Ein Schweinebär im Schrank
Ich beschloss, meinen Wachposten vorübergehend zu verlassen, schließlich war ich neugierig, was bei meinen Eltern und Hausmeister Hartenstein passierte. Ob es Mama und Papa wohl gelang, ihn schnell wieder loszuwerden?
Als ich ins Wohnzimmer kam, rümpfte Herr Hartenstein gerade die Nase. „Was stinkt denn hier so?“, wollte er wissen.
„Das… Äh…“, stotterte Mama und sah Papa hilfesuchend an.
„Das ist jetzt etwas peinlich, Herr Hartenstein“, sagte Papa entschuldigend. „Aber meine Frau hat Verdauungsprobleme.“
„Ich hab was?“, stieß Mama empört aus.
„Verdauungsprobleme“, wiederholte Papa und zwinkerte ihr heimlich zu. 
Mama begriff jetzt, worauf er hinauswollte. „Ja, also, das stimmt, was mein Mann sagt“, wandte sie sich an Herr Hartenstein. „Ich habe zur Zeit wirklich ernsthafte Verdauungsprobleme. Nach jedem Essen muss ich… Wie sagt man... Einen Wind entweichen lassen?“ Sie schaute Herr Hartenstein in die Augen. „Deshalb riecht es hier etwas streng.“
„Schon gut“, winkte der Hausmeister ab. „Schon gut. Ich dachte zunächst, der Geruch käme von den Ausscheidungen eines Tiers. Aber lassen wir das.“ Mit meiner Mama über Pupse zu sprechen, war ihm sichtlich unangenehm.
Sein Blick fiel auf die schwarze Blumenerde auf unserem Parkettboden. „Und was ist das für eine Schweinerei?“
„Das war Fussel. Unser Stubenkater“, sagte Papa schnell. „Er war heute etwas… wild.“ Er lächelte den Hausmeister entschuldigend an. „Aber das soll nicht Ihr Problem sein, Herr Hartenstein. Hauskatzen sind laut unserer Hausordnung doch ausdrücklich erlaubt, nicht wahr?“
„Sind sie“, brummte Herr Hartenstein. „Und jetzt möchte ich die anderen Zimmer sehen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, betrat er unser Badezimmer.
Meine Eltern und ich eilten hinterher. Doch wir waren nicht schnell genug. Herr Hartenstein hatte schon bemerkt, dass unsere Dusche voller Katzenstreu war.
„Und was bitte ist das?“, wollte er wissen.
„Ein… Katzenklo“, sagte Papa zögerlich.
„In der Dusche?“, entgegnete der Hausmeister fassungslos.
„Ähm, ja… Wissen Sie, Fussel hat zur Zeit auch Verdauungsprobleme“, log Papa. „Sein normales Katzenklo reicht im Moment leider nicht. Deshalb die Dusche.“
Herr Hartenstein steckte den Kopf ins Wohnzimmer. „Sieht aber nicht so aus, als ob den Kater etwas plagt“, sagte er und zeigte auf Fussel, der entspannt auf der Couch schlummerte.
„Das täuscht“, sagte Mama. „Wir haben beide etwas Falsches gegessen, fürchte ich.“
„Sie teilen Ihr Essen mit Ihrer Katze?“ Herr Hartenstein schaute immer fassungsloser drein.
„Nein, so habe ich das nicht gemeint“, beeilte Mama sich zu sagen. „Natürlich essen wir nicht das gleiche wie unsere Haustiere. Äh, unser Haustier, meine ich natürlich.“ Auf Mamas Stirn bildeten sich Schweißtropfen. „Wir haben ja schließlich nur ein Haustier.“
Herr Hartensteins Blick nach zu urteilen, wurde er von Sekunde zu Sekunde misstrauischer. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Meine Eltern waren dabei, sich um Kopf und Kragen zu reden.
„Ich schaue mir jetzt die anderen Zimmer an“, sagte der Hausmeister und steuerte auf die Küche zu.
Ich nutzte die Gelegenheit, um hinter seinem Rücken in Saschas Zimmer zu huschen.
Aus dem Schrank kamen nun keine schmatzenden Geräusche mehr. Also hatte Sascha den Kohlrabi und die Gurke mittlerweile wohl vertilgt. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass er sich auch ohne Essbares solange ruhig verhielt, bis Herr Hartenstein wieder weg war.
Der Hausmeister steckte seine Nase gerade in mein Zimmer. Dort sah es zwar ziemlich unordentlich aus, verdächtige Schweinebär-Spuren aber gab es zum Glück nicht.
Aus Saschas Kleiderschrank drang ein lautes Rumpeln. Die Türen wölbten sich ein Stück nach außen und das Plastiklaserschwert, das ich zwischen die Griffe gesteckt hatte, fiel auf den Boden. Schnell stürzte ich zum Schrank und warf mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen.
Sascha hatte offenbar genug von der Enge und Dunkelheit darin. Er wollte raus. Und das ausgerechnet jetzt, wo der Hausmeister in sein Zimmer kam!
Ich presste so fest ich konnte meinen Rücken gegen die Schranktüren. Doch wie lange konnte das gutgehen? Und wie musste das wohl für Hausmeister Hartenstein aussehen?
Es sah wohl sehr verdächtig aus.

Jule steht vor dem Schrank und presst ihren Rücken dagegen. Der Hausmeister sieht sie misstrauisch an.

„Was zum Geier tust du da?“, knurrte er.
„Nichts, ich… Ich mache nur Gymnastik“, schwindelte ich.
„Komische Körperhaltung, um Gymnastik zu machen.“ Herr Hartenstein musterte mich misstrauisch.
„Das ist gut für die Muskeln“, sagte ich. „Wirklich.“
„Dann lass mich doch mal an den Schrank, damit ich deine Gymnastikübung selbst ausprobieren kann“, entgegnete der Hausmeister siegessicher.
„Das, äh, geht leider nicht.“ Ich rang mir ein Lächeln ab, während der Schweinebär hinter mir mit Macht gegen die Schranktüren drückte. „Diese Art der Gymnastik ist nur für Leute gut, die noch wachsen. Für Kinder, wissen Sie.“
Doch das wusste Herr Hartenstein leider nicht. Oder vielmehr: Er glaubte es nicht. Stattdessen machte er einen großen Schritt auf mich zu.
Und als hätte ich nicht schon genug in der Klemme gesteckt, drang nun auch noch ein nicht zu überhörendes Geräusch aus dem Schrank: Ein lautes „Broink“.