Kapitel 3

E in friedlicher Wind wehte über das Hochland, als Sophia und Mahkah am nächsten Morgen zur Höhle stapften. Alle in der Burg schliefen noch nach der langen, durchfeierten Nacht. Sophia war es schwergefallen einzuschlafen, aber nicht, weil sie sich Sorgen um ihr Training oder die Zukunft machte. Diese Gedanken gab es zwar, aber hauptsächlich lag es daran, dass Evan ständig Dinge brüllte wie: »Ich bin groß!«, »Ich bin gutaussehend!«, »Ich bin der Dunkelste hier!«

Das gefrorene Gras knirschte unter ihren Stiefeln, als die beiden in Richtung der Drachen liefen, die sich in der Morgensonne auf dem Hochland räkelten.

»Hast du alles, was du brauchst?«, erkundigte sich Mahkah.

Sie klopfte sich an die Seite. »Etwas zum Anziehen auf meinem Rücken, mein Schwert und eine ganze Menge Hoffnung. Ich habe alles, was ich besitzen darf, bin mir aber nicht sicher, ob ich es brauche. Ich hätte eine Tüte Doritos für die Reise nötig.«

Er lächelte ein wenig. »Ich weiß, dass man trotz einer so langen und anstrengenden Aufgabe nicht viel besitzen darf, aber es ist der einzige Weg.«

Als Mahkah Sophia erzählte, dass ihr nächstes Training mit Lunis darin bestand, sich mitten ins Nirgendwo zu wagen, ohne Vorräte und eine Woche lang allein zu überleben, war sie nicht begeistert. Sie durften keine Magie einsetzen, um im australischen Outback zu überleben. Stattdessen mussten sie sich aufeinander verlassen, um Wasser, Nahrung und einen Unterschlupf zu finden.

Ähnlich wie bei einem Walkabout sollte diese Trainingsübung für die beiden reflektierend sein, ihnen helfen, ihr inneres Selbst kennenzulernen. Außerdem sollte es sie noch näher zusammenbringen oder auseinandertreiben. Die Art und Weise, wie sie aus dieser Erfahrung hervorgingen, war entscheidend dafür, ob sie bestanden oder nicht.

Nicht nur, dass Sophia keinesfalls an einem Ort mit einigen der gefährlichsten Tiere der Welt ohne Magie schlafen wollte, sie war auch traurig, die Burg zu verlassen. Es fühlte sich sehr seltsam an, das am ersten Tag des neuen Jahres zu tun. Mama Jamba hatte darauf bestanden, dass Sophia sich ins Training stürzte und jetzt stand ihr offenbar eine der schwierigsten Aufgaben bevor. Wenn sie den Buschaufenthalt mit Lunis überstand, durfte der Rest ihres Trainings hoffentlich wesentlich einfacher werden.

Lunis wälzte sich im Gras wie ein Hund nach einem Bad, als sie sich näherten. Die anderen Drachen beäugten ihn mit offensichtlichem Unverständnis. Es schien Sophia, dass je eigenartiger die anderen Drachen Lunis fanden, desto mehr ermutigten sie ihn zu solchem Verhalten. Zuerst hatte er sich Gedanken darüber gemacht, so anders als die anderen zu sein, da er zu einer anderen Zeit unter anderen Einflüssen aufgewachsen war, aber jetzt schien er es zu akzeptieren.

Der blaue Drache rollte sich auf die Beine und lief herbei, als Sophia in der Nähe war. Zärtlich blickte sie zu dem majestätischen Drachen auf. Sie spürte, dass er heute Morgen besonders verspielt war und versuchte, ihre Ängste mit seiner sorglosen Art zu zerstreuen.

Für jemanden, der von Kindesbeinen an keinen Tag ohne Magie ausgekommen war, erschien es für Sophia bizarr, darüber nachzudenken, sie eine Woche lang nicht zu benutzen. Noch seltsamer war die Vorstellung, sich mit Nahrungsmitteln zu versorgen, wo solche Dinge doch einfach immer erreichbar waren. Aber das war der Sinn des Trainings und obwohl Lunis nicht zulassen würde, dass sie verhungerte, wusste Sophia genau, dass sie lernen musste, sich selbst zu versorgen. Die Aufgabe eines Drachen war nicht, seinen Reiter bei allem zu unterstützen. Er sollte ein Teil einer gleichberechtigten Partnerschaft sein.

»Bist du bereit dafür?«, fragte Lunis sie enthusiastisch.

»Natürlich«, antwortete Sophia und versuchte, ihre Stimme aufgeregt klingen zu lassen.

