Schon bald werden wir ein echtes Liebespaar sein.
Zu einer Erwiderung war Lexie keine Zeit geblieben, denn der Chauffeur hatte den Wagenschlag aufgezogen. Cesar hielt ihre Hand, als sie ausstiegen. Zu gern hätte Lexie die Finger zurückgezogen, aber sie brauchte den Halt auf dem Spießrutenlauf durch die Menschenmenge. Nach dem Kuss auf dem Rücksitz fühlte sie sich so unsicher wie eine Anfängerin bei der ersten Premiere.
Cesar dagegen wirkte völlig gelassen. Er hatte sogar ein Lächeln aufgesetzt. Es ärgerte sie, dass er so kühl und gefasst blieb. Sollte er nicht derjenige sein, der die Paparazzi anknurrte?
Im marmorverkleideten Foyer des Hotels, in dem die Veranstaltung stattfand, riss sie endlich ihre Hand los. „Ich muss mich frisch machen“, ließ sie ihn knapp wissen.
Sie hielt Ausschau nach dem Waschraum und steuerte ihn sofort an. Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr ihr, weil sie den Raum für sich allein hatte. Als sie jedoch einen Blick in den Spiegel warf, stockte ihr der Atem.
Ihre Frisur war ruiniert, ihre Wangen leuchteten feuerrot, ihre Lippen waren geschwollen, und ihre Augen glitzerten fiebrig. Lexie machte sich daran, den Schaden so gut es ging zu beheben.
In Gedanken verfluchte sie den Mann, dem es so leicht gelang, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Und sie verfluchte ihren Körper, der sie jedes Mal im Stich ließ und verriet.
Eine genaue Musterung ihres Konterfeis zeigte ihr die Schatten und Geheimnisse, die in ihren Augen lagen – und die nur sie sehen konnte. Jemand wie Cesar würde nie etwas davon ahnen. Inzwischen mochte sie stärker sein, aber einst war sie völlig am Boden zerstört gewesen und hatte geglaubt, nie wieder aufstehen zu können.
Doch wenn Cesar sie berührte, dann fühlte sie sich heil und ganz. Dann vergaß sie, was ihr zugestoßen war. Bei ihm schreckte sie nicht vor einem Kuss zurück, so wie sie es bei anderen Männern tat, selbst am Set für eine Szene im Film.
Wir werden ein Liebespaar werden.
Ein winziger Hoffnungsfunke glomm auf. So undenkbar es auch schien … vielleicht war Cesar Da Silva der Eine, der heilen konnte, was vor so langer Zeit in ihr zerstört worden war. Allein bei der Vorstellung wurde ihr schwindlig, Aufregung und Angst erfüllten sie gleichzeitig …
Ein Klopfen ertönte an der Tür. „Lexie? Alles in Ordnung?“
Erschreckt zuckte sie zusammen. „Ja, sicher“, beeilte sie sich zu antworten. „Nur noch eine Minute.“
Angestrengt nahm sie sich zusammen, doch als sie aus dem Waschraum trat, hätten die Emotionen sie fast erneut überwältigt. Cesar lehnte lässig an einer Marmorsäule und wartete auf sie, sein Blick lag forschend auf ihrem Gesicht, und wieder begannen ihre Gedanken zu trudeln. Die Hand an ihre Rücken, führte Cesar sie in den Ballsaal zum Dinner.
Ihre Haut brannte, dort, wo er sie berührte, und es passte ihr auch nicht, dass sie plötzlich die Blicke und das Flüstern hinter vorgehaltener Hand viel zu deutlich wahrnahm. Es glich zu sehr der Zeit, als die Geschichte von ihr und Jonathan Saunders bekannt geworden war.
Sie setzten sich auf die reservierten Plätze, und Cesar legte den Arm um ihre Schultern, beschrieb kleine Kreise mit dem Daumen auf ihrer bloßen Haut und beugte sich zu ihr. „Entspann dich“, murmelte er an ihrem Ohr. „Du siehst aus, als würdest du gleich in tausend Teilchen zerspringen.“
Lexie drehte den Kopf. Sein Gesicht war direkt vor ihrem, sie konnte die dunkleren grünen Punkte in seinen Augen sehen. Grün in Grün – wie ein Ozean. Der Wunsch, die Hand an seine Wange zu legen, wurde übermächtig. Vielleicht war es das Wissen, dass so etwas von der Öffentlichkeit erwartet werden würde, was sie dazu brachte, es zu tun. Sie spürte seine Haut an ihrer Handfläche zucken. Seine Augen verdunkelten sich, und etwas Hartes blitzte in den grünen Tiefen auf. Zynismus.
