Morgan
Judah schnarchte wie ein Kaninchen. Seit fünfzehn Minuten lehnte ich nun auf einem Ellenbogen, sah ihm beim Schlafen zu und staunte über die Koordination, die nötig war, um gleichzeitig mit der Nase zu zucken, die Oberlippe zu kräuseln und drollig zu schniefen, ohne dabei aufzuwachen.
Es war total bezaubernd, aber mit Judah in meinen Armen wach zu werden, hatte mich ganz schön aus der Bahn geworfen. Und ich war kopfüber auf dem „Was passiert hier mit meinem Leben“-Seitenstreifen gelandet. Sehr ähnlich dem Landeplatz, wo ich nach dem epischen Fick wieder zu mir gekommen war, den ich gestern Nachmittag mit ihm erlebt hatte. Und nach den scharfen Blowjobs, die wir uns gegenseitig nach dem Abendessen unter der Dusche gegeben hatten. Sogar nach der Runde träger Handjobs, die wir ziemlich erschöpft gegen Mitternacht vor dem Schlafen getauscht hatten.
Ich hatte seit Sallys Tod keine ganze Nacht mehr durchgeschlafen; auch nachdem die schlimmste Trauer nachgelassen hatte, waren Schlaflosigkeit und nächtliche Unruhe geblieben. Aber nicht letzte Nacht. Nicht nach Judah. Ich war nicht sicher, ob ich schon jemals in meinem Leben solchen Sex gehabt hatte. Sally war im Bett ungehemmt und abenteuerlustig gewesen, und wir hatten ein wunderbares Sexualleben – allerdings ohne Rimming, obwohl ich verdammt sicher war, dass sie diesen Mangel bereut hätte, wenn ihr klar gewesen wäre, was wir verpasst hatten. Aber sie war es auch müde, in unserem Alltagsleben immer die Führungsrolle innezuhaben, und hatte es vorgezogen, wenn ich im Bett die Kontrolle übernahm.
Judah war im Bett eine vollkommen andere Kreatur.
Seine Zunge in, auf oder auch nur in der Nähe meines Lochs stand nun so ziemlich ganz oben auf der Liste meiner Lieblingsaktivitäten im Bett, abgesehen von seinem Schwanz in meinem Arsch. Das hätte mich eigentlich nicht überraschen sollen. Judah atmete Sex. Wahrscheinlich hätte ich unter den richtigen Umständen allein von seinem sexy Lächeln kommen können.
Er konnte irgendwie mit einem einzigen Blick meinen Verstand umkrempeln, und von da aus war es dann nur noch ein Katzensprung zu meinem Schwanz. Ich hatte mich bei Sally immer begehrt gefühlt, aber für Judah Bottom zu sein, war etwas vollkommen Neues für mich. Es fühlte sich an, als würde er … sich nach mir verzehren. Als wäre das Bedürfnis, in mir zu sein, dringender als das Bedürfnis zu atmen. Dazu noch ein Sexualorgan, das er perfekt einzusetzen wusste, um mich in die Knie zu zwingen, und ich war vollkommen bekehrt.
Top zu sein, konnte mir gestohlen bleiben. Ich wollte nicht leugnen, dass es gut war, aber verglichen mit dem Schmerz/Lust-Gefühl, gedehnt und gefüllt zu werden, mit einem Schwanz, der meine Prostata rieb, und einem Orgasmus, der in meinem Inneren explodierte und sich dann wie ein Atompilz von meinen Haarwurzeln bis zu meinen Zehen ausbreitete … Wie zum Henker konnte es sein, dass ich das nicht über mich gewusst hatte?
Ich zupfte eine Haarlocke aus seinem Mundwinkel und streichelte sanft mit den Fingerknöcheln seine Wange. Er schnaufte und drückte den Kopf tiefer ins Kissen. Das schwache Licht des Tagesanbruchs, das durch eine Vorhangritze ins Zimmer drang, zeichnete einen leuchtenden Streifen über seine nackte Hüfte und all die Lagen harter, schlanker Muskulatur. Mir tat das Publikum leid, das nie wieder in den Genuss kommen würde, diesen herrlichen Körper und seine fließenden Bewegungen zu sehen.
Ich war früh wach geworden und hatte ihn schlafen lassen, während ich auf meinem Telefon ein Video nach dem anderen von ihm beim Tanzen angesehen hatte. Selbst ein Niemand und Laie wie ich konnte sein unglaubliches Talent erkennen. Dann hatte ich nach jemandem gesucht, der Menière hatte und auf demselben Level professionell tanzte. Es gab absolut niemanden. Tragödie war ein zu schwaches Wort.
