Grand schlug die Augen auf. Das ist unmöglich
, dachte er. Ich kann nicht am Leben sein!
Er lag auf dem Rücken, irgendwo auf einem harten Untergrund. Grand setzte sich auf. Neben ihm lag Jalina, bewegungslos, doch ihre Brust hob und senkte sich. Sie atmete. Auch das kann nicht sein
, dachte er. Wieso sind wir nicht tot?
Grand kniete sich neben Jalina und fühlte ihren Puls. Ihr Herz schlug kräftig und regelmäßig. Grand schüttelte sie leicht. Als auch das nichts bewirkte, versetzte er ihr eine Ohrfeige. Mit einem Schrei riss sie die Augen auf.
Der Schrei brach ebenso plötzlich ab, wie er begonnen hatte. Sie sah Grand verwirrt an.
»Der … der Aufprall … gerade eben … ich sehe … das CCC zerbricht, und wir … ich … du …« Jalina stand unter Schock.
Grand nahm seine Lebensgefährtin in die Arme und drückte sie an sich. »Es ist okay, Liebling, wir leben«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Hörst du? Es ist alles okay!«
»Das … das ist …«, stammelte sie. Ihre Augen weiteten sich. »Michael?« Sie starrte ihn an wie einen Geist. Dann betrachtete sie ihren Körper, als würde er jemand anderem gehören. »Wieso … wie ist das möglich?«
»Ich weiß es nicht, Jalina. Wir müssten tot sein, aber offensichtlich sind wir es nicht. Ich habe keine Erklärung dafür.«
»Wir sind in unseren richtigen Körpern. In unseren Overalls!«
»Es sieht so aus, aber wir können nicht mehr beurteilen, was real ist. Nicht nach dem, was gerade passiert ist.«
»Ich fühle mich … normal.«
»Ja, ich mich auch«, bestätigte Grand. »Kein fremder Körper, keine Flut an Erinnerungen und keine zweite Persönlichkeit, mit der ich mir den Kopf teilen muss. Aber ist das wirklich Realität?«
»Wir können nicht mehr zwischen Traum und Realität unterscheiden. Das macht mir Angst, Michael!«
»Letztlich spielt es keine Rolle. Es fühlt sich real an, also müssen wir so handeln, als wäre es real.«
»Unser Tod war jedenfalls nicht real. Vielleicht war nichts von dem, was wir bisher erlebt haben, real. Verdammt! Ich habe die Schnauze von diesem Spiel allmählich gestrichen voll!« Jalina wurde wütend, was Grand als gutes Zeichen deutete. Er hoffte, dass sie bald wieder die Alte sein würde. Clever, unerschrocken und nicht unterzukriegen. So, wie er sie seit über fünftausend Jahren kannte.
»Real oder nicht«, sagte Grand. »Wir haben die letzte Runde verloren. Wieso geht es dann für uns weiter?«
Jalina überlegte kurz. »Geht es das denn?«, fragte sie schließlich und sah Grand zweifelnd an. »Vielleicht ist das hier der Ort, an dem die Verlierer aufwachen.«
»Wir werden es bald herausfinden. Es bringt nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, solange wir nicht mehr Informationen haben. Wo sind wir überhaupt?«
Erst jetzt begannen beide, sich ihre Umgebung genauer anzusehen. Was sie sahen, erfüllte sie nicht mit Begeisterung.
Es konnte ein Park gewesen sein oder ein lichter Wald. Was davon übrig war, ließ dies nicht mehr erkennen. Tausende verbrannter Baumstümpfe reckten ihre schwarzen Überreste in den klaren Himmel, in dessen Zenit eine hellgelbe Sonne stand. An den verkohlten, blattlosen Zweigen klebte eine graue Schicht aus Staub und Asche. Der Boden bestand nur noch aus Steinen und Geröll, das ebenfalls zentimeterdick mit Asche und Schmutz bedeckt war. Wenn hier je so etwas wie Gras gewachsen sein sollte, dann gab es jedenfalls keine Spur mehr davon. Es wehte fast kein Wind und Grand empfand die Hitze als drückend, aber erträglich. Der Park oder Wald war in einiger Ferne von den Überresten einer Stadt umgeben. Es mussten in jeder Richtung vier oder fünf Kilometer bis zum Stadtrand sein. Soweit Grand es von hier aus beurteilen konnte, war auch von der einstmals riesigen Stadt nicht viel übrig geblieben. Die von ihrem Standort aus zu sehenden Hochhäuser bestanden überwiegend nur noch aus ihrem Skelett. Es war anzunehmen, dass auch die kleineren Gebäude nicht besser aussahen.
»Wir sollten vorsichtshalber davon ausgehen, dass wir noch im Rennen sind«, sagte Grand. »Dann wartet irgendwo in dieser Ruinenstadt ein anderes Paar auf uns.«
»Und ein silberfarbenes Objekt«, ergänzte Jalina.
»Wir müssen behutsam vorgehen. Wir sind unbewaffnet und haben hier kaum Deckung. Ich fühle mich wie auf dem Präsentierteller.«
»Wenn jemand einen erhöhten Aussichtspunkt in der Stadt hat, kann er uns kommen sehen. Die traurigen Überreste dieses Waldes bieten keine Deckung.«
»Ich frage mich, was hier geschehen ist«, sagte Grand.
»Vielleicht sollten wir einfach hierbleiben, bis es dunkel wird. Zumindest kann man uns dann nicht mehr so einfach entdecken, wenn wir uns der Stadt nähern.«
»Das kostet zu viel Zeit. Es kann noch Stunden dauern, bis die Sonne hier untergeht. Wenn sich ein anderes Paar tatsächlich bereits in der Stadt befindet, haben sie jetzt schon einen Vorsprung. Wir müssen es einfach riskieren. Vielleicht haben wir Glück und sie sind auf der anderen Seite des Waldes.«
»In welche Richtung sollen wir gehen?«
Grand sah sich um. Die Ruinen zu ihrer Rechten erschienen ihnen höher als die anderen. Vielleicht lag dort das Zentrum. Vielleicht warteten dort aber auch ihre Gegner – falls es noch welche gab. Falls sie noch bei dem grausamen Spiel dabei waren.
»Dort entlang«, sagte er schließlich und deutete auf ein besonders hohes Gebäude.
Bevor Jalina antworten konnte, leuchtete plötzlich ein heller Punkt zwischen den Baumstümpfen auf. Er war heller als die Sonne am Himmel und Grand wandte sich geblendet ab. Jalina warf sich in Erwartung eines Angriffs zu Boden und rollte hinter einen dicken Baumstumpf. Grand hechtete hinterher.
Das helle Leuchten wurde langsam schwächer, und Grand wagte es, den Kopf über den schwarz verbrannten Stumpf zu heben. Er stieß einen überraschten Ruf aus.
»Das sieht aus wie eine Miniaturausgabe der Exodus Sphäre«, sagte Jalina, die ebenfalls über den Baumstumpf spähte.
Grand wollte antworten, doch er verspürte ein kurzes, unangenehmes Ziehen im Kopf, dann verdrängte eine mentale Stimme jeden eigenen Gedanken.