht hätte tun sollen.“ Sie griff nach dem Bademantel, schlüpfte hinein, verknotete den Gürtel fest.
Cesar beobachtete sie, hatte das Gefühl, neben sich zu stehen. Die Flut von Emotionen, die in ihm tobte, war übermächtig. Eine dieser Emotionen war Wut … auf sich selbst. Auf seine jämmerlich unangemessene Reaktion. Auf Lexie, weil sie ihn zwang, sich Dingen zu stellen, denen er sich nicht stellen wollte.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
Sie stand vor ihm, das Haar offen um ihre Schultern, entschlossen wie eine kriegerische Königin. Würdevoll. Majestätisch.
„Du brauchst nichts zu sagen, Cesar. Ich brauche keine Therapie. Davon habe ich Jahre hinter mir. Ich habe es dir erzählt, weil …“ Für eine Sekunde hielt sie inne, und der Ring um Cesars Brust zog sich noch enger zusammen. „… weil ich nie mit einem anderen Mann geschlafen habe.“
„Du meinst, nach …“ Überwältigt wich er einen Schritt zurück.
„Ja, nach der Vergewaltigung. Du bist mein erster Liebhaber.“
„Wieso ich?“, brachte er schwach heraus.
„Weil du der erste Mann bist, den ich begehrt habe.“
Nie hatte Lexie etwas mehr bereut, als Cesar die Wahrheit gesagt zu haben. Scham und Selbstverachtung rissen sie innerlich entzwei. Sie hatte wirklich nichts dazugelernt. So lange Zeit hatte sie sich beschmutzt und wertlos gefühlt. Die Therapie hatte ihr schließlich geholfen zu verstehen, was passiert war. Es war ein langer Prozess gewesen, sich endlich selbst zu vergeben. Um heilen zu können.
Ein Heilungsprozess, der mit dem Kuss im Stall angefangen hatte. Heilen. Das Wort verspottete sie jetzt. Sie hatte körperliche Intimität mit etwas viel Tieferem verwechselt. Denn für Cesar war es nie etwas anderes als das Körperliche gewesen.
Die eigene Familie hatte sie vor langer Zeit verjagt, und sie würde den Teufel tun und zulassen, dass ihr so etwas noch einmal passierte.
Auf dem Weg ins Bad fühlte sie Cesars Blick auf ihrem Rücken liegen. Die Tatsache, dass er schwieg, auch nicht versuchte, sie aufzuhalten, sagte alles.
Emotionen, die sie kaum beherrschen konnte, ließen ihre Hände zittern, als sie den Bademantel aus- und das kunstvoll zerrissene Nachthemd aus der Filmszene anzog.
Als sie aus dem Bad kam, trug Cesar ein Hemd. Er sah ernst und düster aus, und Lexie hasste sich dafür, dass ihr Körper selbst jetzt, in dieser Situation, auf seinen Anblick reagierte.
„Lexie …“
Sie unterbrach ihn, weil ihr davor grauste, irgendeine nichtssagende Plattitüde aus seinem Mund zu hören. „Cesar, am Freitag sind die Aufnahmen im Kasten. Und dann trennen sich unsere Wege. Die Presse hat ihr Interesse an uns bereits verloren. Unser Plan hat also funktioniert.“
„Ja, hat er“, stimmte er tonlos zu.
„Genau“, fuhr sie beherrscht fort. „Ich wollte meinen Ruf schützen, und du wolltest verhindern, dass mehr über deine Familie herauskommt. So haben also beide Seiten davon profitiert.“
Alles in Cesar begehrte auf, ihr zu widersprechen, doch etwas hielt ihn zurück – die Tatsache, dass die Mauer um ihn herum zu bröckeln begann. Und in diesem Moment wurde ihm klar, wie anders Lexie als all die anderen Frauen war, mit denen er bisher zusammen gewesen war. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Lexie hatte seine Welt auf den Kopf gestellt und von innen nach außen gekehrt.
Als es klopfte, stieß er einen Fluch aus, auch wenn ein Teil von ihm dankbar für die Unterbrechung war. Er ging zur Apartmenttür und zog sie auf. Einer der Regieassistenten stand auf der Schwelle.