Hastig wollte sie ihre Finger zurückziehen, doch blitzschnell hielt er ihre Hand fest und setzte einen Kuss in ihre Handfläche, genau wie im Auto. Die Geste hatte auch die gleiche verheerende Wirkung auf sie.
„Du bist eine wirklich gute Schauspielerin.“
Bevor Lexie mit einer passenden spitzen Entgegnung davon ablenken konnte, wie sehr seine Bemerkung sie getroffen hatte, reichte ein Kellner ihr die Speisekarte. Verletztes Jammern war so oder so unangebracht. Was sollte es sie kümmern, ob Cesar ein Zyniker war oder nicht?
Blind starrte Lexie auf das Menü und verfluchte den Mann in Gedanken. Schon wieder. Trotzdem verstand sie kein Wort, es war zwecklos.
„Es hilft, wenn man die Speisekarte richtig herum hält“, hörte sie ihn neben sich sanft spötteln.
Mit einem giftigen Blick auf Cesar drehte sie die Karte um und verstand noch immer nichts. Aus den Augenwinkeln sah sie den Kellner, der auf die Bestellung wartete. Panische Verlegenheit schwappte über ihr zusammen. Nur mit äußerstem Unwillen wandte sie sich an Cesar. „Was würdest du empfehlen?“
Für einen Moment musterte er sie forschend, dann lenkte er den Blick auf die Karte. „Nun, die Wachteln als Vorspeise …“
„Wachteln?“ Allein bei dem Gedanken wurde ihr übel.
„Da wäre da auch noch Lachsrisotto oder Carpaccio vom Rind …“
„Das Rind“, sagte sie hastig, zu beschämt, ihn anzusehen. Sie musste an seine üblichen Begleiterinnen denken, alle bewandert in mehreren Sprachen, alle versiert in solchen Situationen.
„Nicht jeder ist mit französischen Speisekarten vertraut. Kein Grund, sich zu schämen.“
Ihre Verlegenheit ließ sie aggressiv werden. „Kein Grund, sich so gönnerhaft zu geben, Cesar. Ich bin nicht dumm, ich hatte nur nie …“
Sie presste die Lippen zusammen. Musste sie denn unbedingt jedes kleine Detail ihres Lebens herausposaunen, jedes Mal, wenn sie den Mund öffnete?
Nach der Bestellung unterhielt Cesar sich mit dem Nachbarn zu seiner Linken, und Lexie blieb es allein überlassen, die neugierigen Blicke der anderen zu ignorieren. Bis die ältere Dame zu ihrer Rechten sich ihr zuwandte und mit einem amerikanischen Akzent leise meinte: „Da haben Sie aber eine Katze unter den Mäusen ausgesetzt, meine Liebe. Einfach an der Seite eines der begehrtesten Junggesellen der Welt hier aufzutauchen.“
Lexie lächelte matt. Doch dann entpuppte sich die alte Dame als genauso charmant, wie sie offensichtlich auch reich und exzentrisch war. Nur allzu gern ließ sich Lexie auf die Unterhaltung mit ihr ein und lauschte den amüsanten Episoden aus dem Leben einer Amerikanerin in Spanien – lieferte ihr das doch die perfekte Entschuldigung, sich nicht den forschenden Blicken aus faszinierend grünen Augen stellen zu müssen.
Zum zigsten Mal ermahnte Cesar sich, sich zu entspannen. Das Dinner näherte sich seinem Ende, und während des gesamten Essens hatte Lexie ihn ignoriert. Das war ihm bisher noch mit keiner Frau passiert.
Sein Magen hatte sich zusammengezogen, als er sie mit der Speisekarte hatte kämpfen sehen. Er hatte an ihre Geschichte denken müssen, wie sie zum Film gekommen war. Sie war jung von zu Hause weggegangen, vermutlich ohne die Schule zu beenden. Eine Universität hatte sie wohl nie besucht, so wie die Frauen, an die er gewöhnt war. Nein, sie war nicht elitär – eine erfrischende Abwechslung.