Aber etwas hatte ich gefunden. Und zwar mehrere Artikel darüber, wie Untersuchungen an Gehirnen von Balletttänzern der modernen Medizin halfen, ein besseres Verständnis von Vertigo zu erlangen und Menschen Hoffnung machten, die lernen mussten, damit zu leben. Darüber, dass Balletttänzer nach Jahren des Trainings irgendwie in der Lage waren, die natürlichen Signale ihrer Gleichgewichtsorgane zu unterdrücken, um diese endlosen Pirouetten drehen zu können. Ihre Körper ignorierten einfach die Warnungen. Und ich fragte mich, ob Judah ebenfalls davon gelesen hatte. Vielleicht konnte es ihm einen Ansatz geben, mit seiner Vertigo besser fertig zu werden, um damit zu arbeiten: Aber sollte ich überhaupt wagen, es anzusprechen?
Seine Augenlider flatterten, dann blinzelte er und lächelte mich an.
„Kann ich sagen, dass es irgendwie ein bisschen schräg ist, wachzuwerden und festzustellen, dass du mich anstarrst?“
„Du schnarchst wie ein Kaninchen.“ Ich küsste ihn auf den Mund, eine kleine morgendliche Kostprobe. Ich würde nie wieder eine Gelegenheit versäumen, Judah zu küssen, wann immer es ging.
„Mmm.“ Er neigte den Kopf zurück und küsste meine Nasenspitze. „Du bist ein tapferer Mann, Morgan Wipene. Mein morgendlicher Atem ist berüchtigt dafür, ausgewachsene Drachen getötet zu haben. Und ich schnarche nicht.“
„Klingt für mich nach einer interessanten Herausforderung. Und doch, du schnarchst. Kleine, schnuffelige Kaninchenschnarcher, zuckersüß. Und jetzt komm wieder her, damit ich diese Drachentheorie testen kann.“ Er versuchte sich davonzustehlen, aber ich hielt ihn fest und küsste ihn erneut, tiefer dieses Mal, und ausdauernder. Ich ließ keine Stelle in seinem Mund aus, die meine Zunge erreichen konnte, und erst dann ließ ich von ihm ab. „Nö. Ich bin immer nach da. Ich muss wohl immun sein. Aber um zu einer statistisch relevanten Schlussfolgerung zu kommen, brauche ich noch bedeutend mehr Küsse.“
„Ha! Viel Glück damit, Kaninchenknabe.“ Seine Augen funkelten. „Und ich schnarche absolut nicht, verdammt.“
„Natürlich nicht. Keinesfalls.“ Ich rümpfte die Nase, und er kniff mich hinein „Autsch!“
„Geschieht dir recht.“ Seine Miene wurde nachdenklich. „Wie fühlst du dich heute Morgen?“
War das sein Ernst? „Ist das eine Scherzfrage?“ Ich legte mein Kinn auf seine Brust, und er streichelte mein Haar. Seine Berührung weckte auch alle möglichen anderen Partien meines Körpers auf.
„Eigentlich nicht. Ich wollte nur nachfragen wegen der ganzen Bottom-Sache. Und der Sally-Sache. Und weil ich über Nacht geblieben bin. Jeder einzelne Punkt für sich hätte leicht zu einem Problem werden können, und ich hätte dir deswegen keinen Vorwurf gemacht.“
Ich lachte und stützte mich auf meine Ellenbogen. „Okay, also der Reihe nach. Erstens, die Bottom-Sache – zum Teufel, Scheiße, ja! Mein Hintern tut weh, und ich liebe jede Minute, weil mich das an letzte Nacht erinnert. Du bist ein wahrer Meister.“
Judah strahlte.
„Und du schnarchst trotzdem.“
Er machte ein finsteres Gesicht.
„Zweitens, die Sally-Sache – es gibt keine Sally-Sache. Wie ich dir gestern Abend schon sagte, ich habe sie geliebt, werde sie immer lieben, und sie wird immer einen Platz in meinem Herzen und meinem Leben haben, aber nicht in meinem Bett. Ich habe keine Schuldgefühle. Sie hätte das hier für mich gewollt. Es ist mehr die ganze Veränderung an sich, an die ich mich gewöhnen muss. Wieder festen Boden unter den Füßen zu finden. Es ist alles noch sehr neu. Und einen Mann in meinem Bett zu haben, ist auch sehr neu. Mehr als das kann ich dir dazu nicht sagen, aber so weit bin ich okay. Ich glaube, dass du mehr Probleme damit hast als ich.“
Er zuckte die Achseln.
