Einige Staubkörnchen wurden vom Luftzug aufgewirbelt und rieselten von der niedrigen Decke herab, als Kechrak-17 sich bewegte. Eines davon geriet ihm in ein Auge und brannte unangenehm. Er blinzelte, um die Sicht zu klären. Viel zu sehen gab es allerdings nicht.
Neben ihm erhob sich Kechrak-23. Die beiden Gestaltwandler befanden sich wieder in den Körpern, deren Form sie zu Beginn des Rufs der Erleuchtung angenommen hatten. In den gestohlenen Körpern mit den gestohlenen Identitäten.
»Wir haben es weit gebracht«, sagte Kechrak-23. »Ob die Agenten des Devorators und die Verräter noch im Rennen sind?«
»Das ist nicht unwahrscheinlich«, antwortete Kechrak-17. »Beide Paare bestehen aus geübten Kämpfern, während die restlichen Kandidaten nur fanatische Gläubige sind, denen es an Erfahrung im Kampf mangeln dürfte.«
»Es ist seltsam, dass wir bisher auf keinen von ihnen getroffen sind, wie wir es erhofft hatten.«
»Nein, die Wahrscheinlichkeit bei einhundertachtundzwanzig Paaren betrug in der ersten Runde nur ungefähr 1,5% und hat sich seitdem mit jeder Runde zwar erhöht, aber es war immer wahrscheinlicher, dass wir es mit einer anderen Paarung zu tun bekommen würden.«
»Jetzt sind außer uns nur noch drei Paare dabei.«
»Somit beträgt die Wahrscheinlichkeit erstmals über 50%. Es kann also durchaus geschehen, dass wir auf eines der beiden Paare treffen. Dann können wir sie endlich töten«, ergänzte Kechrak-17 den Gedankengang seines Partners.
»Etwas ist diesmal anders«, stellte Kechrak-23 fest. »Ich fühle mich normal und es gibt keinen geistigen Informationsschub. Auch die Umgebung ist nicht so fremdartig wie in den bisherigen Szenarien.«
»Keine voreiligen Schlüsse«, sagte Kechrak-17. »Lass uns erst feststellen, wo wir sind.«
Der niedrige, halbdunkle Raum enthielt nichts außer Dreck und Staub. Nur in einer Ecke fiel etwas Licht durch ein Loch in der Decke. Darunter waren Stufen zu erkennen, die nach oben führten. Das schwache Licht reichte gerade aus, den Schmutz und Unrat zu erkennen, der überall herumlag. Sie schienen sich in einem Kellergewölbe zu befinden.
»Warte hier!« Kechrak-17 näherte sich den schwach beleuchteten Stufen. »Ich gehe nach oben und sehe mich um.«
»Sei vorsichtig! Wir sind unbewaffnet«, warnte Kechrak-23.
Kechrak-17 stieg vorsichtig die Treppe hinauf. Mit jedem Schritt wurde es etwas heller, bis er schließlich in einem Gang herauskam, der auf einer Seite völlig von der heruntergebrochenen Decke blockiert war. In der anderen Richtung führte ein Durchgang nach draußen. Der Rahmen war verzogen und der Türsturz eingedrückt. Die Tür selbst lag am Boden. Sie war offensichtlich mit enormer Gewalt herausgerissen worden.
Kechrak-17 schlich langsam vorwärts, bis er den Durchgang erreicht hatte. Wachsam reckte er den Kopf nach draußen, jederzeit bereit, ihn beim geringsten Anzeichen von Gefahr zurückzuziehen. Was er sah, erschreckte und beruhigte ihn gleichermaßen.
