Das Boot steht aufgebockt im Tageslicht vor dem Hangar.
Friedrich hat mich hierher ins Freie geführt, gleich nach dem Aufstehen, hat nichts gesagt, hat mich sehen und tasten lassen, damit ich es begreife: Es ist fertig. Alles ist da. Es gibt nichts mehr zu tun. Stolz sieht Friedrich aus und verschämt.
»Wieso hast du mir das nicht gesagt?«
»Du warst ja nicht da.«
Ich nicke. Er muss Tag und Nacht durchgearbeitet haben. Wir umrunden die Konstruktion, er zeigt mir alles. Luke. Generator. Brenner. Steuer. Stabilisator. Kompass. Sextant. Ich nicke.
Seit ich denken kann, hat Friedrich an diesem Boot gearbeitet, an so vielen Booten hat er gearbeitet. Seit ich sprechen kann, habe ich darüber geschwiegen. Und jetzt ist es fertig.
Der Tag aller Tage, denke ich. Freut euch.
Friedrichs Blick zittert und klebt sich am Boot fest.
»Hast du keine Angst, dass das jemand sieht?«, frage ich.
»Ich glaube nicht, dass es hier im Süden Wachen oder Scharfschützen gibt, schon gar nicht im Winter, und die anderen sind mit dem Kind beschäftigt, die kommen nicht her. Solange du ihnen nichts erzählst, passiert nichts, vor allem –«
»Ja«, sage ich, »ich weiß. Vor allem Wilhelm.«
»Komm, Lola, du wolltest doch üben.« Er sieht mich nicht an.
Segel setzen. Segel einholen. Alles klar zur Wende. Wir üben den ganzen Tag.
Er sieht mich nicht an.
Ree. Am Wind. Halbwindkurs. Raumwindkurs. Er sieht mich nicht an.
Friedrich spricht, ich höre. Meine Hände erinnern sich, ohne dass ich nachdenken muss, sie fassen die Seile, das Steuer, sie lenken, knoten, tasten, kontrollieren. Ich kann das alles, ich muss mich nur an das neue Gefährt gewöhnen. Stunde um Stunde verstehe ich es besser. Ich verstehe die Höhe und Breite der Kapsel. Meine Bewegungen passen sich an. Pinne gerade halten. Alles klar zum Beidrehen. Ree. Reffen. Alles klar.
Friedrich sitzt unbewegt auf seinem Platz und spricht mit seiner ruhigen Stimme. Geduldig. Langsam. Unermüdlich. Er selbst rührt keine Hand. Er bringt mir bei, das Ding allein zu steuern, denke ich. Damit ich ihn dafür liebe, denke ich. Damit ich ihm vertraue. Es ist durchschaubar, aber es funktioniert.
Als wir aus der Kapsel klettern, steigt er voran, die letzten Zentimeter hebt er mich, er stellt mich auf den Schnee, dann endlich ein Blick. Friedrichs Augen. Friedrichs Lächeln.
Das Lächeln trifft mich. Es ist das Lächeln, das ich kenne: Friedrich, der mich zum ersten Mal allein auf ein Pferd setzt. Friedrich, wie er von einem Buch aufsieht und meinen Blick bemerkt. Friedrich, wenn ich mich im Weggehen zu ihm umdrehe. Friedrich, der aufwacht und mich sieht.
Zum Schluss laden wir die Vorräte ein. Zwieback, Käse, Rosinen, Wasser. Es ist zu wenig Wasser, aber der Entsalzer funktioniert. Wir laden Werkzeuge ein, Verbandsmaterial, Kartoffeln, Rüben und Saatgut. Wir können es schaffen. Er kann es schaffen. Er. Wir. Er. Ich weiß es nicht.
Wir reden nicht oft darüber, was nach der Flucht kommt. Wir haben alles an Bord, um die erste Zeit zu überleben, um einen kleinen Acker anzulegen, um Bäume zu fällen und eine Hütte zu bauen. Stellt er sich das so vor? Wir beide in einer Hütte? Unentdeckt und zu zweit? Friedrich würde aller Voraussicht nach vor mir sterben. Dann wäre ich allein. Natürlich könnten wir einander auch verlassen. Es gäbe keine Mauern mehr, wir könnten in verschiedene Richtungen davongehen.
Er könnte sich mir in den Weg stellen. Er könnte meinen Arm fassen, meine Schulter, noch ist er stärker als ich, aber irgendwann wird sich das ändern.
»Morgen testen wir den Ballon.«
Ich nicke.
Arm in Arm gehen wir zurück zum Hangar.
Ich habe Hunger. »Heute keine Rüben«, verkündet Friedrich. Er kramt in seinen Vorräten und zaubert eine Dose mit eingelegten Aprikosen hervor. Ein seltener Schatz, so etwas gibt es höchstens einmal alle drei Jahre, er muss sie aufgehoben haben für einen besonderen Moment. Dazu hat er Opferwein, Knäckebrot, Büffelkäse und zum Schluss ein Gläschen Selbstgebrannten. Es könnte ein Fest sein.
»Du und ich«, sagt er.
»Ja«, sage ich.
Als ich mich in seine Arme lege, ist es wie immer, wie früher. Es ist mein Friedrich, der mir gefehlt hat.