„Entschuldigen Sie die Störung, Mr Da Silva, aber der Regisseur sucht nach Lexie.“
Cesar wusste, dass sie bereits hinter ihm stand, weil seine Haut prickelte. Ihm schwindelte, er fühlte sich komplett durcheinander. Selbst jetzt musste er gegen den Drang ankämpfen, sie zu beschützen.
Lexie merkte nichts von dem Tumult, der sich in ihm abspielte. Sie trat um ihn herum. „Sagen Sie Richard, dass ich mich noch umziehen muss, dann komme ich.“
Der Assistent eilte davon, offensichtlich erleichtert, dass er die Nachricht ohne große Probleme hatte überbringen können. Lexie mied Cesars Blick. Er wollte ihr Kinn anheben, wollte, dass sie ihn ansah, doch gleichzeitig fürchtete er sich vor dem, was in den blauen Tiefen ihrer Augen zu lesen sein würde.
„Ich sollte gehen. Man wartet auf mich.“
Jetzt sah sie ihn an. Cesar verspannte sich, doch ihr Blick war klar. Nichts stand darin zu lesen. Es ärgerte ihn – und es ärgerte ihn noch mehr, dass er sich darüber ärgerte.
„In den nächsten Tagen steht noch ein volles Programm an“, sagte sie heiser. „Ich denke, es ist am besten, wenn wir … wenn wir es hiermit beenden.“
Cesar fühlte sich wie erschlagen. Das war auf jeden Fall ein erstes Mal für ihn – eine Frau, die ging, bevor er bereit war, sie gehen zu lassen.
Aber Lexie hatte recht. Diese Sache zwischen ihnen war von Anfang an nur auf kurze Zeit angelegt gewesen. Zu denken, dass es da mehr geben könnte, stand nicht zur Debatte. Er lief Frauen nicht nach. Was immer er noch an Verlangen für sie fühlte – es würde vergehen.
Mit schmalen Lippen hielt er die Tür offen. „Auf Wiedersehen, Lexie.“
Für eine Sekunde blitzte etwas in ihren Augen auf, doch es verschwand genauso schnell, wie es gekommen war. Schweigend trat sie in den Korridor, drehte sich auch nicht mehr um. Cesar starrte ihr nach. Dumpf dachte er, dass sie ihn an einen Geist erinnerte, in dem weiten weißen Nachthemd und mit den bloßen Füßen.
Mit dem unheimlichen Gefühl, dass sie ihn für immer heimsuchen würde, drückte er die Tür leise hinter ihr ins Schloss.
Benommen ging er zum Barschrank und goss sich einen Drink ein, nahm einen Schluck und starrte mit leerem Blick auf die Wand. In ihm tobte ein Sturm.
Seine Mutter hatte ihn aufgegeben und bei seinen Großeltern zurückgelassen. Genau wie sie hatte auch Lexie ihren Sohn aufgegeben. Für einen Moment packte ihn wilde Wut, doch das war ein uralter Reflex, der mehr mit seiner Mutter als mit Lexie zu tun hatte.
Die Wut legte sich sofort wieder, als er sich Lexie mit fünfzehn vorstellte – ein traumatisierter, verängstigter Teenager. Welche Wahl hatte sie denn gehabt? Keine.
Zum ersten Mal gestand Cesar sich ein, dass er, als seine Mutter zurückgekommen war, um ihn zu holen, von seinen Großeltern bereits derart manipuliert worden war, dass er nicht mit ihr hatte gehen wollen. Und er gestand sich ein, dass seine Mutter möglicherweise andere Motive gehabt hatte als nur Egoismus. Er erinnerte sich daran, wie aufgewühlt sie gewesen war, als sie gegangen war – beide Male. Ein Eingeständnis, bei dem sich alles, auf das er sich bisher verlassen hatte, aufzulösen begann.
Mit geschlossenen Lidern massierte er sich die Nasenwurzel. Vor sich sah er nur die großen blauen Augen. Und der Ärger flammte wieder auf. Was hatte sie denn erwartet, verdammt? Dass er sie in die Arme zog und tröstete? Ihr versprach, dass alles wieder gut werden würde?
