»Der Tantron der Achtihm-Flotte ruft uns«, meldete der Funkoffizier.
Grand wusste – weshalb auch immer – dass der Rang eines Tantron bei den Achtihm dem eines terranischen Flottenadmirals entsprach.
»Auf das Hauptholo«, befahl er.
Im Holo erschien ein zornig blickender Achtihm in vollem Ornat, eingerahmt von zweien seiner Dorak , was einem Generalsrang entsprach.
»Terraner, ihr befindet euch in militärischem Sperrgebiet. Verschwindet!«
Die drei Achtihm sahen wütend aus, soweit Grand dies bei einer ihm fremden Spezies beurteilen konnte. Sie schienen von einem Sauerstoffplaneten zu stammen und hatten keine Ähnlichkeit mit den Spezies, die ihm bekannt waren. Am ehesten ließen sie sich noch mit einer Mischung aus einem Nilpferd und einem Krokodil vergleichen. Die Achtihm waren bullig und wirkten fast fett. Der runde Kopf mit den zwei kleinen, gerundeten Ohren neben den beiden seitlichen Kopfhöckern, in denen die winzigen Augen saßen, und ihre breite, wuchtige Schnauze gaben ihnen tatsächlich beinahe das Aussehen eines irdischen Nilpferds. Allerdings war ihre Haut nicht grau und glatt, sondern sah aus wie die eines Krokodils. Auch die beiden Reihen spitzer Reißzähne, deren Enden über die Lippen ragten, vervollständigten diesen Eindruck.
Allerdings liefen sie auf zwei Beinen und trugen eine Art Umhang, der den Rest ihres massigen Körpers verdeckte. Die Umhänge der drei waren mit Orden und Abzeichen übersät.
Der Flottenchef der Achtihm war ein ungehobelter Klotz, wie Grand feststellen musste. Die Achtihm waren zwar nicht gerade für besonders gepflegte Umgangsformen gegenüber anderen Spezies bekannt, doch ein Mindestmaß an zivilisiertem Benehmen durfte man selbst von ihnen erwarten. Als streng hierarchische und militaristische Spezies, der Ehre viel bedeutete, gebührte einem gleichrangigen Gegenüber zumindest der Anschein von Respekt.
»Ich grüße euch ebenfalls, werter Tantron«, antwortete Grand lächelnd. »Dieser Raumsektor gehört nicht zum Imperium der Achtihm, soweit ich informiert bin.«
»Er gehört auch nicht zum Hoheitsgebiet von euch Terranern – oder zu dem eines der anderen Völker, deren lächerliche Schiffe ich sehen kann.«
»Exakt das ist der Punkt, werter Tantron. Er gehört niemandem, also kann auch niemand Anspruch darauf erheben.«
»Er gehört uns, wenn ich sage, dass er uns gehört. Wollt ihr uns unseren Anspruch etwa streitig machen?«
»Darf ich darauf aufmerksam machen, dass die Grenze zu eurem Imperium mehr als zwanzigtausend Lichtjahre von hier entfernt liegt? Allein die Hälfte der in meiner Flotte vertretenen Spezies haben ihren Einflussbereich wesentlich näher an diesem Raumsektor. Darunter auch wir Terraner, wie ich anmerken möchte. Hätten wir nicht viel eher einen Anspruch auf diesen Sektor als die Achtihm? Oder geht es euch vielleicht gar nicht so sehr um diesen Raumsektor, sondern vielmehr um das, was sich darin befindet?«
»Wir erheben Anspruch auf diesen Sektor, mit allem, was sich darin befindet!«
Es war klar, dass es den Achtihm ausschließlich um den Würfel ging. Hier befand sich nichts anderes, was eine militärische Auseinandersetzung wert gewesen wäre.
»Reden wir nicht länger um den heißen Brei herum, Tantron. Wir sind der Ansicht, dass dieses Artefakt nicht einer Spezies alleine gehören kann. Die Achtihm haben es weder entdeckt noch befindet es sich in ihrem Hoheitsgebiet. Ihr habt also keinerlei begründeten Anspruch darauf. Es waren die Xalchi, die es entdeckt haben. Wenn überhaupt, könnten sie Ansprüche geltend machen. Doch sie waren verantwortungsbewusst genug, dies nicht zu tun, sondern alle anderen interessierten Spezies zur Erforschung des Würfels einzuladen, um den Frieden und die Verständigung zwischen den Völkern zu fördern.« Und weil sie alleine technologisch dazu überhaupt nicht in der Lage gewesen wären , dachte Grand. Die Xalchi waren ein sehr rückständiges Volk und lebten im Schatten fast aller anderen Zivilisationen der Milchstraße. Sie fürchteten nichts mehr, als das Missfallen eines anderen Volkes zu erregen. Manch einer hätte auch gesagt, sie seien hinterwäldlerische Feiglinge.
