– 7 –

POPULISTEN KREIEREN PARALLELREALITÄTEN

Am 1. März 2017 gastierte Heinz-Christian Strache, der Chef der österreichischen Rechtspopulisten und mittlerweile sogar Vizekanzler, beim politischen Aschermittwoch der AfD Bayern. Die Menge tobte, das Weißbier floss, der Festsaal war in blau-weiße Fahnen gehüllt. Und Ehrengast Strache erklärte den begeisterten deutschen Zuhörern, wie das mit den Medien so funktioniert:

„Ich bin kein Freund des Pauschalbegriffs ‚die Lügenpresse‘. Nein, es gibt überall anständige Journalisten, und genauso unanständige. Ich würde nie hergehen und pauschal ein Urteil treffen. Aber wir haben es mit einer Systematik zu tun, wo oftmals Journalisten gar nicht mehr frei und unabhängig berichten dürfen, wo alles durchgeschaltet ist, gleichgeschaltet ist. Eine Gleichschaltung der veröffentlichten Meinung, wo immer mehr Menschen sagen: Ja, bitte, wollt ihr uns für dumm verkaufen? Egal, welche Tageszeitung ich kaufe, egal, welchen Fernsehsender ich aufdrehe, überall die gleichgeschaltete Berichterstattung. Da gehen zu Recht immer mehr Menschen – auch bei euch in Deutschland – hinein in die moderne Kommunikation, man nennt es auch alternative Medien, weil es dort Meinungsvielfalt, weil es genau dort die Pluralität gibt, weil es die Möglichkeit gibt, auch andere Meinungen zu lesen und sich dadurch eine eigene Meinung zu bilden. Das passt den etablierten Medien gar nicht, weil sie merken, dass sie immer uninteressanter werden, und die Menschen sich immer mehr von ihnen abwenden.“

Gehen wir ins Detail: Der Rechtspopulist erklärt zuallererst, dass er differenzieren wolle. Er spricht sich nicht pauschal gegen „die Lügenpresse“ aus, sondern nur gegen einen Teil davon – gegen die angeblich „unanständigen“ Journalisten. Er sagt, er würde „nie hergehen und pauschal“ ein Urteil treffen – um es dann einen Atemzug später doch zu tun, indem er konstatiert: „Wir haben es natürlich mit einer Systematik zu tun, wo oftmals Journalisten gar nicht mehr frei und unabhängig berichten dürfen, wo alles durchgeschaltet ist, gleichgeschaltet ist.“ Es folgt ein weiteres Pauschalurteil: „Egal, welche Tageszeitung“, „egal, welchen Fernsehsender“ er konsumiert, er fände „überall die gleichgeschaltete Berichterstattung“.

Der Politiker suggeriert bei den eigenen Anhängern eine große Verschwörung innerhalb der Medienlandschaft, „alles“ sei „durchgeschaltet“, die Bevölkerung werde für „dumm“ verkauft. Praktischerweise liefert er den eigenen Fans gleich eine Empfehlung mit, wie sie reagieren sollen: „Hinein in die moderne Kommunikation“, sagt der Parteichef. Wobei er gleich klarstellt, welchen Teil der modernen Kommunikation er meint: „Man nennt es auch alternative Medien“.

Strache ist nicht der einzige Populist, der seinen Wählern eine Abschottungsstrategie gegenüber den etablierten Medien empfiehlt. Trump hat im Wahlkampf zu Anhängern einmal gesagt: „Vergesst die Presse. Lest das Internet. Studiert andere Dinge, geht nicht zu den Mainstreammedien.“76 So zitierte ihn das Coloradio Public Radio – ein öffentlich-rechtliches Medium, dem Trump als Präsident, wie allen anderen auch, die Finanzierung aus Bundesmitteln strich.

Diese Zitate deuten bereits auf die mediale Strategie einiger Populisten hin: Sie nähren den Zweifel an etablierten Medien und empfehlen kraftvoll, ins Internet auszuweichen. Und ausgerechnet im Internet finden sich dann „alternative Medien“, die auffallend freundlich über die jeweilige Partei berichten und harte Worte über ihre politischen Gegner finden. Sehen wir uns das anhand der drei Beispiele Trump, FPÖ in Österreich und AfD in Deutschland an:

