Meine erste Anlaufstelle war Immaculate Confection, eine Bäckerei, an der ich auf dem Arbeitsweg immer vorbeikam. Ich ging hinein und kaufte ein großes Stück Schokomoussetorte mit einem Überzug aus dunklem Schokofondant, ein Stück Karottenkuchen mit Frischkäseglasur, einen M&M-Cookie, einen gelben Cupcake mit Schokoglasur, einen Chocolate Chip Cookie, der so groß war wie mein Gesicht, und ein einzelnes Cannolo. Das alles kostete vierunddreißig Dollar zwanzig, aber ich war so stolz, dass ich ein dünner Mensch war, der so viel Kuchen bestellte – ein beschissenes Wunder der Natur, das aß und aß, und nichts davon zeigte sich am Körper –, dass ich fröhlich bezahlte.
Ich brachte die Gebäckschachteln zu meinem Auto, tief in den Eingeweiden des Parkhauses. Dann setzte ich mich auf den Fahrersitz und drehte die Heizung voll auf. Ich öffnete alle Schachteln und streckte meine Finger wie eine Pianistin. Ich schob zwei Finger in die Karottenkuchenglasur und leckte sie ab. Ich begann zu mischen und zu kombinieren, zu tunken und zu schaufeln: den M&M-Cookie in die Schokoglasur, den Chocolate Chip Cookie in die Cannolo-Creme.
»Hrrrrrrrrrrrm!«, machte ich, als ich mir das Gebäck in den Mund stopfte. Ich fühlte mich frei und ursprünglich.
Ich hob den Cupcake hoch und steckte mein Gesicht hinein, als wäre er ein Kissen. Dann überkam mich eine Welle der Übelkeit. Ich wünschte, ich könnte nur für diesen einen Tag unendlich viel Platz in meinem Magen haben. Ich wollte die Erinnerung an diesen Tag nehmen und sie in eine Schneekugel voller Zuckerguss stecken. Dann konnte ich, wenn ich in mein Kalorienzählerleben zurückkehrte, immer an diese Orgie denken und in ihrer Herrlichkeit schwelgen.
Ich beschloss, dass ich gegen das ganze Zuckerzeug etwas Herzhaftes brauchte. Ich legte die halb aufgegessenen Cookies und Kuchen in die Schachteln, dann schob ich sie alle unter den Beifahrersitz.
»Wir sehen uns bald wieder«, sagte ich zu dem Gebäck und leckte mir ein letztes Mal die Finger ab.
Ich blieb bei Dr. Burrito stehen. Ich hatte Leute da drin Burritos essen sehen, so lässig und zwanglos, und ich fragte mich, wie sie das machten – einfach in aller Ruhe etwas so Dickmachendes zu essen. Die Burritos sahen immer köstlich aus, wie fest in Decken gewickelte warme Babys. Ich wollte einen Burrito nehmen und an meine Wange halten oder ihn mir über die Schulter legen und ihn beruhigen.
Ich bestellte den Verde Chicken Burrito: Hähnchenstücke, weichgeschmort in saftiger grüner Soße, Guacamole, Sour Cream, Käse, spanischer Reis und schwarze Bohnen. Ich war physisch noch nicht bereit, mein Baby zu verzehren, also beschloss ich, es einfach zu tragen.
»Ganz ruhig, mein süßes Bündel aus Bohnen und Käse. Du wirst geliebt.«
Zwei Häuserblocks vom Büro entfernt rief mich eine Käsepizza in einem Schaufenster zu sich.
Rachel, lockte die Pizza. Wir sind füreinander bestimmt.
Ich ging hinein und aß ein riesiges Stück in einer Sitzecke vorn im Laden. Ich wollte, dass die anderen Kunden sahen, was ich tat. Ich war eine Pizza essende Frau, die irgendwie schlank blieb. Ich war eine staunenswerte Kreatur, ein Wunder. Die Soße war süß und der Rand knusprig. Aber das Schlucken wurde allmählich schwierig. Ich fühlte mich wie eine Mülldeponie. Alles, was ich gegessen hatte – der Frozen Yogurt, die Kuchen und die Pizza –, häufte sich auf und kippelte kurz unterhalb meiner Kehle.