»Während Lunis weg ist«, bemerkte Coral, »wer wird in der Höhle exorbitanten Lärm machen und sich stundenlang darüber auslassen, wer bei dieser Verkleidungssache gewinnt?«

»Die Show heißt ›Die Maske‹«, korrigierte Lunis. »Ihr werdet einfach ohne mich überleben müssen. Ich bin sicher, dass ihr euch in ein oder zwei Tagen zu Tode langweilen werdet.«

Der lila Drache sah ihn finster an und zuckte teilnahmslos mit den Augen. »Und doch haben wir irgendwie seit Hunderten von Jahren ohne deinen Unsinn überlebt.«

»Hunderte von langen, langweiligen Jahren«, stellte Lunis fest. »Du wirst mich noch vermissen. Warte nur ab.«

Coral schüttelte den Kopf und hob ab, stieg hoch in den Himmel und drehte ein paar Runden, bevor sie auf die Schafherde bei den östlichen Hügeln zusteuerte.

»Iss keine Agnostiker«, rief Sophia dem Drachen hinterher. »Von ihrer Unentschlossenheit bekommst du Bauchschmerzen.«

Lunis zuckte zusammen. »Oh nein, das hast du nicht getan.«

»Was denn?«, beschwerte sich Sophia. »Mama Jamba hat gesagt, die Schafe haben eine religiöse Zugehörigkeit. Du redest mit alten Drachen über Reality-TV, ich mache einen Witz über Agnostiker und das ist zu viel?«

»Ich glaube, Mama Jamba hat dich auf den Arm genommen«, gab Lunis zu bedenken. »Ich glaube nicht, dass Schafe religiös sind.«

»Warum, weil sie nicht über solche Dinge aufgeklärt sind?«, fragte Sophia.

Er schüttelte den Kopf. »Weil sie dazu neigen, eher wissenschaftlich orientiert zu sein.«

Sophia lachte. »Du bist so lächerlich. Ich kann nicht fassen, dass ich dieses Gespräch überhaupt mit dir führe.«

»Um ehrlich zu sein«, mischte sich Mahkah ein, der neben Sophia stand. »Ich kann nicht fassen, dass ich einer solchen Diskussion zwischen einem Drachen und einer Reiterin zuhöre.«

Sophia zwinkerte ihm zu. »Wir sind eben ein einzigartiges Paar.«

»In der Tat, das seid ihr«, stimmte er zu und verbeugte sich respektvoll. »Ich freue mich, wenn ihr beide zurückkehrt. Ohne euch wird es hier nicht dasselbe sein. Wie du vielleicht bemerkt hast, bin ich eher von ernster Natur.«

»Du musst raus aus dem Haus«, sagte Lunis mit gespielter Überraschung.

Mahkah ließ ein subtiles Lächeln aufblitzen. »Euch beide hier zu haben ist gut für uns. Ich denke oft, dass die älteren Drachenreiter sich selbst zu ernst nehmen und ihr helft dabei, die Dinge etwas aufzulockern.«

»Ich gebe zu, dass mein Eindruck derselbe war«, erklärte Sophia. »Drachenreiter scheinen wirklich sehr ernst zu sein.«

»Das liegt daran, dass verkrustete, alte Männer, die in ihren Gewohnheiten verhaftet sind, schrullig werden«, stellte Lunis trocken fest.

»Darüber will ich nicht streiten«, erwiderte Mahkah und war keineswegs beleidigt wegen dieser Feststellung. »Deine Perspektive ist erfrischend.«

»Danke«, meinte Sophia und erwiderte eine leichte Verbeugung.

»Nun, nur noch eine Sache, bevor ihr geht.« Mahkah streckte seine Hand aus.

Ohne zu zögern, schlug Sophia auf seine Handfläche, als würde er ihr ein High five anbieten.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, du weißt, was ich will.«

Sie seufzte und rollte mit den Augen, während sie in ihrer Tasche kramte. Natürlich wusste Mahkah, dass sie versucht hatte, ihr Handy mit auf die Reise zu schmuggeln. Sie zog das iPhone heraus und reichte es ihm. »Ich wollte es nur mitnehmen, damit ich unsere Erlebnisse festhalten und später darüber bloggen kann.«

»Ich weiß nicht, was Bloggen ist, aber du kennst die Regeln«, belehrte Mahkah.

Sie nickte. »Ja, keine Elektronik, Magie oder Kontakt mit irgendwelchen Außenseitern.«

»So ist es«, bestätigte er. »Jedes dieser Dinge wird euer Training auf der Stelle beenden und ihr müsst es von vorne beginnen.«

»Eine Woche«, seufzte Sophia und kaute auf ihrer Lippe. Das war eine lange Zeit ohne ihr Handy oder ihre Magie, aber vor allem ohne ihre Freunde. Sie konnte kaum glauben, wie sehr sie sich daran gewöhnt hatte, die anderen Drachenreiter, Ainsley und Quiet um sich zu haben.

Sie war dankbar, dass ihr bester Freund bei ihr war. Das würde sie durchbringen. Auch wenn sie nicht wusste, wie man Wasser reinigte, jagte oder sonst etwas, sie hatte Lunis und das war das Wichtigste.