Bekannt ist, dass Trumps früherer Wegbegleiter und Wahlkampfleiter Steve Bannon eine zentrale Rolle im Rechtsaußen-Medium „Breitbart“ spielte, wo er bis zur Trump-Kampagne als Vorstandsvorsitzender fungierte. Mittlerweile hat sich Trump mit Bannon zerworfen, doch die Beziehung zwischen Trump und dieser einschlägigen Webseite bleibt interessant. Wie berichtete „Breitbart“ über die US-Wahl? Als Trump die Abstimmung gewann, bot „Breitbart“ in seinem Webshop ein T-Shirt mit den fetten Lettern „HISTORY“ an, darunter stand das Datum des Wahltags. In den Wochen zuvor wurden Texte über Trump geschrieben wie: „28 Dinge, die Donald Trump als Präsident verspricht zu machen.“77 Oder: „8 Worte, die zeigen, dass Donald Trump es ernst meint mit amerikanischen Jobs und Industrie“.78 Auch Hillary Clinton bekam von „Breitbart“ eigene Listen gewidmet, nur klang das bei ihr etwas anders: „Top 7 Anklagepunkte, die Hillary Clinton als Präsidentin begegnen könnten“.79 Und: „Donald Trump hat recht: Hillary Clinton ist scheinheilig. Hier sind 10 Beispiele.“80

Es ist falsch, den Erfolg von Populisten wie Trump einfach auf solche neuen Medien zurückzuführen. In der breiten Bevölkerung ist zum Beispiel ein TV-Kanal wie Fox News wesentlich quotenstärker. Jedoch kann man Angebote wie Breitbart als Komplementärprogramm verstehen – sie erweitern die Debatte im konservativen Lager weiter nach rechts und sie verschärfen die Tonalität.

Das ist im deutschsprachigen Raum wenig bekannt, aber anfangs berichtete Fox News noch deutlich kritischer über Trump als potenziellen Kandidaten für die Republikaner. Breitbart.com griff den Kanal damals massiv an, nannte Fox News etwa das „Anti-Trump-Network“ und behauptete sogar, der rechte TV-Sender setze sich für offene Grenzen ein. Hier wurde medial Druck aufgebaut, dass Fox News freundlicher über den Kandidaten Trump berichten solle.81

Im Umfeld einiger populistischer Akteure finden wir Online-Medien, die auffällig huldigend und wenig journalistisch über den jeweiligen Kandidaten berichten: Und den Fans dieses Politikers liefern diese Webseiten die passende Berichterstattung, sie teilen ihnen permanent mit, warum das eigene Lager großartig und die politische Konkurrenz verachtenswert ist.

Ein symbiotisches Verhältnis zwischen einzelnen „alternativen“ Medien und Populisten lässt sich auch im deutschsprachigen Raum beobachten. Hier ist die FPÖ ein digitaler Vorreiter, hat ein dichtes Geflecht an eigenen Partei-Accounts angelegt. Und auch in Österreich gibt es „alternative“ Medien – relativ bekannt ist die Webseite unzensuriert.at, die ein deutliches Naheverhältnis zur Partei hat. Zum Beispiel arbeitet der Geschäftsführer der Seite, Walter Asperl, als Referent im freiheitlichen Parlamentsklub. Der langjährige Chefredakteur der Seite, Alexander Höferl, leitete zeitgleich auch das freiheitliche Kommunikationsbüro. Mittlerweile hat er diese Funktionen niedergelegt und ist für die operative Kommunikation von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl zuständig.

Unzensuriert.at ist ein rechtes Kampfmedium. Wie berichtet diese Seite über die heimischen Rechtspopulisten und andere Politiker? Für das Nachrichtenmagazin „Profil“ habe ich mit meinem Kollegen Jakob Winter einmal folgendes Experiment gemacht. Wir lasen zwei Wochen lang jeden Artikel der FPÖ-nahen Seite „unzensuriert“ und notierten, welche Partei positiv und welche negativ weggekommen ist. In den 124 analysierten Artikeln war kein einziger negativ über die FPÖ. Zum Vergleich: Alle andere Parteien (SPÖ, ÖVP, Grüne, Neos) kamen hauptsächlich negativ weg.82 Mittlerweile betreibt das Medium auch einen deutschen Ableger namens unzensuriert.de. In einer Undercover-Reportage von RTL erklärte der damalige Chefredakteur Höferl einer deutschen Journalistin vor verdeckter Kamera die Ausrichtung der Seite: „So weit können wir das ja zugeben: Wir machen ja nicht dieses Medium, weil uns am unabhängigen Journalismus so sehr gelegen ist, sondern weil wir diese politischen Bewegungen in gewisser Weise unterstützen wollen […].“ Mit „politischen Bewegungen“ sind hier die FPÖ und die AfD gemeint.83