Ärgerlich hatte sie ihm vorgeworfen, er würde sie herablassend behandeln. Ich bin nicht dumm, hatte sie zu ihm gesagt. Nichts läge ihm ferner, als sie für dumm zu halten.
Mehrere seiner Beziehungen hatte er beendet, einfach weil er geistig erschöpft gewesen war. Die Frauen schienen sich ihm alle als würdige Kandidatinnen beweisen zu wollen, indem sie in drei Fremdsprachen konversierten und über komplizierte politische oder philosophische Zusammenhänge redeten, die ihn überhaupt nicht interessierten. Und im Schlafzimmer gaben sie sich erfahren und offen für alles, was er eher als unangenehm und vor allem alles andere als sexy empfand.
Wenn er dagegen Lexie ansah, lief seine Fantasie jedes Mal auf Hochtouren. Und zu seinem Erstaunen war auch die Show in der Öffentlichkeit keineswegs so unerträglich, wie er erwartet hatte. Seltsamerweise hatten die Kameras mit Lexie an seiner Seite ihren Schrecken verloren, seine Angst, diese Linsen könnten mit Röntgenstrahlen etwas entdecken, das er niemanden sehen lassen wollte, war verschwunden.
Zufrieden sah er, wie ihre Tischnachbarin aufstand, um den Tisch zu verlassen. Jetzt würde Lexie sich ihm zuwenden müssen. Natürlich waren ihm die Blicke aufgefallen, die sie mit ihrem provozierenden Kleid angezogen hatte. Sie stach jede andere Frau hier im Saal aus. Cesar hatte sie sowieso für jede andere blind gemacht – blind vor Lust.
Lexie konnte spüren, dass Cesar wartete. Mrs Carmichael war zum Waschraum gegangen, und jetzt wappnete sie sich für Cesars vorwurfsvollen Blick, weil sie ihn den ganzen Abend ignoriert hatte. Sie holte tief Luft, bevor sie sich zu ihm umdrehte – und prompt schoss ihr ein Stromstoß bis in den Magen, als sie ihn ansah. Er hatte sein Jackett ausgezogen, und das Hemd spannte sich eng über seiner breiten Brust.
„Was ich vorhin sagen wollte, bevor du mir so demonstrativ den Rücken zugekehrt hast …“
Sie kam sich vor wie ein gescholtenes Kind. „Mrs Carmichael ist eine sehr interessante Person“, rechtfertigte sie sich.
„Ich kenne Mrs Carmichael sehr gut und kann bestätigen, dass sie der interessanteste Mensch im ganzen Saal ist.“
Lexie ließ den Blick über die Gäste wandern. Sie sahen doch alle so wichtig aus … „Sind das denn nicht Freunde von dir?“
Fast hätte er geschnaubt. „Sie geben vor, meine Freunde zu sein, weil ich zu den Auktionen komme, eine verboten hohe Summe biete und wieder gehe. Das tue ich auch nur aus dem Grund, weil ich hier von vornherein weiß, dass es direkt bei den Bedürftigen ankommt und nicht auf irgendwelchen Verwaltungswegen versickert.“
„Oh.“ Sie war ehrlich überrascht, hatte sie ihn doch in die Kategorie eingeteilt, dass er nur spendete, um sein Gewissen zu beruhigen. Hier ging es zudem um eine Sache, die ihr ebenfalls am Herzen lag – Zwangsprostitution. „Ja, Mrs Carmichael hat es mir erklärt.“
Cesar legte den Arm hinter ihr auf die Stuhllehne und nahm mit der anderen Hand die Liste vor sich auf. „Das hier sind die Dinge, die heute versteigert werden. Sieh dir die Liste an, vielleicht gefällt dir ja etwas davon.“
Er wirkte geradezu gelangweilt, und scheinbar erwartete er jetzt von ihr, dass sie begeisterte Dankbarkeit zeigte – was seltsame Enttäuschung in ihr heraufbeschwor. Hinzu kam die Tatsache, dass sie die Liste nicht lesen konnte. Ärger mischte sich in die Enttäuschung.
„Ich bin vielleicht keine Intellektuelle wie deine üblichen Gespielinnen, Cesar, aber wie ein blondes Dummchen brauchst du mich nicht zu behandeln …“
„Schluss damit.“ Mit der Hand drückte er leicht ihren Nacken.
