Kapitel 4

D as letzte Quäntchen Magie, das Sophia und Lunis für eine ganze Woche nutzen konnten, war das Erschaffen und Schließen des Portals ins australische Outback. Technisch gesehen flogen die Drachen auf der Grundlage von Magie, aber das war offenbar erlaubt.

»Scheint, als gäbe es ein paar Hintertürchen in diesem Geschäft mit der Magie«, sinnierte Sophia, während sie über die meist flache, rote Erde flogen, die mit Vegetation gesprenkelt war. Berge rahmten das Gebiet ein und ein Bach verlief zwischen den Hügeln.

»Ich würde nicht dazu raten, hier irgendwelche Grenzen zu überschreiten«, erwiderte Lunis, als er landete. »Wenn du eine Regel brichst und wir längere Zeit hier landen, werden wir uns ernsthaft unterhalten müssen.«

Sophia grinste. »Du willst nur nicht den Superbowl verpassen.«

»Mach dich nicht lächerlich«, meinte er. »Der ist im Februar. Wir werden auf keinen Fall so lange hier draußen sein. Aber länger als nötig auf Netflix und Frozen Joghurt zu verzichten, steht im Hinblick auf meine allgemeine Einstellung nicht zur Debatte.«

»Es ist gut, dass du im einundzwanzigsten Jahrhundert geboren wurdest«, merkte sie an. »Könntest du dir vorstellen, zur Zeit von Bell geboren zu sein?«

Er seufzte und schüttelte nach der Landung seine Flügel, bevor er sie elegant neben seinem Körper faltete. »Nein. Wusstest du, dass sie noch nie Frozen Joghurt gegessen hat?«

Es überraschte nicht, dass es im australischen Outback heiß war. Sophia schälte sich aus ihrem Umhang und band ihn um die Taille. »Ich bin mir sicher, dass du der einzige Drache bist, der jemals Frozen Joghurt gegessen hat.«

Das Outback war das, was Sophia erwartet hatte. Kilometerweit nur Staub, Bäume, Buschwerk, Berge und – wie sie vermutet hatte – gruselige, krabbelnde Kreaturen, die nur darauf warteten, sie in der Nacht anzugreifen.

»Also, das Wichtigste zuerst«, begann sie und begutachtete die Umgebung.

»Wo ist der nächste Starbucks?«, fragte Lunis.

Sophia deutete in die Ferne. »Ich glaube, der ist auf der anderen Seite des Bergrückens.«

»Cool, ich gegen dich.«

»Lun, ich werde das Rennen nie gewinnen, also nein.«

Er nickte und fuhr mit seinen langen Krallen durch den Schmutz. Zu beobachten, wie der Staub sich bewegte, erzählte ihm etwas über diesen Ort. »Ich denke, unsere erste Aufgabe sollte sein, einen Unterschlupf zu finden.«

Sophia schirmte ihre Augen ab und blickte über die Wüste vor ihnen. »Vielleicht sollten wir unser Lager neben diesem Busch aufschlagen oder neben dem da.« Sie deutete in beide Richtungen. »Ich weiß nicht, was meinst du, bei welchem Busch leben die wenigsten Skorpione, die in meine Hose kriechen wollen?«

»Schwer zu sagen , murmelte er und dachte über die Frage nach. »Ich denke, wir sollten in der Nähe einer Wasserquelle sein und den Schatten der Berge zur Verfügung haben.«

Sophia schaute sich um, wo sich die nächste Wasserquelle befand, laut ihrer früheren Aussicht von oben aus der Drachenperspektive. Es war ein mindestens acht Kilometer langer Fußmarsch. Sie wünschte sich, sie hätten vorher nachgedacht und wären am Fluss gelandet, anstatt an ihrem jetzigen Standort. Mahkah hatte sie angewiesen, gleich nach dem Durchqueren des Portals festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Er meinte es sehr ernst damit, dass sie keine Magie benutzen durfte und obwohl Lunis fliegen konnte, sollte sie nicht auf ihm reiten, bevor die Woche abgelaufen war.

Sophia war sich nicht sicher, wie Mahkah oder Hiker erfahren sollten, wenn sie die Regeln brach, aber etwas sagte ihr, dass sie ihre Methoden hatten.

