Miriam ging ans Telefon.
»Oh, gut, du bist es«, sagte ich. »Ich wollte nicht, dass deine Familie mich für eine Stalkerin hält. Na ja, ich rufe nur an, um mich für den schönen Sabbat zu bedanken.«
»Hier ist Ayala«, sagte die Stimme am anderen Ende.
»Ups«, sagte ich. »Hi, ist Miriam da?«
Ich sagte ihr nicht, wer ich war, aber sie wusste es natürlich.
»Moment«, sagte sie.
Sie sagte nicht Hallo oder fragte, wie es mir ging.
Ich hörte das Schaben, als sie den Hörer hinlegte, dann ihre Stimme: »Miriam! Telefon!«
»Hallo?«, sagte Miriam.
»Hi. Hier ist Rachel«, sagte ich.
»Hi!« Sie klang glücklich.
»Ich wollte dir vielen, vielen Dank sagen für das schöne Wochenende«, sagte ich. »Sag bitte deinen Eltern auch Danke.«
»Natürlich. Das haben wir sehr gern gemacht.«
Danach wusste ich nicht, was ich zu ihr sagen sollte.
»Hast du heute gearbeitet?«, fragte ich.
»Ja«, sagte sie. »Aber nur von zwei bis sieben. Ein Cousin hat die Vormittagsschicht gemacht. Dov – er ist ein fauler Schlemihl, das tut ihm mal gut.«
Ich mochte ihre Arroganz. Normalerweise mochte ich Leute nicht, die der Meinung waren, sie hätten immer recht, aber ihr Glaube an ihren eigenen Verstand war liebenswert.
Sie fragte mich nicht nach meinem Tag, was eine Erleichterung war, denn mir war nicht danach, darüber zu reden. Aber es herrschte Schweigen in der Leitung. Ich fragte mich, ob es ihr genauso unangenehm war wie mir. Vermutlich nicht. Miriam hatte höchstwahrscheinlich kein Problem damit, Momente unausgefüllt zu lassen, war friedlich in stillen Zwischenräumen, lebte darin, ließ sie leben. Ich versuchte, so zu tun, als wäre das für mich in Ordnung, als wäre das einfach, was alle taten: schweigend am Telefon sitzen. Dann hörte ich Leute im Hintergrund reden.
»Ist das deine Familie? Ich will dich nicht aufhalten.«
»O nein«, sagte sie. »Ich bin in meinem Zimmer. Ich schaue einen Film. Clark Gable und Jean Harlow. Irgendwas mit einem Schiff, ich bin mir nicht sicher. Ich habe erst nach der Hälfte eingeschaltet.«
»Ist er gut?«
»Ganz okay.«
»Oh«, sagte ich.
Ich googelte auf dem Handy das Kino, in dem wir Charade geschaut hatten. Diese Woche lief Die zwölf Geschworenen und Alles über Eva.
»Weißt du, was läuft?«, fragte ich. »Alles über Eva.«
Sie sagte nichts.
»Magst du Bette Davis?«
»Nicht besonders. Aber ich würde reingehen, wenn du möchtest«, sagte sie.
»Also dann Die zwölf Geschworenen.«
»Nein, bloß keine zwölf Männer.« Sie lachte. »Alles über Eva. Der ist gut.«
»Super!«, sagte ich. »Möchtest du wieder ins Golden Dragon gehen?«
»Klar«, sagte sie. »Ich kenne auch noch ein anderes Restaurant, tolles koscheres Thai-Essen, das ist nicht weit weg.«
»Wir können auch da hingehen«, sagte ich zögernd.
Ich versuchte, die Magie unseres ersten Ausflugs ganz genau nachzustellen!
»Nein. Wenn du zum Drachen willst, gehen wir zum Drachen«, sagte sie.
»Okay! Wann willst du gehen?«
»Ich weiß nicht. Entscheide du. Du bist schließlich diejenige, die mich um ein Date bittet, oder?«
Dann lachte sie. Ich schluckte. Wir wurden beide still.
»Donnerstag?«, fragte sie schließlich. »Um sechs?«
»Super«, sagte ich. Ich musste This Show Sucks ausfallen lassen. Das war mir egal.
Als wir auflegten, dachte ich über ihre Wortwahl nach. Ich wollte, dass sie ernst meinte, was sie gesagt hatte, dass wir wirklich ein Date hatten. Aber sie benutzte wahrscheinlich nur aus Jux die Sprache der klassischen Liebesfilme. Und sie konnte das ganz einfach und bequem machen, weil das mit uns auf keinen Fall etwas Romantisches sein konnte. Es war Freundschaft, das war alles.