„Nummer drei, dass du über Nacht geblieben bist – finde ich großartig. Ich habe dich lange beim Schlafen beobachtet. Ich mag deinen Körper in meinem Bett, ich mag dich in meinem Bett. Und wir werden das auf jeden Fall wiederholen.“
Seine Wangen röteten sich, und ich streichelte sie mit einem Finger. „Wirst du etwa rot, Judah Madden?“
Er schob meine Hand zur Seite. „Sei nicht albern. Aber ich glaube, du musst es noch einmal sagen, für den Fall, dass ich etwas Wichtiges verpasst haben sollte.“ Er musterte mich aus halb geschlossenen Augen, und ich drückte je einen sanften Kuss rechts und links auf seine Lider, worauf neue Röte auf seinen Wangen erblühte.
Mein Herz wurde weit, und ich war sicher, es donnerte laut genug in meiner Brust, um die Nachbarn zu wecken, aber Judah zuckte nicht mit der Wimper. Ich steckte in ernsten Schwierigkeiten – großen, großen Schwierigkeiten in Judah-förmiger Gestalt.
„Noch einmal, hm? Also dann gut. Hörst du zu?“ Ich schob eine Haarsträhne hinter sein Ohr.
Er holte zögernd Luft und nickte.
Ich sah ihm fest in die Augen. „Alles an letzter Nacht mit dir war großartig, Judah Madden. Mit dir Liebe zu machen, dein Bottom zu sein, mit dir in meinen Armen zu schlafen, am Morgen neben dir aufzuwachen. Ich würde nicht die kleinste Kleinigkeit ändern wollen.“
Die Falte zwischen seinen Augenbrauen wurde tiefer. „Liebe zu machen?“
Die Worte kamen so leise heraus, dass ich die Ohren spitzen musste, und mein Herz zog sich zusammen. In mancher Hinsicht konnte Judah unheimlich jung erscheinen, und dann traf mich die Erkenntnis, dass sein Herz in der Tat sehr jung war, während mein eigenes bereits auf schmerzhafte Weise alle möglichen Prüfungen überstanden hatte. Das durfte ich nicht vergessen.
„Ja, Liebe zu machen. Sag das nicht so, als würden die Worte dich beißen.“ Ich küsste ihn auf die Wange. „Denn du weißt genauso gut wie ich, dass das, was wir letzte Nacht gemacht haben, nicht einfach nur Ficken war. Es ist mir gleich, wie du dir das in deinem Kopf zurechtdrehst, oder welche Bedeutung irgendetwas davon für unsere Zukunft hat. Es ist ganz gewiss nichts, was ich geplant hatte, und wahrscheinlich auch das Letzte, was du jetzt gerade gebrauchen kannst. Aber ich werde nicht davor weglaufen. Du?“
Er starrte mich mit offenem Mund an, als hätte ich gerade eine Handgranate zwischen uns aufs Bett geworfen, aber es war zu spät – ich konnte und wollte es nicht zurücknehmen. Wenn ich eines im Leben gelernt hatte, dann dass es keine Garantien gab, und wenn du Chancen nicht ergreifst, dann auf eigene Gefahr. Ich versuchte nicht sofort, die Stille zu brechen, sondern wartete, bis sich seine Schultern langsam entspannten und er sich in meine Arme drehte.
„Persönlich finde ich, du hast sie nicht alle“, sagte er. „Ich bin nicht gerade jemand, auf den man wetten sollte, aber nein, Morgan, ich laufe auch nicht davon. Allerdings …“
Mir sank das Herz in die Hose.
„Mein Leben ist im Moment eine Katastrophe, wie du es auch drehst und wendest, und ich hatte nicht erwartet, dass es mit uns so schnell geht.“
Ich hob eine Braue, denn mit uns im Bett wäre meiner Meinung nach auf jeden Fall passiert, und zwar eher früher als später.
Er grinste, drückte mit den Fingern meine Augenbraue wieder an ihren ursprünglichen Platz und tätschelte anschließend meine Wange. „Ich meinte Gefühle, Morgan. Lass mal für einen Moment die Gedanken, Schatz.“ Im nächsten Moment riss Judah die Augen auf und wurde rot. „Scheiße, tut mir leid.“
Dann platzten wir gleichzeitig los vor Lachen.
„Siehst du? Verdammte Gefühle“, jammerte er und schlug die Hände vors Gesicht. „Dann passiert so etwas. Du verlierst die verdammte Kontrolle über deinen Mund, und bevor du dich versiehst, rutschen dir irgendwelche kitschigen, oberpeinlichen Koseworte heraus.“
Ich nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn fest auf die Lippen. „Du solltest wissen, dass ich auf das eine oder andere kitschige, oberpeinliche Kosewort irgendwie stehe.“
„Wirklich?“ Er beäugte mich skeptisch.