Ich dachte ans alte Rom, wie sie angeblich absichtlich gekotzt hatten, um Platz für noch mehr Schlemmereien zu schaffen. Ich hatte oft versucht, mich zu erbrechen, vor allem, als ich jung war und Fressattacken hatte, aber ich hatte es nie geschafft. Ich rammte mir die Finger in den Hals, und es kamen Tränen, Spucke, Rotz, ein rotes Gesicht, das Gefühl, dass mein Kopf abfallen und in der Toilette versinken würde. Ich hatte ein paar Huster ins Toilettenwasser geschafft, vielleicht einen feuchten Rülpser, aber mein Magen weigerte sich, etwas herauszurücken. Sobald ein Happen Essen den Weg meine Speiseröhre hinunterfand, nahm mein Körper ihn gefangen und weigerte sich, ihn wieder herauszugeben.
Mit Abführmitteln hatte ich mehr Erfolg gehabt. Ich nahm sie direkt vor dem Schlafengehen, die mit Schokogeschmack, und ein Hauch Kakao schmolz auf meiner Zunge, wenn ich in den Schlaf glitt. Am Morgen schlug dann mein Arsch Alarm. Ich rannte noch im Halbschlaf ins Bad und wachte auf der Toilette feurige Sturzbäche scheißend vollends auf. Den Rest des Tages war ich dann außer Betrieb und hüpfte von Toilette zu Toilette wie eine manische Kröte. Abführmittel waren eine größere zeitliche Verpflichtung, ein zweiter Job, und das Ergebnis war nie die Mühe wert. Ich nahm zweihundert Gramm Wasser ab, nur um es am folgenden Tag wieder zuzunehmen. Am Ende ließ ich das Abführspiel bleiben – und kam nur sehr vereinzelt mit harntreibenden Pillen oder einem einsamen heimlichen Zäpfchen darauf zurück.
Mir war übel. Ich warf meinen Pappteller weg und nahm meinen Burrito in die Hand. Aber statt in die Arbeit zurückzukehren, fand ich mich plötzlich in einem Süßigkeitengeschäft namens Yummies wieder.
Ich war ein einziges Mal dort gewesen und hatte mir genau hundertachtzig Kalorien an Süßigkeiten genehmigt. Jetzt stürzte ich mich darauf, ohne zu zählen: Jelly Beans, Hershey’s Kisses, Candy Corn, her mit dem süßen Leben! Ich war ausgelassen bei den Cadbury-Eiern, ungezügelt bei den Haribo-Kirschen.
An einem Behälter mit kleinen rot-weißen Scheibchen hielt ich inne, sie waren pudrig und so groß wie ein Nickel. Die Scheibchen waren in einem Film über einen Jungen mit einer tödlichen Krankheit vorgekommen. Ich hatte vergessen, welche Krankheit er hatte, aber ich erinnerte mich deutlich daran, wie seine Mutter die Scheibchen ins Krankenhaus schmuggelte, damit er vielleicht etwas aß.
»Ich hab dir deine Lieblingsbonbohns mitgebracht«, sagte sie, und sie sprach es so aus: Bonbohns. Konnte man etwas noch melancholischer aussprechen?
Als Kind hatte ich eine große Bandbreite an nicht tödlichen Krankheiten bei meinen Kinderfreunden gesehen und auch das leckere Essen, das ihre Mütter ihnen machten, damit sie wieder gesund wurden. Ich hatte für eine Mandelentzündung gebetet (Eiscreme), für einen Magenvirus (Ginger Ale), Windpocken (Hafermehlbad), die Grippe (Hühnernudelsuppe), geschwollene Drüsen (Lollys), Zahnschmerzen (Eis am Stiel), eine normale Erkältung (noch mehr Hühnernudelsuppe), Halsentzündung (Honig). Aber ich war mit einer makellosen Gesundheit geschlagen.
