15. Erstkontakt


Die Zyliden waren eine insektoide Spezies und Zylida, ihr Heimatplanet, war eine Dschungelwelt mit Temperaturen, die selbst für einen Kolltaner am Rand des Erträglichen lagen. Grand war froh, in einem kolltanischen Körper zu stecken. Kollta war wesentlich wärmer als Terra und ein Terraner hätte es hier ohne einen kühlenden Schutzanzug kaum aushalten können. Es musste deutlich über 50° heiß sein.

Sie waren mit dem Beiboot auf einer Lichtung unweit des Dorfes gelandet, das auch schon die Crew der Tomorak beobachtet hatte. Dieses Mal waren sie jedoch für alle sichtbar vom Himmel geschwebt, ohne sich hinter dem Schutz eines Deflektorfeldes zu verbergen. Im Dorf musste gerade große Aufregung herrschen, und Grand war gespannt, wie lange es dauern würde, bis die Dorfbewohner sich hinauswagen würden, um nachzusehen, welch seltsamer Riesenvogel in der Nähe gelandet war. Er musste nicht lange warten.

Fünfzehn Zyliden betraten die Lichtung. Alle führten lange Messer, Speere und Steinschleudern mit sich, die modernsten Waffen, über die sie verfügten. Grand schätzte, dass ihr Zivilisationsniveau etwa dem der irdischen Bronzezeit entsprach, und er war sich sicher, dass sich eine weitere Gruppe im Dschungel rings um den Landeplatz verborgen hielt. Sie waren zu schlau, um gleich all ihre Kräfte einer unbekannten Gefahr auszusetzen. Die Größe des Dorfes deutete darauf hin, dass es mehrere Hundert erwachsene Zyliden geben musste, wovon mindestens ein paar Dutzend auch Waffen führen würden.

Die Insektoiden hatten etwa die Größe eines Menschen. Ihr hinten spitz auslaufender, ovoider Unterleib war nicht ganz einen Meter lang, aber nur halb so breit und hoch. Er ruhte auf vier Beinen, die zunächst waagrecht davon abgingen, bevor sie senkrecht nach unten abknickten. Vorn bog sich der Leib in einem Neunzig-Grad-Winkel nach oben. Der Oberkörper war wesentlich flacher als breit und ragte nochmals einen Meter auf. Auf diesem schmächtigen Rumpf saß der Kopf, der ebenso wie der Unterkörper einem liegenden Ei glich, nur dass diesmal die Spitze nach vorne wies. Zwei Facettenaugen rechts und links und zwei lange und dünne, sich nach vorn biegende Fühler vervollständigten zusammen mit einer von zwei Mandibeln gesäumten, schmalen Mundöffnung den insektoiden Eindruck. Die beiden links und rechts an dem dünnen Oberköper sitzenden, dürren Ärmchen erinnerten an zwei Spinnenbeine und wirkten äußerst zerbrechlich. Sie endeten in vier ebenfalls dünnen Fingern.

Die Zyliden näherten sich dem Beiboot, das einem Zylinder auf zwei Landekufen ähnelte. Vorsichtig streckte einer von ihnen den Arm aus und berührte die Außenhülle mit der Spitze seines Speeres. Der metallische Klang sorgte für aufgeregtes Gemurmel.

Es wurde Zeit für den ersten Schritt.

Die Besatzung der Tomorak hatte heimlich aufgenommene Sprachaufzeichnungen mit zurück nach Kollta gebracht, die analysiert und übersetzt worden waren. Die Translatoren des Kontaktteams waren entsprechend programmiert worden. Grand schaltete die Außenlautsprecher ein.

»Wir sind Freunde«, sagte er. Sein Translator übersetzte die Worte in die Sprache der Zyliden, die nur aus Zisch- und Reiblauten zu bestehen schien.

Die Zyliden sprangen einige Schritte zurück.

»Ihr braucht uns nicht zu fürchten! Wir sind Freunde, die vom Himmel kommen.«

Die Reaktion bestand in lauten, empörten Ausrufen und einer Salve von Speeren und Steinen, die gegen die Außenhülle prasselten.