Allerdings gibt es auch längst in Deutschland rechte Webseiten, die mit einer freundlichen Berichterstattung über die dortigen Rechtspopulisten auffallen: Die „Zeit“ nannte das umstrittene „Compact Magazin“ einmal den „publizistischen Arm der AfD“.84 Ein solches Werturteil erscheint wenig überraschend, wenn man einzelne Texte von Chefredakteur Jürgen Elsässer auf der Seite von „Compact“ liest. Als die AfD ihre Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl wählte, schrieb Elsässer dazu in einer „Eilmeldung“: „Der Parteitag der Einigkeit geht weiter. Mit über 90 Prozent wurde das Wahlprogramm beschlossen, mit 67 Prozent setzte sich das Spitzenduo Gauland/Weidel durch. Somit können sich die Liberalen im Westen ebenso vertreten fühlen wie die Patrioten im Osten. Kein quälender Streit, keine Kampfabstimmungen – sondern Geschlossenheit – das ist wunderbar!“85

„Compact“ ist längst nicht die einzige Redaktion, deren AfD-affine Berichterstattung auffiel: Seit Juli 2017 erscheint die Zeitung „Deutschland-Kurier“ bundesweit sowohl in Print als auch online. Das Layout erinnert an klassische Boulevardmedien, aber die Inhalte weisen eine besonders schrille rechte Note auf. Auf der Webseite wird Angela Merkel in einer Zwangsjacke abgebildet und die deutsche Politik als „Irrenhaus“ beschrieben, das Medium bringt sogar ein eigenes „Irrenhaus-Tagebuch“ heraus.86 Die „Wirtschaftswoche“ nennt die Publikation „eine Mischung aus Breitbart und Bild“, wobei unklar bleibt, woher genau das Geld für dieses Produkt kommt.87 Wöchentlich ein eigenes Printprodukt herauszubringen, ist ein kostspieliges Unterfangen, pro Heft werden lediglich 30 Cent zuzüglich Versandkosten verlangt. Sowohl das Medium als auch die AfD dementieren laut „Wirtschaftswoche“ Verbindungen zueinander. Angeblich werde das Blatt aus größeren und kleineren Spenden finanziert – nur von wem genau die stammen, wird nicht offengelegt. Kolumnen schreiben unter anderem der Dresdner AfD-Politiker Maximilian Krah (sein Format heißt „hier kräht der Krah) sowie der AfD-Bundestagsabgeordnete Jan Nolte (er darf regelmäßig „aus dem Alltag eines Abgeordneten“ erzählen). Auffällig positiv kommen Rechtspopulisten im Blatt vor. Ein Artikel behauptet beispielsweise, „dank des Merkelschen ‚Willkommensputsches‘ gehört christenfeindliche Gewalt immer mehr zur grausigen Normalität in Deutschland“, und zitiert dazu voller Anerkennung die AfD-Parteispitze: „Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD im Deutschen Bundestag, bringt es auf den Punkt: ‚Wer Christenfeindlichkeit bekämpfen will, darf keine Christenhasser importieren‘.“ 88

Auch die deutschen Rechtspopulisten scheuen nicht den Kontakt zu fragwürdigen Webseiten. Im Januar 2018 gab Alice Weidel dem islamfeindlichen Blog „Politically Incorrect“ ein Videointerview – diese Webseite bezeichnet Flüchtlinge beispielsweise als »Merkels Fiki-Fiki-Fachkräfte«.89 Weidel lobt im Interview die Seite »Politically Incorrect« und sagt: »Alternative Blogs wie Sie sorgen für mehr Transparenz.«90

Angesichts derartiger Berichterstattung erscheint es durchaus logisch, dass Rechtspopulisten alternative Medien empfehlen. Diese symbiotische Beziehung mit neu entstandenen Portalen ist dabei nur ein Teil der rechten Medienstrategie. Wir können beobachten, wie Parteien massiv eigene Accounts forcieren und online ein neuer Machtfaktor in der Meinungsbildung entsteht. Einzelne populistische Parteien bauen gekonnt eine eigene Parallelwelt auf sozialen Medien auf, in der Bürger permanent mit brisanten Botschaften passend zur Parteilinie versorgt und bedient werden.