Sie verspannte sich, als ihr Körper sofort auf die Berührung reagierte. Fast hätte sie gelacht. Für alle anderen musste es wie eine zärtliche Geste aussehen, so eng, wie sie beieinander saßen.
Lexie setzte sich um, entzog sich seinem Griff. „Tut mir leid. Ich habe überreagiert.“
Cesar verzog reuig das Gesicht. „Entschuldige, es sollte nicht so blasiert klingen.“
Wieder überraschte er sie. Wie schnell er bereit war, sich zu entschuldigen. „Vielleicht kann ich ja selbst mitbieten“, meinte sie etwas umgänglicher.
„Weißt du überhaupt, wie hoch das niedrigste Mindestgebot ist?“ Als sie den Kopf schüttelte, zeigte er ihr die Zahl auf der Liste, und sie wurde bleich.
„Dann lasse ich das Bieten wohl besser bleiben.“
Dieses Mal, als er ihr die Liste reichte, nahm sie sie an. Sie sollte es ihn wissen lasen, vor allem, weil er sie weiter so nervös machte. „Das vorhin mit der Karte sollte ich erklären …“, begann sie, doch er schüttelte sofort den Kopf.
„Ich habe nie andeuten wollen, dass du dumm bist.“
Jetzt war es Lexie, die den Kopf schüttelte. „Ich konnte die Karte nicht lesen, weil ich Legasthenikerin bin.“ Sie wartete auf einen spöttischen Kommentar, einen mitleidigen Blick, doch nichts dergleichen erfolgte.
„Und?“, sagte er einfach nur.
„Natürlich kann ich lesen, aber wenn ich nervös bin oder unter Stress stehe, ist es mir praktisch unmöglich. Ich brauche einfach Zeit und Ruhe.“
„Und jetzt stehst du unter Stress?“ Mit den Fingerspitzen streichelte er sacht ihren Nacken.
Sie fragte sich, ob sie ihm gestehen sollte, unter welch enormem Stress sie gerade in diesem Moment stand, wenn er so über ihre Haut strich. „Ein wenig schon“, meinte sie trocken.
„Wie machst du das dann mit den Drehbüchern und dem ganzen Text, den du auswendig lernen musst?“
Verlegen zupfte sie an ihrer Serviette. „Ein Schauspielerkollege spricht den Text auf eine Disc für mich, und ich höre sie mir dann auf meinem mp3-Spieler an.“
In diesem Moment fiel der Auktionshammer, und Lexie war dankbar für die Ablenkung. Es war noch gar nicht so lange her, dass ein anderer Mann Interesse für sie geheuchelt hatte, und beinahe wäre sie auf ihn hereingefallen. Und jetzt war es Cesar fast gelungen, sie glauben zu machen, sein Interesse für sie wäre echt. Aber sie wusste, es war nur Lust. Genau wie bei ihr. So peinlich es auch war, es ließ sich nicht unterdrücken.
Mit dem Hammerschlag galt Cesars Aufmerksamkeit allein der Auktion. Er ersteigerte mehrere Artikel für eine unerhört hohe Summe, und als alles vorbei war, drehte er sich abrupt zu Lexie. „Bist du so weit, dass wir gehen können?“
Stumm nickte sie, zu eingeschüchtert von dem, was sie gerade miterlebt hatte, um einen Ton hervorzubringen. Auf dem Weg nach draußen lag Cesars Hand wieder an ihrem Rücken. Mehrere Leute versuchten, ihn anzusprechen, doch er blieb für niemanden stehen.
Die Limousine wartete bereits vor dem Hotel, der Chauffeur öffnete die Tür. Als sie auf der Rückbank saßen und der Wagen sich in Bewegung setzte, legte sich die Dunkelheit um sie wie eine schützende Decke, schloss alle Geräusche aus und damit auch die Realität. Der Gedanke, dass Cesar sie wieder küssen würde, machte Lexie extrem nervös. Sie drängte sich so weit wie möglich an die Tür auf ihrer Seite und sah zum Seitenfenster hinaus auf die Lichter der Stadt. „Es ist wunderschön hier …“, flüsterte sie beeindruckt.
Sie hörte Cesar etwas zu seinem Chauffeur sagen, und schon wendete der Wagen.
