Kapitel 2

W em frieren jetzt gerade die Eier ab?«, fragte Evan, seine Zähne klapperten.

»Das sollte dich nicht überraschen, mich andererseits aber auch nicht«, antwortete Sophia, während sie ihre Hände tiefer in ihre mit Wolle gefütterten Taschen schob.

»Meine Eier sind nicht eiskalt«, meinte Ainsley und stapfte mit einem Tablett mit Whiskeygläsern aus der Burg.

»Warum müssen wir das tun?«, beschwerte sich Evan und blinzelte in Hikers Richtung.

Alle Reiter, Ainsley und Quiet waren vor der Burg versammelt, das einzige Licht kam von den Sternen am Nachthimmel und den Flammen, die in den Fenstern brannten. Alle elektrischen Lichter, die die Burg an verschiedenen Stellen, vor allem für die Weihnachtsdekoration, angebracht hatte, waren für diesen Countdown ausgeschaltet worden. Hiker war kein Fan des wachsenden Trends, elektrische Gegenstände in das Gebäude zu schaffen, aber Sophia war zuversichtlich, dass er sich mit der Zeit daran gewöhnen würde.

»First-Footing ist eine schottische Tradition«, erklärte Hiker. »Und da Sophia uns dazu bringt, Feiertage zu zelebrieren …«

»Dazu bringt?«, unterbrach sie. »Ich weigere mich, mich dafür zu entschuldigen, dass ich ein bisschen Fröhlichkeit an diesen Ort gebracht habe.«

»Gut, aber du solltest dich für die fünf Pfund entschuldigen, die ich durch das Essen all dieser Leckereien zugenommen habe«, meinte Ainsley und reichte jedem ein Glas.

»Du bist eine Gestaltwandlerin«, merkte Wilder an und nahm den Whiskey. »Könntest du nicht einfach in eine Gestalt wechseln, in der du fünf Pfund leichter bist?«

»Ich könnte, aber dann bin ich nicht mein authentisches Ich«, entgegnete Ainsley und hob selbstgerecht die Nase.

»Du hast einmal ein ganzes Jahr in der Gestalt eines Riesen verbracht«, verwies Evan darauf.

»Es war nur, weil ich sauer auf die Burg war und ich die Einrichtung mit meiner größeren Gestalt und dem Gewicht schneller abnutzen wollte«, erklärte Ainsley.

»Wenn ihr alle fertig seid, ist es fast Zeit für Hogmanay«, unterbrach Hiker, hob sein Glas und forderte die anderen auf, es ihm gleichzutun.

›Hogmanay‹ war das schottische Wort für Silvester und hatte seine ganz eigenen Traditionen. Für Sophia waren sie neu, bis auf den Brauch, nach dem Countdown mit einem Getränk anzustoßen.

Für diesen Anlass hatte Hiker eine sehr alte Flasche Whiskey hervorgeholt, über die er aber murrte. Sophia wusste es besser. Er war auf dem Weg der Besserung und alles hatte damit begonnen, dass er ihr gestanden hatte, Thad Reinharts Zwilling zu sein.

Sein Büro war wieder normal, aber sie vermutete, dass die Burg immer noch Wege fand, ihn zu ärgern. Nicht, weil er ein Geheimnis hatte, sondern einfach, weil das empfindsame Gebäude gerne unterhalten wurde.

Hiker schaute auf seine Uhr und begann: »Das neue Jahr beginnt in fünf, vier, drei, zwei, eins.«

Als der Countdown vorbei war, jubelten alle: »Frohes neues Jahr!«

Sophia stieß mit den anderen an, bevor sie einen Schluck nahm. Ihr Inneres wurde sofort vom Whiskey erwärmt, der sie ins Schwitzen bringen konnte, wenn sie genug davon trank, obwohl es auf dem Hochland bitterkalt war.

»Du zwingst uns doch nicht, die Arme zu verschränken und Auld Lang Syne zu singen, oder?«, fragte Ainsley den Anführer der Drachenelite.