Die beiden Mathul-Elam waren im Keller eines Gebäudes erwacht, das schwere Schäden davongetragen hatte, so wie alle Gebäude, die er von hier aus sehen konnte. Auf der Straße, die von Trümmern übersät und von Ruinen gesäumt war, bewegte sich nichts außer Staub und Asche, die der schwache Wind vor sich hertrieb. Es gab weit und breit nichts Lebendiges zu sehen. Keine Bäume oder Sträucher, keine Vögel am Himmel, keine Insekten in der Luft, nicht einmal die unvermeidlichen Schädlinge, die sich normalerweise in den Ruinen zerstörter Städte sofort ausbreiteten, huschten durch die Trümmer. Es herrschte eine gespenstische Stille.
Sie befanden sich inmitten einer völlig zerstörten Stadt, soweit Kechrak-17 dies von seinem Standort aus beurteilen konnte. Wie groß die Stadt war, konnte er nicht sagen. Sie mussten einen erhöhten Punkt finden, von dem aus sie sich einen Überblick verschaffen konnten. Doch obwohl hier niemand mehr am Leben zu sein schien, musste der Eindruck trügen. Irgendwo in dieser Stadt befand sich ein zweites Kandidatenpaar, mit dem sie sich zu messen hatten. Sie würden mit aller Vorsicht vorgehen müssen.
Die Mathul-Elam konnten jeden Körper kopieren, dessen Masse nicht zu weit von der ihren abwich. Sie hatten ein Kandidatenpaar ausgeschaltet und sich an deren Stelle in den Wettbewerb um den Ruf der Erleuchtung eingeschmuggelt, um die beiden Agenten des Devorators zu töten und die Verräter Michael Cordwainer Grand und Jalina Kelranar auszuschalten, die zum Feind übergelaufen waren. So lautete der Auftrag des Coniunctional, in dessen Dienst die letzten einhundert Überlebenden ihrer Spezies seit langer Zeit standen. Kechrak-17 spürte, dass sich ihnen bald die Chance bieten würde, den Auftrag zu erfüllen.
Die Körper ihrer Opfer, in die sie sich mithilfe ihres Modulationsorgans verwandelt hatten, waren durchaus für einen Kampf geeignet. Die beiden Angehörigen einer reptiloiden Spezies verfügten über zwei überaus kräftige Beine, einen von harten Schuppen geschützten Leib und zwei Arme mit furchterregenden Klauen. Auch das Gebiss konnte im Kampf gute Dienste leisten. Selbst ohne Waffen waren die beiden Mathul-Elam somit zwei nicht zu unterschätzende Gegner. Die beiden Nüstern an der Schnauze des flachen Kopfes verliehen ihnen einen hervorragenden Geruchssinn, was das Aufspüren ihrer Gegner erleichtern sollte.
Kechrak-17 drehte sich um und ging zurück in den Keller.
Er berichtete seinem Partner von seiner Entdeckung und sie beschlossen, nicht länger zu zögern. Irgendwo musste sich ein silberfarbenes Objekt befinden, das es als Erste zu erreichen galt. Und irgendwo war ein anderes Paar, das zuvor ausgeschaltet werden musste – vielleicht sogar einer der verhassten Feinde ihres Auftraggebers. Sie durften ihren Gegnern keinen Vorsprung durch weiteres Zögern zugestehen. Sie mussten unverzüglich handeln.
»Wir sollten zunächst …«, begann Kechrak-17, der die Rolle des Anführers innehatte, doch er wurde von einem erstaunten Ausruf seines Begleiters, der als sein 'Paladin' fungierte, unterbrochen.
Kechrak-17 fuhr herum. Hinter ihm bildete sich ein heller Punkt, der unerträglich grell wurde. Geblendet schlossen beide die Lider ihrer Reptilienaugen.
Das Gleißen verblasste und Kechrak-17 blinzelte vorsichtig. Vor ihnen schwebte eine silberfarbene Kugel im Keller und erfüllte den Raum mit einem fast unwirklichen Licht.
»Das sieht fast aus wie die Sphäre«, stellte Kechrak-23 fest.
Kechrak-17 wollte antworten, doch eine mentale Präsenz, die in seinen Geist eindrang, erstickte seine Worte. Dann begann die silberne Kugel zu ihnen zu sprechen.