Sie sah fragend zu Cesar. „Was machen wir jetzt?“
„Du solltest die Plaza Mayor mit ihren Lichtern bei Nacht sehen“, raunte er.
Ihr war überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken, dass er sich verpflichtet fühlte, den Reiseleiter für sie zu mimen. „Das ist wirklich nicht nötig“, wehrte sie ab. „Ich kann ja irgendwann hierher zurückkommen.“
Er ignorierte ihren Einwand. „Hast du Lust auf etwas Süßes?“
Beim Dinner hatte sie das Dessert ausgelassen. Wie also konnte der Mann ahnen, dass sie eine Vorliebe für Süßes hatte? „Schon, aber …“
„Ich kenne da genau das richtige Lokal“, fiel er ihr ins Wort. „Dorthin gehen wir.“
Der Wagen hielt. Pärchen schlenderten Arm in Arm durch den lauen Spätsommerabend. Cesar half Lexie beim Aussteigen. Die Luft war schon recht kühl, doch bevor Lexie auch nur etwas sagen konnte, legte Cesar ihr bereits sein Jackett um die Schultern. Sein Duft hüllte sie ein, berauschte sie.
Als er ihre Hand nahm, musste sie sich zwingen, ihre Finger nicht zurückzuziehen. Denn sie genoss es viel zu sehr, Hand in Hand mit ihm spazieren zu gehen. „Meinst du, dass hier auch Fotografen sind?“
„Durchaus möglich. Sie haben gesehen, dass wir gegangen sind.“
Sie bogen um eine Straßenecke, und ehrfürchtiges Staunen ließ Lexie verstummen. Der berühmte Platz der Stadt Salamanca mit den grandiosen alten Gebäuden lag in goldenem Lichterschein vor ihnen. Dass die Altstadt von Salamanca zum UNESCO-Welterbe gehörte, hatte Lexie gewusst, und jetzt verstand sie auch, warum.
Cesar führte sie über den Platz zu einem kleinen Café. Sie setzten sich an einen Tisch, und der Cafébesitzer kam diensteifrig herbeigeeilt, um die Bestellung aufzunehmen und ihnen dann Kaffee und eine Dessertplatte mit verschiedenen mundgerechten Gebäckteilchen zu bringen, bei denen Lexie schon beim Anblick das Wasser im Mund zusammenlief.
Die Leute saßen bei Kaffee oder einem Glas Wein zusammen und unterhielten sich leise, und Lexie wunderte sich eigentlich noch immer, dass sie mit Cesar hier saß. Sein Jackett war ihr viel zu weit, aber seine Wärme, die in dem Stoff hing, drang durch ihre Haut, genau wie sein Duft ihr in die Nase stieg. Es war unglaublich sinnlich und verführerisch.
Sie griff nach einem Teilchen und kostete davon. Fast hätte sie vor Wonne aufgestöhnt. „Wenn ich doch übermorgen nur nicht wieder in dieses Korsett passen müsste …“
Die Kaffeetasse auf halbem Weg zum Mund, hielt Cesar inne und schaute sie an. Lexie starrte zurück. Die Luft schien zwischen ihnen zu vibrieren.
Vorsichtig stellte er die Tasse ab. „Als ich dich zuerst sah, hielt ich dich für eine Erscheinung.“
Lexie hatte Mühe, den Bissen hinunterzuschlucken. Nie würde sie seinen gebannten Gesichtsausdruck an jenem Tag vergessen. Zwar hatte sie ihn nicht für eine Erscheinung gehalten, aber es war ihr ähnlich ergangen.
„Ich wusste, dass du real warst“, gab sie zu. „Aber ich weiß, was du meinst. Ich hätte ja nicht dort sein sollen.“
Cesar schnitt eine Grimasse. „Ich war unhöflich.“
Sie starrte in ihre Tasse. „Verständlich. Deine Privatsphäre wird schließlich von Dutzenden Fremden gestört.“
„Und ich war gerade aus Paris von der Hochzeit meines Halbbruders zurückgekommen.“
Er klang so grimmig, dass Lexie neugierig aufsah. „Also stimmt es … ihr seid verwandt.“
„Wieso fragst du?“, meinte er mit gerunzelter Stirn.
Lexie wurde rot. „Ich habe da einen Artikel im Internet gefunden, als ich nachsehen wollte, ob es noch weitere Fotos von uns gibt.“ Was ja nicht gänzlich gelogen war, versicherte sie sich insgeheim.
