Als ich das Gesicht sehe, spüre ich den Schreck, bevor ich ihn als Gedanken fasse, er brandet mir von innen an die Stirn und an den Brustkorb: Ich. Das bin ich. Das ist eine neue Lola.

Die Dienstfertigen haben das mittlere Tor geöffnet, und dahinter steht etwas. Jemand. Jemand Kleines.

Hinter uns raunen die Fremden, ich drehe mich um, ich denke immer noch, es geht um mich. Aber alle Blicke sind auf Friedrich gerichtet, und Friedrich schaut zu Boden und ist ganz grau, ich verstehe das nicht, und dann sehe ich wieder zu dem Kind, es hat zu weinen begonnen, und jetzt erkenne ich es auch: Das bin nicht ich, das ist Friedrich.

Tränen laufen dem Kind übers Gesicht, es steht immer noch hinter der goldenen Pforte, das Gesicht wird rot, die Nase läuft, das Weinen wird lauter, dann leiser, dann wieder lauter.

Die Fremden raunen, manche glucksen leise, vielleicht vor Glück.

Else bewegt sich als Erste. Sie macht alles richtig, lächelt, aber nicht mit Zähnen, denn Zähne können als Aggression gelesen werden, Menschen sind Säugetiere. Sie tritt beinah bis an die Schwelle der Pforte, geht in die Knie, auf Augenhöhe, streckt die Arme aus, berührt das Kind aber nicht. Sie verharrt so, bis wir anderen ebenfalls vorgetreten sind, wir stellen uns links und rechts neben Else, auch wir gehen in die Knie und strecken unsere Arme nach dem Kind aus. Dann beginnt Else zu singen, ihre Stimme ist sanft und hell und aus Messing:

Willkommen, Kind.

Willkommen.

Wir erkennen dich.

Nach und nach stimmen wir ein, erst Alexander, brummend und unsicher, dann Wilhelm, laut und diesmal im Takt, und dann, endlich, höre ich auch Friedrichs Bass, der stabil wie immer klingt. Ich wage einen Blick, er nickt mir zu. Ich atme auf und singe mit.

Du bist gegenwärtig.

Du bist ewig.

Du bist wir.

Wir sind du.

Wir erkennen dich.

Lass dich ansehen.

Lass dich umarmen.

Lass uns tanzen.

Die Übersetzer übersetzen für die Fremden, und dann spielt auch schon das Orchester. Das Kind macht einen unsicheren Schritt durch die Pforte.

Nun ist es in den Mauern, für immer, einer von uns.

Else fasst es, hebt es in die Höhe, wir alle stehen auf, das Kind hat aufgehört zu weinen, vielleicht vor Schreck, Else strahlt, die Fremden jubeln, sie reicht das Kind an Alexander weiter, er scheint nicht so richtig zu wissen, wie er es halten soll, er küsst es kurz auf die Stirn und stellt es dann schnell auf die Füße. Sofort fängt es wieder zu weinen an. Es steht da, in der Orchestermusik, im Jubel der Fremden, es sieht uns an, der Reihe nach, dann wieder von vorn, dann blickt es ins Leere, es weint und weint, lautlos jetzt in dieser Musik, und hebt die Arme.

Die Fremden raunen.

»Ich bin Lola«, sage ich, »du bist Friedrich.«