»Ich kann euch Folgendes anbieten, Tantron«, fuhr Grand fort. »Wir bilden eine Forschungsgruppe, die sich aus allen interessierten Spezies zusammensetzt. Gleichrangig! Alle Erkenntnisse werden geteilt. Es gibt keine Geheimnisse untereinander und keinen Streit. Was halten die Achtihm davon?«
Grand glaubte nicht, dass der Tantron auf diesen Vorschlag eingehen würde. Die Achtihm waren nicht für ihre Bereitschaft berühmt, mit anderen Spezies zusammenzuarbeiten. Er wurde nicht enttäuscht.
Der Tantron überlegt keine Sekunde lang.
»Was ich davon halte? Hier ist meine Antwort: Verpisst euch!«
Auch Diplomatie war augenscheinlich nicht seine Stärke.
»Nun, wir geben euch gern eine Stunde Zeit, um nochmals über mein Angebot nachzudenken, werter Tantron. Ich bin sicher, wir können zu einer friedlichen Einigung kommen.«
Mit diesem Hinweis hoffte Grand, dem Achtihm deutlich zu machen, dass er auch eine andere Lösungsmöglichkeit des Konflikts in Betracht ziehen könnte.
Der Achtihm schnaubte verächtlich.
»Hier ist mein Gegenangebot! Ihr habt eine Stunde, dieses Gebiet zu räumen. Es ist nur meine Großzügigkeit, die mich veranlasst, euch überhaupt so viel Zeit zu lassen. Aber ihr werdet sie bestimmt benötigen, um mit eingekniffenem Schwanz eure armseligen Herrscher zu kontaktieren und um Rat zu bitten. Ihr seid so jämmerlich! Wenn ihr in einer Stunde noch hier seid, betrachte ich es als Kriegserklärung an mein Volk. Dann sprechen die Waffen!«
Das Holo erlosch.
»Das lief ja richtig gut«, sagte Jalina sarkastisch.
»Hast du etwas anderes erwartet?«, antwortete Grand.
»Ich möchte mit Commodore Grand unter vier Augen reden«, sagte Jalina zu den versammelten Militärs.
Dies sorgte zwar bei einigen für verwunderte Blicke, doch da die Kolltaner und die Terraner die beiden militärisch schlagkräftigsten Zivilisationen dieser Allianz waren und fast die Hälfte aller Schiffe dieser Flotte stellten, erhob niemand Einspruch. Man erkannte die Führungsrolle der beiden verbündeten Völker ohne Widerspruch an, etwas, das Grand in seiner eigenen Realität niemals für möglich gehalten hätte. Es sah fast so aus, als ob hier die beiden humanoiden Spezies eine weitaus gewichtigere Rolle spielen würden, als es in seiner Milchstraße der Fall war.
Grand und Jalina zogen sich in einen kleinen Besprechungsraum neben der Zentrale zurück.
»Ich nehme an, du hast etwas entdeckt, das mir entgangen ist«, sagte Grand.
»Allerdings! Ich kenne diese Spezies. Sie war ebenfalls unter den Anwärtern an der Sphäre der Erleuchtung vertreten .«
»Das ist unmöglich«, widersprach Grand. »Es gab dort außer uns keine weiteren Anwärter aus anderen Universen, geschweige denn aus der Milchstraße.«
»Ich täusche mich nicht, Michael«, beharrte Jalina. »Die Achtihm waren dort. Ich kann mich deutlich an das Kandidatenpaar erinnern. Sie waren in einer der ersten Fähren, die zur Sphäre hinuntergingen.«
Grand schüttelte frustriert den Kopf.
»Wenn du recht hast, und ich glaube dir, dann habe ich dafür keine Erklärung. Das ergibt mal wieder keinen Sinn.«
»Ich kann es mir auch nicht erklären, aber wenn ich recht habe, dann steckt das andere Kandidatenpaar mit Sicherheit in den Körpern des Tantron und eines seiner Doraks.«
»So wie wir hier«, sagte Grand und nickte bestätigend.
