Kapitel 44

W ie hat er es aufgenommen?«, fragte Sophia, als Liv aus dem Kreißsaal zurückkam.

Sie nickte. »Der König der Fae scheint erleichtert zu sein, dass er nur drei Babys bekommen hat.«

Rory, der Riese, schüttelte den Kopf. »Du konntest ihm diese Information nicht schon früher mitteilen?«

Liv lachte. »Ich habe nicht mitbekommen, dass du ihm irgendwelche Informationen gegeben hast.«

Rory, dessen zurückhaltende Art im krassen Gegensatz zu Livs exzentrischer stand, grunzte nur. Er war Livs Hiker. Sie selbst ärgerte den Wikinger, wie Liv es mit Rory tat. Es war, als würde es ihrem Leben einen Sinn geben, einen großen, erwachsenen Mann zu ärgern.

Maddy, Rorys Freundin, war zur Unterstützung bei der Geburt gerufen worden, da Riesen bei solchen Gelegenheiten als sehr pragmatisch galten. Es hatte damit zu tun, dass ihre Magie mit der Erde verbunden war. Das ließ Sophia, Liv und Rory reichlich Zeit, sich gegenseitig ausdruckslos anzustarren.

Das Timing der Geburt hätte für Sophia nicht besser sein können, um sich eine Auszeit zu nehmen. Sie hatte Hiker den Kompass von Alicia gegeben und das hatte die 48-Stunden-Frist in Gang gesetzt. Sie hoffte, dass der Kompass ihnen den Weg zu Thad Reinhart zeigen würde, wenn sie nach Gullington zurückkehrte.

Sophia konnte erkennen, dass Hiker gemischte Gefühle bei der ganzen Sache hatte. Es musste seltsam für ihn sein, kurz davorzustehen, sich einem großen Übel zu stellen, mit dem er so nah verbunden war. Aber er war der Einzige, der es konnte und die Zeit rückte schnell näher. Die weltweiten Ereignisse hatten sich in den letzten zwölf Stunden aufgeheizt, die Spannungen zwischen den Ländern nahmen zu. Ein Krieg war für viele unvermeidlich.

»Sie sind da!« Rudolf rannte aus dem Kreißsaal. Er umarmte Liv, dann Rory, der sich von der Geste abgestoßen fühlte und schließlich Sophia.

»Sie sind gesund und haben alle elf Zehen!«, erklärte Rudolf.

»Elf?«, fragte Liv nach.

Rory schüttelte den Kopf. »Alle Fae werden mit elf Zehen geboren, aber der schwächste von ihnen fällt später ab.«

Sophia schnitt eine Grimasse. »Das ist so eklig.«

»Die Babys sind aber gesund?«, fragte Liv und wirkte sentimental. »Das sind tolle Neuigkeiten, Rudolf.«

»Ja und wir können gleich ins Kinderzimmer gehen und sie halten«, erklärte er und beugte sich vor. »Ich muss euch warnen, sie sehen furchtbar aus.«

Livs Blick glitt zu Sophia und sie hatte einen skeptischen Gesichtsausdruck. »Sehen Fae-Kinder wie Monster aus, wenn sie geboren werden?«

Rory schüttelte den Kopf.

»Oh ja, das tun sie«, bestätigte Rudolf. »Ihre Gesichter sind ganz verkniffen und rot und sie sehen aus wie alte Männer. Als wären sie lange Zeit in ein winziges Abteil gepfercht gewesen.«

»Im Ernst«, meinte Sophia emotionslos.

»Die machen nicht viel«, erklärte Rudolf, führte sie zu einer Reihe von Türen und schaute über die Schulter. »Bermuda sagt, sie werden wahrscheinlich nur lange schlafen.«

»Was hast du erwartet?«, wagte Liv zu fragen.

Er zuckte mit den Schultern und öffnete die Tür. »Ich hatte für nächste Woche eine Schneeschuhwanderung geplant, ebenso ein bisschen Paddeln, aber anscheinend können sie ein ganzes Jahr lang nicht einmal laufen. Das bezweifle ich allerdings. Liegt es daran, dass sie es nicht können oder dass sie sich nicht genug anstrengen?«

»Vielleicht trotzen sie mit dem zusätzlichen Zeh allen Widrigkeiten«, merkte Sophia an.

In einem Zimmer neben der Entbindungsstation waren drei Stubenwagen aufgereiht. In jedem der Betten lag ein winziges Baby mit einer Mütze auf dem Kopf und eingewickelt. Alles, was man sehen konnte, waren verkniffene, rote Gesichter.

»Bitte erlaubt mir, euch meine Mädchen vorzustellen«, verkündete Rudolf stolz.

»Sie sind alle Mädchen?« Liv klang dabei aufgeregt.

