Kapitel 12

S ophias Lippen waren rissig, ihr Atem ging röchelnd. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell, während sie versuchte zu verarbeiten, was gerade passiert war.

Lunis warf einen Blick über seine Schulter, als die Spinnenüberreste mit der Erde verschmolzen und Qualm aus dem Kadaver aufstieg. Lässig drehte er sich wieder zu Sophia um, ein verschmitztes Grinsen im Gesicht.

»Wie lange hast du dort gewartet, bevor ich um Hilfe gebeten habe?«, fragte sie.

»So ziemlich von Anfang an, im Schatten lauernd«, antwortete er.

Sie stand auf und versuchte den Staub abzuklopfen – ohne Erfolg. »Hier gibt es keine Schatten, in denen man sich verstecken kann.«

Er nickte. »Na gut, es ist wahrscheinlich mitten am Tag«, bemerkte er. Die Sonne stand hoch am blauen Himmel, keine einzige Wolke in Sicht.

»Du hast nicht geglaubt, dass ich es schaffe?« Sophia hielt sich die Nase zu wegen des fauligen Geruchs in der Luft. Die toten Spinnenkörper begannen zu brutzeln, heißer Boden unter ihnen und sengende Strahlen der australischen Outback-Sonne darüber. »Du hast nicht geglaubt, dass ich die Spinnenfamilie ausschalten kann?« Sie konnte ihren Frust nicht verbergen.

»Natürlich habe ich das«, entgegnete er und sah sich um. »Du bist offensichtlich gut allein zurechtgekommen, wenn man sich die Überbleibsel so ansieht. Denkst du, man kann Spinnen essen? Denn wenn ja, dann haben wir Nahrung für Tage. Vielleicht machen wir Gelee aus ihnen. Was meinst du, wie Spinnenmarmelade auf Toast schmeckt?«

Sophia schnitt eine Grimasse. »Igitt, das klingt ja grausig. Ich weigere mich, Spinnen zu essen und außerdem haben wir gar keinen Toast.«

Lunis spürte, dass sie immer noch aufgeregt war und widmete ihr seine Aufmerksamkeit. Ich wusste, dass du allein klarkommst …

»Okay?«, fragte sie. »So, als würde ich zurechtkommen, bis du kommen musst, um mich zu retten?«

Sophia konnte es nicht lassen. Sie wusste, dass das unvernünftig war, aber es fühlte sich für sie richtig an. Vielleicht war es die Hitze oder der Hunger oder der Durst oder die Tatsache, dass ihr Bein pochte. Plötzlich erinnerte sie sich daran, gebissen worden zu sein und schaute nach unten. Ihre Hose war zerrissen, wo sich die Zähne der Spinne in ihr Fleisch gebohrt hatten. Grüner Schleim umgab die blutige Wunde an ihrem Bein. Das sah nicht gut aus. Vielleicht war es der Anblick ihrer Verletzung oder das Gift der Spinne, aber irgendetwas machte sie plötzlich schwindelig.

Sophia, ich wusste, dass du mit den Spinnen umgehen kannst , wollte Lunis sie beruhigen, seine Aufmerksamkeit galt ihrer Wunde. Aber wir müssen in der Lage sein, uns aufeinander zu verlassen. Dafür bin ich da – auch, um zu helfen .

Sophia machte einen Schritt und bereute ihn augenblicklich. Das fehlende Adrenalin machte den Schmerz in ihrem Bein heftiger. »Du brauchst mich nie, um dich zu retten, Lunis!«

Noch nicht , dachte er. Aber wir haben noch viele Jahre Zeit, das zu ändern. Wir sind Partner. Ich kann nicht Dinge tun, die du kannst und umgekehrt. Was soll’s, dass ich im letzten Moment eingesprungen bin und dich gerettet habe? Du hast es mit deinen genialen Bombenbau-Fähigkeiten und schnellem Denken mit einhundert Spinnen allein aufgenommen .

Sophia warf ihm einen genervten Blick zu. »Ich habe sie mit Eure-Mutter-Sprüchen beleidigt.«

Aber du hast eine ihrer Schwächen herausgefunden , meinte Lunis.

»Ja, ich denke schon«, seufzte Sophia und fühlte sich keineswegs besser.

Was möchtest du von mir hören? , fragte Lunis, sein Ausdruck war hart. Sie wusste, dass auch er erschöpft war, aber aus anderen Gründen. Sein Bauch war voll und sein Körper an die extreme Hitze gewöhnt. Da sie mit dem Drachen verbunden war, wusste sie, dass er aus Sorge um sie angestrengt war, dass er ihr beim Kampf gegen die Spinnen zusehen und sich zurückhalten musste, bis sie explizit um Hilfe bat. Das machte sie nur noch wütender.

»Ich will, dass du mir die Wahrheit sagst«, entgegnete sie. »Du hast nicht geglaubt, dass ich mit der Mutterspinne allein fertig werde.«

Lunis schüttelte den Kopf. Du weißt, was in meinem Kopf vorgeht. Muss ich wirklich etwas sagen?

Sophia studierte ihn und stellte fest, dass sein Geist für sie völlig offen war. Sie war schon oft auf Zehenspitzen durch seinen Geist geschlichen, ging aber meist nur so weit, die Gedanken zu lesen, die er ihr lieferte. Wenn sie ›Sehen‹ anwandten, sah sie, was er sah. Aber in diesem seltenen Fall hatte sie vollen Zugang zu seinem Verstand. Da war es, ganz oben auf der Liste.

Sophia biss sich auf die Lippe und schmeckte Blut. Ihre Haut war rissig und aufgeplatzt von der Hitze. »Du dachtest, ich würde deine Hilfe brauchen, um sie zu besiegen.«

Ich dachte, du könntest mit ihr umgehen , entgegnete Lunis. Aber um sie zu besiegen, ja. Ich dachte, nachdem du gegen ihre Kinder gekämpft hast, würdest du etwas Hilfe benötigen. Das sollte nicht heißen, dass du es nicht schaffst, aber du hättest dich vielleicht schwer verletzt.

Sie zeigte auf ihr verletztes Bein. »Wie nennst du das? Ich hänge im Outback fest, mit einem vergifteten Biss und einem Drachen, der mir nicht zutraut, dass ich allein kämpfen kann! Und es stinkt furchtbar hier!«

Das liegt daran, dass jemand überall Spinnengedärm auf sich hat , lachte Lunis mental.

Sein Versuch, sich lustig zu machen, funktionierte in diesem Moment nicht bei Sophia. Sie drehte sich um und stürmte auf das Wasser zu, weil sie etwas Abstand brauchte.

Soph! , rief Lunis ihr nach.

Sie drehte sich nicht um. In diesem Moment musste sie allein sein. Sie musste herausfinden, warum sie so wütend war. Sie musste ihr Bein in Ordnung bringen … ohne Magie.