Er war weder zärtlich noch empfindsam. Er war kalt, durch und durch düster, und im Moment verabscheute er Lexie dafür, dass sie ihm das vor Augen führte. Ihm vor Augen führte, dass er keinen Trost zu spenden hatte. Und dass sie ihn zwang, an seine freudlose Kindheit zurückzudenken, an den Groll auf seine Halbbrüder, den er sein ganzes Leben lang gehegt hatte. Dem Einfluss seiner verbitterten Großeltern war er machtlos ausgesetzt gewesen, sie hatten Feindseligkeit in ihm gesät, hatten ihn dazu gebracht, auf Rache zu sinnen.
Mit einem gequälten Fluch schleuderte er das Glas in seiner Hand zu Boden. Das Kristall zersplitterte in tausend Scherben, der Cognac ergoss sich über das Parkett.
Ein Echo aus der Vergangenheit hallte in seinem Kopf wider. In diesen düsteren Mauern kann nichts Gutes überleben. Für eine Weile war er tatsächlich schwach geworden und hatte geglaubt, es könnte anders sein.
In ein paar Tagen wäre Lexie Anderson verschwunden, und jetzt im Moment hoffte er inbrünstig, dass er sie nie wiedersehen musste. Denn wozu sie ihn gebracht hatte, war das Schlimmste auf der Welt überhaupt: Sie hatte ihn vergessen lassen, wer er war.
Lexie wartete, bis die neuen Kameraeinstellungen vorbereitet waren. Um sie herum plauderten Techniker und Schauspieler, aber sie nahm nicht daran teil. Sie hatte die Hubschrauberrotoren heute im Morgengrauen gehört. Und noch bevor sie bei einer Unterhaltung der Produzenten aufgeschnappt hatte, dass Cesar Da Silva geschäftlich nach Amerika unterwegs sei, hatte sie gewusst, dass er nicht mehr im Castillo war.
Sie hatte eine schlaflose Nacht und ein Wechselbad der Gefühle hinter sich – Ärger auf Cesar, weil er ihren Körper zum Leben erweckt hatte, und Ärger auf sich selbst, weil sie dumm genug war und sich in ihn verliebt hatte. Sie versuchte sich einzureden, dass dem nicht so sei … doch der Schmerz saß zu tief, als dass sie sich das lange hätte vormachen können.
Nie würde sie seinen Gesichtsausdruck vergessen, als sie ihm von dem Baby erzählt hatte. Sie hatte sehen können, wie er die Schotten dichtgemacht hatte. Außer mit ihrer Therapeutin hatte Lexie mit niemandem über ihren Sohn gesprochen. Das war auch der Grund, weshalb sie solch panische Angst davor hatte, die Presse könnte ihre Vergangenheit ausgraben.
Ihr Sohn musste jetzt dreizehn sein. Lexie dachte ständig an ihn, dachte daran, wie sie damit fertig werden würde, falls er eines Tages nach ihr suchen sollte und von ihr die Umstände seiner Geburt erfahren wollte …
Hatte sie Cesar ihre Geschichte nur erzählt, weil sie irgendeine Art Unterstützung erhofft hatte?
Ihr wurde klar, dass sie schon früher Hilfe hätte erhalten können, wenn sie nicht so starrsinnig gewesen wäre. Gestern hatte sie nämlich den Regisseur ins Vertrauen gezogen, um ihre Reaktion bei der Filmszene zu erklären. Instinktiv hatte sie gewusst, dass sie Richard vertrauen konnte.
Kopfschüttelnd hatte er ihre Hände genommen, Mitgefühl hatte in seinen Augen gestanden. „Lexie, das hättest du mir vorher sagen sollen. Hätte ich auch nur geahnt, wie schrecklich diese Szene für dich sein muss, wäre ich es doch ganz anders angegangen. Vermutlich hätten wir das gleich in der ersten Woche abgedreht, um es aus dem Weg zu räumen …“
Er hatte sich zigmal entschuldigt, weil er ihr das – unwissentlich – zugemutet hatte. Lexie wusste aber auch, dass sie es nie über sich gebracht hätte, irgendjemandem davon zu erzählen, wenn sie nicht vorher schon Cesar alles gestanden hätte.
Ein Gedanke, der die Wut auf Cesar nur wieder neu aufflammen ließ. Er hatte sie ja nicht schnell genug loswerden können. Seine Miene war wie versteinert gewesen. Natürlich. Sie bezweifelte, dass seine anderen Gespielinnen mit solch unappetitlichen Geschichten aufwarteten. Oder dass sie nach dem Liebesspiel in Tränen ausbrachen.