Cesars Züge wurden hart. „Es stimmt. Er und Rafaele Falcone sind meine Halbbrüder.“
Lexie hatte das Gefühl, dass sie sich hier auf ein Minenfeld begab. „Aber das weiß niemand?“
Cesar nippte an seinem Kaffee, schüttelte dann den Kopf. Er wirkte so angespannt, dass Lexie damit rechnete, er würde jeden Moment aufspringen. Zwar tat er es nicht, aber es war das erste Mal, dass er ihrem Blick auswich. „Wir haben dieselbe Mutter, aber verschiedene Väter.“
„Und ihr hattet keinen Kontakt, als ihr aufwuchst?“
„Ich wusste, dass sie existierten, aber sonst … nein. Meine Mutter war mehr an einem Leben in Luxus interessiert als an Familientreffen. Oder sich Gedanken darum zu machen, dass sie ihren Ältesten aufgegeben hatte.“
Unzählige Fragen stürzten auf Lexie ein. Warum hatte seine Mutter ihn zurückgelassen? Und auch das anfängliche Misstrauen kehrte zurück. „Was hat das alles … hiermit zu tun?“
„Was meinst du?“
So richtig wusste Lexie es selbst nicht, aber sie fühlte sich immer mehr einem unbestimmten Risiko ausgesetzt … ein Gefühl, das ihr keineswegs behagte. „Ich meine, hast du nur wegen deiner Brüder so bereitwillig zugestimmt, mit mir in der Öffentlichkeit gesehen zu werden?“
Sein Mund wurde schmal. „Ich gestehe, dass ich den Vorteil gesehen habe, wenn eine andere Neuigkeit den Vorrang erhält.“
Das hatte sie doch bereits vermutet, warum also sollte es sie so verletzen? Weil du dir eingebildet hast, Interesse an dir wäre seine einzige Motivation, spottete eine kleine Stimme in ihrem Kopf. Und vorhin in dem Waschraum des Hotels war sie noch so aufgeregt gewesen, weil er gesagt hatte, dass sie ein Liebespaar werden würden. Gott, wie unbedarft sie sich von ihm hatte blenden lassen!
Mit blinden Augen griff sie nach ihrer Tasse, merkte nicht einmal, dass der Kaffee überschwappte, als sie die Tasse fast umstieß. Abrupt stand sie auf. „Könnten wir vielleicht zurückfahren? Ich bin ziemlich müde. Es war eine anstrengende Woche …“
Sie schwang herum und ging Richtung Auto. Ein bittererer Geschmack stieg in ihren Mund. Warum hatte sie nicht nachgedacht? Natürlich hatte er andere Motive. Er hatte nur mit ihr gespielt, während sie gefährlich nah an den Abgrund gerutscht war. Wieder einmal.
Sie war in der Mitte des Platzes angelangt, als eine große Hand sie beim Arm herumzog und sie sich einem grimmigen Gesicht mit glühenden grünen Augen gegenüberfand. Das war ihr nur recht.
„Was, zum Teufel, soll das, Lexie?“
Sie entriss sich seinem Griff, sein Jackett fiel zu Boden. Keiner von ihnen beiden achtete darauf. Worte lagen ihr auf der Zunge, die sie nicht aussprach, aus Angst, sich zu verraten.