Ich nickte. „Wirklich.“
Mit einem Seitenblick sagte er: „Okay, aber du musst mir eine Sache versprechen.“
„Und die wäre?“
„Sollte ich eins benutzen, das Sally benutzt hat, dann musst es mir sagen. Das musst du versprechen. Weil … das wäre mir echt zu schräg.“
„Ich verspreche es. Und ich stimme zu; es wäre etwas schräg. Aber sie hatte nie viel für Kosenamen übrig, also bist du nicht in großer Gefahr, was das angeht.“ Ich presste meine Lippen auf seine und leckte in seinen Mund. Er stöhnte und drückte seinen Körper an mich, und Scheiße, es war einfach zu verlockend, einfach die Bettdecke hochzuziehen und den ganzen Tag hier zu verbringen.
Judah war ein Rätsel, eine verwirrende Mixtur aus arroganter Entschlossenheit, zögernder Unsicherheit, Kummer über den Umbruch in seinem Leben, und süßer Unschuld – all das eingehüllt in einen höllisch scharfen Körper. Es war suchterzeugend, und ich löste mich nur widerwillig von seinem Mund.
„Also, was wolltest du darüber sagen, dass es mit uns schnell geht?“, fragte ich, obwohl ich nicht sicher war, ob ich wirklich die Erklärung hören wollte.
Er leckte sich die Lippen und blinzelte in paarmal. „Richtig. Ich meinte nur, es gibt ein paar Dinge, an denen ich arbeiten muss. Dinge, die ich ändern muss, wenn ich mir ein neues Leben aufbauen will, aber auch, wenn wir der Sache zwischen uns eine echte Chance geben wollen. Ich muss … selbst wieder die Zügel für mein Leben in die Hand nehmen. Das muss im Augenblick meine Priorität sein.“
„Einverstanden.“ Damit konnte ich umgehen. „Also, was kann ich tun?“
Er nahm meine Hand, hob sie an seine Lippen und küsste meine Handfläche. „Rede mit mir. Bring mir Kaffee. Schreib mir Nachrichten. Geh mit mir … auf Dates.“ Er wackelte mit den Brauen. „Sei einfach da, aber lass mich erst einmal mein Leben sortieren. Und genau wie du befinde ich mich hier auf unerforschtem Gebiet. Ich weiß nicht, wohin mich das alles führen wird. Ich weiß nicht einmal, ob ich in einigen Monaten immer noch in Painted Bay sein werde oder nicht.“
Mir wurde ganz flau im Magen. Aber Judah hatte recht. Er musste sich erst wieder ein Leben aufbauen, wohin auch immer ihn das führen mochte.
Er warf mir einen nervösen Blick zu. „Ich habe demnächst einen Termin bei einem Spezialisten in Auckland. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass dabei irgendetwas Neues herauskommen wird, aber ich muss anfangen, etwas für mich selbst zu unternehmen, und ich kann mich von dieser Sache zwischen uns nicht bremsen lassen, was das angeht. Das heißt, ich kann dir nichts versprechen, und ich verstehe es vollkommen, wenn du angesichts dessen sagst, du kannst nicht–“
„Natürlich kann ich, verdammt. Ich selbst kann genauso wenig versprechen, Judah. Darf ich dich zu diesem Termin fahren? Ich muss ohnehin mal wieder meinen Bruder und seine Familie besuchen. Vielleicht können wir mit ihnen zusammen zu Mittag essen, wenn wir dort sind?“
Judah sah mich mit großen Augen an. „Mit deiner Familie , meinst du?“
Ich nickte. „Nur mein Bruder und seine Frau. Wieso nicht? Ich war zum Essen bei deiner Familie. Außerdem könnte es helfen, damit sie mir für ein Weilchen weniger im Nacken kleben. Ich, äh, würde dich meinem Bruder gern vorstellen, aber nur wenn du einverstanden bist. Wenn nicht, gehen wir einfach allein irgendwohin.“
Judah überlegte einen Moment. „Ich bin nicht sicher, wie genau das in das Langsam-angehen-lassen-Konzept passt, aber okay. Ich werde den ganzen Vormittag eingebunden sein. Der eigentliche Termin ist erst um viertel vor zwölf, aber sie wollen davor eine ganze Reihe von Tests machen.“
„Kein Problem. Schick mir eine Nachricht mit den Details, und ich kläre das mit meinem Job und sage Cody Bescheid. Und was das andere betrifft – wir mögen es langsam angehen lassen, aber Judah, ich spüre dich bereits sehr … tief unter meiner Haut, weißt du?“
Er grinste mich schief an. „Wie eine Horde Ameisen?“
Ich lachte. „Manchmal auch das, ja. Aber ich bin ein geduldiger Mensch. Auch ich habe nicht vor, etwas zu überstürzen.“
Judahs Augen leuchteten. „Also, was bedeutet das? Sind wir jetzt … feste Freunde und alles?“
Ich verschluckte fast meine Zunge, und der kleine Scheißer wusste das ganz genau – er hatte ein Grinsen im Gesicht, so weit wie die Cookstraße. Aber heilige Scheiße. Mein erster fester Freund. Ich kam mir vor wie fünfzehn. Herrje, Sally, was hast du mir da nur eingebrockt?