»Okay, gehen wir zu Fuß«, beschloss Sophia und ging in Richtung des Flusses.

»Cool«, zwitscherte Lunis. Er entfaltete seine Flügel und bekam sofort einen strafenden Blick von Sophia zugeworfen. »Oh, jetzt willst du also nicht, dass ich fliege, weil du laufen musst?«

»Das wäre nicht fair«, erwiderte sie. »Sollen wir nicht sowieso zusammenbleiben? Uns verbinden.«

»Gut«, gab er nach. »Ich laufe mit dir, aber wenn wir eine Schlange sehen, fliege ich.«

»Das soll wohl ein Scherz sein!«, rief Sophia aus. »Du bist ein verdammter Drache.«

»Weißt du wie Schlangen aussehen ?«, entgegnete Lunis empört. »Ich bin immer noch menschlich … Ich meine, verletzlich. Ich habe Gefühle, weißt du. Es ist mir auch gestattet, Ängste zu haben.«

»Ist das der Zeitpunkt, an dem wir anfangen, uns zu verbinden, wenn wir über all unsere Gefühle sprechen und so weiter?«, fragte Sophia.

»Sicher«, begann Lunis und schlenderte neben ihr her, langsamer als er musste, um Schritt zu halten. »Warum weihst du mich nicht in einige deiner Ängste ein?«

»Nun …« Sophia dachte einen Moment lang nach. »Früher hatte ich Angst vor der Dunkelheit, aber …«

»Aber jetzt liebst du sie, weil du weißt, dass es im Licht mehr zu befürchten gibt als sonst irgendwo«, unterbrach Lunis.

Sie nickte. »Ja, ich schätze, du hast Zugang zu meinen Gedanken.«

»Gibt es noch andere Ängste, von denen ich nichts weiß?«, erkundigte sich Lunis.

»Nun, ich mache mir Sorgen, ob wir beide erfolgreich sein werden. Eine Menge ruht auf unseren Schultern und …«

»Natürlich macht man sich immer Sorgen um Liv wegen ihrer Rolle als Kriegerin für das Haus der Vierzehn und darum, dass Clark sein Glück findet, weil er dazu neigt, übermäßig vorsichtig zu sein«, schaltete sich Lunis wieder ein.

Sophia sackte in sich zusammen. »Gibt es irgendetwas, das du nicht über mich weißt?«

Er schüttelte den Kopf. »Manchmal sagst du etwas, von dem ich weiß, dass du es sagen wirst, aber du sagst es auf eine Weise, die ich nicht erwartet habe.«

Sie seufzte. »Nun, was ist mit dir? Erzähl mir etwas über dich, das ich noch nicht wusste, wie zum Beispiel, dass du Angst vor Schlangen hast.«

»Das habe ich nicht wirklich«, gestand er. »Ich habe das nur gesagt, um dich zum Lachen zu bringen.«

»Es hat funktioniert«, bekräftigte sie.

»Okay, über mich …« Lunis dachte einen Moment lang nach. »Nun, als ich geschlüpft bin …«

»Ich war dabei«, unterbrach Sophia.

»Richtig«, knurrte er. »Nun, mal sehen, mein Lieblingsgeschmack von Frozen Joghurt ist …«

»Keks und Sahne«, warf sie ein. »Du glaubst, du bist allergisch gegen Honig, aber du hast keine wissenschaftlichen Beweise, die das belegen.«

»Weil du mich nicht zu einem Arzt bringen willst!«, beschwerte sich der Drache.

Sophia schüttelte den Kopf und ignorierte seinen Ausbruch. »Du kannst lesen, aber nicht phonetisch, deshalb sprichst du Wörter so oft falsch aus. Du bist vom Sternzeichen Jungfrau, was bedeutet, dass du denkst, du weißt alles. Du sagst, deine Lieblingsserie ist Nailed It auf Netflix, aber eigentlich ist es Doctor Who auf BBC. Du wünschst, du wärst ein Promi, aber in Wirklichkeit bist du eher ein Nerd. Und Taylor Swift ist deine Seelenverwandte.«

Lunis hielt inne und warf ihr einen verlegenen Blick zu. »Erstens: Lesen ist schwer.«

»Du wurdest mit dieser Fähigkeit geboren«, betonte Sophia. »Versuche einmal, ohne das kollektive Drachenbewusstsein allein zu lernen, um Dinge zu können.«

»Klingt hart«, sagte Lunis abweisend. »Nein, danke. Ich mag Nailed It , aber wie kann ich kein Fan von David Tennant sein? Er ist so verträumt.«

»Du bist urkomisch«, lachte Sophia.

