Natürlich kann ich dann nicht einschlafen ohne Friedrich, und ich weiß nicht einmal genau, ob ich damit den jungen oder den alten meine, alles verschwimmt in meiner Müdigkeit.
Ich könnte für immer hierbleiben, im ungesicherten Gebiet. Ich könnte meine Spuren verwischen. Ich könnte jagen und sammeln. Die Alten haben nach ihrem großen Krieg im großen Garten Kartoffeln angebaut. Das könnte ich auch. Die anderen würden mich nicht finden. Vielleicht würde ich sie manchmal von ferne beobachten, um zu sehen, ob sie noch da sind. Dann würden sie es irgendwo rascheln hören, aber bevor sie hinsähen, wäre ich schon wieder weg. Eine neue Lola würde kommen, der könnten sie dann Geschichten über mich erzählen, oder sie könnten über mich schweigen.
Der Zwieback und die Rosinen reichen für vier Tage, höchstens. In der Wohnung, in der ich meine Matte ausgerollt habe, gibt es drei Zimmer. Im mittleren steht ein Klavier. Meine Finger hinterlassen Spuren im Staub, darunter schwarzer Lack. Ich öffne den Deckel. Natürlich ist es verstimmt. Manche Tasten erzeugen gar keinen Ton mehr, da müssen Saiten gerissen sein. Ich spiele trotzdem ein bisschen darauf herum. Elfenbein. Elefantenbein. Auf der Innenseite des Deckels sind noch Worte zu entziffern: MEDAILLEN. SCHÖNLEBER. Vom Hocker liegt nur noch ein Rest auf den Dielen. In den Regalen haben vermutlich einmal Bücher gestanden. Papier hält sich nicht im ungesicherten Gebiet. Papier ist aus Holz gemacht. Die Regale sind aus Holz gemacht. Die Regale stehen noch. Sie stehen auf den Dielen. Die Dielen sind aus Holz gemacht. So vieles verstehe ich nicht. Vielleicht ist das alles nicht original. Ich kann nicht nachdenken, ich bin zu müde, ich muss schlafen, ich muss endlich schlafen. Ich muss nachdenken. Denken. Denken. Ich müsste das alles aufschreiben, denke ich, morgen habe ich es vergessen. Was habe ich morgen vergessen?
Ich habe kein Papier, denke ich. Papier, denke ich.
Ich stehe noch mal auf und suche in meinem Rucksack nach dem Notfalletui. Darin bewahre ich die acht Papierstücke auf. Ich streiche meine Matte glatt, entferne den Schmutz, wische meine Hände sauber und reihe die Papierstücke vor mir auf. Vorsichtig. Das mache ich manchmal, wenn ich nicht weiterweiß. Als gäbe es darin eine Antwort, die darauf wartet, gefunden zu werden. Ich schiebe die Stücke hin und her. Ich habe schon alle Kombinationen durchprobiert, wieder und wieder.
NICHT VERGESSEN!
bin da
01 – nicht übertragbar – berec
SP E EL
CH DU HÄLT
s st alles gut
wir sic m gen eigen
isein ritter
Wird sich morgen zeigen, denke ich. Beisein Dritter, denke ich. Ritter, denke ich.
Ich bin zu müde zum Denken. Ich packe die Zettel ein.
Vielleicht bin ich jetzt endlich müde genug zum Schlafen.
Ich wache vom Licht auf und von den Krähen, die vor dem Haus umherhüpfen. Ich strecke mich, stehe auf und gehe zum Fenster, viel ist nicht zu erkennen, die Krähen picken an etwas herum. Wahrscheinlich eine tote Ratte.
Ich könnte das auch. Ich könnte Ratten essen. Ich könnte mir eine Steinschleuder bauen und Krähen schießen. Ich könnte sie rupfen und braten.
Vielleicht ist das alles in mich eingeschrieben. Vielleicht ist es mir bestimmt, mich davonzumachen, in den Garten oder über die Mauer, vielleicht setze ich meine Schritte automatisch, denke meine Gedanken automatisch.
Niemand kannte die Lola vor meiner Vorgängerin. Wer kann also sicher sein, dass sie nicht auch schon abgehauen ist und die Lola vor ihr und die davor und immer so weiter. Sie waren wie ich und ich bin wie sie.
Was dagegenspricht: Es gibt Gemälde der älteren Lola. Mit fünfzig Sommern und mit siebzig. Das könnte ein Beweis sein, dass ich mich irre. Nein, es ist kein Beweis. Vielleicht geht einfach nur eine Lola früher und eine später. Oder die Gemälde sind ausgedacht. Vielleicht bin ich ausgedacht, und das Abhauen ist meine Aufgabe.
Wenn das so ist, Lola, ändert das etwas? Wenn das so ist, triffst du nicht trotzdem eine Entscheidung? Dafür oder dagegen?
Ich greife in meine linke Tasche und hole den letzten Stein heraus. Ich schiebe ihn in die rechte Tasche. Sonntag. Ich muss zurück.