„Ja“, brachte ich krächzend heraus. „Fester Freund, damit bin ich mehr als einverstanden. Und du?“ Offen ausgesprochen hörte es sich deutlich einfacher an als in meinem Kopf.
Er runzelte die Stirn und tippte sich mit dem Finger an die Lippen. „Tja, ich weiß nicht recht. Wirst du mir Getränke ausgeben? Mich deine Teamjacke anziehen lassen? Kriege ich einen Ring?“
Ich fand seinen Schwanz und drückte fest zu.
„Ahhh. Ja, ja, okay, ich bin einverstanden mit dem Fester-Freund-Label. Aber solltest du scharf auf meinen Ring sein, Mister, dann findest du ihn ein kleines Stück weiter unten, und du darfst ihn gern überstreifen.“ Er wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.
Ich nahm die Einladung an.
Was bedeutete, dass wir beide zu spät zur Arbeit kamen. Zehn Minuten, nachdem Judah sich mit Leroy treffen sollte, rollte mein Hilux auf den Kai. So wie die beiden am Tag zuvor auseinander gegangen waren, überraschte es mich nicht, dass Leroys Miene einer Gewitterwolke glich.
Judah ignorierte seinen Bruder und verschwand im Bootshaus, um sich für die Arbeit umzuziehen, während ich zu Leroy schlenderte, um die Suppe zwischen uns auszulöffeln.
„Dann fickst du jetzt also meinen Bruder?“, grollte Leroy ohne Einleitung. Eine Unheil verheißende Falte stand zwischen seinen Brauen.
„Geht dich nichts an, Leroy.“
„Wenn es ihn davon abhält, seinen Job zu machen, schon.“
Ich hielt nicht an, bis ich direkt vor ihm stand, beinahe Nase an Nase. „Auch dann geht es dich nichts an, auch wenn ich mich dafür entschuldige, dass er sich verspätet hat – war meine Schuld.“
Leroy schnaubte. „Das bezweifle ich.“
Ich verengte warnend die Augen. „Vorsichtig, Leroy. Es ist mir egal, warum du wegen ihm so einen Stock im Arsch hast, aber Judah bedeutet mir jetzt ziemlich viel, und es wäre besser, du würdest dich daran gewöhnen.“
Leroys Blick wanderte von mir zum Bootshaus, und er gab ein unbestimmtes Grunzen von sich, das alles Mögliche bedeuten konnte. Es reichte mir nicht.
„Hey.“ Ich machte einen Schritt nach vorn, um wieder in seiner Sichtlinie zu sein. „Du und ich, wir sind Freunde. Dachte ich zumindest. Ich hoffe sehr, du respektierst das genug, um zu verstehen, was ich hier sage, damit wir auch Freunde bleiben können. Aber nur, damit du es weißt – solltest du noch einmal so über Judah herziehen wie gestern, noch dazu vor den Augen seiner Freunde und Arbeitskollegen, dann werde ich nicht wieder darüber hinwegsehen, verlass dich darauf.“
Leroy zuckte halbherzig mit einer Schulter. „Das war eine Familienangelegenheit.“
Ich ballte unwillkürlich die Fäuste. „Nein. Das war nichts anderes als ein Schlag ins Gesicht, und ich werde so etwas nicht noch einmal zulassen. Ich verstehe dich nicht, Leroy. Er ist dein verdammter Bruder, und das Leben hat ihm gerade erst wirklich übel mitgespielt. Judah sagt, du hast noch nicht einmal wirklich mit ihm darüber gesprochen, was dein Problem ist? Was zum Henker soll das?“
Leroy trat einen Schritt zurück. „Würde er sich ein bisschen mehr anstrengen, hätte ich keinen Grund zur Beschwerde. Er ist unzuverlässig.“
„Blödsinn. Ist er nicht.“
„Woher zum Geier willst du das wissen? Du kennst ihn seit zwei Minuten. Er versucht nicht einmal, sein Leben in den Griff zu kriegen. Er trinkt zu viel.“
„Nicht mehr.“
Leroy verzog das Gesicht. „Sagst du.“
„Rede mit ihm.“
„Ich muss nicht mit ihm reden, um–“
„Rede mit ihm.“ Ich drehte mich um und ging, gerade als Judah wieder aus dem Bootshaus kam.
