»Wo ist Adiv?«, fragte ich, als Miriam mich mit einem strahlenden Lächeln am Tresen begrüßte.
»Packt seine Sachen«, sagte sie.
»Oh?«
»Er geht zurück nach Israel. Grundausbildung. Er will zum Militär.«
»Oh.«
Das Militär?! Die Lage war besorgniserregender, als ich sie mir vorgestellt hatte. Vielleicht sollte es nicht überraschen. Adiv wirkte schon wie der Typ, der Befehle befolgt. Zumindest an der Yogurtmaschine setzte er Anweisungen gut um, das konnte man von Miriam nicht sagen.
»Hör zu«, sagte ich, bevor sie zur Maschine ging. »Ich will den Yogurt nur bis zum Becherrand, nicht höher.«
Ich sagte es nachdrücklich und ernst.
»Okay«, sagte sie achselzuckend.
Sie füllte den Becher ein paar Zentimeter über den Rand – wahrscheinlich aus Boshaftigkeit.
»Was möchtest du drauf?«, fragte sie.
Wir spielten also immer noch.
»Ich will nichts drauf«, sagte ich.
»Mochtest du die Streusel letztes Mal nicht?«
Oh, ich mochte sie sehr.
»Sie waren okay«, sagte ich. »Aber ich mag es pur lieber.«
»Dann versuch diesmal vielleicht ein anderes Topping«, sagte sie.
»Nein, ist schon gut.«
»Was hältst du davon? Ich mach dir was Besonderes, und wenn du es nicht magst, gebe ich dir einfach einen Becher puren Yogurt bis zum Rand, genau wie du es möchtest.«
Das war Nötigung, Einschüchterung durch Butterscotch. Ich hätte ihr am liebsten gesagt, sie solle verschwinden, dass sie etwas Sicheres und Köstliches in meiner Welt zerstörte. Aber ein anderer Teil von mir – derselbe wilde Teil, der die Streusel aufgeleckt hatte, der Dämon meines alten, unstillbaren Hungers – fühlte sich durch ihre Begeisterung befreit.
Ich öffnete den Mund und sagte: »Okay.«
Und als ich »Okay« sagte, sagte Miriam auch »Okay«.
Sie lächelte mich strahlend an, ihr Gesicht leuchtete auf wie eine Kerze. Ich spürte, wie sich meine Beklemmung auflöste. Verschwunden waren die Angst, dass sie darauf aus war, mich zu vernichten, das Misstrauen, dass sie mich von mir selbst trennen wollte, damit ich mich selbst hasste, damit ich nach draußen in die Unendlichkeit trudelte, ein Nichts, ein Blob, so dick, dass man mich nur in Fragmenten betrachten konnte, so sperrig, dass man mich niemals halten konnte, einfach eine überwältigende Leere, einfach zerstört, einfach tot. Ich sah ihr Lächeln, und ich dachte: Liebe.
Sie ging schweigend zum Tresen mit den Toppings hinüber. In ihrem langen blauen Kleid, demselben Kleid, das sie auch getragen hatte, als ich sie das erste Mal gesehen hatte. Mit meinem Blick zeichnete ich die vielen, vielen Kurven ihres Körpers nach, von oben bis hin zum Boden. Ich überlegte, was sie tun würde. Ich hatte Angst. Wie oft hatte ich in Gedanken schon Eisbecher zusammengestellt, aber ich hatte nie daran gedacht, dass die Fantasien je umgesetzt werden könnten. Ich hatte nicht einmal gewollt, dass sie umgesetzt wurden. Ich dachte, es sei ungefährlich zu fantasieren, weil meine innere Mauer so stark war. Meine Mauer war dick, ich hatte sie unter Kontrolle. Aber jetzt hob sie mit ihrer blassen Hand den Metalldeckel von der heißen Schokosoße, diese Hexe an ihrem Kessel, und es war auch nicht der kalorienreduzierte Kessel, sondern der mit normaler heißer Schokosoße. Sie nahm die Kelle in die Hand.
Ich sah ihr zu, wie sie drei große Kleckse Schokosoße auf den Yogurt löffelte, wie der Yogurt unter der warmen Soße ein Tableau bildete und sie an den Seiten herunterlief, unbändig vulkanisch. Nach jeder Kelle dachte ich, sie würde aufhören, aber sie hörte nicht auf, sie lud noch eine vierte, dann eine fünfte Kelle Schokosoße auf, und der Yogurt wurde zum Vesuv. Sie hielt kurz inne, dann bestäubte sie das Ganze mit einer Schicht gehackter Erdnüsse. Ich war überwältigt. Niemals in all meinen Topping-Tagträumen hätte ich an eine Erdnuss gedacht. Sie vollendete es mit Schlagsahne – nur einem Klecks – und darauf dann noch einen Spritzer Erdbeersirup.
