Kapitel 26

Als wir vom Golden Dragon zum Kino gingen, brach Miriam ihren Glückskeks auf. Draußen war es jetzt dunkel, aber der Gehweg wurde von den Straßenlaternen beleuchtet.

»›Du weißt mit allen Situationen umzugehen‹«, las sie laut vor.

»Stimmt das?«, fragte ich.

»Davon kannst du ausgehen«, sagte sie und biss in ihren Keks, dass ihr die Krümel auf die Brüste rieselten. »Der Cookie lügt nicht.«

»Keiner, der dich in Aktion gesehen hat, wenn im Yo!Good viel los ist, würde das je bestreiten.«

»Ach, ich hatte schon viel heftigere Jobs als Yo!Good«, sagte sie.

»Ja?«

»Betreuerin im Feriencamp. Fünf Sommer lang.«

»Über Nacht?«

»Tagescamp. Camp Shimshon in Beverly Grove. Die jüngste Gruppe. Basteln und Basketball. Ich bin super in der Abwehr.«

Ihr Kleid war zerknittert, wo sich ihr Bauch gefaltet hatte, als wir im Restaurant saßen. Im Gehen schwebten ein paar von den Glückskekskrümeln von ihren Brüsten und landeten in den Falten. Ich versuchte, sie mir beim Basketball vorzustellen.

»Fallschirmspiele und Schwimmen«, fuhr sie fort. »Zweimal musste ich diese kleinen Scheißer vorm Ertrinken retten.«

»Wow!«

»Ja. Mach deinen Keks auf«, sagte sie.

Ich gehorchte, knackte den Keks und las mein Schicksal laut vor.

»›Straßenarbeiten voraus. Rechnen Sie mit Verzögerungen‹«, las ich. »Na, super, ich bekomme natürlich den über den Verkehr.«

»Oy.«

»Das ist wirklich die perfekte Vorhersage für L. A., wenn man mal drüber nachdenkt. Meiden Sie die 405, und Sie haben ein schönes Leben! Das ist mein Schicksal.«

Sie lachte.

»Umfahren Sie die 10 East zwischen siebzehn und zwanzig Uhr großräumig.«

Ich steckte die zwei Kekshälften zusammen und ließ sie reden, als wären sie ein Vogelschnabel, der sich öffnete und schloss.

»Sie glauben, Sie können an einem Donnerstagmorgen einfach über die Santa Monica gleiten?«, fragte der Vogel. »Vergessen Sie’s. Und denken Sie nicht mal an die Wilshire. Genießen Sie Ihre Zukunft.«

Sie lachte lauter.

»Hör auf«, sagte sie schniefend und wischte sich das Gesicht ab. »Hab ich jetzt überall Lippenstift?«

»Nein«, sagte ich und aß meinen Keks. »Du hast ihn dir beim Essen komplett abgeleckt.«

»Oh«, sagte sie. »Dann will ich ihn neu auftragen.«

Wir blieben unter der Markise eines Möbelgeschäfts stehen, das geschlossen, aber von innen mit einer Lampe beleuchtet war. Sie holte den Lippenstift aus ihrer Handtasche, einer kleinen türkisen Leder-Henkeltasche, so eine, wie alte Damen sie besaßen.

»Kannst du das noch mal machen?«, fragte sie. »Ich bin echt schlecht darin.«

»Klar«, sagte ich.

Ich trat in dem gelben Licht näher an sie heran. Ich war ihr so nahe, dass ich die Sojasoße, den Knoblauch und den süßen Alkohol in ihrem Atem riechen konnte. Sie unterdrückte ein Rülpsen, und wir kicherten beide. Ich wollte sagen: Ist okay, es muss dir nicht peinlich sein, lass es raus, ich mag dich, die Luft in dir, alles an dir. Aber ich sagte nichts in diesem gelben Licht.

Über uns war eine Markise, ein Palmwedel hing über der Markise wie eine Art doppelte Chuppa, der Gott Kaliforniens gab uns seinen Segen, der Gott Kaliforniens sagte: Ja, meine Töchter. Ich dachte daran, sie zu küssen, einfach so hier auf der Straße, den Bogen ihrer Oberlippe zu lecken, an ihrer Unterlippe zu saugen, das Wort hallte in meinem Kopf wider: Töchter Töchter Töchter Töchter. Stattdessen trug ich ihr Lippenstift auf. Ich tat es schnell, dann trat ich zurück, aus dem Licht heraus, und sagte: »So.«