Er sah uns, runzelte die Stirn und joggte auf mich zu. „Was ist passiert?“
Ich zuckte die Achseln. „Nichts. Dein Bruder führt sich auf wie ein Arsch.“
Judah warf einen Seitenblick zu Leroy. „Das ist nichts Neues. Hat er dich dumm angemacht wegen uns?“
„Wie ich sagte, er benimmt sich einfach nur wie ein Arsch. Sei vorsichtig auf dem Boot heute.“
Judah lächelte und hob sich auf die Zehen, um mir einen kurzen Kuss zugeben. Wahrscheinlich genauso sehr um Leroys willen wie zu meinen Gunsten. Aber mir war das recht. Ich lernte schnell, dass ich Judah auf jede Weise nehmen würde, die ich konnte.
„Mach ich“, antwortete er. „Aber du musst nicht für mich eintreten. Um ehrlich zu sein, wäre es mir lieber, du würdest mich solche Sachen selbst auskämpfen lassen.“
„Ich weiß, aber er ist nicht nur dein Bruder, er ist auch mein Freund, deshalb betrifft es auch mich selbst. Außerdem bist du mir wichtig, und das musste ich ihm gegenüber dringend klarstellen. Dafür werde ich mich nicht entschuldigen.“ Ich streichelte seine Wange. „Grundkurs ,Feste Freunde‘, richtig?“
Er musterte mich argwöhnisch. „Hm, ich fühle mich ein bisschen ausgetrickst. Aber jetzt mach dich hinfort, sonst komme ich noch in Versuchung, meinem Bruder eine Show zu liefern, die er so bald nicht vergisst.“
„Immer diese leeren Versprechungen. Ich warte immer noch auf die Nummer mit dem gelenkigen Ballettknaben. Ich habe gehört, ihr Jungs kriegt eure Beine wirklich hoch.“
Er fuhr mit einer Hand über meine Brust und packte mit der anderen meinen Schwanz durch die Jeans. „Du hast ja keine Ahnung. Bis später … Schatz.“ Er zwinkerte mir zu, und ich schaute seinem schwingenden Hinterteil nach, den ganzen Weg über, bis er bei Leroy ankam, während ich versuchte – und darin versagte – zu ignorieren, wie verdammt gut es mir gefiel, von ihm so genannt zu werden.
Als ich zurück in meinem Wagen war, vibrierte mein Telefon. Eine Nachricht von Jon.
Lust auf einen Flug?
Ich rief ihn zurück. „Was hat das zu bedeuten?“
„Die Wilderei-Spezialeinheit aus Auckland hat sich nach unserem Bericht gemeldet. Sie wollen sich per Chopper ein aktuelles Bild vom Grundstück der Lairds machen. Anscheinend gibt es Gerüchte über eine große Lieferung südostasiatischer Pãua, die bald rausgehen soll. Mit deinem Boss habe ich das schon geklärt. Bist du dabei?“
Ich hasste Hubschrauber. Und Jon wusste das nur zu gut, nachdem ich beim letzten Mal mitten während des Flugs den Boden des verdammten Teils vollgekotzt hatte. „Nur, wenn du das Mittagessen bezahlst“, antwortete ich. „Danach.“
Er lachte. „Ich hatte angenommen, du hättest noch Reste von Coras Sonntagsessen.“
„Leck mich. Als wäre mir nicht schon schlecht genug. Das war Absicht oder?“
„Na klaaar … als wenn ich darauf scharf wäre, dass du mir wieder auf die Schuhe kotzt.“
„Hey, hätte auch schlimmer sein können.“
„Ja, okay. Bring dieses Mal ’ne Tüte mit. Bis gleich dann.“
Eine Runde im Chopper war das Letzte, was ich brauchte. Aber zumindest kam ich mal einen Tag lang aus meinem Auto. Ich sah noch zu, wie Judah und Leroy das Boot beluden, und musste lächeln. Wie ein einziges Wochenende so viel ändern konnte …
Bevor ich zum Flugfeld fuhr, schickte ich eine Nachricht mit nur fünf Worten an meinen Bruder.
Ich habe einen festen Freund.