»Jetzt wissen wir wenigstens, worum es diesmal geht und wer die Konkurrenten sind.«
»Wer von uns erreicht zuerst den Würfel und erlangt Zutritt – genau wie beim letzten Mal.«
»Es scheint nicht so einfach zu sein. Die Achtihm sind schon eine Weile hier. Bestimmt haben es die beiden anderen Kandidaten bereits probiert und sind gescheitert.«
»Vielleicht hat der Würfel auch auf unsere Ankunft gewartet. Es wäre ja sonst kein fairer Wettstreit.«
Diesmal war es Jalina, die mit den Schultern zuckte.
»Wer weiß schon, was sich diejenigen, die über diesen Wettkampf wachen, dabei denken. Aber es genügt nicht, die Achtihm aufzuhalten, wir müssen auch die anderen Völker in unserer Allianz davon überzeugen, uns alleine zum Würfel fliegen zu lassen. Das dürfte schwierig werden.«
»Wie sagtest du am Abend vor dem Abstieg zur Pyramide so schön? Warum sollte zur Abwechslung einmal etwas einfach für uns sein?«
Die Stunde verstrich ereignislos, wenn man davon absah, dass sowohl die Achtihm als auch Grand ihre jeweiligen Flotten umgruppierten und positionierten, um für einen Angriff gewappnet zu sein. Grand und Jalina hatten sich kurz vor Ablauf des Ultimatums nochmals beraten und einen Plan entwickelt. Kurz bevor die Frist ablief, rief Grand Leutnant Ndugu zu sich.
»Stellen Sie eine Verbindung zum Tantron her«, befahl er ihm.
Der Achtihm erschien umgehend im Holo, als habe er auf den Anruf gewartet.
»Werter Tantron, haben Sie nochmals über mein Angebot nachgedacht?«
»Der Einzige, der hätte nachdenken sollen, sind Sie - wenn Sie dazu überhaupt in der Lage sind. Haben Sie sich entschieden, ob Sie hier sterben wollen oder erst in vielen Jahren friedlich auf Ihrer Schlafstatt?«
»Wir sollten uns treffen und das Problem persönlich besprechen. Nur Sie und ich mit jeweils einem Berater an unserer Seite. Sozusagen ein … Paladin .«
Der Tantron kniff die beiden Äugelchen zusammen. »Paladin? Wo kommt dieser Ausdruck plötzlich her?«
»Ich habe ihn irgendwo aufgeschnappt. Wahrscheinlich während meines letzten Aufenthalts auf dem Planeten Sphäre . Sie wären ein guter Anwärter für einen Urlaub dort. Auf Sphäre ist es sehr friedlich. Dafür sorgen schon die dortigen Wächter .«
Der Achtihm sah Grand durchdringend an.
»Ich verstehe, was Sie mir sagen, aber mein … Paladin , um Ihr Wort zu verwenden, und ich sind an einem Treffen nicht interessiert. Verschwinden Sie von hier. Sie haben keine Chance, den Wettstreit zu gewinnen.«
»Sind Sie wirklich sicher, dass Ihr Verhalten klug ist? Vielleicht wartet der Würfel auf friedliche Individuen und nicht auf jemanden, der mit Gewalt vorgeht. Wie Sie wissen, wird Gewalt nicht überall geschätzt. Vielleicht erlangen nur friedliebende Kandidaten Zutritt.«
Wahrscheinlich fragten sich die anderen Offiziere in der Zentrale gerade, was Grand da für einen Unsinn verzapfte, aber da sie sehen konnten, dass der Tantron nachdenklich wurde, blieben sie ruhig.
»Na gut«, stimmte der Achtihm schließlich zu. »Ein Treffen kann nicht schaden, wenn sich dadurch ein sinnloses Abschlachten Ihrer Flotte vermeiden lässt. Darin liegt für uns keine Ehre. Aber unsere Position ist Ihnen bekannt. Wir werden nicht weichen.«
»Ich schlage vor, jeder von uns nimmt ein Shuttle und wir treffen uns in der Mitte zwischen unseren Flotten.«
»Ich bin einverstanden. In einer weiteren Stunde.«
»Wir werden pünktlich dort sein, werter Tantron.«