Wenn ich als Österreicherin nach Deutschland blicke, finde ich es immer wieder beeindruckend, in welchem Tempo die AfD sich ein mediales Gegen-Netzwerk errichtet hat. Nachdem die Partei den Einzug in den Bundestag geschafft hat, und ihr somit auch mehr Gelder zur Verfügung stehen, intensiviert sie ihre Medienbestrebungen: So arbeitet die Partei anscheinend an einem eigenen „Newsroom“, bei dem 20 neue Mitarbeiter zur bisherigen Pressestelle hinzukommen. Und das vorrangige Ziel ist hier laut „Focus“ nicht, Journalisten mit Information zu beliefern, sondern über soziale Medien direkt Bürger anzusprechen.91

Viele Sympathisanten der AfD folgen schon jetzt nicht nur einem Partei-Account oder zwei, ihr Feed ist voll mit der Rhetorik dieser Partei. Nehmen wir exemplarisch erneut die Bayerin, die ich zu Beginn dieses Buchs zitiert habe: Sie folgt auf Facebook nicht nur dem Hauptaccount der Alternative für Deutschland, sondern hat mehr als ein Dutzend weiterer AfD-Fanpages abonniert. Unter den anderen deutschen Parteien folgt sie der CSU und dem designierten bayerischen Ministerpräsident Markus Söder auf Facebook.

Nun könnte man sagen, dass meine Interviewpartnerin ein extremes Beispiel ist – allerdings weisen einige Menschen aus dem Milieu der AfD ein dergestaltig intensives Klickverhalten einschlägiger Seiten auf. Dazu hat die „Süddeutsche Zeitung“ eine interessante Auswertung gemacht: Die Journalisten analysierten das Like-Verhalten von rund 5.000 Facebook-Nutzern, mehr als eine Million Likes wurden ausgewertet. Mittels dieser Daten konnte die Zeitung die politische Debatte auf Facebook vermessen, siehe Seite 85.

Diese Analyse zeigt vor allem, dass ein deutlicher Abstand zwischen Internetnutzern aus dem Umfeld der AfD zum Rest des politischen Feldes herrscht. Am nächsten ist tatsächlich noch die CSU. Die große Distanz zwischen AfD und anderen Parteien ergibt sich aus der statistischen Berechnung der Likes tausender Nutzer: Es scheint, Menschen aus dem AfD-Milieu bleiben tendenziell etwas stärker unter sich. „Die AfD verharrt eher in einer Echokammer“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ dazu.92

Die AfD ahmt offensichtlich auch Medienstrategien der österreichischen Rechtspopulisten nach – nicht zuletzt deswegen, weil die Freiheitliche Partei eine Medienmacht in Österreich geworden ist. FPÖ-TV ist ein YouTube-Kanal, auf dem die Partei seit Herbst 2012 jede Woche eine eigene Sendung macht. Die Beiträge werden moderiert, die Optik soll an klassische Nachrichtensendungen erinnern – nur mit ausgewogenem Journalismus hat dieses Format wenig zu tun. Sendungen tragen Titel wie „Willkommenskultur ruiniert Sozialstaat Österreich“, Beiträge widmen sich Themen wie: „HC Strache zu Besuch am Bauernhof in Vorarlberg.“93 Das eigene Videoteam nützt der Partei vor allem insofern, als dass sie permanent aktuelles Bildmaterial für Facebook hat. Auch werden Pressekonferenzen des Parteichefs mittlerweile standardmäßig auf Facebook live gestreamt.

Die Rechtspopulisten haben speziell auf Facebook eine immense Reichweite: Vizekanzler Heinz-Christian Strache zählt mittlerweile 770.000 Fans – er ist gemessen an Likes der erfolgreichste österreichische Politiker auf dem sozialen Netzwerk, und sein Account wird vom FPÖler Alexander Höferl als „Drehscheibe“ ihrer Kommunikation erzielt. Zur Erinnerung: Höferl war auch langjährig bei unzensuriert.at involviert.94

Die FPÖ ist mittlerweile so erfolgreich auf Facebook, dass sie auf etablierte Medien in vielen Fällen gar nicht mehr angewiesen ist: Sie kann ohnehin selbst Themen im Netz setzen, die dann häufig im klassischen Journalismus breit zitiert werden. Und die Reichweite der FPÖ ist dermaßen hoch, dass kein österreichisches Medium an ihre Fanzahlen oder Interaktion herankommt. Ein Vergleich: Strache hat 770.000 Fans. Im Januar 2018 erzielten seine Postings im Schnitt 2.400 Interaktionen (also Likes, Shares und Kommentare zusammengerechnet, analysiert mit dem Webtool fanpagekarma.com). Österreichs größte Tageszeitung, die „Kronen Zeitung“, hat rund 295.000 Fans und kommt im Schnitt auf 440 Interaktionen pro Posting.