Miriam hatte mir einen Eisbecher gemacht. Es war der perfekte Eisbecher, wie man ihn vielleicht an einer Eisbar in den 1940ern oder in einer alten Haushaltszeitschrift finden konnte. Er war eine Reminiszenz, Essen aus einer anderen Ära auf Zeitreise zum Yo!Good-Tresen. Er hatte etwas Unschuldiges, etwas Kindliches. Er war eine Leckerei, die ein Kind von einem liebevollen älteren Menschen bekommen würde, der es ganz einfach für seine Existenz belohnen wollte.
Als sie mir den Becher reichte, berührten sich unsere Hände. Ihre Finger waren unglaublich weich.
»Danke«, sagte ich.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte vergessen, wie man Nein sagte, aber ich hatte auch vergessen, wie man aß. Ich spürte, wie meine Hand kribbelte; der Yogurt war schwer. Ich war nicht in der Lage, den Becher näher zu mir hin oder weiter von mir weg zu bewegen. Als ihre Hand meine berührte, hatte sie mich irgendwie gelähmt. Vielleicht hatte sie einen Zauber gewirkt, der durch Berührung übertragen wurde.
Löffel, dachte ich. Löffel. Nehmen.
Ich sah mich einen rosafarbenen Löffel aus dem Spender auf dem Tresen nehmen. Steif hob ich ihn an, dann tauchte ich ihn in den Eisbecher. Ich durchstieß die Schlagsahne und die Schokosoße bis zu dem Yogurt darunter. Ich wollte alles gleichzeitig schmecken: Yogurt, Schoko, Erdbeersoße, Schlagsahne und Erdnüsse. Ich hob den Bissen an den Mund. Mein Mund wusste, was zu tun war. Er öffnete sich. Ich schaufelte den Bissen hinein.
Der Geschmack war orchestral, so viele verschiedene Geschmäcker in einem. Zuerst verbanden sich die Nüsse mit den Erdbeeren à la Erdnussbutter mit Marmelade. Dann tollte die Schokosoße mit den Nüssen herum und schuf die Essenz eines Schokoriegels. Die Schlagsahne und die Erdbeeren waren ein Himmel für sich: ein Erdbeerkuchen der Lust. Ich schmeckte sie alle zugleich, aber auch getrennt. Sie koexistierten in Harmonie, während jede Zutat ihre eigene Identität behielt.
»Gut?«, fragte sie.
»M-hm«, sagte ich.
Ich nahm noch einen Bissen, kostete ihn, dann schluckte ich.
»Es ist fantastisch«, sagte ich. »Du machst wirklich gute Eisbecher.«
»Danke«, sagte sie. »Wenn man hier arbeitet, weiß man irgendwann, was richtig gut zusammen schmeckt. Wenn du nächstes Mal kommst, mache ich dir meine persönliche Spezialität. Ich nenne sie den Peppermint-Plotz.«
»Ja, das klingt wirklich toll«, sagte ich.
Dann deutete sie auf ihren Mund, sagte: »Du hast da Schokolade an der Lippe«, und kicherte.
Ich staunte über ihre blassrosa Lippen, sie sahen aus wie die pastellfarbenen Perlen aus weißer Schokolade, die es als Topping gab. Als ich mir die Schokolade von der Lippe wischte und »Danke« sagte, wurde mir bewusst, dass ich mich nicht dafür schämte. Ich war nicht vom Genuss durch ein Portal in die Scham zurückgeschleudert worden. Ich fühlte mich wie ein unschuldiges kleines Mädchen, das nichts falsch gemacht hatte. Ich war einfach nur niedlich in meiner Wonne und Kleckerei.
Als ich mich verabschiedete und ging, wusste ich schon, was jetzt passieren würde. Ich konnte unmöglich berechnen, wie viele Kalorien in diesem Eisbecher steckten. Ich konnte es hochrechnen, aber der Erdbeersirup, die Schokosoße und die Erdnüsse machten es schwierig, wenn nicht unmöglich, die Mengen abzuschätzen. Ich hatte eine Grenze überschritten, und sei es nur für heute, und eine Rückkehr hatte jetzt keinen Sinn mehr.
Ich würde mir nur diesen einen Tag geben, um alles zu essen, was ich wollte: alles, was ich mir selbst jahrelang versagt hatte. Diesen Tag hatte schon der Eisbecher für sich beansprucht, und der einzige logische nächste Schritt war, ihn unter noch mehr Essen zu begraben. Es war, als würde ich mir den Kopf abhacken, weil ich Kopfschmerzen hatte. Aber ich war meinen Kopf so leid.