Sie war froh, dass er ihr nicht mehr über den Weg laufen würde. Ihre Stärke war nur gespielt. Würde sie ihn wiedersehen müssen, zerbräche sie wahrscheinlich in tausend Stücke.
Cesar kehrte eine Woche später zum Castillo zurück. Nichts deutete darauf hin, dass sich noch vor ein paar Tagen eine Filmcrew hier aufgehalten hatte. Außer dem zertretenen Gras an der Stelle, wo der große Pavillon gestanden hatte, war keine Spur mehr zu sehen, alles war wieder makellos hergerichtet. Bizarrerweise ärgerte das Cesar maßlos.
Die Woche über hatte er die Vorstandssitzungen nachgeholt, die er wegen einer blonden Sirene mit blauen Augen vernachlässigt hatte. Der Teufel sollte sie holen. Im Moment war das sein Mantra, es lief konstant in seinem Kopf ab.
Der Teufel sollte sie holen, weil sie in sein Leben geplatzt war. Weil sie das Verlangen nach ihr in ihm gesät hatte. Weil sie so schön war trotz der schrecklichen Dinge, die sie durchgemacht hatte.
Ja, der Teufel sollte sie holen.
Nur ihretwegen dachte er jetzt ständig an Alexios Hochzeit zurück. Wie glücklich seine Halbbrüder mit ihren Frauen ausgesehen hatten. Die Halbbrüder, denen er nicht länger unberechtigte Vorhaltungen machen konnte, nur weil sie ihr Leben lebten.
Ohne sich wirklich bewusst zu sein, dass er eine Entscheidung traf, ging er die Treppe hinauf und stellte sich an das Fenster, an dem seine Großmutter ihn damals gefunden hatte, wie er nach seiner Mutter Ausschau hielt.
Der alte Schmerz war wie ein dumpfes Pochen, das niemals aussetzte. Heute jedoch verspürte er nicht Wut, sondern nur Melancholie. Und noch etwas anderes mischte sich darunter – das Gefühl von Verlust, Sehnsucht, schlimmer als alles, an was er sich erinnern konnte. Sogar noch schlimmer als damals, als er als Kind seine Mutter vermisst hatte.
Lexie war in seinen Gedanken, in seinem Blut. Er sah sie ständig vor sich, wie sie ausgesehen hatte in diesem weißen Nachthemd. Blass, aber stark. In sich gefestigt angesichts seiner wirklich unzulänglichen Reaktion auf ihren Kummer und ihren Schmerz.
An jenem Tag war eine Tür in ihm zugeschlagen. So als wolle er sich schützen, damit der Schmerz ihn nicht erreichte. Doch jetzt zerbarst alles in ihm, während er mit leerem Blick auf die Landschaft starrte, die in sein Gedächtnis eingebrannt war.
Er hatte genug von der Leere. Er war die Dunkelheit leid. Sich selbst war er leid.
Ja, der Teufel sollte Lexie holen. Denn sie hatte ihn nicht vergessen lassen, wer er war. Sie hatte ihm genau aufgezeigt, wer er war und wer er sein könnte.
Falls er genug Mut dazu aufbrachte.
Gestank hing in den engen Gassen, Bettler saßen im Rinnstein und flehten um eine milde Gabe oder um Gnade. Kleine Kinder drängten sich rennend zwischen den Erwachsenen hindurch. Im letzten Moment wich Lexie erschreckt einer Pferdekutsche aus, Schlamm spritzte auf ihren langen Rock. Gegen den Strom hastete sie durch die Menge, und alles, woran sie denken konnte, während die Kameras surrten, war Cesar.
In Gedanken verfluchte sie ihn heute wohl zum hundertsten Mal. Sie konnte nur hoffen, dass der Schmerz sich nicht zu deutlich auf ihrer Miene widerspiegelte, während die Kameras auf ihr Gesicht hielten …
„Und … Schnitt!“
Lexie blieb stehen. Die Komparsen begaben sich auf die nächsten Positionen auf dem riesigen Set, das auf dem Gelände der Londoner Filmstudios aufgebaut worden war. Der Regisseur kam auf Lexie zu, sie setzte ein bewusst strahlendes Lächeln auf.