Das heißt: Einen Beitrag, den der Rechtspopulist Strache postet, sehen auf Facebook im Schnitt wesentlich mehr Menschen als Einträge der „Kronen Zeitung“. Hier ändern die sozialen Medien auch die Machtverhältnisse: Früher hofften Politiker darauf, mit einer Ansage in der „Krone“ vorkommen zu können. Heute profitiert die „Krone“ in ihrer digitalen Reichweite, wenn sie vom Rechtspopulisten auf Facebook geteilt wird – in einem Interview mit dem Magazin „Fleisch“ erklärte dazu auch der Online-Chefredakteur Richard Schmitt: „Wenn Strache einen normalen Bericht von uns auf Facebook teilt, dann merken wir, das haut die Quote auf das 1,5-Fache hoch. Und umgekehrt kriegt er auch mehr Traffic, wenn wir ihn pushen.“95

Von einer solchen Medienmacht ist die AfD noch weit entfernt – auch ist mir kein deutsches Beispiel bekannt, bei dem der Chefredakteur eines führenden Mediums eine solche Wortwahl („wenn wir ihn pushen“) pflegt. Offensichtlich ist jedenfalls, dass die FPÖ ein beeindruckend großes digitales Universum für sich und seine Anhänger aufgebaut hat und dass die AfD dies als Vorbild nimmt.

Mehrere Faktoren helfen also Parteien wie der AfD oder der FPÖ im Netz: Um sie herum sind „alternative Medien“ entstanden, die passend zu ihrer Weltsicht berichten und teils in einem intransparenten Naheverhältnis zur Partei stehen; zweitens betreiben diese Parteien eine immens zielstrebige Online-Strategie, bei der sie ihren Fans eine Abschottung von etablierten Medien nahelegen und sie stattdessen mit einer Vielzahl eigener Accounts versorgen. Drittens ist es auch für Mainstreammedien verlockend, die Aussagen dieser Rechtspopulisten aufzugreifen – weil es emotionalisiert und Klicks bringt.

Sowohl links als auch rechts im politischen Spektrum passen populistische Akteure gut zur Logik von Social Media: Ihre Äußerungen sind leicht verständlich und aufwühlend, es gibt ein klares Freund-Feind-Schema. In Italien zum Beispiel hat der Kabarettist Beppe Grillo ebenfalls über das Internet die populistische Fünf-Sterne-Bewegung gestartet – eine Partei, die eine Mischung linker und rechter Elemente aufweist.96 Im Umfeld dieser Partei sind ebenfalls unseriöse Webseiten zu finden, die passend zur Ausrichtung skandalöse und teils falsche Meldungen verbreiten.97

Besonders problematisch ist hierbei, dass gerade einige politische Provokateure beeindruckend oft mit falschen Aussagen auffallen – und diese anschließend nicht unbedingt korrigieren. Die amerikanische Faktenchecker-Seite Politifact.com hat zum Beispiel schon mehr als 500 Statements von Donald Trump kontrolliert und 69 Prozent seiner Aussagen fanden sie herausragend falsch, falsch oder größtenteils falsch.98 Leider fehlt im deutschsprachigen Raum eine Webseite wie „Politifact“, die minutiös für alle einflussreichen Politiker dokumentiert, wie oft diese nachweisbar die Wahrheit oder Unwahrheit sagten. Hierzulande gibt es nur teilweise Daten dazu.

