Man sagt, das Bessere sei des Guten Feind, dass man das Gute übersieht, wenn man nach Perfektion strebt. Ich sah das anders. Ich mochte das Gute nicht. Das Gute war nur mittelmäßig. Ich wollte über das Mittelmaß hinaus. Ich wollte außergewöhnlich sein. Ich wollte keine Größe M sein. Ich wollte perfekt sein. Und mit perfekt meinte ich weniger.
Aber mein Proteinriegel-Regime umzusetzen war nicht mehr so leicht wie früher. Ich hatte das Gefühl, als durchlebte ich die Stadien der Trauer. Am Morgen war es der Schmerz wegen der Leere. Es war, als hätte ich das Innere meines Magens zu einem riesigen Stadion ausgedehnt und wollte um jeden Preis die Sitze füllen. Als Nächstes kam die Entschlossenheit, ich fühlte mich wie ein Champion, schleppte mich vorwärts zu meinem Mittags-Proteinriegel, angetrieben von Selbsthass. Am Nachmittag kam wieder der Hunger, dann die Erschöpfung. Die Stunden zwischen den Proteinriegeln fühlten sich endlos an. Im Fitnessstudio dachte ich, ich würde gleich zusammenbrechen. Nachts lag ich wach und stellte mir Gemüse vor, Tomatensaft, saure Gurken, Salz – alles, was nicht die klebrig süße Molke der Riegel war.
Nach zwei Tagen kehrte ich zu Subway zurück und ließ mich von dem Salat mit seinem Gemüse liebkosen. Langsam ging ich in der Sonne ins Büro zurück und beschloss, dass es ein paar Wahrheiten gab. Ich entschied: Liebe ist, wenn du Essen im Mund hast, von dem du weißt, dass es dich nicht fett machen wird. Lust ist, wenn du Essen im Mund hast, das dich fett machen wird. Angst ist der Tag, nachdem du Essen im Mund hattest, das dich fett machen wird. Angst ist, wenn du deine für einen bestimmten Zeitraum zugewiesenen Kalorien isst und feststellst, dass du immer noch Hunger hast. Angst ist, wenn du dir nicht mehr zutraust, dich an deinen verordneten Ernährungsplan zu halten.
Als ich mich dem Eingang zum Büro näherte, erstarrte ich. An einer Parkuhr davor stand das Auto meiner Mutter. Ich erkannte es sofort: ein weißer Volvo mit Nummernschild aus New Jersey. Sie war den ganzen Weg quer durchs Land gefahren, um mich zu suchen.
»O nein«, stöhnte ich.
Aber es war nicht das Auto meiner Mutter. Es gehörte einem Kerl, der aussah wie Jay Leno. Er saß vapend auf dem Fahrersitz. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, meine Mutter hätte sich irgendwie in einen dampfenden Jay Leno verwandelt, oder dass dieser Kerl ihr Auto geklaut hatte. Ich schaute mir die Beifahrertür an. Der Volvo meiner Mutter hatte eine Delle in der Beifahrertür, aber dieser hier war dellenfrei. Trotzdem überkam mich der Drang, ans Fenster des Kerls zu klopfen, mit ihm zu reden, als gäbe es, weil sie dasselbe Auto hatten, irgendeine Verbindung zwischen ihnen. Als gäbe es eine Verbindung zwischen uns.
Ich dachte daran, wie ich meiner Mutter früher manchmal beim Schlafen zugesehen hatte, wie unschuldig sie mit ihren unters Kissen gesteckten Händen aussah. In diesen Momenten sah ich sie als kleines Mädchen, und ich spürte, dass nichts ihre Schuld war – sondern einfach eine Kette von Ängsten und Gefühlen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. In diesen Momenten dachte ich: Du kannst ihr zeigen, wie sie dich besser lieben kann, indem du liebevoll zu ihr bist. Doch es war einfacher, liebevoll zu sein, wenn sie schlief.
Ich machte einen Schritt aufs Büro zu, dann sah ich noch einmal zu Jay Leno hinüber. Er telefonierte, schrie jemanden an. Er atmete frustriert aus, hüllte sich in eine riesige Wolke Vape-Rauch: ein Los-Angeles-Phantom. Ich griff nach der Türklinke zum Büro. Dann drehte ich mich um und ging stattdessen in Richtung Yo!Good.