Kapitel 63

B evor Thad Reinhart sie bemerkte, duckte sich Sophia in den Schatten auf dem Dach, der von Bell geworfen wurde, die sich in einer Art Todeskampf zusammengekauert hatte. Sie würde alles tun, um dem Drachen den Schmerz zu nehmen, aber es gab dringendere Angelegenheiten, um die sie sich kümmern musste.

Sophia robbte über den Boden, bis sie direkt hinter Hiker hockte.

»Was war das?«, fragte Thad, seine Stimme kaum hörbar über dem Summen der Waffen, die einem fünfhundertjährigen Mann den vorzeitigen Tod bringen sollten.

»Nur eine Nervensäge«, antwortete Hiker, seine Augen huschten zur Seite, er blickte über seine Schulter und sah Sophia.

Thad hielt offenbar nicht viel von dieser Antwort. Er grunzte einfach, während seine Aufmerksamkeit den ladenden Waffen galt.

Sophia verschwendete keine Zeit mit der Aktivierung des Frequenzreglers. Der rote Zähler begann zu steigen. Sie hoffte, dass es noch nicht zu spät war und dass Embers Software nach dem ersten Versuch noch nicht herausgefunden hatte, wie sie den Fehler beheben sollte.

Der große Mann schwankte immer noch vor ihr. Sophia hatte Angst, dass Hiker über die Seite des Gebäudes stürzen würde, bevor sie ihm helfen konnte. Sie benutzte das Letzte, was ihr blieb – ihre Worte.

»Sir«, flüsterte sie so leise, dass nur er es hören konnte, da das Dröhnen der aufladenden Waffe zu laut für Thad war.

Hiker spannte sich an und lauschte.

»Du bist besser als er. Du bist stärker. Wir halten dir den Rücken frei.«

Sie schaute nach unten und entdeckte den roten Zähler auf seinem Höchststand. Das Gerät war bereit.

»Jetzt ist es an der Zeit, dass du deine Gelegenheit bekommst.« Sie blickte nach hinten und fand das Schwert von Hiker Wallace neben seinem verletzten Drachen liegen. Sie ergriff es, als das Brummen der Waffe aufhörte.

»Was?«, brüllte Thad, als sein Drache an Höhe verlor.

»Sir!«, schrie Sophia und stieß das Schwert in die Luft.

Hiker drehte sich und schnappte es in einer fließenden Bewegung, die ihr fast die Luft raubte. Er hatte immer noch seine Anmut, sogar trotz Verletzung. Seine Geschwindigkeit und Stärke folgten mit einem Funken von Ausdauer in seinen Augen. Hiker Wallace war noch längst nicht am Ende.

Der Frequenzregler hatte gewirkt. Furcht blitzte in Embers Augen auf. Sie griff schnell auf Thad Reinhart über – Panik ergriff sowohl den Drachen als auch den Reiter.

Die Lichter des Drachen wurden schwächer. Das Brummen verflüchtigte sich. Der Flügel erstarrte.

»Was hast du getan?« Thad suchte verzweifelt an seinem Drachen nach der Ursache für das Problem.

Der Cyborg-Drache verlor schnell an Höhe und begann sich zu drehen, ihre Flügel falteten sich und sie gelangten näher an den Rand des Gebäudes. Mit Thad auf ihrem Rücken, sein Gesicht voller Panik, fiel Ember in Richtung des Wolkenkratzers.

Ihr Metallfügel klappte ein, als sie mit dem Gesicht voran auf die harte Oberfläche stürzte. Ember hing zur Hälfte über den Rand des Gebäudes. Ihr Reiter war zur Seite gerückt und hing größtenteils herunter. Thads Aufmerksamkeit war auf Ember fixiert. Er versuchte herauszufinden, wie er sie davor bewahren konnte, über die Kante zu fallen und in den sicheren Tod zu stürzen, was dieses Mal mit Sicherheit der Fall wäre.

Hiker zögerte nicht. Dieses Mal, als sein Bruder auf ihn zustürzte, holte er mit seinem Schwert aus und stieß zu. Er setzte so entschlossen dem einen Mann ein Ende, der ihn von Anfang an terrorisiert hatte.

Sein Schrei, der durch die Nachtluft hallte, war voller Schmerz und Bedauern. Thads Gesicht verzerrte sich vor Schreck, als Hiker sein Schwert tiefer im Unterleib seines Bruders versenkte und ihn direkt auf die Oberfläche des Daches presste, sodass sein Kopf hart auf den Beton aufschlug. Die Hände des Mannes griffen nach Hiker, aber er war machtlos. Ungehindert konnte sein Zwilling das Schwert drehen und die Verletzung noch tödlicher machen.

Hiker hob seinen Stiefel und trat mit voller Absicht gegen die Seite des Drachen. Das Metall schabte über das Dach, aber der Drache war nicht mehr aufzuhalten, da er sich gefährlich über die Seite neigte. Nichts, was Ember tun konnte, würde verhindern, was als Nächstes geschah. Ohne Magitech war sie weitgehend gelähmt. Genau wie ihr Reiter war sie machtlos. Thad war auf dem Dach festgenagelt, während Ember von brachialer Kraft über den Rand gezogen wurde.

Der Körper des Drachen glitt über die Kante und stürzte ins Bodenlose. Thad, mehr tot als lebendig, griff sehnsüchtig nach seinem Drachen, aber sie war verloren. Bald wäre er es auch, denn er war mit einer einzigen Klinge an das Dach geheftet – überall verteilte sich Blut.

Hiker Wallace stand auf dem Dach, schwer atmend und das Gleichgewicht suchend, während er auf seinen Bruder herabblickte und ihm dabei zusah, wie er seinen letzten Atemzug tat. Hiker sah nicht wie ein Sieger aus, als sein Feind umkam, aber er war am Leben und die größte Schlacht seines Lebens war beendet.