Die liberale Synagoge, in die ich in meiner Kindheit in Short Hills, New Jersey, gegangen war, war eher Chanel-Handtaschen-Judentum als Torah-Judentum. Am jüdischsten fühlte ich mich, wenn meine Großeltern, auch liberal, aber total fixiert auf jüdisches Essen, mit mir nach New York fuhren und eine Tour zu den alten kulinarischen Lieblingsorten unseres Stammes mit mir machten. Meine Großeltern galten offiziell als adipös. Sie entwickelten aufgrund ihres Gewichts beide Diabetes, aber Essen blieb für sie etwas, das man zelebrierte. In den koscheren Dairy-Restaurants gab es köstliche warme gebutterte Zwiebelbrötchen und Sahnehering, im Second Avenue Deli Weißkohl-Borschtsch und warme Pastrami-Sandwiches. Es gab schwarz-weiße Cookies von William Greenberg Desserts, kleine und große Gläser eingemachte Gurken – sauer, halb sauer und süß – von Guss in der Essex Street.
Wenn ich aus New York wiederkam, wollte meine Mutter immer einen lückenlosen Bericht über alles, was ich gegessen hatte. »Willst du moppelig sein, oder willst du, dass die Jungs dich mögen?«, fragte sie dann.
Meine Großeltern waren nur eine kurze Erholungspause vom Universum. Um meine Mutter drehte sich das Universum eigentlich. Meine Mutter die Sonne, meine Mutter die Regeln, meine Mutter Gott selbst! Meine Mutter die Hohepriesterin des Essens und die Religion unseres Haushaltes: Enthaltsamkeit, Enthaltsamkeit, Enthaltsamkeit! Meine Mutter mit ihren archaischen Vorstellungen vom Diäthalten: Melonen und Hüttenkäse, Thunfisch und Karottenstifte, Toast Melba. Meine Mutter die Richterin, die in die Umkleidekabine im Kinderklamottengeschäft stürmte, ich sechs Jahre alt, sie flüsternd: »Schau dir Amy Dickstein in diesem Kleid an. Und jetzt schau dich an.« Es war ein Flüstern, das sich mir einbrannte, ein Flüstern, das blieb.
Ich war weich und pummelig wie ein Mehlkloß und klein noch dazu. Sie fürchtete, dass meine Größe zu noch mehr Gewichtszunahme führen würde, hatte Angst, dass ich später so werden würde wie ihre Eltern, für deren Fettleibigkeit sie sich immer geschämt hatte, oder wie ihre fette Cousine Wendy, die unglücklich war. Ich überlegte: Wenn ich in der Zeit zurückreisen und mich selbst aus dieser Umkleidekabine retten könnte, würde ich es tun? Wahrscheinlich nicht. Ich fand das weiche kleine Mädchen auch ekelhaft.
Je mehr meine Mutter meine Nahrungsaufnahme einschränkte, desto mehr stopfte ich heimlich in mich hinein. Sie verstand nicht, warum ich in die Breite ging, wusste nicht, dass ich in Gemischtwarenläden Süßigkeiten klaute, in der Garderobe die Pausenbrote der anderen Kinder aß. Sie beäugte mich bei einer Geburtstagsfeier quer durch den Raum, als ich einen Bissen Kuchen kaute. Sie drohte, meine Lehrer zu fragen, was ich aß, wenn ich noch mehr zunähme. Einmal im Monat wurde ich im YMCA auf eine Waage gestellt. In der Öffentlichkeit schrie sie mich nie an, aber im Auto weinte ich auf dem Rücksitz.
Mit sechzehn begann ich, meine Nahrungszufuhr selbst einzuschränken. Ich entwickelte ein Arsenal an Tricks: Coca-Cola light, Zigaretten, künstlich gesüßtes Alles, hinausgezögerte Mahlzeiten, gedämpftes Gemüse, nie mit anderen essen. Meine Großeltern und ich machten unseren Ausflug nach New York, aber die Restaurants, die einst meine Tempel waren, wurden zur Bedrohung. Ich wehrte Käse-Plinsen, Knishes und Schneckennudeln ab, ersetzte Kirschhamantaschen durch Dr. Browns Diätlimo. Ich schlürfte um Matzeknödel herum, setzte Grenzen bei Bagels, fand Sicherheit in eingelegten Gurken – so kalorienarm, baruch haschem.
Jahrelang konnte ich nicht dünn genug sein. Dann, urplötzlich, war ich zu dünn. Wo ich zwanzig Pfund hätte abnehmen sollen, nahm ich fünfundvierzig ab. Da wollte ich für immer bleiben. Ich sparte mein Essen noch weiter ein: Spinat, Brokkoli, gedämpftes Hühnchen. Ich nannte es meine spartanische Lebensweise. Ich fühlte mich berauscht von meinem Opfer.
Aber mir war die ganze Zeit eiskalt. Ich wohnte in der Badewanne. An meinem Körper wuchs ein flaumiger Pelz. Meine Periode hörte auf. Nachts träumte ich von wilden Buffets. Meine Hüftknochen scheuerten am Bett. In der Schule wurde geflüstert. Meine Mutter sagte nichts.
Eines Nachts zitterte ich so sehr, dass ich Angst bekam, ich würde sterben.
»Ich muss dir etwas sagen«, gestand ich meiner Mutter. »Ich glaube, ich habe eine Essstörung, vielleicht Magersucht.«
»Magersüchtige sind viel dünner als du«, erwiderte sie. »Die sehen aus wie Opfer aus Konzentrationslagern. Sie müssen ins Krankenhaus. Du bist nicht magersüchtig.«
»Ich habe seit Monaten keine Periode mehr gehabt.«
Das beunruhigte sie. Meine Fruchtbarkeit war wichtig; sie wollte schließlich eines Tages Enkel. Sie schickte mich zu einer Ernährungsberaterin, die mir half, meine tägliche Kalorienzufuhr zu erhöhen. Wir machten es langsam, methodisch, mit Tabellen und Listen, die jedes Essen auf seine Portionsgröße und den Kaloriengehalt reduzierten.
Mir war nicht mehr eiskalt, sondern nur noch kalt. Das Zittern hörte auf. Der Pelz verschwand. Ich konnte auf dem Bauch schlafen. Das Geflüster hörte auf. Ich blutete wieder. Aber ich blieb besessen von Kalorien. Die pausenlosen Berechnungen in meinem Kopf gingen nie wieder weg.