Grand hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Die Zyliden verehrten einen Erdgott und sahen im Himmel das Böse. Von dort kamen schlechtes Wetter, Blitz und Donner, der Ascheregen von den häufigen Vulkanausbrüchen, die diesen Planeten heimsuchten, und von dort kam auch ihr größter Feind, ein großes, raubsaurierartiges Flugtier, das Zyliden als besondere Leckerbissen ansah. Alles, was vom Himmel kam, musste demzufolge von Übel sein.

Doch die Expeditionsleitung hatte sich dafür entschieden, bei der Wahrheit zu bleiben, was ihre Herkunft anging. Früher oder später mussten sie den Zyliden das Konzept von anderen Planeten und anderen intelligenten Lebewesen begreiflich machen, und es würde jedes Vertrauen zerstören, wenn sie dann nachträglich eine Lüge geraderücken müssten. Außerdem wurden Lügner bei den Zyliden mit dem Tod bestraft. Falls es sich um eine Lüge handelte, die am religiösen Fundament ihrer Zivilisation kratzte, was hierbei wohl der Fall sein dürfte. Bei religiösen Fragen verstanden die Zyliden keinen Spaß.

»Ihr müsst uns nicht fürchten«, setzte Grand seine vorbereitete Ansprache fort. »Wir kommen aus dem Himmel über dem Himmel. Wir kommen von sehr weit her und stehen in keiner Verbindung zu eurem Himmel.«

Die Zyliden waren verblüfft, soweit Grand dies beurteilen konnte. Zumindest stellten sie ihren Angriff ein und beratschlagten sich untereinander. Ein Himmel über dem Himmel? Dies war ein neuer Gedanke, der besprochen werden musste.

Es schienen sich zwei Fraktionen zu bilden. Einige Mitglieder der Vorhut schüttelten wütend ihre Waffen, während andere beruhigend auf sie einredeten. Grand war gespannt, welche Fraktion sich durchsetzen würde. Davon hing der weitere Fortgang der Mission ab.

Schließlich hatten sich die Zyliden auf ein Vorgehen geeinigt. Sie schickten einen von ihnen vor, während sich die anderen an den Rand der Lichtung zurückzogen. Der Zylide trat vor das Beiboot. Die Beschädigungen an seinem chitin-ähnlichen Panzer deuteten darauf hin, dass es sich um ein älteres Exemplar der Spezies handelte – vielleicht eines, auf das man leicht verzichten konnte.

»Du bist groß«, sagte er.

Er hält das Beiboot für ein Lebewesen , dachte Grand.

»Dies ist nur meine Behausung«, erklärte er. »Darin kann ich sehr lange Strecken zurücklegen, ohne mich selbst bewegen zu müssen. Sie kann fliegen, wie ihr gesehen habt. Ich selbst bin ungefähr so groß wie du.«

»Warum versteckst du dich in deiner fliegenden Behausung?« Der Zylide reagierte ziemlich gefasst auf diese erste Erklärung.

»Ich sehe für euch sehr fremd aus und wollte euch nicht erschrecken.«

»Deine Behausung hat uns bereits erschreckt. Was könnte schlimmer sein?«

Der Alte ist nicht blöd , überlegte Grand. Und er kann logisch denken .

»Wenn du willst, komme ich heraus. Dann können wir direkt miteinander reden.«

Der Alte war unbewaffnet und gegen eine Bedrohung durch die Speere und Steine der restlichen Zyliden würde ihn das automatische Laserabwehrsystem des Beibootes schützen, das jedes heranfliegende Wurfgeschoss innerhalb einer Zehntelsekunde abfangen konnte. Trotzdem behielt Grand seinen Laserstrahler am Gürtel. Der Zylide würden ihn nicht als Waffe erkennen.

Grand öffnete die Schleuse und fuhr die kurze Treppe aus. Der Zylide sprang bei dem Geräusch zwar instinktiv einen Schritt zurück, rannte jedoch nicht gleich davon, was Grand als gutes Zeichen deutete.

Die Luft war für Kolltaner atembar und auch die Gravitation entsprach fast dem gewohnten Wert. Bis auf die unerträgliche Hitze wäre Zylida ein idealer Kolonialplanet gewesen, hätte nicht bereits eine intelligente Lebensform dort gewohnt.