„Lexie, alles in Ordnung mit dir?“ Fürsorglich nahm er sie beiseite. „Du scheinst heute nicht ganz bei der Sache zu sein.“
Sie wünschte, sie hätte nie etwas zu Richard gesagt. Seit er wusste, was ihr zugestoßen war, schien er übermäßig besorgt. „Tut mir leid, aber ja, natürlich ist alles in Ordnung. Es ist nur …“
„Sir, bitte. Sie können nicht einfach auf das Set marschieren. Sir!“
Oh Gott!
Richard starrte ungläubig an Lexie vorbei. „Was will er denn hier?“
Wie in Zeitlupe drehte Lexie sich um und sah eine große Gestalt auf sich zukommen. Nur konnte ihr Verstand nicht wirklich begreifen, dass er es sein sollte.
Cesar. In Jeans und lässiger Lederjacke, das dunkelblonde Haar schimmerte in der Londoner Sonne. Er sah fast zu gut aus, um echt zu sein.
„Wer ist das?“, hörte sie eine der Komparsinnen in ihrer Nähe fragen, und beinahe hatte sie Mitleid mit der Frau. Sie wusste genau, welche Wirkung Cesar auf andere hatte. Er sah düsterer und entschlossener aus denn je. Ein Sicherheitsmann versuchte noch, ihn aufzuhalten, doch Cesar schüttelte den Griff des Mannes ab.
Und dann stand er vor ihr.
„Ist schon in Ordnung, ich kenne den Mann“, sagte sie zu dem atemlosen Sicherheitsmann, dann wandte sie sich zischelnd an Cesar, als all der Ärger und der Kummer, die während der letzten Wochen ihre ständigen Begleiter gewesen waren, sie überrollen wollten. „Was willst du hier? Wir sind mitten in der Aufnahme.“
„Das sehe ich.“ Ungerührt schaute er sich um. Die neugierigen Blicke der Crew ignorierte er. „Tatsache ist, ich hätte dir niemals zustimmen dürfen, als du sagtest, dass wir die Sache zwischen uns beenden sollten.“
Lexie schluckte, warf einen schnellen Blick auf die gebannt lauschende Menge. „Cesar, müssen wir das unbedingt hier …?“
Richard trat vor. „Hören Sie, Da Silva, einmal in meine Szene zu platzen geht ja noch an, aber …“
„Wie hoch sind die Kosten, wenn die Aufnahmen für heute abgebrochen werden?“
Lexie blinzelte, Richard begann zu stammeln. „Da muss ich erst den Produzenten fragen …“
„Dann tun Sie das. Und sagen Sie ihm auch gleich, dass ich die Summe verdopple.“
Ein allgemeines Raunen erhob sich über dem Set. Jeder war dankbar für den unerwarteten freien Tag. Das Set leerte sich rasch, während Lexie wie festgenagelt an der Stelle stehen blieb.
In ihrem Magen begann es zu flattern. Ihr Herz zog sich zusammen. Sie liebte diesen Mann so sehr, aber er hatte sie verletzt. Und wenn er nur hier war, weil er die Affäre fortsetzen wollte … „Cesar, nur weil du nicht bereit bist, die Affäre zwischen uns zu beenden, heißt das nicht, dass ich Interesse habe, sie fortzusetzen.“
„Woran bist du dann interessiert?“
Verwirrt blinzelte sie ihn an. Was hatte sie gerade überhaupt gesagt? Ihr Mund wurde staubtrocken. „Ich habe keine Interesse an einer Affäre“, wiederholte sie nachdrücklich.
Der Anflug eines Lächelns huschte über Cesars Lippen. Erst jetzt fiel Lexie auf, dass er unrasiert war und müde aussah.
„Nun, ich weiß auf jeden Fall, dass ich die Sache nie beenden will – und ich denke, du auch nicht.“
Ein Stein saß ihr im Magen. So sehr sie sich nach ihm sehnte, sie hatte nicht die Kraft, auch nur eine Nacht mit ihm zu verbringen, wenn sie von vornherein wusste, dass es irgendwann enden würde.