Drei … zwei … eins… und bumm – mein Telefon explodierte mit einem halben Dutzend Textnachrichten, die ich alle fröhlich ignorierte.
* * *
Judah
Ich wartete, bis Morgan weggefahren war, dann wirbelte ich zu Leroy herum. „Was hast du zu ihm gesagt?
„Nichts.“ Leroy wandte mir den Rücken zu und ging zurück zum Boot, das in der anschwellenden Dünung schwankte, die aus Osten hereinkam. Es würde heute ziemlich übler Seegang sein da draußen.
Ich warf entrüstet die Hände hoch. „Hey. Lauf nicht einfach weg und lass mich hier stehen.“
Leroy drehte sich um. „Und wieso nicht? Du bist dein ganzes Leben lang weggelaufen und hast uns im Stich gelassen.“
Mir klappte das Kinn herunter. Das war weit unter der Gürtellinie, selbst für Leroys Verhältnisse. Und überhaupt war diese ganze Sache längst kein Witz mehr, aber ich sah an seinem Gesicht, dass er auf Streit aus war, und ich würde mich nicht selbst auf seinen Opferaltar werfen. Ich war nicht sicher, ob unsere Beziehung das verkraften würde.
Außerdem ging es in Wirklichkeit sowieso nicht um uns, sondern um Martha und unsere Mutter. So viel stand fest.
„Ich tue einfach mal so, als hättest du das nicht gesagt“, warnte ich ihn, „und rechne es dem Umstand zu, dass du es gestern mächtig verkackt hast. Mit Mama. Gehe ich richtig in der Annahme, dass die Vorstellung von Mama und Martha zusammen genauso dein Zartgefühl verletzt wie die Existenz deines schwulen Bruders?“
„Das ist nicht dasselbe.“
Na klar! „Wieso nicht? Und könntest du deine Lautstärke etwas zügeln?“
„Sie sind nicht hier. Und es ist nicht dasselbe, weil Mama nicht schwul ist … oder lesbisch oder wie zur Hölle du es auch immer nennen willst. Sie war fünfundzwanzig Jahre mit Papa verheiratet, verfluchte Scheiße.“
Gott, er konnte manchmal so ein selbstgerechter Arsch sein. „Oh, und du bist natürlich der Experte hier, was ihre Sexualität angeht, richtig? Es gibt auch sowas wie bi oder pan, du Vollhorst. Und nicht jeder weiß oder versteht bereits in früher Jugend, welche sexuelle Ausrichtung er hat. Und sagtest du nicht, du hättest kein Problem mit der Sexualität anderer Leute? Aber das stimmt nicht, oder? Du sagtest, es wäre okay für dich, dass Morgan bisexuell ist, aber kaum dass er mit mir zusammen ist, gehst du auf ihn los.“ Ich geriet ins Stocken, als mir plötzlich etwas klar wurde. „Oder vielleicht hast du nur ein Problem mit mir? Ja, das kommt der Sache schon näher. Tja, ich bin von dir ja nichts anderes gewöhnt. Aber Mama verdient etwas Besseres.“ O Mann, halt die Klappe .
Wütende Röte stieg an Leroys Hals empor. „Ich muss kein Experte sein. Und ich habe kein Problem mit irgendjemandes Sexualität, deine eingeschlossen. Aber deshalb muss mir ja nicht gefallen, sie unter die Nase gerieben zu bekommen.“
Was zum Henker? „Wann habe ich dir denn je … nein, weißt du was? Ich will es gar nicht wissen. Es ist mir scheißegal, was du über mich denkst. Aber Mama–“
„Deine bloße Existenz reibt es mir unter die Nase, einfach so, wie du drauf bist. Sieh dich doch nur an! Trägst du jetzt sogar Make-up? Verfluchte Scheiße!“
Nicht provozieren lassen, nicht provozieren lassen, nicht provozieren lassen. „Und was, wenn ich Make-up trage?“
„Warum? Warum musst du immer noch eine Extra-Schippe drauflegen? Niemand gibt einen Scheiß darauf, dass du schwul bist. Aber du machst es dir nur selbst so schwer. Genau wie damals in der Schule. Schwul zu sein, hat dir nicht gereicht. Du musstest es ja unbedingt in die Welt schreien mit deiner Kleidung, deinem Ballett, deinem albernen Geflirte und Getue. Und jetzt, großer Gott, Make-up? Du musst einfach unbedingt anders ein. Du erträgst es nicht, wenn du nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehst. Scheiße.“ Er ließ den Kopf hängen, so als wäre ihm erst jetzt plötzlich aufgefallen, was er gerade gesagt hatte.