Die Webseite „Hoaxmap“ zeigt zum Beispiel auf einer Landkarte an, in welchen Ortschaften im deutschsprachigen Raum Falschmeldungen über Flüchtlinge aufgedeckt worden sind (im Englischen werden Erfindungen auch „Hoax“ genannt). Mitunter verbreiten Bürger derartige Fehlinformationen und rechte Akteure greifen diese Behauptungen dann auf. Das erzählte Lutz Helm, einer der Hoaxmap-Betreiber, im Dezember 2016 am Chaos Computer Congress in Hamburg: „Wir haben aber eben auch ein paar Parteien hier […], die nicht unbedingt die Gerüchte sich ausgedacht haben, aber die sie sehr prominent platziert haben. Ganz vorne ist da hier wiederum die AfD, außerdem die FPÖ aus Österreich.“99

Im September 2015 hat Heinz-Christian Strache etwa auf Facebook einen vermeintlichen Augenzeugenbericht geteilt, wonach Flüchtlinge in Wien einen Supermarkt „überrannt“ hätten – sogar eine Spezialeinheit der Polizei hätte demnach dort ausrücken müssen. Diese Geschichte war allerdings erfunden, wie die betroffene Supermarktkette offenlegte. Statt dies daraufhin sofort richtigzustellen, löschte die FPÖ das Posting kurzerhand.100 Seine Fans bekamen von ihm also nicht einmal eine Fehlerbeseitigung geliefert.

Auch die AfD fällt wiederholt mit falschen Behauptungen auf – ein Beispiel: Im Mai 2017 postete die Partei auf Facebook, dass die evangelische Theologin Margot Käßmann sinngemäß gesagt hätte: „Wo Deutsche Kinder bekommen, da weht ein ‚brauner Wind‘“.101 Nur ist das eine groteske Umdeutung der Worte der früheren Bischöfin: Diese hatte beim Evangelischen Kirchentag kritisiert, dass die AfD eine „Erhöhung der Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung“ fordere, das erinnere sie an den „kleinen Arierparagraphen der Nazis: Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern – da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht.“ Die Theologin äußerte also Kritik an den Vorschlägen der rechtspopulistischen Partei und an Deutschtümelei. Woraufhin die AfD dies so uminterpretierte, als müssten jetzt alle Deutschen beleidigt sein. Bundesvorsitzender Jörg Meuthen postete auf Faceook sogar: „Liebe Leser, haben Sie zwei deutsche Eltern und vier deutsche Großeltern? Dann sind Sie ein Nazi. Zumindest wenn es nach Margot Käßmann geht.“102 Auch das ist eine grobe Falschdarstellung dessen, was die Theologin wirklich kritisierte. Und obwohl diese sinnentfremdende Zitierung seriöse Medien wie uebermedien.de aufzeigten, bleibt diese Behauptung unkorrigiert online stehen.103 Bis heute finden Sie sowohl das Posting der AfD als auch jenes von Jörg Meuthen auf Facebook, aber eine Entschuldigung oder eine Korrektur finden Sie dort nicht. Der angebliche „Mut zur Wahrheit“, den die Partei gerne auf ihre Wahlbroschüren druckt, ist hier jedenfalls nicht erkennbar. Klicktechnisch scheint sich diese Aussage aber rentiert zu haben. Allein der Beitrag von der AfD-Hauptseite wurde 8700 Mal gelikt, kommentiert oder geteilt.

Die Linguistin Ruth Wodak konstatiert bei rechtspopulistischen Parteien eine „Arroganz der Ignoranz“ als Wesensmerkmal. „Appelle an den gesunden Menschenverstand und Anti-Intellektualismus markieren eine Rückkehr zu vormodernistischem Denken, also vor der Aufklärung“, schreibt sie in ihrem Buch „Politik mit der Angst“.104 In einem solchen Setting lassen sich unliebsame Fakten leicht beiseitewischen. „Die diskursiven Strategien der ‚Täter-Opfer-Umkehr‘, der Bestimmung von ‚Sündenböcken‘ und der ‚Konstruktion von Verschwörungstheorien‘ gehören […] zum unverzichtbaren ‚Werkzeug‘ rechtspopulistischer Rhetorik“, notiert sie.105 Diese Trickkiste rechter Provokateure ist gewiss keine Erfindung des Internetzeitalters: Jörg Haider, der Urvater des modernen Rechtspopulismus in Österreich, hat solche Methoden schon in den 1990ern praktiziert – und damit immense mediale Aufmerksamkeit geerntet. Der Unterschied ist nur: Wir können uns diese rhetorischen Muster von Populisten jetzt jeden Tag online ohne journalistischen Filter ansehen – und für diese Parteien stellt das eine immense Chance dar, ungefiltert ihr Publikum zu erreichen. Da wundert es nicht, wenn Rechtspopulist Heinz-Christian Strache so überzeugt den deutschen Fans nahelegt, „hinein in die moderne Kommunikation“ zu gehen.

Politische Landschaft auf Facebook

image

Quelle: „Süddeutsche Zeitung