Sie wich einen Schritt zurück. „Oh doch. Du solltest Richard besser wissen lassen, dass das alles nur ein Scherz war, bevor zu viele von der Crew verschwinden. Du hast mein Leben schon genug durcheinandergebracht.“ Sie wollte sich an ihm vorbeischieben und verfluchte den weiten Rock, der sie daran hinderte, sich schneller zu bewegen.
Und so hielt Cesar sie auch schon fest. „Ich habe dein Leben durcheinandergebracht?“ Seine Augen funkelten verärgert. „Und was ist mit dem Wirrwarr, das du in meinem Leben veranstaltet hast?“
Sie entwand sich seinem Griff, jetzt genauso wütend wie er. Wie naiv sie doch gewesen war! „Ich habe nicht mehr getan, als dir für ein paar Wochen das Bett zu wärmen. Mir fiel die Rolle einer bequemen Gespielin zu, die dir praktischerweise auch noch eine allzu neugierige Presse vom Hals hält.“
„Eher das genaue Gegenteil – du bist die anstrengendste Frau, die ich kenne!“, donnerte er.
Eisern hielt Lexie die Tränen zurück. Vielleicht begehrte er sie, aber er ließ auch deutlich werden, wie sehr er sein Verlangen für sie verabscheute. „Na, dann sollte es ja kein Problem für dich sein, wieder zu gehen“, erwiderte sie beherrscht. „Lass mich einfach in Ruhe.“
Wieder wollte sie sich umdrehen, doch er hielt sie zurück. Eine Träne rollte über ihre Wange. Sie fluchte leise. „Lass mich los, Cesar. Ich … ich kann das nicht.“
Unter seiner Sonnenbräune wurde er blass. „Ich wollte dich nie zum Weinen bringen. Du bist anstrengend, weil du mir ein paar unbequeme Wahrheiten klargemacht hast. Das hat bisher noch niemand getan. Und es wird auch niemandem mehr gelingen.“
Er sah jetzt richtig wütend aus. „Mir ging es bestens in meinem emotionslosen Leben, bis du erschienen bist, eine Vision, und in dem Moment brach etwas auf in mir. Etwas, das unbedingt aufgebrochen werden musste.“ Er hob ihr Kinn an, sah ihr in die Augen. „Die Wahrheit ist … du bist die schönste Unbequemlichkeit, die ich mir vorstellen kann. Eine Unbequemlichkeit, die ich brauche. Du hast mich wieder ins Leben zurückgeholt, Lexie. Ich will unsere Affäre nicht beenden – nie. Ich will, dass sie für den Rest unseres Lebens anhält.“
Lexie schüttelte den Kopf, sie traute ihren Ohren nicht, das Atmen fiel ihr schwer. „Was willst du damit sagen?“, hauchte sie schwach. Wunderbare Leichtigkeit wollte sich in ihr ausbreiten, und es ängstigte sie. Sollte sich herausstellen, dass das alles nur ein Traum war, würde sie nach dem Aufwachen am Boden zerstört sein.