Am nächsten Tag hieven wir unser Boot über den Schnee in die Mitte der Freiheit. Wir haben Seile am Gestell befestigt. Ich ziehe, Friedrich schiebt. Die Seile rutschen mir immer wieder aus den Handschuhen, wenn ich die Handschuhe ausziehe, schneiden mir die Seile in die Haut. Ich habe sie selbst geknüpft mit diesen Händen, denke ich, Stunden, Tage, Wochen, Jahre.
Auch Friedrich hat Schweißperlen auf der Stirn. Aber er lächelt. »Komm, Lola, gleich geschafft!« Sein Atem eine Wolke. Vom Rand sehen uns die Büffel zu, interessiert, vielleicht belustigt.
Friedrich glaubt nicht, dass wir entdeckt werden könnten. Die Fremden orten nur unser Signal, das brauchen sie, um uns die Pakete zu schicken, aber was genau wir hier machen, können sie nicht sehen, sagt er. Ist er sich da sicher? Wir haben weiße Weihtücher dabei, um das Schiff nach dem Test abzudecken, das reicht, sagt Friedrich. Solange ich Wilhelm nichts erzähle, passiert uns nichts, sagt Friedrich.
In der Kapsel nimmt Friedrich meine Hand, dann zündet er den Brenner. Eine Flamme, ein Fauchen. Langsam richtet sich der Ballon auf. Der Brenner faucht weiter. Aus einem Gebüsch flattert ein Schwarm kleiner Vögel auf. Sie schimpfen mit uns. Spatzen. Die Nähte des Ballons halten. Er hebt sich, schwebt. Die bunten Stoffbahnen, die Form, die Größe, das alles sieht aus wie ausgedacht. Ein Traum. Die Vögel verstummen, lassen sich in den Sträuchern nieder, vielleicht staunen sie. Die Büffel heben die Köpfe und rufen, dunkle Laute. Wir heben ab. Ich schließe die Augen.
Friedrich drückt meine Hand. »Alles klar?«
Alles klar. Alles dicht. Nach zwei Metern brechen wir ab. Wir dürfen das Gas nicht verschwenden, den Rest brauchen wir für den echten Start. Vorsichtig den Brenner schließen, langsam absinken, gut, vorsichtig, wir landen auf dem Gestell, der Kiel bleibt heil.
Zurück auf dem Boden schwanke ich. Friedrich setzt sich sogar.
»Alles klar?« Jetzt bin ich es, die fragt. Friedrich rührt sich nicht. Sein Blick zittert.
Ich setze mich zu ihm in den Schnee. Ich nehme sein Gesicht in meine Hände. Friedrichs Zittern fließt aus seinem Blick heraus, in seinen Kopf, seine Schultern, seinen Bauch, fließt bis in mich hinein, sein Kopf sinkt in meinen Schoß und bleibt da liegen.
Wie bei dem Kind, denke ich. Ich streichle Friedrichs Kopf, sein Haar, wie kann es das gleiche Haar sein, das Haar des Kindes ist viel weicher. Friedrichs Oberkörper zuckt, ein Schluchzen: »Lola.«
»Ja.«
»Lola. Ich will nicht entschwinden.«
»Du wirst nicht entschwinden. Du wirst abhauen. Wir. Wir werden abhauen.«
Friedrich schweigt.
»Komm, Friedrich«, sage ich, »komm! Es gibt nur diese Möglichkeit.«
Er setzt sich auf, ganz plötzlich, und sieht mich an. Sein Blick erschreckt mich. Es ist nur ein Moment, ein Blitzen, dann ist es wieder weg.
»Ja«, sagt Friedrich, und dann steht er auf. »Los, der Stoff darf nicht nass werden.«
Und schon raffen wir gemeinsam den Ballon zusammen, falten den Stoff und verschließen ihn trocken in der Kapsel. Wir arbeiten geordnet und zügig. Auf Friedrichs Gesicht liegt keine Gefahr mehr. Es war nur ein Moment, Erschöpfung vielleicht. Wir sprechen nicht darüber.
Zum Schluss decken wir alles mit den Weihtüchern zu und beschweren die Ränder mit Schnee. Friedrich tritt ein paar Meter zurück, er umrundet unser Werk und nickt. Von Nahem sind unsere Spuren zu sehen, Fußabdrücke, Schleifspuren, Löcher vom Schaufeln. Aber von Weitem wird es aussehen wie eine Schneewehe.
Ich stelle mich neben ihn und nehme seine Hand. Er zieht mich zu sich, legt seinen Arm um mich, mein Kopf an seinem Hals, auf seinem Hals der vernarbte Mond.
»Wann?«, frage ich.
»Nächste Woche, sobald der Wind günstig ist.«
Den Sonntag will Friedrich unbedingt noch in den Mauern verbringen.
»Dann sind wir noch einmal alle zusammen. Und ich habe dem Kleinen doch ein Schneehaus versprochen«, sagt er.
»Fünf Tage«, sage ich.
»Fünf Tage.«
»Ich werde da sein.«
»Versprichst du es?«
»Ja. Am Sonntag werde ich in Charlottenburg sein, und dann komme ich mit dir zurück, und wir warten auf den Wind.«
»Und versprichst du –«
»Ich werde nichts verraten. Auch Wilhelm nicht.« Friedrich nickt und lässt mich gehen.