Aber es war zu spät. Schockiert war nicht einmal annähernd ausreichend, um zu beschreiben, wie ich mich fühlte. Gekränkt, verletzt, gedemütigt waren nur einige Begriffe der Gefühlsmischung, die mir das Herz zusammenzog. Ich atmete tief durch und versuchte, meinen Zorn zu beherrschen. Wieder und wieder sagte ich mir, dass es hier um Mama ging, und nicht um mich. Ich konnte jeden Mist aushalten, den Leroy mir ins Gesicht schleuderte, aber falls er irgendetwas in dieser Art zu Mama gesagt haben sollte, würde ich ihm so derartig in den Arsch treten, dass–
Marthas Wagen bog auf den Parkplatz ein, und ich wusste, wir mussten die Sache vorerst beenden.
„Wir sind noch nicht fertig miteinander“, warnte ich ihn. „Aber ich werde nicht zulassen, dass Mama noch mehr verletzt wird, als es bereits der Fall ist.“
Immerhin hatte er den Anstand, ein bisschen beschämt auszusehen.
„Und ich hoffe für dich, du hast nicht so mit Mama gesprochen wie gerade mit mir.“
Leroy schluckte schwer und mied meinen Blick. „Natürlich habe ich nichts dergleichen zu ihr gesagt.“
„Aber du hast es ihr auch nicht leicht gemacht, stimmt’s?“
Er riss den Kopf hoch, um mich anzusehen. „Wieso sollte ich?“
„Weil sie unsere Mutter ist, du Arschloch, und weil sie verliebt ist. Wir sollten wollen, dass sie glücklich ist, ganz gleich mit wem. Sie ist unser ganzes verfluchtes Leben lang für uns da gewesen.“
Er sah über meine Schulter hinweg – zu Martha, die auf dem Weg zum Büro war, wie ich annahm – und eine Sekunde lang wirkte er … wie am Boden zerstört.
Was zum …
Dann verhärtete er seine Miene. „Sie liebte Papa. Sie liebt diesen Ort. Sie liebt uns. Sie ist einsam, das verstehe ich. Wenn sie mit Martha etwas anfangen will, schön. Ob du’s glaubst oder nicht, das ist mir gleich. Ich verstehe nur nicht, wieso sie es jedem erzählen muss, als wäre es diese große verdammte Verkündung. Und ich will nicht dieses Arschloch von Marthas Sohn in der Nähe unseres Zuhauses oder der Muschelzucht sehen.“
Hä? Was hatte Fox damit zu tun? Ich schüttelte den Kopf. Ich durfte mich jetzt nicht vom Thema ablenken lassen. „Vielleicht wollte sie sich vor uns outen, vor ihren Söhnen, weil wir ihr wichtig sind und sie uns liebt.“
Leroy zuckte zusammen.
Ich fuhr fort: „Denn das ist es, was sie getan hat, das ist dir doch klar, oder? Sie hat sich vor dir geoutet . Und selbst dein kleines Erbsengehirn muss wissen, wie schwer es ist, das zu tun, und wie wichtig es ist, dann den Rückhalt der Familie zu haben.“ Ich ließ das eine Sekunde lang sacken. „Und vielleicht wollte sie sich auch outen, weil sie Martha liebt. Weil es eine Liebe ist, die sie nicht verstecken, sondern der Welt mitteilen will. Vielleicht werden die beiden sogar irgendwann heiraten. So eine Liebe. Willst du ihr das verweigern, nachdem sie Papa verloren hat?“
Leroy wurde leichenblass. „Heiraten?“
Martha zögerte an der Bürotür und sah zu uns herüber. Ich winkte. Sie hob eine Hand und winkte mit einem halben Lächeln zurück. Leroy drehte ihr einfach den Rücken zu, und ich sah die Enttäuschung in Marthas Gesicht.
„O verdammt, wage es nicht!“, zischte ich ihm zu. „Martha ist immer gut zu uns gewesen, mehr als gut. Papa wäre jetzt so verflucht enttäuscht von dir.“
Er warf mir einen beinahe erschütterten Blick zu, dann drehte er sich um und nickte einen kurzen Gruß in Marthas Richtung.
„Scheiße, Leroy, ich hoffe, du ziehst deinen Kopf aus deinem Arsch, bevor du noch etwas sagst oder tust, das du nicht zurücknehmen kannst. Falls es dafür nicht schon zu spät ist – denn für deine erste Reaktion auf ihr Coming-Out kriegst du keine zweite Chance. Damit musst du jetzt leben, und sie auch.“ Ich ließ ihn stehen und marschierte zum Boot.