„Es schmeckt dir also nicht, dass ich eigene Gründe habe, weshalb ich die Presse aus meinem Privatleben heraushalten will? Dass ich wie ein vergessenes Gepäckstück zurückgelassen wurde und Halbbrüder habe, die nichts von meiner Existenz wussten?“
„Was?“ Seine Worte schockierten sie so sehr, dass sie den eigenen Gefühlstumult vergaß. „Nein! Natürlich nicht … Ich wusste doch gar nichts über deine Familie.“
Cesars Lippen wurden schmal. „Meine Mutter erhoffte sich etwas davon, mich zum Familiensitz zurückzubringen, nur hatte sie nicht damit gerechnet, dass meine Großeltern ihr ein Ultimatum setzen würden. Entweder nur ich, oder keiner von uns beiden. So ließ sie mich im Castillo zurück.“
Unwillkürlich streckte Lexie die Hand nach ihm aus „Cesar, das habe ich doch nicht ahnen können.“
Er trat einen Schritt zurück, die Lichter des inzwischen fast leeren Platzes umgaben ihn wie eine goldene Aureole, betonten seine männliche Statur. „Das ist es, was in den Zeitungen erscheinen wird – die Story der Esperanza Christakos, ehemals Falcone, ehemals Da Silva. Ihr Aufstieg aus ärmlichen Verhältnissen zu Reichtum und Ruhm. Und die hässlichen Details über den Sohn, den sie aufgegeben hat.“
Den Namen der weltbekannten Schönheit hatte Lexie natürlich gehört, auch wenn sie die Verbindung zu Cesar oder seinen Halbbrüdern nicht hergestellt hatte. Sie schüttelte den Kopf. „Davon wusste ich nichts.“
Cesar war wütend auf sich selbst. Er hatte viel zu viel preisgegeben. „Was ist es dann?“
Sie konnte ihm unmöglich sagen, wie sehr es sie verletzte, dass er nicht aus purer Leidenschaft zugestimmt hatte, sich mit ihr in der Öffentlichkeit zu zeigen. Schließlich hatte sie sich vehement gegen seine Arroganz verwehrt, mit der er behauptete, sie würden ein Liebespaar werden.
Sie suchte in seinen Zügen nach einem Zeichen von Nachgiebigkeit – und fand keines. Jetzt verstand sie endlich, wie hart er wirklich war. Weil er hart hatte werden müssen. Mitgefühl für den kleinen Jungen brandete in ihr auf, der ohne Mutter in dem düsteren alten Castillo aufgewachsen war.
Da ihr keine Antwort einfiel, mit der sie sich nicht verraten würde, wich sie der Frage aus. „Wir müssen das nicht tun … Ich meine, wenn du nicht willst.“ Die Alternative, einfach hier zu bleiben, schien ihr im Vergleich gar nicht mehr so schlimm, statt sich noch einmal derart verwundbar zu machen. „Vielleicht ist das hier doch keine so gute Idee.“ Sie sprach hastig, um zu kaschieren, wie angespannt ihre Nerven waren. „Ich meine, wenn wir jetzt damit aufhören, wird jeder denken, es war nur ein kurzer Flirt.“
Cesar schüttelte den Kopf. „Wir sind schon zu weit gegangen, um jetzt einen Rückzieher zu machen.“
Ihr Herz hämmerte, ihr Mund war staubtrocken. Nein, sie wollte nicht widersprechen.
„Wir beide haben unsere eigenen Gründe, Lexie“, fuhr er mit seiner tiefen Stimme fort, die ihr unter die Haut ging. „Und wir sind beide erwachsen. Das Ganze hat doch überhaupt damit angefangen, dass wir nach einem einzigen Blick die Finger nicht voneinander lassen konnten.“
Sie musste an das denken, was er ihr über seine Halbbrüder erzählt hatte. Auch wenn sie nicht die ganze Geschichte kannte, so hatte es doch etwas in ihr berührt. Auch sie hatte Geheimnisse, die sie wahren wollte. Das also hatten sie gemein. Außerdem war ein Rückzug jetzt kaum mehr möglich.
Er schlang die Arme um ihre Taille und zog sie an sich, und sie wehrte sich nicht. Im goldenen Licht der Laternen legte sie die Hände flach auf seine Brust. Es war ein traumgleicher Moment. Lexies Unsicherheit und das Gefühl des Verletztseins schwanden, als er den Mund auf ihren presste und sie willig die Lippen für ihn öffnete.
Ganz in ihrer Nähe flammte ein Blitzlicht auf. In Cesars Armen zuckte Lexie zusammen, und auch er hob abrupt den Kopf und fluchte. Ein Reporter stand nur wenige Meter von ihnen entfernt und betätigte noch mehrere Male den Auslöser seiner Kamera, bevor er sich umdrehte und davontrottete.
Cesar machte keinerlei Anstalten, dem Mann nachzusetzen, stattdessen lag ein zufriedenes Glühen in seinen Augen, als er Lexie ansah.
„Damit wäre also die Chance dahin, es als kurzen Flirt darzustellen. Was auch immer anfangs unsere Gründe gewesen sein mochten – jetzt geht es um uns. Ich will dich, Lexie. Und du willst mich. So einfach ist das.“