Ich machte Würgegeräusche im Bad, hustete angeblichen Schleim heraus, prustete Luft in ein Taschentuch, umklammerte meinen Hals.
»Kch-kch! Kch-kch!«, krächzte ich. »Honig. Ich brauche Honig.«
»Dir geht’s gut«, sagte meine Mutter. »Honig macht dick.«
Es war, als hätte ich mein ganzes Leben lang versucht, Honig zu bekommen, und dann, ihn zu meiden. Ich fragte mich, was ich mit diesem ganzen Leben angestellt hätte, wäre es nicht so eingeschränkt gewesen. Die Freiheit wirkte riesig, monströs.
Ich brachte meine Süßigkeitentüte und den Burrito ins Büro und legte sie in meine Schreibtischschublade. Dann ging ich bei Ana vorbei, um sie zu fragen, ob jemand bemerkt hatte, dass ich weg war.
»Ich glaube nicht«, sagte sie. »Ofer hat heute Nachmittag ein Panel, irgendwas mit ›das Skript queerer machen‹.«
»Ofer ist queer?«
»Nein, er spricht aus der Unterstützer-Perspektive.«
»Oh.«
»Nicht dass irgendwer ihn als Unterstützer haben wollte.«
Ich lachte und spürte dabei das Gewicht meines Magens voller Essen. Es war seltsam, so verändert zu sein und doch zu wissen, dass ich für sie nicht anders aussah. Ich versicherte mich, dass sie am Telefon war, bevor ich in die Küche ging, um meinen Burrito in die Mikrowelle zu stecken. Ich wollte nicht, dass sie sah, wie ich die Mikrowelle benutzte wie der Büropöbel, der da drin alles vollstank.
Als der Burrito heiß war, stellte ich ihn mit ein paar von den Salsas auf meinen Schreibtisch. Die Kakteen, die mich vor NPR-Andrews Blicken abschirmten, standen immer noch Wache, aber es war egal. Ich war so träge und selbstgenügsam mit meinem Burrito, schon voll vom Rest des Gelages, dass ich einfach kleine Stücke nehmen und sie in die Salsa stippen konnte wie ein normaler Mensch. Ich wollte, dass er mich in all meiner Ungezwungenheit sah. Ja, ich performte ein Ein-Personen-Stück über eine Frau, die einen Burrito essen konnte oder eben auch nicht, die keine große Sache daraus machte, die einfach cool einen Burrito auf dem Schreibtisch liegen hatte, weder besessen war noch Angst hatte, eine normale, nicht essgestörte Frau, eine Frau, für die Essen nur ein Aspekt eines facettenreichen Lebens war, der Burrito einfach eine Requisite, etwas Kleines, in dem sie herumstocherte, nicht so wichtig, eine Nebensächlichkeit sogar.
Der Tag ging so viel schneller vorbei, wenn ich die Wahl zwischen dem Burrito und Süßigkeiten hatte. Ich stellte mir vor, wie viel angenehmer mein Leben bei der Arbeit wäre, wenn ich das jeden Tag hätte. Das Leben war viel weniger trostlos, wenn man in den Lauf eines Burritos schaute. Lebten manche so die ganze Zeit?
Zu Hause aß ich die ganze Nacht weiter: Sprühkäse, Fertigspaghetti aus der Dose, eine halbe Tüte Tortilla Chips – alles bei 7-Eleven gekauft – plus den Rest des Süßkrams und Kuchens und eine große Portion Pad Thai. Ich aß und aß, bis die Uhr Mitternacht schlug, dann warf ich das ganze noch übrige Essen weg. Ich brachte die Mülltüte hinaus und warf alles in die Tonne an der Straße.
Dann ging ich ins Bett. Ich fühlte mich fett, wie ein Wal, aber völlig fertig: satt, ruhig, als wäre ich sehr gut gevögelt worden. Das Einzige, was noch zu tun blieb, war, einen Nikotinkaugummi einzuwerfen. Ich lächelte, parkte den Kaugummi zwischen meinen Backenzähnen und meiner Wange und glitt sanft in den Schlaf.