Ein Schweinebär lässt es knattern
Mein Bruder hatte aber nicht nur mächtig Hunger, er hatte auch gehörigen Durst. Mama stellte ihm zuerst nur Fussels Schälchen hin, doch schon bald holte sie eine Salatschüssel aus dem Küchenschrank und füllte sie bis oben hin mit Leitungswasser.
Der Schweinebär tauchte seinen Rüssel hinein und trank die Schüssel leer. Dann rülpste er lautstark und machte wieder „Broink“. Diesmal hörte er sich zufrieden an. Sein Hunger und sein Durst waren wohl erst einmal gestillt.
Mama und Papa wechselten stumme Blicke, ehe Mama seufzte.
„Papa und ich müssen besprechen, was wir jetzt wegen Sascha tun.“ Sie warf einen besorgten Blick auf den Schweinebären und sah dann mich an. „Könnt ihr bitte solange ins Wohnzimmer gehen?“
„Na gut“, sagte ich und war schon halb zur Tür hinaus. Sascha jedoch machte keinerlei Anstalten, mitzukommen. Mama redete ihm gut zu, aber das half nichts. Wahrscheinlich verstand mein Bruder unsere Sprache nicht mehr.
Die Sprache der Tiere verstand er offenbar weit besser. Denn als Fussel miauend vom Esstisch sprang und in Richtung Wohnzimmer davontrippelte, setzte sich schließlich auch der Schweinebär in Bewegung.
„Bitte wirf ein Auge auf ihn, solange Mama und ich uns unterhalten“, sagte Papa und rang sich ein Lächeln ab. „Uns wird schon was einfallen, Jule.“
Ich war mir da nicht so sicher. Was soll einem auch groß einfallen, wenn ein bis dahin ziemlich normales Kind auf einmal einen Rüssel hat, Unmengen von Essen verschlingt und nur noch „Broink“ macht?
Aber ich hoffte natürlich, dass meinen Eltern etwas einfallen würde. Also nickte ich und folgte unserem Kater und unserem Schweinebären ins Wohnzimmer. Wie es aussah, hatten wir jetzt zwei Haustiere. Das kleinere der beiden zog sich gerade in sein Katzenklo zurück. Fussel scharrte ein wenig mit seinen Pfoten im Streu und verrichtete dann sein Geschäft.
Mit einem Schlag wurde mir klar, dass auch Sascha irgendwann mal müssen würde. Und egal ob es sich dabei um ein großes oder ein kleines Geschäft handelte – aufs Klo, so wie bisher, konnte er als Schweinebär sicher nicht mehr gehen.
Ich lief zurück zur Küche, um meinen Eltern von diesem neuen Problem zu erzählen. Gerade als ich die Tür öffnen wollte, hörte ich ein Schluchzen. Mama weinte. Papa tröstete sie und ich ließ die Türklinke wieder los. Es war wohl nicht der richtige Augenblick, um meine Eltern zu stören.
Also ging ich ins Wohnzimmer zurück, wo der Schweinebär seinen Rüssel gerade tief in einem Blumentopf vergrub. Er wühlte in der Blumenerde und interessierte sich nicht die Bohne dafür, dass die schwarze Erde auf unserem hellbraunen Parkettboden landete.
„Sascha, lass das!“, sagte ich laut. „Mama und Papa mögen es nicht, wenn du so eine Schweinerei veranstaltest!“
Aber das brachte natürlich nichts. Der Schweinebär machte einfach weiter. Kurzentschlossen hob ich den Blumentopf so weit hoch, dass er für Sascha nicht mehr zu erreichen war. Mein Bruder grunz-brummte beleidigt.
Auf sein Broink, an das ich mich beinahe schon gewöhnt hatte, folgten weitere Geräusche, die ich noch nicht kannte. Zuerst wusste ich nicht recht, was sie bedeuteten. Aber der Ringelschwanz des Schweinebärs hob sich dabei, sein in der Schlafanzughose steckender Hintern zuckte verdächtig und kurz darauf roch es auch verdächtig. Und damit war klar: Der Schweinebär pupste.
„Oh oh“, murmelte ich. Bei Sascha setzte offenbar die Verdauung ein. Kein Wunder bei der Menge, die er verputzt hatte! Davon bekamen offenbar sogar Schweinebären Blähungen.
Doch Mama würde gar nicht erfreut sein, wenn Sascha gleich auf dem Wohnzimmerboden einen stinkenden Haufen hinterließ. Ich musste also dringend etwas unternehmen.
Zum Glück wusste ich auch schon was. Ich stellte den Blumentopf zurück, schnappte mir den Wohnungsschlüssel und schlüpfte in meine Schuhe. Dass ich nur ein T-Shirt und eine kurze Hose anhatte, war mir egal. Es musste schließlich schnell gehen – so wie es in unserem Wohnzimmer stank, würde Sascha jede Sekunde sein Geschäft verrichten! Aber unser Wohnzimmer war dafür sicher kein geeigneter Ort.
„Komm, wir gehen ein bisschen vor die Tür“, sagte ich und gab dem Schweinebären einen Klaps auf den Hintern. Augenblicklich löste sich ein weiterer, knatternder Pups.
„Okay, keine Klapse auf den Hintern mehr“, sagte ich zu mir selbst. Das Letzte, was ich wollte, war Saschas Verdauung noch weiter zu beschleunigen.
Ich öffnete die Wohnungstüre und hoffte, dass Sascha sein Geschäft auch lieber draußen statt drinnen verrichten wollte. Aber Sascha steuerte nicht auf den Hausflur, sondern auf mein Kinderzimmer zu.
„Oh nein!“, rief ich und rannte ihm schnell hinterher, „du machst nicht Stinker in mein Zimmer! Nicht in
mein
Zimmer!“
In letzter Sekunde überholte ich ihn und knallte ihm die Tür vor dem Rüssel zu. Dasselbe machte ich mit der Tür von Saschas eigenem Zimmer, das genau gegenüber von meinem lag.
Der Schweinebär im Schlafanzug brumm-grunzte. Dann trottete er wieder auf allen Vieren in Richtung Wohnzimmer. Ich wartete, bis er neben der offenen Wohnungstüre war und verpasste ihm einen Schubser, in den ich meine ganze Viertklässlerinnen-Kraft legte.
Es reichte, mit Müh und Not. Der Schweinebär machte einen kleinen Hüpfer, dann zuckelte er aus unserer Wohnung und mitten auf den Flur unseres großen Mehrfamilienhauses.
Ich schloss die Tür und atmete aus. Jetzt mussten mein pupsender Bruder und ich es nur noch ins Erdgeschoss und nach draußen schaffen.
Aber was hieß schon nur?