Grand verließ das Schiff und stieg die Treppe hinunter. Der Zylide beobachtete ihn aufmerksam. Er schien keine Angst zu haben. Grand hatte sich den handgroßen Translator umgehängt. Die Kolltaner verfügten in dieser Zeit noch nicht über die Technologie, das Gerät weit genug zu miniaturisieren, um es im Gehörgang verstecken zu können.

Grand ging auf den Zyliden zu und blieb zwei Meter vor ihm stehen.

»Ich grüße dich! Mein Name ist Sendar Lorgens. Wie soll ich dich nennen?«

Der Zylide stieß eine Reihe von Zisch- und Reiblauten aus, die der Translator mit 'Grumbrack' übersetzte.

»Dir fehlen zwei Beine! Wieso fällst du nicht um?«, stellte Grumbrack fest.

Tatsächlich besaßen alle Lebewesen auf Zylida vier Beine. Eine Folge der Evolution auf diesem Planeten, die alle Zweibeiner eliminiert hatte. Es musste für Grumbrack völlig unbegreiflich sein, wie ein zweibeiniges Wesen aufrecht stehen konnte.

»In meiner Heimat haben alle Lebewesen nur zwei Beine«, antwortete Grand, obwohl das natürlich nicht stimmte. »Unser Erdgott hat es so eingerichtet.«

Dies war der nächste kritische Punkt. Grand gab zwar zu verstehen, dass auch er an einen Erdgott glaubte, aber es konnte kaum der Erdgott sein, den die Zyliden anbeteten. Wie würde Grumbrack auf das Konzept eines zweiten Erdgottes reagieren?

»Es gibt nur einen Erdgott«, erfolgte sofort die ärgerliche Reaktion. »Pass auf, was du sagst!«

»Vielleicht sind unser und euer Gott ein und derselbe«, beschwichtigte ihn Grand. »Die Wege des Erdgottes sind für uns Sterbliche nicht leicht nachzuvollziehen.«

Grumbrack brummte zufrieden. Grand hatte wohl die richtige Antwort gegeben.

»Wir kommen von weit her, um mit euch Freundschaft zu schließen«, sagte Grand.

»Warum?« Das Misstrauen wäre selbst ohne die Übersetzung durch den Translator herauszuhören gewesen.

»Wir besitzen Dinge, die für euch nützlich sein können, und ihr besitzt Dinge, die für uns von Wert sind.«

»Ihr wollt Handel mit uns treiben, wie es einige Nachbarstämme tun.«

»Zu unser beider Vorteil«, bekräftigte Grand.

Grumbrack überlegte einen Moment.

»Ich werde deine Nachricht überbringen. Warte in deiner fliegenden Behausung auf die Antwort.«

Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Zylide um und ging zu der Gruppe der am Lichtungsrand gespannt Wartenden zurück.

Grand und der Rest des Teams mussten nicht lange warten. Die Zyliden diskutierten eine Weile aufgeregt. Dann, nach etwa fünfzehn Minuten, löste sich ein anderer Zylide aus der Gruppe. Er war deutlich jünger als der Alte und machte sich nicht die Mühe, seine Waffen abzulegen. Am Gürtel seiner Bekleidung, die den unteren Rumpf und den Oberkörper nur notdürftig verhüllte, trug er ein langes Messer, das aus Bronze zu bestehen schien. Er war einer der wenigen, bei denen Grand eine solche Waffe gesehen hatte. Metall war hier sicher sehr kostbar, und wer über ein solches Messer verfügte, musste eine hochgestellte Persönlichkeit sein. Grand hatte sich nicht getäuscht.

»Ich bin Zachrak, der Anführer der Gottesgarde«, sagte der Zylide, nachdem Grand das Beiboot wieder verlassen hatte.

»Um unseren guten Willen zu beweisen und unsere Freundschaft zu besiegeln, erlauben wir euch in unserer Großzügigkeit, dem Erdgott ein Opfer zu bringen. Einem von euch wird die Ehre zuteilwerden, morgen einen glorreichen Tod am Feuerpfahl sterben zu dürfen. Ich bin sicher, diese Nachricht erfüllt euch mit Freude. Wenn ihr unser großzügiges Geschenk ablehnt, betrachten wir euch als Gotteslästerer und als Feinde!«