Rudolf nickte. »Ja, obwohl sie ihre Meinung jederzeit ändern können. Aber für den Moment werden wir sie als Mädchen betrachten.«

Er hob das erste Baby auf, das ein rundes Gesicht und große Augen hatte. »Diese hier ist meine Erstgeborene und sie ist hungriger als die anderen, laut Bermuda. Sie ist vom Sternzeichen Steinbock und wir haben sie Captain Morgan genannt.« Er reichte das Bündel an Liv, die zunächst zögerte, aber nach einigen Anläufen legte sie doch ihre Hände um das Baby und drückte es an ihre Brust.

»Hallo, Morgan«, flüsterte sie und eine ungewohnte Zärtlichkeit machte sich in ihrem Gesicht breit. »Ich bin deine Patentante und ich verspreche dir, dir alles beizubringen, was deine Eltern nicht durch ihre Erfahrung aufgeschnappt haben. Ich werde dich am Leben erhalten, Kleines.«

Rudolf beobachtete diesen Austausch voller Zuneigung, bevor er sich dem mittleren Stubenwagen zuwandte. Er hob ein Bündel heraus, das länger war als die beiden anderen. Das Gesicht dieses Kindes war schmal, aber ebenfalls rot.

»Und nun darf ich euch mein zweites Kind vorstellen, das laut Bermuda auf dem falschen Weg herauskam, aber das war immer noch besser, als gar nicht herauszukommen. Sie ist Stier und heißt Captain Silver.«

»Wie kommt es, dass sie ein Stier ist, wenn doch alle am selben Tag im selben Monat geboren wurden?« Liv wippte mit ihrem Baby.

Rudolf schüttelte den Kopf, als er das Baby an Rory weiterreichte, der das Bündel ganz natürlich zu halten schien. »Es ist eine Entscheidung, die sie treffen. Unsere Sternzeichen wählen nicht uns, wir wählen sie.«

»Das ist natürlich falsch«, entgegnete Sophia und beobachtete, wie Rory nachdenklich auf das Baby herabblickte und es gurren ließ.

Rudolf wandte sich um und nahm das dritte Baby aus dem letzten Bett. »Und hier ist mein letztgeborenes Baby, von dem Bermuda behauptete, es wollte nicht herauskommen. Sie ist dickköpfig, clever und wahrscheinlich mein auserkorener Liebling. Darf ich vorstellen: Captain Kirk.« Er legte das Baby in Sophias Arme und dafür, dass sie noch nie zuvor ein Kind gehalten hatte, empfand sie die Erfahrung als ganz natürlich. Das Baby kuschelte sich an sie, seine Wärme war ein willkommenes Gefühl in einer Welt, von der Sophia so viel Kälte gewöhnt war.

»Ich glaube nicht, dass du schon Lieblinge haben solltest«, meinte Liv und blickte liebevoll auf das Baby in ihren Armen herab.

Rudolf winkte und tat ihre Bemerkung ab. »Natürlich sollte ich das. So hetze ich sie gegeneinander auf, damit sie härter arbeiten, um die Anerkennung ihres Vaters zu bekommen, die nie kommen wird.«

»Kluge Erziehungsweise«, erwiderte Rory. »Das wird bestimmt nicht schiefgehen.«

Rudolf war völlig aus dem Häuschen, hüpfte zwischen den dreien hin und her, umarmte seine Kinder, kommentierte ihre unterschiedlichen Eigenschaften oder stellte Vermutungen über ihre politische Zugehörigkeit an.

Er kam zu Sophia, schaute ihr über die Schulter und betrachtete liebevoll das Baby in ihren Armen, das fest schlief.

»Wenn es zu einem Weltkrieg kommt, Sophia, wirst du dann alles tun, um ihn zu verhindern?« Rudolfs Stimme klang plötzlich ernst. »Ich habe diese Mädchen auf die Welt gebracht. Sie sind höchstwahrscheinlich die ersten halb-fae und halb-sterblichen Kinder überhaupt. Ich möchte ihnen ein Erbe hinterlassen, das ihrer Größe würdig ist. Ich will, dass sie in einer Welt herrschen, die ihre Einzigartigkeit zu schätzen weiß. Ich möchte, dass sie auf einer Erde gedeihen, die sowohl schön als auch förderlich für ihr Wachstum ist. Wirst du mir helfen, diese Zukunft für die Captains zu sichern?«

So verrückt König Rudolf Sweetwater auch war, er war einer der besten Menschen, den Sophia kennenlernen durfte. Er mochte vieles falsch machen, aber er machte noch viel mehr richtig und die drei taufrischen Halblinge im Kinderzimmer waren ein Teil davon. König Rudolf war jemand, den zu kennen und zu beschützen sich lohnte und seine Mädchen waren Grund genug, dafür zu sorgen, dass die Erde nicht vom Krieg zerstört wurde.

»Ja, Ru«, antwortete Sophia nachdenklich und reichte Captain Kirk zurück an ihren Vater. »Ich werde die bösen Jungs bekämpfen, damit diese Mädchen eines Tages eine friedliche Erde haben.«