»Und ich entschuldige mich nicht für Tay-Tay«, erklärte Lunis. »Sie ist eine echte amerikanische Diva. Ich denke, wir sollten uns Karten für die nächste Show besorgen.«

»Warum nicht einfach einfliegen und auf dem Dach des Amphitheaters sitzen?«, schlug Sophia vor.

»Weil ich Zugang zu den Vergünstigungen haben will«, meinte Lunis. »Vielleicht bekommen wir eine Privatloge?«

»Vielleicht …« Sophia verstummte, während sie versuchte, an etwas zu denken, das Lunis nicht über sie wusste oder etwas, das sie nicht über ihn wusste und fragen könnte.

»Ich glaube nicht, dass es irgendetwas gibt, was wir nicht voneinander wissen«, bemerkte sie schließlich.

»Das wollte ich gerade erwähnen«, merkte er an. »Also eine Woche zusammen, nur wir beide? Das wird nicht langweilig werden.«

Sophia zuckte mit den Schultern. »Es ist, als wären wir mit uns selbst allein, weil du im Grunde genommen ich bist und ich bin du. Es wäre sinnvoll, etwas weniger Konversation und viel mehr Selbstreflexion zu betreiben.«

»Das ist dann der Zeitpunkt, an dem wir anfangen, unsere Nabel zu betrachten«, sagte er.

»Du hast keinen Nabel«, korrigierte sie.

»Ich weiß, aber du, also kann ich das stellvertretend durch dich erleben.«

»Ich hoffe, das klappt nicht in allen Situationen«, murmelte Sophia.

»Ich habe das Gefühl, ich weiß, wie es ist, eine Gebärmutter zu besitzen«, teilte er mit.

»Das ist ekelhaft«, schoss Sophia zurück.

»Hast du das Gefühl, dass du weißt, wie es ist, Feuer zu atmen?«, fragte er.

»Nein, ganz und gar nicht«, antwortete sie.

»Oh, nun, dann solltest du vielleicht an deiner Verbindung zu mir arbeiten«, schlug er vor. »Vielleicht spürst du das Chi des Drachen mehr, wenn du dich während dieses Walkabouts mit mir verbindest.«

»Zuerst müssen wir gemeinsam etwa acht Kilometer laufen.« Sie zeigte auf die Berge in der Ferne.

Lunis schüttelte den Kopf. »Darf ich darum bitten, diese Woche keine Wortspiele mehr zu machen?«

»Das darfst du, aber ich garantiere für nichts«, antwortete Sophia.

Nach einer langen Stille, in der er roten Dreck aufwirbelte und sonst nichts, schnaubte Lunis. »Soooooo …«

»Ja, sooooo«, antwortete Sophia.

»Fühlt es sich für dich auch irgendwie nach einem alten Ehepaar an?«, fragte er.

»Ja und wir haben nicht sehr lange gebraucht, um dorthin zu kommen«, stellte sie fest.

»Vermisst du die Jungs?«

»Vielleicht. Eigentlich, komischerweise, ja«, gab sie zu.

»Ich vermisse die anderen Drachen.«

»Nun, Evan vermisse ich noch nicht, also ist das ein gutes Zeichen.«

»Ich bin sicher, wir werden noch vieles herausfinden«, sagte Lunis. »Diese Woche soll uns verbinden.«

»Oder uns dazu bringen, uns gegenseitig zu hassen«, vermutete Sophia.

»Oder das. Obwohl, ich bin sicher, dass sieben Tage bei extremer Hitze und schrecklichen Lebensbedingungen mit null Chance auf Frozen Joghurt das nicht zustande bringen werden.«

Sophia sah ihren Drachen bedeutungsvoll an. »Bitte und diese Bitte kommt aus tiefstem Herzen. Bitte friss mich diese Woche nicht.«

Er nickte. »Ich werde es versuchen. Du versuchst, keine schlechten Wortspiele zu verwenden. Hoffentlich treffen wir uns dann in der Mitte.«