»Ich glaube nicht, dass dich jemand singen hören will«, meinte Evan, trank sein Glas leer und hielt es der Gestaltwandlerin hin. »Ich hätte gerne mehr.«

»Und ich hätte gerne, dass du Manieren hast, leider ist das nicht die Realität, genau wie Nachschenken«, stellte Ainsley fest und streckte dem Drachenreiter die Zunge raus.

»Gut, ich hole es mir selbst.« Evan stakste zur Burgtür.

»Nein, das wirst du nicht.« Hiker streckte die Hand aus und hielt Evan an der Schulter zurück. »First-Footing.«

Evan warf ihm einen Blick zu. »Ja und du hast gesagt, das bedeutet, dass ein großer, dunkler und gut aussehender Mann der erste sein muss, der zu Beginn des neuen Jahres das ›Haus‹ betritt. Das bin dann wohl ich.«

»Warum kann es nicht ein Mädchen sein?«, fragte Sophia.

Hiker betrachtete sie mit leichter Irritation. »Weil das Unglück bringt.«

Sie rollte mit den Augen. »Ich schwöre, wenn die Drachenelite eine Personalabteilung hätte, würde ich Beschwerde einreichen.«

Er blinzelte sie an und erwiderte ihren herausfordernden Blick. »Aber das haben wir nicht, also komm drüber weg.«

»Ich denke, es sollte Mahkah sein, der das übernimmt, weil er netter ist als ihr alle«, bemerkte Ainsley und lächelte den stillen Drachenreiter an, der immer noch an seinem Getränk nippte.

»Danke«, erwiderte er und errötete.

Quiet murmelte etwas, als er ins Gelände hinaus davonschlenderte, sein Getränk in der Hand.

»Oh, Quiet, ich hätte dich ausgewählt, aber du bist nicht das, was man als groß bezeichnen würde«, rief Ainsley dem Gnom hinterher, der immer noch murmelte und offensichtlich aufgeregt war.

»Wilder macht das«, erklärte Hiker. Er deutete auf die Tür, seine Augen auf den Drachenreiter gerichtet, der neben Sophia stand.

»Warum darf er das übernehmen?«, beschwerte sich Evan.

»Weil ich Streichhölzer gezogen habe und seines gewonnen hat«, sagte Hiker definitiv.

Ainsley stieß Mahkah mit dem Ellbogen in die Seite und flüsterte laut: »Ich glaube, das liegt daran, dass er sich in einen Mann verknallt hat.«

Wilder neigte den Kopf zur Seite, während er sich mit den Fingern durch sein braunes Haar fuhr und lächelte. »Na, danke. Ich würde mich freuen, diesen ersten Schritt zu tun. Ich bin groß, dunkel und …«

»Eingenommen von dir selbst«, unterbrach Evan.

»Das musst du gerade sagen«, erwiderte Sophia.

»Was macht ihr denn alle hier draußen?«, rief Mama Jamba von hinten, während sie über das vereiste Gelände in Richtung Burg eilte.

Hiker blinzelte sie verwirrt an. »Was machst du denn hier draußen? Wo bist du gewesen?«

Sie lächelte zu dem großen Mann hoch. Im Vergleich zu ihm sah sie winzig aus. »Papa Creola und ich haben eine langjährige Tradition am Neujahrstag. Er zieht die Uhr auf und dann …«

»Ein Kuss!«, rief Evan lachend aus.

»Zeig etwas mehr Respekt«, schimpfte Hiker.

»Oh, nein, er hat absolut recht«, kicherte Mama Jamba. »Wir knutschen zu Beginn des neuen Jahres.«

»Wirklich?« Sophia versuchte sich den Hippie-Elfen vorzustellen, der Mama Jamba küsste.

