21

Evelyn blieb vor der Tür stehen und atmete noch einmal tief durch, bevor sie den Raum betrat.

Zuvor war sie in Dr. Gersmanns Büro gewesen und hatte ihm ihren Entschluss mitgeteilt, es noch einmal mit Kleinbauer zu versuchen, aber das Gespräch sofort abzubrechen, wenn er in irgendeiner Form persönlich wurde. Gersmann hatte ihr bestätigt, dass er das ebenfalls für den richtigen Weg hielt. Das Gespräch zwischen Tillmann und Kleinbauer erwähnte weder sie noch der Leiter der Klinik.

Kleinbauer sah ihr lächelnd entgegen, etwas, das sie bei ihm zum ersten Mal erlebte, seit er in der Forensischen Psychiatrie untergebracht war.

»Guten Morgen«, begrüßte sie ihn, woraufhin er, noch immer lächelnd, nickte. »Guten Morgen. Es tut mir leid.«

»Was genau tut Ihnen leid?«, entgegnete Evelyn und setzte sich ihm gegenüber.

»Ich habe mich Ihnen gegenüber schlecht benommen. Ich weiß, dass Sie mir nur helfen wollen.«

Wie es schien, hatte Tillmanns Besuch bei Kleinbauer tatsächlich Wirkung gezeigt. Natürlich wäre es ihr lieber gewesen, wenn sie die Situation ohne seine Hilfe in den Griff bekommen hätte, aber angesichts der Umstände war sie froh, dass Kleinbauer sich überhaupt kooperativ zeigte.

»Das ist eine gute Voraussetzung für unsere nächsten Termine. Sie wissen, dass ich das Gespräch sofort abbrechen würde, wenn Sie sich weiter so benähmen wie bisher.«

»Ja.«

»Dann lassen Sie uns jetzt über die Nacht im Bordell reden.«

»Gut.«

»Hatten Sie vor, eine Frau zu töten, als sie das Bordell betreten haben?«

»Nein. Ich wollte nur eine Freundin.«

»Aber Ihnen ist schon klar, dass man dort nur Sex und keine Freundin kaufen kann.«

»Sie sollte es spielen.«

»Sie sollte Ihre Freundin spielen?«

»Ja.«

»Und hat sie das getan?«

»Nicht richtig.«

»Ist das der Grund, warum Sie sie umgebracht haben?«

»Nein.«

»Was hat sie getan, dass sie es Ihrer Meinung nach verdient hatte zu sterben?«

Kleinbauer wand sich auf dem Stuhl. Das Thema war ihm sichtlich unangenehm.

»Sie hat gestöhnt.«

»Gestöhnt?«

»Ja. Nicht richtig. Künstlich.«

»Können Sie mir das erklären?«

Kleinbauer sah sie an. Dann verzog sich plötzlich sein Gesicht zu einer Fratze. »Ja, Baby, mach’s mir«, äffte er mit übertrieben hoher, schriller Stimme nach und rollte dabei mit den Augen. »Du bist so gut. Du hast so einen großen Schwanz. Oh, du bist so ein toller Liebhaber. Oh, ja, oh, geil.« Im Bruchteil einer Sekunde wurde seine Miene wieder wie zuvor. »So sagt das keine Freundin. Ich habe gesagt, sie soll damit aufhören.«

»Verstehe. Aber sie hat nicht aufgehört.«

»Doch. Als ich ihr den Hals zugedrückt habe.«

»Und dann?«

»Dann war sie eine gute Freundin.«

Evelyn machte sich ein paar Notizen. Das waren genau die Art von Aussagen, die ihr halfen, Kleinbauers Verständnis der Dinge und sein Verhalten einzuschätzen.

Endlich kam sie weiter.

»Ich habe Ihnen die Frage schon einmal gestellt, tue es aber nun wieder: Als Sie … fertig waren und Ihnen klargeworden ist, dass Sie die Frau getötet haben – wie haben Sie sich da gefühlt?«

»Glücklich«, sagte Kleinbauer leise.

»Bitte?«

»Glücklich.«

»Sie waren glücklich, dass Sie sie erwürgt haben?«

»Nein.«

»Warum dann?«

»Weil sie jetzt meine Freundin ist. Für immer.«

Erneut machte Evelyn sich Notizen. Allem Anschein nach kam sie tatsächlich mit Riesenschritten voran. In den nächsten Sitzungen würde es ihre Aufgabe sein, herauszufinden, ob Kleinbauer das, was er gerade gesagt hatte, auch genauso empfand oder ob er wieder ein perfides Spiel mit ihr trieb. Zuzutrauen war es ihm.

»Hat es schon vor diesem Erlebnis eine Situation gegeben, in der Sie eine Frau gewürgt haben?«

»Nein.«

»Hätten Sie es schon einmal gern getan?«

Plötzlich veränderte sich Kleinbauers Gesicht. Es war, als lege sich ein diabolischer Schatten über seine Züge.

Evelyn bemerkte es sofort, und im selben Moment, in dem ihr klarwurde, dass das nichts Gutes zu bedeuten hatte, sagte Kleinbauer: »Glauben Sie, Fabian hätte Isabel gern mal gewürgt … Eve?«