39. Enthüllungen


Diesmal verzichtete der Abgesandte der mysteriösen Macht darauf, durch die Tür zu kommen, und materialisierte einfach wieder auf dem Sessel gegenüber dem Sofa, auf dem Grand nach wie vor bewegungslos saß. Es waren höchstens zehn Minuten vergangen.

»Erzähle uns deine Geschichte«, forderte er.

»Bevor ich etwas erzähle, will ich Informationen. Das ist der einzige Deal, auf den ich mich einlasse. Wie du selbst gesagt hast, habe ich nichts mehr zu verlieren.«

»Was willst du wissen?«

»Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Was ist euer Ziel? Ach ja, wer bist du und wie soll ich dich nennen?«

Der Mann schien in sich hineinzulauschen, bevor er antwortete. »Ich bin befugt, dir diese Fragen zu beantworten. Die letzte zuerst. Ich bin unsere Stimme. Ich habe keinen Namen, aber wenn es dir dann leichter fällt, mit mir zu reden, darfst du mir einen geben.«

»Dann nenne ich dich einfach 'Stimme'«, sagte Grand, dem es im Grunde egal war, wie er sein Gegenüber nennen sollte, solange es nur irgendein Name war. »Weiter!«, forderte er.

»Wir sind die vereinigte Essenz dreier Spezies, die das Megaversum erreicht und erfüllt haben. Wir stammen aus verschiedenen Universen und haben über eine Zeitspanne, die dein Fassungsvermögen überschreitet, den langen Weg der Evolution zurückgelegt. Wir haben unsere Universen beherrscht, wir wachten über das Multiversum und haben schließlich gemeinsam den letzten Schritt getan. All dies ohne den Drang nach Macht und in völliger Eintracht mit der kosmischen Ordnung. Unser Ziel? Diese Ordnung zu bewahren. Hier auf diejenigen zu warten, die nach uns kommen werden, und sie anzuleiten. Wir leben in der Ektase unseres Seins. Wir sind uns selbst genug. Wir erschaffen uns geistige Welten, deren Schönheit, Eleganz und Vielfalt deine Vorstellung überschreiten. Wir sind der Anfang und das Ende. Wir sind alles, was existiert. Wir sind eins mit der Schöpfung. Doch eines sind wir nicht: Wir sind nicht die Kreatoren eurer Welten oder gar des Multiversums. Wir sind keine Götter, auch wenn wir in euren Augen allmächtig sein mögen, denn wir können mit unserem Geist alles erschaffen, was überhaupt vorstellbar ist. Doch nicht für euch, nicht im Multiversum, nur hier, im Megaversum. Der Weg zurück ist uns für immer versperrt. So wenig, wie du in die Fruchtblase deiner Mutter zurückkehren könntest, so wenig ist es uns möglich, auf die Geschicke des Multiversums noch Einfluss zu nehmen. Wir sind dieser Ebene entwachsen. Wir sind das Megaversum, denn es ist erfüllt mit unserem Geist und existiert nur durch diesen.«

Die Hälfte dessen, was Stimme erzählte, blieb für Grand völlig unverständlich. Doch eine Aussage trat hervor.

»Ihr könnt nicht nur keinen Einfluss auf das Multiversum ausüben, ihr wisst überhaupt nicht, was dort vor sich geht!«, stellte er verblüfft fest. »Ihr seid blind gegenüber allem, was dort geschieht!«

»Das ist korrekt, Michael Cordwainer Grand. Deshalb ist deine Geschichte für uns von großem Interesse. Wenn es stimmt, was du angedeutet hast, ist die kosmische Ordnung in Auflösung begriffen.«

Die nächsten zwei Stunden – soweit es hier überhaupt so etwas wie Zeit gab – verbrachte Grand damit, seine Geschichte zu erzählen. Von seinem Dienst in den Terranischen Raumverbänden. Von der Entdeckung der Ra´hul und ihrer Invasion. Von Jalina und der Liga der Unsterblichen. Von den Dorianern und ihrem Erbe. Von seiner eigenen Unsterblichkeit und von der Rettung seines Universums. Von seiner und Jalinas Tätigkeit als Agenten des Coniunctionals und vom Devorator, dem Bruder und Gegenspieler, den sie so lange bekämpft hatten. Und schließlich von seinen Zweifeln. Davon, dass er sich nun fragte, ob sich die beiden Entitäten in Wahrheit überhaupt voneinander unterschieden.

»Ihr Machtstreben und ihre Gier zu herrschen wird das Multiversum in seinen Grundfesten erschüttern«, sagte er zum Schluss. »Davon bin ich überzeugt. Ihre Auseinandersetzung wird eskalieren. Sie werden bei ihrem Kampf nicht davor zurückschrecken, ganze Universen zu opfern und das, was ihr die kosmische Ordnung nennt, zu zerstören. Und eines Tages werden sie auch den Weg zu euch finden. Sie werden mächtiger sein, als ihr es euch vorstellen könnt. Und ihr werdet ihnen entgegentreten müssen, oder sie werden auch euch vernichten, denn sie sind unersättlich.«

Stimme war sichtlich erschüttert. »Das darf nicht geschehen!«, sagte er. »Das Megaversum selbst geriete in Gefahr!«

»Ihr könnt nach eigener Aussage nichts dagegen unternehmen. Der Weg ins Multiversum ist euch verschlossen.«

»Es gibt einen Weg, einen einzigen, doch dafür brauchen wir deine Hilfe, Michael Cordwainer Grand«, sagte Stimme , nachdem er sekundenlang geschwiegen und in sich hineingehorcht hatte. »Du könntest unsere Waffe werden, die alles Sein beschützt.«

Grand brach in schallendes Gelächter aus. Er konnte sich kaum beruhigen und lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen.

»Ich? Ausgerechnet ich? Die Bakterie ? Ein kleines Menschlein soll das Multiversum für euch retten? Ich soll es mit zwei Entitäten aufnehmen, die unendlich weit über mir stehen. Das ist verrückt, nein, das ist zu komisch! Welchen Grund sollte ich zudem haben, ausgerechnet euch zu helfen? Mir geht das ganze Multiversum, ehrlich gesagt, am Arsch vorbei, denn ihr habt mir den wichtigsten Grund genommen, überhaupt noch weiterleben zu wollen. Ihr könnt mich mal kreuzweise. Seht zu, wie ihr mit eurem Problem fertig werdet.«

»Du sprichst von deinem ersten Paladin«, stellte Stimme fest.

»Nenne sie nicht so! Sie hatte einen Namen!«, brüllte Grand außer sich vor Zorn. »Sie hieß Jalina Kelranar und war mehr wert als all ihr hilflosen, vergeistigten Schwätzer zusammen!«

»Würde es deine Haltung ändern, wenn wir dir Jalina Kelranar zurückgeben könnten?«