Sie nickte. »Ja. Wir haben das ein Jahr versäumt und die Folgen waren weitreichend.« Sie beugte sich vor und sagte in einem verschwörerischen Flüsterton: »Das war das Jahr, in dem Pepsi Cola erfunden wurde. Wir versuchen immer noch die Folgen davon in den Griff zu bekommen.«

»Wie Fettleibigkeit bei Kindern?«, fragte Sophia.

»Eher, dass es bestimmte Lokale gibt, die nur Pepsi-Produkte führen«, antwortete Mama Jamba. »Was macht ihr denn alle hier draußen und friert euch den Hintern ab?«

»Eier«, korrigierte Evan.

»Pass auf, was du vor Mama sagst«, mahnte Hiker, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Mutter Natur zuwandte. »Wir waren gerade dabei, den ersten Schritt ins Haus zu machen.«

»Oh!«, jubelte sie. »Ich finde es toll, dass ihr dieses Jahr so festlich unterwegs seid.« Mit einem Lächeln zeigte Mama Jamba auf die Vordertür der Burg. »Na dann los, Wilder. Geh schon mal vor.«

»Was?« Evan warf die Hände hoch. »Warum Wilder?«

Mama Jamba richtete ihren Blick auf ihn. »Weil sein Streichholz gezogen wurde, offensichtlich.«

»Ja, natürlich«, antwortete Wilder Mama Jamba und machte sich auf den Weg zur Eingangstür.

Sophia schlurfte nach vorne und folgte der Gruppe, als Wilder über die Schwelle trat. »Danke, dass du das erlaubst«, flüsterte sie Hiker mit leiser Stimme zu.

Sein Blick wanderte zu ihr, sein Gesicht war ausdruckslos. »Nun, ich denke, es war überfällig.«

»Und danke für den Süßigkeitenstrauß, den du mir zu Weihnachten geschenkt hast«, meinte sie.

Er runzelte die Stirn. »Was redest du da? Ich habe dir keinen Süßigkeitenstrauß geschenkt.«

Sie nickte. »Nein, nein, das hast du nicht. Aber da du gefragt hast, mein Geburtstag ist im Sommer und ich würde mich total über einen Süßigkeitenstrauß freuen.«

»Was ist ein Süßigkeitenstrauß?«, fragte Hiker.

»Ziemlich genau das, wonach es klingt«, antwortete sie und genoss die Wärme der Burg, als sie eintrat.

»Und woher bekomme ich diese Sträuße?«, wollte er wissen.

Sophias Gesicht verwandelte sich vor Schreck. »Willst du mir wirklich einen zum Geburtstag schenken? Ich kann dir ein paar Namen von Firmen geben, die so etwas herstellen.«

Hiker schüttelte den Kopf. »Nein, eines meiner nächsten Projekte als Judikator wird sein, alle Firmen zu zerschlagen, die solche Sträuße herstellen.«

Sie sah ihn finster an. »Ha ha.«

»Sophia«, rief Mama Jamba vom Treppenhaus aus und deutete auf den zweiten Stock. »Ich möchte, dass du sofort ins Bett gehst. Du hast morgen früh Training.«

»Aber es gibt noch mehr Whiskey«, bemerkte Ainsley und hob eine Flasche mit bernsteinfarbener Flüssigkeit in die Höhe.

»Mama sagt, Sophia geht ins Bett, also macht sie das auch«, befahl Hiker. Er streckte ebenfalls eine Hand und zeigte auf den zweiten Stock.

Sophia konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sie zur Treppe stapfte. »Ja, Mama und Papa.«

Am Fuß der Treppe beugte sich Mama Jamba vor und drückte Sophia einen Kuss auf die Wange. »Frohes neues Jahr, Liebes. Bitte ruh dich aus, denn das wird dein bisher größtes Jahr. Nun, bis zum nächsten, wenn wir dieses überstehen.«

»In diesem düsteren Sinne«, meinte Wilder, »schlaf gut, Soph. Träum schön und mach dir keine Sorgen über das Ende der Erde.«

Sophia grinste. »Ja, ich bin sicher, dass ich nach diesem Hinweis sofort einschlafen werde.«