„Ich will damit sagen, dass ich dich liebe. Ich glaube, ich habe dich vom ersten Augenblick an geliebt. Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Und ich will das ganze Paket – das Haus mit Gartenzaun, die Kinder, sogar den Hund. Einfach alles.“
Lexie schwindelte, sie legte die Hände flach auf seine Brust, um sich zu stützen. Am liebsten hätte sie gleichzeitig gelacht und geweint. Doch dann sah sie wieder seine steinerne Miene an dem Tag im Castillo vor sich … wie ungerührt er sie hatte gehen lassen. Sie trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust. „Du hast mir wehgetan“, stieß sie mit brechender Stimme aus. „Ich dachte, du würdest nichts für mich empfinden.“
Er wirkte regelrecht gequält. „Es tut mir so leid. Ich habe unmöglich reagiert. Weil ich zu viel gefühlt habe, habe ich mich komplett abgeschottet. Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Als du erzähltest, was dir zugestoßen ist, konnte ich nur daran denken, dass ich diesen Mann mit meinen bloßen Händen umbringen wollte.“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn ich mir dich vorstelle, du als junges Mädchen, schwanger, ohne jede Hilfe …“ Seine Augen begannen feucht zu schimmern. „Du bist der tapferste Mensch, den ich kenne. Du beschämst mich.“
„Ich dachte …“, sie flüsterte nur noch, „… dass du mich verabscheust, weil es viel zu persönlich war. Dass du kein Verständnis für das hast, was ich getan habe. Zu spät fiel mir ein, dass es dich an deine Mutter erinnert haben muss.“
Sacht strich er ihr mit dem Daumen über die Wange. „Falls überhaupt, hat es mir geholfen, sie besser zu verstehen. Sie wäre kein Mensch gewesen, hätte sie nicht Kummer und Schmerz verspürt, als sie mich zurückließ. Aber wer kann heute noch wissen, welch ruchlosen Handel meine Großeltern ihr aufgezwungen haben, um nicht mehr zurückzukommen.“
Sie fühlte sich plötzlich lächerlich schüchtern. „Ich … ich dachte, für dich sei es nur Sex.“
Cesar zog eine Grimasse. „Anfangs habe ich auch versucht, mir das einzureden … weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass es viel tiefer ging.“
Lexie konnte es von seinem Gesicht ablesen – Liebe. Liebe vertrieb all ihre Zweifel und Ängste. Aber es war ein so enormes Gefühl. Furcht fasste nach ihr …
Als hätte Cesar es gespürt, trat er noch näher an sie heran. „Lexie, was ist?“
„Ich habe Angst“, flüsterte sie. „Meine Familie hat mich allein gelassen, hat mich auf die schlimmste Art betrogen. So etwas würde ich nicht noch einmal überleben.“
Cesar wurde ernst. „Ich schwöre, dass ich für den Rest meines Lebens alles in meiner Macht Stehende tun werde, um dich vor Kummer und Schmerz zu beschützen. Du bist Teil meiner Seele, wer dich betrügt, betrügt auch mich. Was immer die Zukunft bereithält … ich werde immer an deiner Seite sein. Dazu gehört auch Connor.“
Lexies Augen füllten sich mit Tränen. Dass er ihren Sohn mit in die Zukunft einschloss, ließ auch den Rest ihrer Bedenken schwinden.
Sie schlang die Arme um seinen Nacken, zog sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. „Ich liebe dich, Cesar.“
Es wurde ein leidenschaftlicher Kuss, voller Verlangen und Zärtlichkeit.
Irgendwann löste Lexie die Lippen von seinem Mund. „Bring mich nach Hause, Cesar, ja?“
„Liebend gern, querida.“ Lächelnd wischte er ihr die Tränenspuren von der Wange. „Warte … da ist noch etwas …“ Cesar ging vor ihr auf die Knie, von irgendwoher hatte er ein schwarzes Samtkästchen hervorgezaubert, und sein unsicheres Lächeln ließ Lexies Herz schneller schlagen.
„Lexie Anderson“, er ließ den Deckel des Kästchens aufschnappen, „willst du meine Frau werden?“
Pure Freude schäumte in ihr über, und ihre ganze Liebe für ihn lag in ihrer Stimme, als sie laut ausrief: „Ja!“
Cesar steckte ihr den antiken Diamantring an den Finger, dann richtete er sich auf und küsste sie, bis ihr Hören und Sehen verging – unter dem johlenden Applaus der Sicherheitsleute, die als Einzige noch am Set waren.
Eine Woche später wartete Cesars Privatflugzeug abflugbereit auf dem Flugfeld. Sobald die letzte Szene des Films im Kasten war, wollten Lexie und er zurück nach Spanien fliegen.
Das Vibrieren seines Handys sagte ihm, dass eine Textnachricht eingegangen war.
Herzlichen Glückwunsch zur Verlobung. Alexio und ich würden uns gern mit dir treffen. Ruf mich an, wenn du bereit dazu bist. Jederzeit. Rafaele.
Später, als sie schon in der Luft waren, ließ Cesar Lexie die Nachricht lesen. Sie saß auf seinem Schoß und sah ihn mit schimmernden Augen an, hauchte dann einen Kuss auf seine Wange.
„Ich bin bereit, wenn du bereit bist“, meinte sie bewegt.
Die Freude vertrieb die Dunkelheit in ihm. Grinsend legte er das Handy ab und machte sich daran, seiner Verlobten zu beweisen, wie bereit er war …